Eine Nacht in der Holzhauerhütte

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: W. O. von Horn
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine Nacht in der Holzhauerhütte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44–47, S. 591–594, 607–610, 619–624
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[591]
Eine Nacht in der Holzhauerhütte.
Aus dem Nachlasse meines Großoheims.
Nacherzählt von O. W. von Horn.

Das Jahr 1811, erzählt mein Großoheim in seinem Tagebuche – war das schönste, gesegnetste seit fünfzig Jahren. Man meinte, es hätte seinen Winter verloren – oder der herrliche Komet, der bis in den Oktober in voller Pracht am Nachthimmel stand, hätte ihn mit seinem gewaltigen Schweife weggefegt. Tief im September gab es noch Gewitter, wie im Juli, und das war das Eigenthümliche, daß sie meist Nachts kamen; daß sie die Atmosphäre nicht abkühlten und daß ihre Regengüsse nur Nachts fielen, während am Tage die Sonne mit tropischer Kraft herabbrannte. Es war eine Jagdzeit, wie ich mich keiner aus meinem Leben erinnere. Ja, Jagdzeit! Damals ging noch der stolze Edelhirsch in den Hochwäldern des Rheinlandes, wenigstens des Hundsrückens; damals grunzten noch Rudel von Keilern, Bachen und Frischlingen durch die Waldhöhen, und das scheue Reh schreckte nicht selten in diesen schönen Waldregionen, die freilich damals die übel verstandene Forstwirthschaft und die fatale Einrichtung der sogenannten Coups über Gebühr lichtete. Die Jagd erfreute noch des Menschen Herz, wenn die Jagdzeit kam – der Hasen, Füchse und der Hühnervölker gar nicht zu gedenken, die reichlich vorhanden waren.

Ich war in jener Zeit selten daheim, und von Treib- und Kesseljagden, von Pürschgängen und Anstand völlig gesättigt, kehrte ich in der Regel spät im Jahre in die vier Wände zurück, denn die sämmtlichen Forstbeamten waren meine Freunde, und mein Schuß hatte sich einen Ruf erworben im Lande. Kein Amt band mich, keine Geschäfte lasteten auf mir, keine Kinderschaar forderte väterliche Aufsicht, keine Frau murrte über mein Ausbleiben – warum sollte ich nicht die Freuden der Jagd genießen? Jenseits des Rheins, aus den nassauischen Forsten heimkehrend, fand ich die Einladung zu den Jagden der Berghöhen, die sich vom Rheine tief in’s Land hinein ziehen. Sie kam von treuer Freundeshand, und ich folgte alsbald. –

Dort droben lag ein Forsthaus auf dem Waldgebirge, einsam und stille. Mächtige Eichen, an denen Jahrhunderte vorübergerauscht waren, standen um dasselbe herum, und der Wind spielte in ihren Wipfeln und Aeste gar oft seine schauerlich wilden Melodien auf, bei denen es sich, wenn man müde dort einkehrte, unbeschreiblich behaglich schlafen ließ. Hundegebell, Windesbrausen und das Geklapper der hohen Pantoffelabsätze der hochbetagten, aber höchst lebendigen Schwester des Oberförsters, die sich die Tracht und die strenge Sitte des vorigen Jahrhunderts treu bewahrt hatte, waren die einzigen Laute, welche die dauerndste Ruhe und Stille unterbrachen. Der Oberförster oder Garde à cheval, wie sein Titel in der verdammten Franzosenwirthschaft hieß, war ein prächtiger Mensch. Groß wie ein Riese Goliath, breitschultrig und wetterhart, wie Einer, der alle Unbill der Zeit und der Witterung ertragen gelernt von der Wiege an, brummig und knurrig anzuschauen und anzuhören, war er sanft wie ein Mädchen und gemüthlich wie eine Großmutter. Im Dienste aber verstand er keinen Scherz und als Jäger noch weniger. Ich wollte es Keinem gerathen haben, eine Kuh oder ein Altthier zu schießen statt eines Bockes! Hindernisse gab es für ihn nicht, und die Witterung mußte das Höchste ihrer dem Geschöpfe unlieben Macht entwickeln, wenn er zum Rückzuge blies.

Von ihm, dem alten Freunde, Schul- und Lebensgenossen, lag die Einladung auf meinem Tische, als ich heimkam. Dort oben hatte ich meine schönsten Tage und Stunden verlebt; dort oben war die reichste, lohnendste Jagd; dort oben lebte man frei von allem Zwange, es sei denn im Bereiche der Jungfer Ottilie, der Schwester meines Freundes, welcher Zwang aber dennoch sein Ansprechendes hatte. Was konnte mich abhalten, Waidgeräthe anzulegen, und den Gebirgsweg einzuschlagen? So trat ich denn den Gang an, zur Jagd vollständig gerüstet, von meinem trefflichen Caro begleitet und von der besten Laune. Mit allgewohnter Herzlichkeit aufgenommen, trat ich am Abende in das einsame Forsthaus, wo es so ungemein behaglich war.

Schon am ersten Abend wurden die Dispositionen gemacht, die Jagden bestimmt, und am nächsten Morgen weckte mich das Hundegebelle mit grauendem Tage, das zum Walde rief.

Wie sich Jagd an Jagd reihte und manch ernstes und komisches Abenteuer sich folgte, das ist nicht mein Zweck zu erzählen. Meine Tagebücher würden zu einer Bibliothek anschwellen. Nur die Geschichten einer Nacht will ich fesseln, daß sie mir nicht entfallen und ich auch später noch einmal sie mir zurückrufen kann.

„Heute müssen wir auf den Anstand! Ich werde dich an den besten Wechsel stellen,“ sagte eines Mittags der Oberförster. „Ich fürchte nur, daß uns diese Nacht ein Gewitter überrascht. Es sind wieder alle Anzeichen da, und dies Jahr hat wunderliche Laune bis in den Altweibersommer.“

„Thut nichts,“ sagte ich. „Kommt’s frühe, so gehen wir heim; kommt’s spät, so haben wir vielleicht unsere Jagd gemacht. Und werden wir naß, nun, so kleiden wir uns um oder legen uns zu Bette.“

„Brav gesprochen,“ sagte er lachend. „Einen dritten Fall [592] hast Du aber vergessen, den ich nachtrage, den nämlich, daß es uns schnell über die Haut kommt. In diesem Falle führe ich Dich in die Holzhauerhütte, die uns ganz nahe liegt. Ottilie sorgt dafür, daß wir weder Durst, noch Hunger leiden müssen, und mein alter Holzhauermeister Knipp soll Dir Geschichten erzählen, von denen Du ja ein Freund bist.“

Damit war die Sache erledigt. Ottilie packte dem Jägerburschen einen Korb voll Unentbehrlichkeiten des behaglichen Daseins, auf die sie sich verstand, und wir zogen zu Walde.

Der Abend war für die Jahreszeit wahrhaft schwül; aber auch die Befürchtung meines Freundes traf ein. Ehe wir unsere Stelle erreichten, rollte schon der Donner über unsern Häuptern, und wenn wir nicht durchweicht werden wollten, ohne doch auch nur im Entferntesten unsern Zweck erreicht zu haben, blieb uns keine Wahl, als die Einkehr in der Holzhauerhütte.

Unweit eines hochemporragenden Grauwackengesteins sahen wir, von der Höhe niedersteigend, den Rauch der Hütte. Sie lehnte an dem Felsen, und ein Dreieck mächtiger Buchen sicherte ihr Bestand und Halt. Als eben die ersten, fetten Tropfen vom dunkeln Himmel niederfielen, erreichten wir sie. Es war etwa acht Uhr, und die Nacht kam schnell und dunkel, denn der Himmel hatte den Wettermantel dicht zusammengezogen. Blitze zuckten blendend am Himmel hin und der Donner grollte schon mit gewaltiger, wenn auch dumpfer Stimme.

Solch’ eine Waldhütte ist ein ganz eigenthümlicher, aber gegen Wind und Wetter schützender, sehr solider Bau. Man muß eine gesehen haben, um sich eine deutliche Vorstellung davon zu machen. Junge, schlanke, hochstämmige Bäume werden gehauen und im weiten Zirkel mit den dicken Enden in die Erde, Stamm an Stamm, eingerammt, und an einander dauerhaft befestigt. Oben werden die dünnen Enden zusammengefügt und befestigt, so, daß die Hütte vollkommen die Gestalt eines Zuckerhutes annimmt. Nun werden die Stämme so dicht, als es geschehen kann, mit Reisig durchflochten und zwar bis oben hin. So entsteht eine dichte Wand, die aber vor regen und Luftzug noch nicht hinlänglichen Schutz gewähren würde. Hierzu kommen die abgeschälten, großen Rasenstücke, welche feucht auf deas Reisig geschlagen werden, und zwar in mehrfachen Lagen, bis auch der allerwildesten Laune des Wetters und der Ausdauer eines langathmigen Landregens eine Schutzwehr entgegen steht, vor der ihre Macht die Segel streichen muß. Daß oben eine Art Schornstein angebracht wird, um dem Rauche den freien Abzug zu bereiten, versteht sich von selbst.

Ist der Bau vollendet, so ist die Thüre das Nächste, woran man denkt. Groß ist sie nicht. Die Oeffnung bleibt zwischen zwei Bäumen, und um sie gehörig schließen zu können, werden lange Reisigbündel an zwei oder drei Stangen eng aneinander gebunden und von außen widergestellt. Nun ist das Haus gebaut, und das Einrichten des Wohn- und Schlafraumes fordert die nöthige Aufmerksamkeit. Ob diese überall gleich ist, weiß ich nicht; darum will ich eben nur die unsere beschreiben. Rechts von der Thüre standen auf einer Erhöhung von Waldsteinen und Rasen zwei Eimer frischen Quellwassers, das nicht ferne zu finden war. Von da an zogen sich die Betten hin, und zwar rund herum an der Wand. In der Länge eines Mannes abgeschnitten, waren drei mäßig dicke Stämme auf einander gelegt und an hinter ihnen eingerammte Pfähle oder Pfosten befestigt. Sie bildeten eine Sitzbank und standen so weit von der Wand ab, daß zwischen ihr und der Bank Raum blieb, um aus Moos und dürrem Laube eine hohe und weiche Schlafstätte für je zwei Personen zu machen, die durch Querwände von ähnlicher Zusammenstellung geschieden waren. Inmitten der Hütte stand der Herd, den eine derbe Steinplatte deckte. An den Wänden waren Holznägel eingeschlagen, an denen Kleider, Vorräthe in Säcken, einiges Blechgeräthe, Sägen und dergleichen hingen. Links der Thüre lag das sauber aufgeschichtete Brennholz. Der Boden war reinlich gekehrt, und ich kann sagen, daß es mich auf den ersten Blick in dem Raume anmuthete. Auch für den Oberförster war ein solches Moosbette vorhanden, auf dem Zwei sehr bequem Raum hatten. Es war mit reinem Linnen überdeckt und hatte zwei ebenso überzogene Mooskissen. In der Nähe des Bettes stand ein roh aus Tannenbretern gemachtes Schränklein, darinnen seine Vorräthe aufgehoben zu werden pflegten. Eine Kaffeemühle und ein Wasserkessel legten Zeugniß ab, wie gerne mein alter Freund die edle Flüssigkeit liebte, welche das Absud der Bohne Arabiens ist.

Als wir eintraten, lag ein Haufe von Kohlen und heißer Asche auf dem Herde, und der duftige Geruch gebratener Kartoffeln erfüllte die Hütte. Die matte Glut ließ drei oder vier Gestalten erkennen, welche sich bei unserm Eintritte grüßend von den Sitzbalken erhoben, welche zugleich die Scheidewand der Bettstellen bildeten.

„Guten Abend, Knipp!“ grüßte der Oberförster eine der im Dreivierteldunkel stehenden Männergestalten. „Hat der Saveriges (wie das Volk den Namen. Xaverius ausspricht) den Korb meiner Schwester abgestellt?“

„Alles in Ordnung, Herr!“ antwortete eine sonore Stimme.

„Gut, aber schreitet an’s Werk; die Kartoffeln sind reif, wenn mich meine Witterung nicht im Stiche läßt,“ sagte mein Freund.

Alsbald erschien ein Jüngerer am Herde, scharrte die heißen gebratenen Kartoffeln in eine große, irdene Schüssel und stellte sie sorgfältig in eine am Boden befindliche Vertiefung neben dem Herde, in welchem noch heiße Asche lag, und legte dann auf die Kohlen gespaltenes Holz, das schnell in heller Lohe aufging. Nun erst zündete der Mann, welchen mein Freund mit dem Namen Knipp benannte, ein Oelampel an, die an einer einfachen Drahtkette hing, und jetzt war die Hütte so weit beleuchtet, daß man das Einzelne unterscheiden konnte.

Knipp war ein Greis von etwa siebzig Jahren, aber noch so robust und schnellkräftig wie ein angehender Fünfziger. In seinem schönen Kopfe leuchteten klare, große Augen, die noch keiner Brille bedurften, und wäre sein Haar nicht schneeweiß gewesen, Niemand würde ihn für so alt gehalten haben, als er war. Der Ausdruck seines Gesichtes war ernst, sinnig und doch milde. Der Jüngere war sein Sohn, der die Befehle des Vaters mit großer Pünktlichkeit vollzog. Die Uebrigen waren gewöhnliche Menschen, die mir kein Interesse einflößten.

Als die Flamme loderte, sang bald das Wasser im Kessel; die Kaffeemühle rasselte, und Knipp öffnete das Schränklein, aus dem er Milch und Anderes herausnahm. Kurz, ein herrlicher Kaffee labte uns, zu dem wir gebratene Kartoffeln mit Butter aßen, eine Zusammengruppirung köstlicher Art; dann schmeckte uns kalter Wildbraten und Wein vortrefflich und die Holzhauer waren unsere Gäste, was ihnen sehr wohlthat und gefiel.

Als Knipp Alles weggeräumt, setzten wir uns auf die Balken. Das Feuer verlosch und die kleine Lampe warf ihr düstres Licht auf die Räume, die nur in ihrer nächsten Nähe heller beleuchtet waren. Die Pfeifen würden gezündet und wir saßen gemüthlich beisammen.

Draußen war indessen das Gewitter recht losgebrochen. Der Sturm tobte in den Buchen, in deren Schutz die Hütte stand, als wollte er sie mit einem Athemzuge entwurzeln. Das rauschte, heulte, krachte, als solle Alles in Trümmer gehen. Hätte die Hütte frei und nicht unter dem Schutze der drei Buchen und des Felsens gestanden, der sich hinter der mächtigen Baumgruppe und fast bis zur Hälfte ihrer Höhe erhob, der Sturm hätte sie uns, trotz ihrer starken Bauart, über den Köpfen zusammengeworfen. Vom Sturme gepeitscht, schlug der Regen heftig gegen die Wände der Hütte und ich dachte jeden Augenblick, er würde uns überfluthen. Nur in der Ruhe Knipp’s gewann ich Zutrauen in unser Obdach. Die Blitze folgten sich, zischend wie feurige Schlangen, die sich verfolgen, und der Donner rollte und prasselte furchtbar über die Wipfel des Waldes dahin.

„Das ist wieder der Kopf der alten Burg,“ sagte der Oberförster zu Knipp, „der das Wetter hält!“ Dieser nickte. fort und fort blieb das Wetter gleich stark, wild und grausig. Plötzlich erhellte ein Blitz selbst die Räume der Hütte; hell krachend folgte der Donnerschlag. Knipp ließ die Pfeife aus dem Munde und sagte: „Gott sei uns gnädig!“ – Dann athmete er tief auf und sagte: „Nun hat es sich entladen und sich von der „„alten Burg““ losgemacht!“

Wirklich trat Ruhe in der Natur ein, aber die Stetigkeit, mit welcher jetzt der Regen zu fallen begann, schnitt uns jede Hoffnung der Rückkehr nach dem Forsthause in dieser Nacht entschieden ab.

„Nun, Knipp,“ sagte der Oberförster, als unsere Pfeifen dampften, „zum Heimgehen ist weder das Wetter noch der Waldweg angethan. Wir müssen bleiben. Zum Schlafen fehlt uns auch noch die Lust. Wißt Ihr was? Erzählt uns eine Geschichte, die Ihr erlebt. Den Herrn hier werdet Ihr recht erfreuen! Und Ihr habt Manches in der Welt erlebt.“

Der Alte lächelte. „Wenn Sie es so wollen,“ sagte er, „da will [592] ich Ihnen wohl eine Geschichte erzählen, die in meine jungen Jahre fällt und an die ich durch Mattes hier erinnert werde. Die Personen, deren Unglück ich Ihnen jetzt erzählen will, habe ich selbst noch genau gekannt, und den Mann, der das Unglück anrichtete, kennen Alle, die den Hundsrücken kennen.

„Sie wissen,“ hob er an, „die Bäche, welche von der Höhe des Soon der Nahe zufließen, oder, vom Hundsrücken kommend, die Soon-Höhe durchbrechen und sich dann in die Nahe ergießen, haben sich alle tiefe Rinnsale in unvordenklicher Zeit gewühlt. Es sind weniger Thäler, als enge, tiefe, wilde Schluchten, die sich dann und wann einmal kesselartig zu einem lieblichen Thalgrunde erweitern, wo dann auch die Seiten der Berge mehr abgeflacht und dem Pfluge und der fleißigen Menschenhand zugänglich sind, während ihre Sohle saftige Wiesen birgt. In einem solchen Thalkessel, welchen ein wasserreicher Bach durchschäumte, liegt eine Mühle, die aber seit der Begebenheit, welche sie berühmt gemacht hat, schon dreimal ihren Herrn wechselte, und doch sind nicht eben der Jahre viele seitdem in’s Land gegangen. Das hatte so seine Gründe, die freilich nicht eben gerade lustig zu hören und zu erzählen sind.

Die Mühle lag nicht eben sehr günstig, denn sie hatte zum nächsten Dorfe thalabwärts drei Viertelstunden, und zum nächsten im Gebirge eine gute Pfälzer Stunde, die, wie wir hier zu sagen pflegen, der Fuchs gemessen hat, wobei er bei jedem Schritte die Schweiflänge zugab. Dennoch war sie diejenige, welche am Meisten zu thun hatte in der ganzen Umgegend. Sie hatte nämlich Wasser die Fülle durch’s ganze Jahr und der Müller, ob er gleich als Hochmuthspinsel bekannt war und belacht wurde, war sehr thätig. So kam es, daß die Mühle nie leer wurde und der Müller immer reicher. Dennoch kam fast Niemand auf die Mühle. Er hatte drei Gäule, die ein schönes Gewicht wegzogen und der Mahlknecht führte die Frucht zu und das Mehl fort, und der Müller lebte wie ein Einsiedler. Er war Wittwer und sein einzig Kind war ein Müllerskind von wunderbarer Schönheit. Sie war in der Stadt erzogen worden bei einer Mutterschwester, und da wußte sie, daß sie schön und reich sei. Damals, sie war eben achtzehn Jahre alt und nichts Schöneres zu sehen, als Thalmüllers Grethchen, kamen alle Sonntage die jungen Bursche auf die Mühle, aber als sie merkten, daß entweder das Grethchen sie hänselte oder sich nichts um sie kümmerte, blieben sie weg und sagten: Die warte auf einen Grafen, ein ehrlicher Bauer oder Müller sei ihr zu geringe. Wahr ist es gewesen, und sie sagte es ohne Hehl, sie wolle nicht ihr Leben lang in den Kuhställen nachsehen oder Mühlenstaub athmen; sie sei für etwas Besseres erzogen. Von da an wurde es wieder so stille auf der Mühle, wie früher. Das gefiel dennoch dem eitlen Grethchen nicht, und es hätte gar gerne einen hübschen Schatz gehabt, freilich keinen Bauer und keinen staubigen, mehligen Müller, die ihm beide ein Gräuel waren.

Nun wäre dazu Rath gewesen, denn damals diente als Mahlbursche nach pfalzischer Zunftordnung der Sohn des Müllers vom Huxbache drunten in der Mühle und der Jacob von der Huxmühle war ein bildhübscher, reicher und kreuzbraver Mensch, allein er war so schüchtern, daß sie ihn nur den Einfaltspinsel nannte, und ihren Narren mit ihm trieb oder ihn verächtlich über die Achsel ansah. Und doch war für sie die Zeit gekommen, wo sich so ein Mädchen verlieben muß, wie man sagt, und der Jacob hatte sie sterbenslieb. – Aber – der Jacob war ein mehliger, staubiger Müller und der Vater überließ ihm die Mühle ganz allein, während er sich mit dem Ackerbau abgab, was seine Liebhaberei war. Der Müller hätte nichts auf der Welt lieber gesehen, als der Jacob wäre sein Eidam geworden, denn er hatte ihn lieb, wie einen eigenen Sohn, und einen braveren, treueren Mühlburschen hatte er sein Lebetag nicht gehabt.

Der Alte hatte bei seinem stolzen Töchterlein wohl einmal, so wie man sagt, auf den Busch geklopft, aber da stieg dem Gretchen das Blut in die Wangen und Stirne und das holdselige Mädchen war gar nicht mehr hübsch, als es so zornig wurde und rund erklärte, sie nähme nie einen Bauer, noch weniger einen bestäubten Müller. Der Alte war, ohne daß er es merkte, unter den Pantoffel seines schönen Kindes gerathen, das so klug war, daß es schreiben konnte, wie der Schulmeister, rechnen, wie der Acciser und reden, wie ein Buch. Da zog er sich zurück, so sehr es ihn auch ärgerte, und verwünschte den Gedanken, das Mädel der Lenebas in der Stadt zur Aufstutzung übergehen zu haben. Sie hatte es aufgestutzt, daß es in die Mühle nicht mehr paßte, auf einen Karren zu lang, auf einen Wagen zu kurz war und doch in eine Chaise nicht paßte. „Das war schlimm! Herr Oberförster,“ sagte der alte Knipp einschaltend, „es ist nicht gut, wenn der Mensch aus seinen Fugen gehoben wird! Es muß Oberförster und Holzhauer in der Welt geben, und es ist nur gut, wenn Jeder recht auf seinem Platze steht. Denn wären wir alle Oberförster, so stünd’s schlimm um’s Holzhauen, und wären wir alle Holzhauer, so wär’s bald aus mit dem Walde und dem Holzhauen. Ich sage das so als Beispiel. Wer’s weiß, der versteht’s!“

„Ihr habt Recht, Knipp, aber fahrt fort,“ sagte der Oberförster und Knipp gehorchte.

„Mit des Müllers Zorn währte es nicht lange. Wenn das Grethchen ihn anlächelte, dann war Alles vergessen. Er war in Summa ein Bischen wohl einfältig und das Mädel konnte mit ihm machen, was es wollte. Er tanzte, wie es pfiff. Das war das zweite Unglück im Hause, denn die Stadterziehung des Mädels war das erste.

An Freiern von Weit und Breit fehlte es nicht, denn das Mädel war Erbtochter und reich, aber Grethchen wollte absolut eine Liebschaft, wie sie in den Büchern stehen, aber ja keine plumpe Freierei. Das verstand der Alte nicht, und schüttelte gar oft den Kopf, wenn sie rechts und links Körbe austheilte. Als der Jacob in’s Haus kam, der so schlank und doch so kräftig, so blühend und frisch, so treu und hübsch war, dachte er, wenn’s dem nicht glückt, dann geht das Mädel in’s Kloster. Aber es glückte ihm nicht, und das Mädel war protestantisch, und da ist’s nichts mit dem Kloster, und zu dem hatte es auch gar keine Lust.

Vor der Mühle ist ein großer Hofraum und mitten drinnen steht ein Nussbaum von ungeheurem Umfange. Seine Aeste beschatten den weiten Hofraum, und es ist der schönste Baum der Art, welchen ich jemals gesehen habe. Am Stamme dieses Baumes stand im Sommer Grethchens Nähtischlein und sie selbst saß daran, arbeitete und träumte mit offenen Augen, wie die Hasen schlafen, und ich glaube nicht, daß sie vom Ins-Kloster-Gehen träumte. Was sie aber träumte, weiß ich nicht. Sie war an einem Tage mutterseelenallein zu Hause, der Jacob mit Mehl in’s Dorf hinunter, und der Müller mit dem Pfluge in den Acker gefahren, da hörte sie plötzlich rasche Tritte, blickte auf und sah vor sich einen jungen, ganz hübschen Jägersmann, bei dem ein großer, wildaussehender Hund war. Die Doppelflinte hing um die Achsel und im Büchsenranzen steckten Feldhühner, die er erlegt und von denen er gleich zweie dem Mädel darbrachte. Er war sehr höflich und sah aus, als gehöre ihm die Welt, wenigstens zu zwei Dritttheilen. Er war von mittlerer Größe, mehr gewandt als kräftig. Sein Haar war reich, ziemlich dunkel und seine Augen lodernde Fackeln. Wenn auch der Jacob hunderttausend Mal schöner war und liebenswürdiger, der war doch so angethan, als wäre er überall sicher, daß ihm die Mädchen gut sein müßten, und es schien, als müsse er auch hier seiner Sache gewiß sein. Gerade so war seine Art. Aber dazu schlug er auch den rechten Weg hier ein. Aus seinen Augen sprach Bewunderung der Schönheit Grethchens. Er stand da, als wäre er eine Bildsäule, bezaubert und behext durch diese Schönheit; dann aber floß ihr Lob von seinen Lippen, daß eine Glut die andere über das Gesicht Grethchens jagte. Es war doch kurios! Hätte der gute Jacob so etwas gethan, sie hätte ihn mit Unwillen, ja mit Zorn zurückgewiesen. Hier that es ihr im Herzen wohl, so verlegen sie auch war, und wie sie sich auch wehren mochte, er fuhr dennoch fort. Ob er gleich wie vom Himmel gefallen erschien, so konnte sie ihm doch nicht grollen, und daß er etwas Rechtes sei, glaubte sie sicher, weil er so eine Art hatte. Endlich schien er sich zu besinnen, und bat sie flehentlich, ihm doch das nicht zu verargen, wozu ihn sein Herz getrieben. Nun, das wirkte noch mehr auf das Mädel ein und machte ihr vollends den Fremdling theuer.

Er bat sie um Milch und sie brachte sie ihm mit einem Lächeln, wie es der brave Jacob nie errungen hatte. Er erzählte ihr dann, er sei der Jäger des Barons, der jenseits der Berge sein Schloß habe. Dort wohnte ein Baron, der allerdings Wälder besaß, das wußte das Mädchen, und so fehlte nichts, was Zutrauen einflößen konnte, zumal, wenn das Herz schon in’s Spiel gezogen worden ist. Er habe, erzählte er weiter, einen Stein im Brett bei dem Herrn Baron, und werde, ehe ein halbes Jahr in’s Land gehe, Revierförster. Dann sei für ihn ausgesorgt, zumal er reicher Leute Kind sei von der Mosel her – und was er Alles plauderte, um dem Mädchen zu gefallen und sie kirre zu machen.

[594] Nach einer Stunde ging er und meinte, wenn er eher gewußt hätte, daß dies Thal eine solche Perle umschlösse, würde er früher schon in der Mühle vorgesprochen haben. Ob er denn auch wieder kommen dürfe?

Erröthend sagte sie Ja, und als er in sie drang, ob sie es gerne sähe, sagte sie noch glühender auch Ja, und – sie wußte selbst nicht, wie es zuging, aber sie widerstrebte nicht einmal, als er sie umfaßte und einen Kuß auf ihre Lippen drückte. – Und doch ging er noch nicht. Es hielt im erstaunlich schwer, sich loszureißen. Daß ich es kurz mache – sie hatte ihm, als er endlich ging, zugesagt, ihn, weil er es auch wünschte, nur dann zu sehen, wenn sie allein sein würde. Dazu wurde ein Zeichen verabredet, das er aus dem Walde aus sehen konnte.

Mehrere Tage vergingen, ehe sie das Zeichen geben konnte; aber sie wußte ihn in der Nähe und sie träumte noch viel mehr, als früher, aber ihre Träume waren anderer Art; sie lächelte dabei so selig und voll Hoffnung, und das Herz pochte so laut, daß sie es schier zu hören meinte.

Eben das Geheimnißvolle war das Reizende bei der Sache, und das machte ihr die Liebschaft so theuer.

In der Mühle ahnte noch keine Seele etwas von der Sache, denn Gretchen wußte es immer so einzurichten, daß sie mit dem Jäger allein war, und ihre Bekanntschaft wurde immer vertrauter und inniger. Hundert Mal sagte er ihr, er könne ohne sie nicht leben, und das bewies er ja auch dadurch, daß er Tage lang im Walde lag und auf das Zeichen lauerte. Nun war das doch zu viel von ihm gefordert. Daher ging sie denn bisweilen mit ihrem Strickzeuge in den Wald und da fand sie ihn immer, und die hohe Eiche, die dort stand, war das verschwiegene Plätzchen ihrer Liebe. Da wurde denn auch einmal verabredet, daß er Abends unter ihr Fensterlein kam und dort plauderte.

Solche „heimliche Liebe, von der Niemand weiß,“ war gar zu schön, aber der Winter drohte doch durch sein Kommen der heimlichen Liebe einen Damm entgegenzusetzen, und – es mußte anders werden. –

Obgleich Niemand etwas bis jetzt von der Sache wußte, so ahnete doch der Jacob etwas der Art. Er legte sich auf die Lauer und kam auf die rechte Fährte. Sie war auch gar zu kalt und abstoßend gegen ihn und er bekam nicht einmal mehr einen freundlichen „guten Morgen“, noch ein freundlich Gesicht. Was sollte er da noch hoffen? – Sein Auge wurde trübe, seine rothen Wangen blichen ab; alle Freude wich von ihm. Sollte er sie immer sehen und doch ohne Hoffnung? Nein, die Mühle war ihm zur Qual geworden. Er kündigte auf und ging. Das war dem Müller ein rechtes Leid; aber er wagte nichts zu sagen. Jacobs Hand drückte er und sagte: „Wär’ mir’s nachgegangen, Du wärst hier geblieben auf’s ganze Jahr!“

„Ein Jäger ist besser!“ sagte Jacob mit schneidender Schärfe.

„Ein Jäger? Was willst Du damit?“ fragte der Müller.

„Nichts, nichts!“ entgegnete Jacob und ging.

Der Alte stand betroffen da und sann; aber er fand nichts heraus. Dennoch war ihm das Wort ein Dorn in der Seele.

Item, der neue Mühlbursche war ein alter Geselle, dem nicht so recht von Krabben ging. Da mußte der Alte mehr zu Hause bleiben und sich der Mühle annehmen, während der Mahlbursch in den Acker fuhr. So kam es denn, daß er endlich Jacobs Wort verstehen lernte und einsah, wie es mit Grethchen und dem Jäger stand. Er forschte bei Grethchen nach ihm und seinem Herkommen und seiner Stellung, und hörte, was sie wußte. Das beruhigte ihn, und als er den Jäger näher kennen lernte, gefiel er ihm extra, denn er war voller Geschichten und Schwänke. Und wenn er da war, ging des Grethchens kirschrothes Schnäbelein, daß der Alte selber seine Lust an dem Mädchen und seinem Glücke hatte. Uebrigens waren die Aussichten für den Jäger auch sehr gut, nur das Eine wurmte den Müller, was aus Mühle und Thal werden solle, das seit Menschengedenken bei seiner Familie war, und er konnte sich nicht um die Ecke finden, und das lag ihm zentnerschwer auf der Seele, da er Grethchens Abneigung gegen die Mühle und das einsame Leben kannte. Indessen wurden die Zweie immer vertrauter und es begann dem Grethchen doch unbehaglich zu werden, daß ihr Geliebter nichts von der Hochzeit sprach, auch eigentlich nicht bei ihrem Vater um sie freite. So verlief der Sommer und der Herbst. Eine Vierzehntagefrist war er einmal weggewesen, weil er mit dem Herrn Baron auf der Jagd sein mußte. Das war eine trübe Zeit! Selbst dem Müller war es ungelegen, daß der Jäger so lange fehlte, denn er hatte ihn lieb gewonnen.

Als er wieder kam, es war an einem hellen, freundlichen Sonntage im October, war ein Jubel in der Mühle, wie nie zuvor. Grechen war außer sich vor Wonne und der Jäger ließ sie gar nicht von sich. Eben saßen sie beim Kaffee, voller Lust und Herrlichkeit, als drüben aus dem Walde ein Kerl herausstürzte, der ein entsetzliches Ansehen hatte. Er war klein, aber außerordentlich breitschultrig, hatte schwarzes, struppiges Haar und Bart und ein paar Augen im Kopfe, aus denen Wildheit und Spitzbüberei herausblickte. Er trug ein langschößiges Wamms, eine Kappe, eine Doppelflinte und Jagdtasche.

Er sprang in sichtlicher Hast gegen die Mühle, und sah sich oft mit erkennbarer Angst nach dem Walde um, als ob er von dorther verfolgt zu werden fürchtete. Bei der Mühle angekommen, drückte er sein breites, entsetzliches Gesicht gegen die Scheiben und klopfte hastig und derb dreimal dawider.

Der Jäger fuhr empor, sah das Gesicht vor dem Fenster, sprang zu seiner Flinte und Mütze, drückte flüchtig einen Kuß auf Gretchens Lippe und verschwand.

Gretchen war vor Schrecken einer Ohnmacht nahe, und der alte Müller saß auch da, wie eine Bildsäule. Als sie sich erholt, eilten beide vor die Mühle. Sie sahen eben noch den Jäger mit dem Schwarzen am Saume des Waldes auf dem jenseitigen Berge, und bald waren sie ihren Blicken entschwunden. Mit seltsam beklommenen Herzen kehrten beide in die Mühle zurück und kein Wort kam über ihre Lippen; aber centnerschwer lag’s auf der Seele und der Kaffee blieb unberührt stehen.

„Was war das?“ sprach endlich der Müller.

„Ich weiß es nicht,“ war Gretchens Antwort, der ein tiefer Seufzer folgte.

„Wenn nur nichts Schlimmes dahinter steckt,“ sagte der Müller, dem es unheimlich zu Muthe war.

„Was denkt Ihr, Vater?“ rief das Mädchen – und Niemand hätte sagen können, ob mehr Angst und eigene Unruhe oder mehr Unwille über des Vaters Aeußerung in Wort und Ton gelegen habe.

Ehe es aber zu weiteren Erörterungen kam, wurden sie gestört. Es klopfte an der Thüre und Jacob trat herein. Es war das erste Mal, daß er auf die Mühle kam, seit er aus dem Mahldienste getreten war, und was ihn trieb, heute zu kommen, das lag schwer auf seiner Seele. Seit Jacob wußte, wie es um Gretchen stand, hatte er alle Lust zum Leben verloren, und der Kummer nagte rastlos an seinem Herzen. Eine unerklärliche Angst um das geliebte Mädchen ließ ihn nicht rasten. Es war im zu Sinne, als läge ein schauerliches Geheimniß über dem Jäger, den Niemand kannte. Es herauszukriegen, wer er sei, um nöthigenfalls das Mädchen noch zu warnen und zu retten, war sein unermüdliches Streben. Er verschmähte es nicht, tief in den Hundsrücken hinein Wanderungen zu machen; besuchte die großen Märkte des Landes; besah sich alle Förster weit und breit, und fand den, den er suchte, unter ihnen nicht. Endlich gelang es ihm, eine Spur zu entdecken, die aber seine Haare sträuben machte. – Er forschte weiter und weiter, und endlich stand ihm das mit voller Gewißheit fest, was ihn heute zur Mühle trieb.

Fast hätte der Müller und Gretchen laut aufgeschrieen, als Jacob eintrat; denn in der kurzen Zeit kaum eines halben Jahres war eine schauerliche Veränderung in ihm vorgegangen. Die Gestalt war abgemagert und gebückt, wie sonst das hohe Alter den Nacken beugt; die Brust schien eingebogen, die Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren so matt und müde; der Gang schleichend, und bei jedem Schritte hörte man ein Hüsteln, das so hell und gellend klang, daß es erschreckend war. Seine Hände waren bläulich weiß und gar mager, und wenn er sprach, klang’s so tief aus der Brust heraus, daß es Einem bange wurde.

[607] Sie grüßten Jacob herzlich, auch Grethchen, aber sie wurde weiß wie Schnee, als er hereintrat. Auch dem Müller war es nicht geheuer. Es kam ihm vor, als habe Jacob ihm eine Hiobspost zu bringen. Er sah gerade so aus.

„Bist Du krank, Jacob?“ fragte er ihn, seine Hand drückend, die sich kalt anfühlte.

„Ach ja,“ versetzte Jacob. „Ich glaub’, ich hab’ nicht mehr weit –.“ Grethchen sah tief in ihre Tasse.

„So muß ein junger Bursche wie Du nicht reden!“ sagte der Müller, der sich wieder zurecht fand.

„Warum nicht?“ sagte darauf Jacob. „Man muß doch am Besten wissen, wie es um Einen steht. Was thu’ ich auch in der Welt? Der Gang zu Euch ist der letzte, den ich wohl thun werde,“ fuhr er fort; „und den hätt’ ich nicht gethan, wenn nicht meine Lieb’ und Anhänglichkeit an Euch so groß wäre. Ihr hörtet auch von sonst Niemanden, was ich Euch zu sagen komme. Aber es gilt das Glück Grethchens, da durft’ ich nicht mehr länger warten, wenn’s nicht schon zu spät ist, das heißt, wenn sie sich dem Jäger nicht schon verlobt hat. –“

Die Angst in des Mädchens Seele wurde noch größer bei diesen Worten; aber sie fühlte, daß sie sich ermannen müsse; es kam ihr vor, als spräche jetzt aus Jacob’s Seele der Haß, der Neid, der Grimm verschmähter Liebe und sie richtete sich stolz auf und sagte:

„Und wenn das wäre, Jacob, was ginge es Dich an?“

„Mich?“ erwiederte er mit tonloser Stimme. „Nein, mich geht’s auch gar nichts mehr an. Glaube nur, Grethchen, mit mir ist’s vorüber. Meine Hoffnungen sind todt; allein Dich geht’s an, und meine Liebe zu Dir müßte nicht die rechte, treue, ehrliche gewesen sein, wenn ich da zaudern könnte, Dich deinem entsetzlichen Schicksale ungewarnt entgegen gehen zu lassen. Du weißt nicht, was Dir droht, Du bist blind in Deiner Liebe und Deinen Vater hast Du auch blind gemacht. Der, mit dem Du umgehst, ist –“

Ehe aber das Wort über seine Lippe kam, das den entsetzlichen Schleier lüften konnte, stürzte athemlos der Mühlbursche herein und schrie:

„Ach Gott, Meister, die Mühle, ist dicht mit Landdragonern umstellt!“

Der Müller fuhr empor, als hätte ihn eine Kreuzotter gebissen. Seine Farbe wurde fahl, wie die einer Leiche; denn – was Jacob gesagt und das, was sollte das werden? Was stand ihm und seinem Kinde bevor?

„Ach, daß es so kommen mußte!“ seufzte Jacob und blickte mit Thränen in den erlöschenden Augen auf das bleiche, rathlose Mädchen.

Jetzt wurde die Thüre aufgestoßen und der Wachtmeister der churpfälzischen Landdragoner stürmte herein.

„Wo ist er?“ donnerte er dem an allen Gliedern zitternden Müller zu.

„Wer denn?“ fragte mit zitternder Stimme der Müller,

„Was? Du Hehler!“ rief der Wachtmeister. „Du weißt es nicht? - Den Schinderhannes[1] suchen wir, der bei Dir seine Herberge hat, und der Schatz Deiner saubern Tochter ist! Es ist noch im Hause, und der schwarze Peter, sein Spießgeselle, mit ihm. Sprich, wo ist er versteckt? - Er entgeht uns diesmal so wenig, wie Du und Deine Tochter!“

Das Mädchen starrte den Wachtmeister an, wie eine Wahnsinnige. Ihre Augen traten fast aus ihren Höhlen.

Der Müller wankte zurück und sank händeringend in seinen Sessel. Da nahm Jacob das Wort und legte es dem Wachtmeister aus, wie der Schinderhannes in die Mühle gekommen sei, wofür er sich ausgegeben, und wie er Tochter und Vater berückt habe, wie sie ihn nicht gekannt und wie er eben, als er in’s Haus getreten, mit dem schwarzen Peter droben im Walde verschwunden sei, wenn sie ihm eiligst nachsetzten, könnten sie ihn vielleicht noch einholen.

Der Wachtmeister ließ schnell eine Anzahl seiner Leute ihm nachsetzen, von den übrigen aber die Mühle durchsuchen. Er selbst blieb in der Stube.

Grethchen regte sich nicht. Sie glich einer Bildsäule ohne alles Leben. Der Müller bedeckte mit beiden Händen sein Gesicht. Der Wachtmeister kannte den Jacob und fragte ihn über Alles aus. Aus seinen Reden ging hervor, daß er genau wußte, was in der Mühle vorgegangen war; aber er verschwieg Manches, und stellte Alles so milde dar, daß der Müller wie Grethchen, wie es denn auch war, als Getäuschte und Betrogene erschienen.

[608] „Wenn dem so ist, thut es mir leid, Beide verhaften zu müssen,“ sagte der Wachtmeister. „Ich kann nicht drüber, ich muß sie dem Gerichte überliefern.“

„Ich bürge mit Leib und Leben, Hab und Gut für sie!“ sagte Jacob. „Laßt sie nur hier.“

„Das kann mir nichts helfen!“ sagte der Wachtmeister. „Sie werden als Hehler angesehen. Ich muß sie fesseln und abführen lassen.“

In diesem Augenblicke schien Grethchen zum Leben und Bewußtsein zu erwachen und die Worte des Wachtmeisters verstanden zu haben. Sie stieß einen fürchterlichen Schrei aus und entsprang durch die Thüre der Stube. Draußen an der Hausthüre standen zwei Landdragoner mit gezückten Säbeln. Mit riesiger Kraft schleuderte sie Beide zur Seite. Der Wachtmeister wollte sie erhaschen, aber ein Stück ihres Kleides blieb in seiner Hand, sie aber entsprang, verfolgt von allen Dreien.

Oberhalb der Mühle war der reißende Bach in einem verhältnißmäßig engern, eingedämmten, sehr tiefen Kanal eingeengt, um den dicken Strahl auf die Mahlgänge zu leiten. Erlen und Weiden bildeten auf beiden Seiten eine dichte, dunkle Schutzwehr und ein schmaler Pfad führte daran hin.

Dorthin flog das Mädchen in der Hast der Verzweiflung, und zwischen den Erlen und Weiden verschwand sie, aber ein dunkler Schall, wie wenn ein Körper in’s Wasser stürzt, sagte den Verfolgern, was geschehen sei. –

Umsonst stürzte der Wachtmeister hinzu, bog die Zweige auseinander und griff in die eisige Flut. Die drängende Gewalt des Wassers hatte den Leib des Mädchens schon in die dunkle Tiefe gerissen, wo das gewaltige Getriebe zweier mächtiger Räder sich befand, die in diesem Augenblicke stockten.

Spät erst, als die Landdragoner von einer fruchtlosen Verfolgung zurückkamen, gelang es, den zum Entsetzen verstümmelten Leichnam des Mädchens aus den Rädern heraus zu schaffen, und selbst das geschah nicht ohne Gefahr. Der Müller war in einem Zustande völliger Stumpfheit. Es war so, als habe er nicht die geringste Theilnahme an Allem, was vorging.

Der Wachtmeister nahm ein Protokoll auf, und führte dann den Müller mit hinweg. Jacob blieb, weil es Pflicht war, bei dem Mühlburschen und der Magd in der Mühle. Wie es ihm um das Herz mochte gewesen sein?

Am andern Morgen ließ er im Dorfe, zu dem die Mühle gehörte, die Anzeige machen.

Grethchen wurde beerdigt ganz in der Stille. Wenige folgten der Leiche. Jacob ging hinter dem Sarge. Er stand lange am Grabe des Mädchens und seine Thränen rollten auf den frischen Hügel. Sie mußten ihn zur Mühle zurückfahren, wo er blieb, bis der Müller entlassen worden war.

Das war ein Wiedersehen!

„Ich kann kurz enden,“ sagte Knipp. „Der Müller folgte noch in dem folgenden Winter seinem Kinde, und vermachte seine Habe dem Jacob – der aber die Mühle nicht mehr betrat, denn als das frische Leben in der Natur sich regte, schloß er sein Auge für diese Welt, allgemein betrauert.“

Knipp schwieg.

„Und der Schinderhannes?“ fragte mein Freund.

„Er hat das Thal nie wieder betreten,“ entgegnete Knipp. „Wie es in seinem Innern stand – das weiß ich nicht!“ –

Lange Zeit war es stille in der Waldhütte. Jeder hing seinen Gefühlen und Gedanken nach.

Draußen heulte der Sturm, als wolle er den Felsen über die uns bergende Hütte schleudern und die Buchen entwurzeln, die sie mit ihren Aesten bedeckten. Der Regen schlug heftig gegen die Wände der Waldhütte und vollendete so die schauerliche Stimmung, in die uns die Erzählung Knipp’s versetzt hatte. Erst nach und nach entspann sich wieder das Gespräch, welches sich natürlich um die Person, die Bande und die Räubereien des Schinderhannes drehte, den Knipp noch von Angesicht gesehen, da er sein ganzes Leben im Walde verlebt hatte. Doch wollte die ernste Stimmung nicht weichen. Dem Oberförster war dies unangenehm. Er schlug mehrmals einen heitern Ton an, aber er verklang wieder ohne Wirkung, und das Gespräch stockte nur zu bald wieder.

„Wenn wir nicht einschlafen sollen,“ sagte endlich mein Freund, „so muß ich denn auch eine Geschichte erzählen. Ihr kennt alle den Wald, der sich unweit Oberstein, droben an der Nahe, gegen Südosten hinzieht. Er heißt die Winterhauch. Eine seltsame Sage geht von diesem Walde im Munde des Volkes in jener Gegend. Ich muß sie zuerst erzählen, weil sonst das Nachfolgende dunkel bliebe. Die Winterhauch gehörte in ihrer früher noch weit größeren Ausdehnung den Dynasten von Oberstein, den Herren von Falkenstein, die auf der Burg oberhalb Oberstein saßen, von der heute noch in schwindelnder Höhe über dem durch seine Achatschleifereien berühmten Städtchen ein Thurm thront, als letzter Rest der einst mächtigen Burg.

Einst lagen die Ritter in gewaltiger Fehde mit dem Erzbischof von Trier, der ihr Grenznachbar war. Der Erzbischof bedrängte sie hart, und sie boten in dieser Noth alle die um den mächtigen Wald der Winterhauch liegenden Dörfer auf, um ihnen im Kampfe zu helfen, versprachen aber den Leuten große Gerechtsame in diesem Walde für ihre Hülfe. Ein Urkunde wurde darüber aufgesetzt, welche unter der Platte des Hauptaltars in der Kirche zu Oberstein, die achtzig Stufen über dem Städtlein in einer Ausweitung des Felsens erbaut ist, geborgen wurde, damit sie durch das Allerheiligste vor jeder Frevlerhand beschützt werde.

Die Leute halfen wacker und der Kampf war siegreich für die Herren von Falkenstein. Nun kam es aber, daß die Bauern heillos in dem Walde wirthschafteten, nicht allein das Holz hieben, sondern auch das Wild erlegten, um ihre Saaten zu retten. Da gereuete die Herren ihr Zugeständniß, und sie hätten die Urkunde gerne vernichtet, wenn sie sich nicht vor dem Frevel entsetzt hätten. Einst saßen sie in einer finstern Nacht zusammen und zechten und wieder sprachen sie sich höchst mißvergnügt über die Zugeständnisse aus, denn die Jagd in der der Winterhauch war fast nichts mehr.

Im Nebengemache hörten die Frauen die Wehklagen ihrer Eheherrn, und Eine, keck und tollkühn, sagte: „Laßt uns hingehen und die Urkunde holen!“ Zwar gab’s da manch’ Hinderniß zu besiegen, aber sie überwand sie alle, und so wanderten sie in dunkler Nacht zur Kirche, hoben die Platte und brachten die verhängnißvolle Urkunde, die nun unter lautem Jubel und Preis ihrer muthigen Frauen verbrannt wurde. Die Folge war, daß die Bediensteten der Herren die Bauern pönten. Das kam zum Prozesse, aber als die Bauern sich auf die Urkunde im heiligen Gewahrsam beriefen – fehlte sie, und sie verloren Prozeß und Gerechtsame. Solcher Frevel konnte aber nicht ungestraft bleiben. Alle bei dem Urkundenraube Betheiligten starben schnell hin und – gehen nun zur Zeit des Herbstes im Walde um unter gewaltigem Halloh und Jammern, Hundeheulen und Ach und Weh. Begegnet ihnen Einer, so reichen sie ihm ein Pergament hin – will er es aber ergreifen, so rasen ihre feuerschnaubenden Rosse mit ihnen davor, und sie werden die Urkunde nicht los, die ihnen diese Qual bereitet.

„Das ist die in der Gegend allgemein bekannte und geglaubte Sage,“ sprach der Oberförster. „Das Stücklein aber, das vor vielen Jahren, als der Schinderhannes auch in der Winterhauch sein Wesen trieb, daran sich knüpfte, ist dieses.

Nicht ferne von der Winterhauch wohnte damals ein pensionirter birkenfeldischer Amtmann auf einem ihm gehörenden Hofgute, das er selbst bebaute. Er war ein steinreicher Mann und kolossaler Geizhals, dabei ehelos, dem eine alte Schabele Haus hielt. Wer ihn kannte, hatte oft seinen Aerger über den Mannes Bramarbasaden. Er sprach im ächten Jägerlatein von seinen Jagdabenteuern, und, da er mit den Forstbeamten gut stand, war er bei allen Jagden. Dennoch aber konnte er es sich nicht versagen, auch einmal auf eigene Faust in den Forst zu schlüpfen, um einen Rehbock zu blaten. Darüber freute er sich denn über die Maßen. Er spielte den Freigeist und war doch dabei voller Aberglauben; pries seinen unüberwindlichen Muth, und war feig, wie es nur möglich war. Vor dem Schinderhannes hatte er einen Todesschrecken, aber man konnte ihn alle Tage radotiren hören, er würde ihn niederschießen, wie einen tollen Hund, wenn er ihm nur einmal schußgerecht käme. Mit solchen Reden hoffte er den Räuber zu schrecken, und kramte sie darum überall freigebig aus. Der Mann war indessen genauer gekannt, als er meinte, und die Leute wußten, was sie von ihm zu halten hatten.

Einmal, zur Blatezeit, war der Herr Amtmann wieder ziemlich zeitig in den Wald geschlichen, um einen Spießer in seine Küche zu bringen, ohne Vorwissen des Forstbeamten. Er kannte die besten Wechsel in der Winterhauch und suchte sich einen aus, wo er sicher war.

Die Nacht kam schwarzdunkel und der Amtmann blatete. Das war nicht ohne Erfolg; als aber der Rehbock schreckte, fuhr [609] der Alte zusammen, daß ihm schier die Flinte aus der Hand fiel und der Bock war fort. Es war ihm diesen Abend gar nicht geheuer, und das kam daher, daß ihm die Sage einfiel. Dennoch überwand er die Furcht und blieb, obgleich das Jagdglück ihn verließ.

Plötzlich kroch sein Hund eng an ihn, als ob er irgend etwas Unheimliches wittere. Den Alten überlief es eiskalt, denn in demselben Augenblick erhob sich ein seltsam gespenstig Treiben im Walde. Man hörte Töne, die wie Hundegeheul klangen, dann Pferdewiehern, Schreien, Halloh und Jagdruf – Alles durcheinander, und bald war es links von ihm, bald rechts. Es rasselte entsetzlich. Blitze zischten von der Erde auf und erloschen wieder und dergleichen Dinge, wie sie der Alte nie gehört und gesehen. Eine Todesangst ergriff ihn. Das waren, ohne Zweifel, die gespenstigen Obersteiner, die ihm die gestohlene Urkunde reichen wollten. Eiskalt rieselte es durch seine Glieder. – Der Hund kroch fast in ihn. Bald näher, bald entfernter vernahm er den Teufelsspuk und doch sah er in der greulichen Dunkelheit nichts. Gerne wäre er heimgelaufen, aber er war, wie an die Stelle gebannt. So verging eine geraume Zeit. Es mußte längst die Geisterstunde vorüber sein, und doch wagte er nicht, sich zu regen.

Endlich wurde es stille im Walde, und der Mond ging auf. Jetzt aber hätte ihn Einer sollen laufen sehen! Als er das Freie gewonnen hatte, wurde sein Hund wieder lebendig und der Muth kehrte langsam zurück. Nach einer halbstündigen Wanderung lag der Hof vor ihm im Silberscheine des Mondes. der Hof lag in der tiefsten Ruhe da, und guten Muthes schloß er die Thüre auf, wie er es gewohnt war, wenn er von seinen Jagdstrippereien spät heimkehrte; was er aber jetzt vor sich sah, war doch so absonderlicher Art, daß ihn ein neues Entsetzen überkam, – denn alle Thüren des inneren Hausraumes standen offen. Alles lag bunt durcheinander. Sein Schreibepult, darinnen er seine Schätze geborgen hatte, war offen und alle Schubfächer waren herausgezogen. – Zitternd trat er näher, und dem geübten Blicke kündigte es sich an, daß Alles ausgeleert war.

„Mariann’!“ rief er verzweifelt. Ein Stöhnen antwortete.

Als er in das nebenangrenzende Zimmer trat, hörte er das Stöhnen deutlicher und eine schwache Stimme sprach: „Ach, Herr Amtmann, lebt Ihr noch?“

Es war die Alte, die gefesselt am Boden lag.

So viel hatte er beim hellen Mondlichte gesehen, das durch die Fenster fiel. Jetzt eilte er Licht zu zünden, aber erst nach vieler Mühe gelang ihm dies.

Das Erste war, die alte Mariann’ loszubinden.

Diese erzählte dann, daß gegen elf oder zwölf Uhr Einer an der Thüre geklopft habe. Sie, in der Meinung, es sei ihr Herr, der den Schlüssel mitzunehmen vergessen habe, sei voreilig im Oeffnen gewesen; denn alsbald seien Dreie hereingestürzt, hätten sie zu Boden gerissen, ein Tuch in den Mund gestopft und sie gebunden. Darauf hätten sie denn Alles ausgeraubt und ihr dann das Tuch wieder abgenommen, und höflich gute Nacht gesagt. Einer aber sei zu ihr getreten und habe ihr den Auftrag gegeben, dem Herrn Amtmann zu sagen, die Obersteiner, deren Teufelsspuk er im Walde gehört, seien seine guten Freunde und er der Schinderhannes, der den Herrn Amtmann einmal habe besuchen wollen; er habe aber absichtlich die Abwesenheit desselben benutzt, weil ihn der Herr Amtmann ohne Zweifel wie einen tollen Hund würde todtgeschossen haben, wie er oftmals geäußert; er lasse ihm auf den Schreck im Walde eine gute Nacht wünschen!

Das war eine feine Hiobspost nach alle dem Schrecken im Walde! Alles war leer, und der Alte war schier des Todes. Schwer erholte er sich von solcher Niederlage, aber die Folge war, daß er nicht mehr bramarbasirte, nicht mehr wilddiebte und sich kaum mehr sehen ließ. Hinter seinem Ofen fand er es sicherer.“ – Ein lautes Gelächter folgte dieser Geschichte; aber allmälig nahm das Gespräch die Wendung zu Jagdgeschichten, wozu Jeder von uns seinen Beitrag lieferte. Nur Knipp saß stille und in sich gekehrt da.

„Knipp!“ rief der Oberförster, „Ihr waret doch auch oft genug dabei, und nun sitzet Ihr da, als hättet Ihr nie eine Büchse knallen gehört. Erzählt doch auch ’mal etwas!“

„Das will ich wohl,“ sagte der Holzhauermeister, „aber wenn ich eine lustige Geschichte erzählen soll, so erlassen Sie es mir doch. Ich bin heute nicht dazu aufgelegt, und die Geschichte, welche mir durch Ihre Jagdgeschichten in die Gedanken gekommen ist, hat nichts Aufheiterndes.“

„Nun denn, so erzählet sie nur!“ rief der Oberförster. „Ich könnte doch bei dem entsetzlichen Wetter da draußen noch nicht schlafen.“

„Man erlebt Vieles,“ hob denn nun Knipp an, „wenn man so alt wird, wie ich geworden bin. Die freundlichen Begebenheiten treten aber leichter in den Hintergrund, während die traurigen niet- und nagelfest im Gedächtnisse haften. Man meint, der liebe Herrgott wolle Einem das Abscheiden leichter machen, weil die Welt und das Leben so trübe vor dem Auge des Alters liegt. So weilen denn auch jetzt meine Gedanken bei einer Geschichte, die ich in meiner Jugend erlebt habe. In meiner Heimath, ich bin vom Idar da hinten her, stand damals ein junger Hülfsförster. Er hieß Simon und Jedermann hatte ihn lieb. Für einen Förster war er eigentlich zu weich und sanft, denn er hatte so etwas Mädchenhaftes an sich, aber im Dienste war er wie Pulver, und treu wie Gold, und auf der Jagd entging ihm nichts, was er einmal auf’s Korn genommen hatte. Daher war er auch ein Liebling des Oberförsters, bei dem er gelernt, und diesem hatte er auch seine frühe und gute Anstellung zu verdanken.

Das Forsthaus, wo er mit seiner alten Mutter wohnte, lag kaum tausend Schritte von unserm Dorfe; daher kannten wir ihn alle gut. Bei Niemanden aber war er lieber und häufiger, als bei unserm braven Schulmeister. Der war auch ein rechter Jagdliebhaber und der Simon nahm in gerne mit. Wild gab’s genug, und dem armen Schulmeister war dann und wann ein Stück Wild recht willkommen, denn es ging knapp bei ihm her. Lieber Gott, acht Kinder wollen etwas zu knuppern haben. Zwar war Eins, das älteste Mädchen, bei einer Base an der Mosel, die es an Kindesstatt angenommen, aber sieben blieben doch zu ernähren, und bei der geringen Besoldung des armen Mannes war Schmalhans Küchen- und Kellermeister im Hause. Gar manchen Rehbock ließ der gute Simon dem Schulmeister ganz. Er verkaufte ihn dann nach Trier, und für den Erlös gab’s Brot, Schuhe oder Kleidungsstücke für die Würmlein. Mittwochs und Samstags, wo der Schulmeister frei hatte, war er denn auch regelmäßig mit Simon im Walde, und er schoß immerhin so gut, wie der Förster Simon auch. Der alte Herr Oberförster kannte ihn auch gut von den Treibjagden her, bei denen er immer seine Stelle wacker behauptete. Er wußte auch, daß ihm Simon dann und wann etwas zufließen ließ und hatte nichts dawider, weil er des Mannes Lage kannte und ein gutherziger Mann war, und, wie gesagt, mit dem Wilde nicht zu geizen brauchte.

Eines Tages lud Simon den Schulmeister ein, mit ihm auf den Anstand zu gehen. Der hatte aber zu thun und mußte es ablehnen. So kam es denn, daß Simon schnell sich entfernte und nur noch sagte: er ging an die hohe Eiche. Das war ein guter Wechsel. Indessen änderte Simon doch seinen Ort und ging mehr rechts, in die sogenannten Bruchlöcher, wo der Wechsel ebenso gut war. Diese Stelle lag aber fast eine Dreiviertelstunde rechts von der hohen Eiche, wohin er hatte gehen wollen. Die „Bruchlöcher“ waren aber ein hohes, dichtes Buchenstangenholz, wie kein ähnlicher Buchenbestand im Reviere war. Dort hielten sich Rehe genug und die Jagd war stes erfolgreich.

Dem Schulmeister wurmte es gewaltig, daß er den Simon hatte müssen gehen lassen und die Jagdlust zuckte ihm in allen Adern, denn der Abend war so wunderschön. Er raffte sich daher zusammen, that schnell seine Arbeit ab, nahm ein Stück Abendbrot, die Jagdtasche und die Flinte um – und bald genug war er im Walde.

Hier stand er einen Augenblick stille. Sollst du zu ihm an die hohe Eiche gehen? fragte er sich; dann ist es leicht möglich, daß du ihm die Jagd verdirbst durch dein Kommen. Es ist besser, duch schleichst dich in die Bruchlöcher und sagst’s ihm nachher. Gedacht, gethan!

Leise schleicht er durch’s Dickicht des dichtbelaubten Schlages. Allmälig nähert er sich dem Wildwechsel. Noch kann er den festgestampften Wildpfad im Dunkel der Nach und des Waldes erblicken. Noch wenige Schritte, und er ist zur Stelle. Da kracht’s dicht vor ihm und – lautlos sinkt er zusammen. Die Kugel war ihm mitten in der Stirne in den Kopf gedrungen.

„Im Feuer gefallen!“ jubelte Simon und drängte sich durch die Buchenstangen; aber wer könnte seinen lähmenden Schrecken beschreiben, als er nach dem Rehbocke tastet, den er geschossen zu haben meinte, und eine Flinte berührte und dann den entseelten Leichnam seines lieben Jagdgefährten, des Schulmeisters? – Anfänglich steht er, wie an Leib und Seele gelähmt. Er ist keines [610] Gedankens fähig. Als er sich aber wieder erholt und sich zu dem Armen bückt, um zu fühlen, ob noch Leben in ihm sei – ist er steif und eiskalt. Da ergreift ihn die Verzweiflung und er eilt in’s Dorf, wo er sagt, was und wo es geschehen, und dann eilt er fort im Sturme nach der Stadt, wo er sich den Gerichten überliefert.

Die Leute, welche das wahre Verhältniß kannten, bedauerten in eben dem Grade und Maße den armen Simon, als den braven Schulmeister und seine trostlose Familie.

Simon wurd, wie es ja anders nicht kommen konnte, freigesprochen; aber nie, meine Herren, – sagte Knipp – habe ich einen Menschen gesehen, der tiefer in seinem Innern zerrissen, unglücklicher und elender gewesen wäre als Simon. Er wollte sogleich die Försterei aufgeben und Soldat werden, weil ihm in diesem Berufe ein schnellerer Tod in Aussicht zu stehen schien; allein der gute Oberförster nahm sich seiner an wie ein Vater, und der Pfarrer des Dorfes stand ihm darin wacker zur Seite. Sie bestimmten ihn, Förster zu bleiben, um seiner guten Mutter willen, die eine hochbetagte Frau war; aber der Oberförster wirkte es aus, daß er an die Obermosel versetzt wurde, damit ihm nicht alle Tage die bekannte Umgebung an sein Unglück erinnerte, und er wieder zur Ruhe käme. Die Stelle, welche er erhielt, war besser als die, welche er bis jetzt gehabt, und dies setzte ihn in den Stand, sein Gehalt mit der armen Wittwe und den Waisen des Erschossenen zu theilen. Und als nach etwa einem halben Jahre seine Mutter starb, gab er fast Alles an sie ab, da er schier keine Bedürfnisse hatte. Obwohl er in einem kleinen Städtlein wohnte, so führt er doch das Leben eines Einsiedlers. Er ging in sich gekehrt dahin, hatte mit keiner Seel Umgang und that gewissenhaft seine Pflicht. Was ihm begegnet war, wußte eigenlich im Orte Niemand, und so hielten ihn die Leute für gemüthskrank, bedauerten den schönen, jungen Mann und ließen ihn gehen.

Neben seinem Hause wohnte eine betagte Wittwe mit ihrer Tochter, die einen Kramladen hatte. Da kaufte Simon sein Pulver und seinen Schrot und was er etwa sonst brauchte. Diese Leute nahmen gar vielen Antheil an ihm, besonders das sechzehnjährige, sehr hübsche Mädchen. das Mädchen faßte nach und nach eine lebhafte Neigung zu ihm. Der Gedanke war ihr erquicklich, wenn sie die Wolken von seiner Stirne scheuchen könnte, und sie konnte Stunden lang es sich ausmalen, wie sie ihn trösten und aufheitern wollte. Und doch war das Mädchen so stille und traurig, daß es Simon manchmal selbst auffiel. Ueberdies war in den Gesichtszügen des Mädchens etwas Bekanntes, was ihn, ohne daß er sich davon Rechenschaft geben konnte, ungemein anmuthete. Er sah sie nun öfter an, und auch in seinem Herzen erwachte eine Neigung zu dem holdseligen Ammichen, die immer tiefer wurzelte und den Gedanken in ihm weckte, mit ihr verbunden zu sein. Aber dachte er an sein Loos, dachte er, sie könne es erfahren, daß er einen Mord, wenn auch einen völlig unabsichtlichen, auf seiner Seele habe, so fürchtete er, sie würde sich mit Abscheu von ihm abwenden. Darum kämpfte er muthig gegen sein eigenes Herz und seine Neigung. Dennoch wurde seine Liebe stärker. Er sah es auch ein, daß dies vereinzelte Leben ihn nur immer trübseliger, maßleidiger und unglücklicher mache, und – da er deutliche Beweise der Liebe des Mädchens bemerkt zu haben glaubte, auch die Mutter stets so liebevoll und theilnehmend gegen ihn war, – so faßte er den Entschluß, um sie zu werben; aber sie mußte Alles wissen, Alles, ehe er sie um ihr Jawort bat. Er war zu ehrlich, etwas zu verschweigen.

So kam es denn, daß er öfter hinüberging, und länger weilte, als er nöthig hatte. Er erkannte es, daß ihm Mutter und Tochter sehr herzlich entgegenkamen. Das hatte so einige Monate gewährt, als der Winter kam, wo er manchmal am Abende drüben bei Mutter und Tochter zubrachte. In dem Städtchen sah man die Verbindung als eine gewisse an, obgleich von seiner Seite noch kein entscheidender Schritt gethan war. Eines Abends, wo er allein bei der Mutter war, faßte er den Muth, sie zu fragen, ob sie wohl in eine Verbindung zwischen ihm und Ammichen willigen würde. Die einfache, brave Frau nahm den ehrlichen Antrag freundlich auf und sagte ihm offen, wenn Ammichen mit ihm glücklich zu werden hoffe, so wolle sie freudig ihren Segen geben; jedoch müsse auch ihre Mutter einwilligen, denn Ammichen sei nur ihre angenommene Tochter und ein Bruderskind. Das hatte Simon, der mit sonst Niemandem Umgang hatte, nicht geahnet. Wahrscheinlich würde nun die Frau über Ammichens Herkunft sich weiter geäußert haben, allein es klingelte im Laden, und, da es schon spät war und Ammichen erst am andern Morgen von dem Besuche bei einer auf dem Lande wohnenden Freundin zurückkehrt, so nahm Simon einen herzlichen Abschied und ging heim, fest entschlossen, am andern Tage sein Angelegenheit zu einem, wie er hoffte, glücklichen Ende zu führen.

Wie glücklich ihn auch die Einwilligung der Nachbarin, und wie sehr ihn auch ihre Versicherung, die Mutter würde auch nichts gegen die Verbindung haben, froh machte, so lag es ihm doch unendlich schwer auf der Seele, daß er nicht anders konnte und durfte, als Ammichen Alles zu entdecken, was seine Seele belastete. Er betete zu Gott um Kraft dazu, und ging dann, als er Ammichen zurückkommen gesehen hatte, hinüber. Wahrscheinlich hatte ihre Tante oder Mutter ihr schon Alles vertraut, denn sie erglühte, als Simon in die Stube trat; aber dies Erglühen war der Art, daß Simon’s Herz voll seliger Hoffnung wurde. Er setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand, die sie ihm ließ, deren Beben aber er fühlte, obwohl die seine auch nicht ohne Beben war.

Die Alte dachte wohl, sie sei hier völlig überflüssig und mochte darin sehr Recht haben. Sie machte sich also im Laden und in der Küche allerlei Geschäfte und ließ die zwei jungen Leute allein.

Eine Weile saßen sie stille da, das Mädchen in peinlicher Erwartung, die aber dennoch wieder eine hoffnungsvolle war; er ringend mit dem Worte, das zwar sein Herz erfüllte, aber doch nicht über die Lippe wollte. Endlich fand er Muth und Wort. Sie hörte ihm gesenkten Blickes zu, als er ihr sagte, wie er sie liebgewonnen habe, und wie er keinen höhern Wunsch habe, als sie in sein Haus als sein liebes Weib einzuführen. Was er sagte, war so offen, treuherzig und ehrlich, daß sie, als er sie nun entschieden fragte, ihn mit einem Blicke ansah, in dem er ihre Liebe zu ihm lesen konnte und fest und freudig Ja sagte.

In diesem glücklichen Augenblicke vergaß er Alles, was er ihr vorher hatte sagen wollen und erst, als die Tante wieder kam und sie mit Freudenthränen segnete, kam ihm mit einem Male diese Erinnerung und fiel wie eine recht schwere Last auf seine Seele. Er fühlte, daß er Alles sagen müsse. Er begann daher davon zu reden, warum seine Seele so belastet und gedrückt sei, daß man ihn hier für halb geisteskrank halte; davon sei der Grund ein Unglück, das ihm passirt sei. Er nannte den Ort, wo er als Förster gestanden und den Namen des braven Lehrers, den er erschossen habe. Ein gellender Schrei entfuhr fast gleichzeitig den Lippen Ammichens und ihrer Tante.

Simon starrte sie erbleichend an. –

„Es war mein Bruder und Ammichens Vater!“ rief die Tante voll Entsetzen.

Das Mädchen sank ohnmächtig in der Tante Arm.

Simon rührte sich nicht. Alles Leben schien aus ihm gewichen. Endlich richtete er sich auf, drückte einen Kuß auf des Mädchens erblichene Wange und wankte hinaus. – Er ging in seine Wohnung und nach einer halben Stunde sah man ihn mit raschen Schritten nach dem Walde gehen. Niemand aber sah ihn wiederkehren.

Die Leute meinten, er habe sich ein Leid angethan aus Verzweiflung, denn es blieb nun nicht verschwiegen, was geschehen war; aber dazu war Simon zu religiös. Vielmehr stellte es sich später heraus, daß er in fremde Kriegsdienste getreten war. Man hat indessen später nie wieder etwas von ihm gehört, und es ist zu vermuthen, daß ihm sein Leid doch noch das Herz gebrochen habe.

Und Ammichen? werdet Ihr fragen. Es war wohl schwer für das arme, brave Mädchen und sie war tief gebeugt. So frisch sie früher geblüht, so ist doch nachmals nie wieder eine Röthe auf ihre Wangen gekommen. Ihre Tante starb nicht lange nachher und hinterließ ihren Laden und Habe. Da fehlte es nicht an Freiern, auch nicht an braven jungen Männern darunter; aber sie verheirathete sich nie, sondern nahm ihre Mutter und Geschwister zu sich und half diese erziehen, die alle brav wurden und wohl versorgt in der Welt.“

Knipp schwieg, denn seine Erzählung war zu Ende. Sie gab uns Gelegenheit zu manchem ernsten Gespräche; allein dies stockte am Ende auch wieder. Der Oberförster zog die Uhr, hielt sie gegen die Lampe und sagte: „Erst neun Uhr!“

[619] Draußen stürmte es gewaltig und der Wind heulte wunderlich in dem Walde. Die Bäume ächzten unter seinen heftigen Stößen und der Regen schlug plätschernd gegen die Hütte, welche indessen in dieser Nacht eine Probe bestand, die für die Vortrefflichkeit ihrer Bauart und Einrichtung das beste und gültigste Zeugniß ablegte.

Unter den beiden Holzhauern, die mehr im Dunkel der Hütte saßen und bescheiden sich zurückhielten, war jetzt ein Flüstern vernehmbar.

„Erzählt’s doch!“ hörte ich den Einen zu dem Andern sagen. Ich ergriff die Veranlassung, ihm zuzureden, und als auch mein Freund einstimmte, hob endlich ein alter Mann zu erzählen an:

„In der Stadt pflegt man zu sagen: auf dem Dorfe gehe Alles so stille und ordentlich her, daß man kaum von solchen Dingen höre, wie sie sich in der Stadt leider alle Tage ereignen. Das ist wohl nicht ganz wahr. Menschen sind überall Menschen und ihr Leid und ihre Fehler tragen sie überall mit sich herum, wie sie ihr Schatten begleitet. Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die ich erlebt habe, die Ihnen beweisen wird, wie auch auf dem Dorfe sich Dinge ereignen, die das Menschenherz abschildern mit allen seinen Gebrechen.

Ich bin daheim, wo der Donnersberg mit seinen schönen Buchenwäldern sich emporhebt, weithin das flache Land der Pfalz überschauend. Dort lag ein kleines, von pfälzischen Landen umschlossenes Gebiet, das Nassau-Saarbrückisch gewesen ist. Sie wissen ja, wie vielherrisch es bei uns zu Lande aussah, ehe die Franzosen das Land nahmen. Meine Heimath ist ein ansehnliches Dorf in diesem kleinen Gebiete. Mein Vater war dort Holzhauer und ich folgte ihm in diesem Erwerbe, und kam durch gar mancherlei Geschicke in diese Gegend, wo ich mich verheirathete und seitdem wohne. Der hauptsächliche Beweggrund, warum ich meinen Heimathsort verließ und in die Ferne zog, war eben die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will.

Man sagt, die Rheinpfälzer seien ein leichtfertig und leichtsinnig Volk, und ich will es nicht in Abrede stellen, daß das in vielem Betrachte wahr ist. Das Leben ist lustiger, heiterer wie hier, und es geht ziemlich Alles oben drüber hin, ohne daß es tiefer unter die Haut dringt. So steht’s auch häufig mit der Gesinnung und dem Gefühle der Leute. Eine Erfahrung mag für viele reden!

In unserm Dorfe wohnte, wie ich etwa achtzehn bis neunzehn Jahre alt war, eine Wittwe, deren Mann in einem Steinbruche am Donnersberge sein Leben verlor. Er und seine Frau hatten leichtsinnig in den Tag hinein gelebt, herrlich und in Freuden, wenn sie Geld hatten, und wenn sie keins hatten, legten sie sich krumm und darbten. Da denkt man nicht an die Zukunft, nicht an die Tage, von denen es in der Schrift heißt, sie gefallen mir nicht, und wenn sie dann endlich doch kommen, kriegt man unliebe Miethsleute und Tischgenossen, nämlich Mangel und Sorgen. So war es der Wittwe ergangen. Sie mußte im Tagelohn und mit Waschen ihr kärglich Brot verdienen und ihr Kind, ein liebliches Mädchen, erziehen. Lieschen wurde freilich nicht sonderlich gottesfürchtig erzogen, denn der Sinn ihrer Mutter war allezeit geblieben, wie er in der Jugend gewesen, und – der Apfel fällt nicht weit vom Stamme; auch darin fiel er nicht weit, daß Lieschen so bildhübsch war, wie ihre Mutter einst gewesen, ja, die Leute meinten, es sei noch hübscher, als sie einst war. Leichtsinnig und gutmüthig zusammengemischt, giebt selten eine dauernd hübsche Farbe, sagt man bei uns im Sprüchwort.

Als das Mädchen konfirmirt und aus der Schule war, that’s die Wittwe Breier in die Stadt, wo es bei einer Verwandten blieb und das Nähen, Kleidermachen und Stricken lernte, und wie das Gedistel alle heißt, damit die Mädchen und Frauen sich abgeben. Der Gedanke war nicht übel, denn so sicherte sie ihrem Kinde doch den Lebensunterhalt, mochte Gott über sie etwa heute oder morgen verfügen. Aber in der Stadt war das Lieschen bei Weitem so strenge nicht gehalten, wie es bei seiner Art und Weise hätte gehalten werden sollen. Die Verwandte war eine alte, gute, kränkliche Frau. Die bekam Sand in die Augen, blauen Nebel davor und Lieschen ging Gassaden. Leichten Staub weht leichter Wind in die Höhe – kurz, Lieschen kam höchst unmuthig heim, als seine Mutter erkrankt war. Sie pflegte sie zwar getreulich, bis sie genesen war, aber nun sollte Lieschen auf dem Dorfe bleiben – das war eine bittere Arznei. Sie sollte ihr Brot selbst verdienen, das forderte Ausdauer und die hatte sie nicht, und es fehlte an Unterhaltung; denn der Anblick des wunderholden Lieschens mit den flammenden Augen fuhr wie ein Blitz in die Jungburschenherzen, und ich will es nicht leugnen, daß ich auch die Wirkung fühlte. Item, das schöne Lieschen war für mich zu alt. Auf dem Dorfe halten sich die Jahrgänge zusammen und selten greift einmal einer in den andern über. Sie sind im Umgange streng geschieden.

[620] In Lieschens Jahrgang waren Viele, besonders Bursche, und die waren alle gründlich in das Mädchen verliebt. Sie that’s den Burschen mit ihren fackeligen Augen an. Sie hatte sie alle am Bändel – und doch keinen – denn sie liebte es, Allen lieb zu sein und Keinen lieb zu haben. Das können Sie bei diesen Umständen ermessen, daß sie viel beneidet wurde von den andern Mädchen, besonders von den reichen; aber eine Feindschaft gab’s doch eigentlich nicht und, wie groß auch oft der Neid war, etwas Uebles brachte er nie auf das Lieschen. Sie hatte bei ihrer Leichtfertigkeit doch so eine Art, die die kecken Bursche gewaltig im Zaume zu halten wußte.

Keiner konnte sagen, daß er mehr gälte, als der Andere und Alle zappelten an der Angel, wie der gefangene Fisch. Nun geht das doch in der Regel nicht lange. Es kommt eine gewisse Zeit, da das Spaßen alle ist, und ein Mädchen an die Haube denkt, und an den eigenen Herd.

Die Breier’s Wittwe hatte nichts als ihr geringes Hausgeräthe, denn sie wohnte auf Zins, und wäre sie auf einen Baum gestiegen, so hätten ihre Rechte an dem Boden ein Ende gehabt. Da ist’s doppelt nöthig, dran zu denken, daß fünf Monate nach dem Mai der November kommt.

So viel hatte doch die Breier’s Wittwe sich abgesehen, daß der weise Salomon Recht hat, wenn er sagt: Es habe Alles seine Zeit. Sie sagte daher oft zu Lieschen: Tändeln hat auch seine Zeit. Sieh zu, daß es Dir nicht geht, wie Jener, die sieben Liebhaber, aber keinen hatte, der sie nahm.

Darauf antwortete wohl das Lieschen einmal ganz schnippisch, aber es kam ihr doch vor, als sei ihre Mutter nicht weit von der Wahrheit.

Zwei waren damals die eifrigsten Bewerber um ihre Gunst. Beide hatten sie herzlich lieb und Lieschen sie auch. Wer das Glück hat, führt die Braut heim, heißt’s - aber es konnte auch heißen: Wer die Mutter für sich hat. Hier hieß es so.

Lorenz Müller und Caspar Vogel hießen die Zweie. Grafen und Barone waren sie alle Beide nicht, sondern Holzhauer, wie ich; aber es war eben doch ein Unterschied. Der Caspar war eine Waise; er hatte das Gnadenbrot bei einem Vetter gegessen, da er klein war - und jetzt, wo er erwachsen war, mußte er sich für ihn plagen. Das war er müde, denn Caspar war zwar von Herzen, wie es schien, nicht böse, aber er war heftig, jähzornig, und dann gab’s selten eine Schranke, die er nicht übersprang. Er wollte selbstständig werden, eignes Brot essen und Lieschen heimführen. An dem Gedanken hing seine Seele. Zwar reimt Arm auf Arm am Besten, aber im Leben reimt’s doch übel, und wenn zwei Arme zusammen kommen, tragen sie am Hausrath nicht schwer. Caspar hätte seine Habe unter dem Arme tragen können oder, wie man sagt: er hätte sie in ein berliner Kofferchen packen können, und das Lieschen hatte eben auch noch für nichts gesorgt, nicht einmal für ein eignes Bettlein. Es putzte sich gerne und das kostet Geld.

Der Lorenz Müller dagegen war reicher, das heißt, er hatte ein eigenes, niedliches, aber hübsches Häuschen, ein gutes Bette, einen Tisch und ein paar Stühle; aber er war Einer, der sich zu helfen weiß. Wenn der Caspar ledig aus dem Walde heimging, so trug Lorenz gewiß einen Lastkorb Spähne oder eine Last Reisig, was ihm der Förster erlaubt hatte, auch wohl eine Last Futter für seine Ziege, die er sich hielt und die ihm Lieschens Mutter fütterte, denn er war ihr nächster Nachbar.

Für die Mutter war da die Wahl keine Qual, wohl aber für das Lieschen, das augenscheinlich mehr Neigung zu Caspar trug. Lorenz war ihr zu verständig und ruhig, seine Liebe war nicht so feurig, wie die des Caspar. Beide Bursche fühlten es heraus, daß zwischen ihnen das Loos schwankte und haßten sich, wie grimmige Feinde. Beide waren aber ohne Widerrede die schönsten Bursche im Dorfe und manch anderes Mädchen wäre glücklich gewesen, wenn es Einer von ihnen geliebt hätte; Lieschen hatte Beide und war dennoch nicht glücklich, weil sie in der Wahl zu keiner Entscheidung kam.

Lorenz war endlich des langen Hinhaltens überdrüßig. Eines Tages, als Lieschens Mutter in sein Haus trat, um ihm, wie er sie gebeten hatte, die Ziege zu melken, bat er sie um ein Gespräch unter vier Augen, wozu sie gerne bereit war.

Man braucht nicht Rathsherr von Nürnberg zu sein, um sich vorzustellen, was das Gespräch betraf. Es galt die Werbung um Lieschen. Die Mutter hatte Gründe genug, Lorenz ihre Einwilligung zu geben, und ihm zuzusagen, daß sie Alles aufbieten wolle, Lieschen für ihn zu gewinnen. Was sie besonders bestimmte, war die Aussicht, daß sie es in ihren gebrechlichen Alterstagen bei Lorenz besser haben würde, als bei dem hitzköpfigen Caspar. Sie überlegte sich’s, wie sie es anfangen wolle, um Lieschen der Anfrage des braven Lorenz geneigt zu machen, und als ihr Plan fertig war, ging sie an’s Werk mit aller Klugheit. Ob es Caspar merkte, daß sich die Wagschaale auf Lorenz’s Seite neigte, und ob er durch einen verzweifelten Schritt sicherer auf Lieschen wirken, oder ob er sich an ihr rächen wollte, ich weiß das nicht, und es ist mir nie klar geworden, aber das weiß ich, daß er mit einem Male aus Lieschens Hause blieb, und einem andern Mädchen zu Gefallen ging, und Lieschen völlig unbeachtet ließ, ja, wenn er vorüber ging, nicht einmal nach dem Fenster sah, wo sie mit ihrer Näharbeit saß. Das war ein Stich, der in das Herz traf. In der Aufwallung gab sie dem Drängen ihrer Mutter nach. Lorenz kam und sie verlobten sich. Es war Samstag, als dies geschah und Sonntag Morgens rief sie der Pfarrer als Brautleute zum ersten Male aus.

Mittags war Caspar spurlos verschwunden. Kein Mensch wußte, wohin er gekommen war und Niemand konnte es ahnen, da er keine Andeutung darüber hatte verlauten lassen. Anfänglich lief das Gerede durch’s Dorf, er habe sich ein Leid angethan, aber es erwies sich bald als irrig, denn er hatte seine Kleider und Hemden mitgenommen.

Lieschen war, als sie das Gerede hörte, völlig außer sich und geberdete sich wie eine Irrsinnige, da sie sich anklagte, die Ursache seines Todes zu sein; sie beruhigte sich aber scheinbar wieder, als sich jenes heillose Gerede als falsch erwies. Dennoch nagte ein Wurm heimlich an ihrem Herzen, denn nun erst erkannte sie das Maß seiner Liebe, deren Verlust ihn fort in die Welt trieb.

Das waren schlimme Aussichten für den guten Lorenz. Sie zeigte zwar ihren Kummer nicht, aber wenn sie allein war, flossen ihre Thränen und in gar mancher Nacht mußte ihre Mutter sie mit harten und strengen Worten zurechtweisen. Sie duldete es stille, obwohl sonst ihr Mäulchen fix war. Endlich wurde sie mit Lorenz getraut und kein König war glücklicher als er.

Jedermann dachte, das werde eine recht glückliche Ehe werden. Lorenz verdiente schönes Geld, er war ein besonderer Liebling des Oberförsters und Lieschen konnte den Verdienst ihrer Nadel auch schon sehen lassen. Bewahrte sie der liebe Gott vor Unglück, so konnten sie sich etwas Schönes erwerben und ohne Sorgen in die Zukunft blicken; aber wie hatten sich die Leute verrechnet! Lorenz war und blieb die treue Seele, die voll und ganz an Lieschen hing. Er trug sie auf den Händen und ihre Mutter hatte die besten Tage von der Welt; anders war es bei Lieschen. Sie wurde alle Tage kälter, gleichgültiger und abgeneigter gegen ihren guten, braven Mann. Sie wurde launisch, mürrisch und unzufrieden. Nie gönnte sie ihm ein Wort der Liebe, nie einen herzigen Blick. Seine Freundlichkeit war ihm zuwider. Sie hatte oft rothgeweinte Augen und ihr träumerisches Wesen ließ es ahnen, was ihre Seele erfüllte. Wie unrecht und sündhaft sie handelte, bedachte sie nicht. Ihre Mutter hoffte eine Veränderung, wenn sie ein liebes Kind an ihr Herz legen könne. Diese Stunde des Segens kam, aber es starb schnell dahin, und forthin blieb ihre Ehe kinderlos. Dies Mißgeschick vollendete das häusliche Unglück.

Lorenz trug’s mit schwerem Herzen und hoffte durch seine sich gleichbleibende Liebe sie zu gewinnen, aber leider, je länger je mehr zeigte sie eine abstoßende Widerwilligkeit gegen ihn. Sein Holzhauergeschäft brachte es mit sich, daß er oft Wochen lang seine Schwelle nicht betrat. Dann war es ihr ordentlich wohl. Was sie gegen ihn hatte – erfuhr nie ein Mensch. Vergebens redete ihre Mutter und der Pfarrer ihr in’s Gewissen. Sie setzte ihnen ihre Thränen und ihr Schweigen entgegen. –

So blieb’s und die Jahre gingen und kamen. Die Zeit machte keine Aenderung, auch nicht der Kummer der Mutter und ihres Mannes. Endlich starb ihre Mutter. Die Leute sagten: Das wird ihr Herz wenden! Sie irrten. Sie änderte sich nicht.

Das Wahrscheinlichste war, daß sie zu glauben schien, ihre Mutter und Lorenz seien Schuld gewesen, daß Caspar zu der Andern ging, und hätten sie dann im ersten Augenblicke der eifersüchtigen Aufregung in ihr Netz gelockt. So sah sie sich als eine Ueberlistete, als eine Betrogene an, sich und Caspar, den sie doch [621] wohl am Liebsten gehabt hatte. So entstand die Abneigung gegen ihren Mann und die Abwendung von ihrer Mutter und die reiche Ernte des Elends und des Kummers für alle Dreie, die der Mutter das frühe Grab bereitete und zwei Herzen schied, die völlig dazu angethan waren, sich gegenseitig glücklich zu machen.

Lange Zeit hörte man von Caspar nichts, gewiß über sechs bis acht Jahre, da kam die erste Nachricht von ihm zufällig in’s Dorf.

Es war an dem Tage des ersten Aufgebots von Lieschen und Lorenz, wo er in voller Verzweiflung fortgegangen. Wohin, das wußte er selbst nicht. So lange er Geld hatte, rannte er fort, immer nur bedacht, recht weit weg zu kommen von dem Orte seiner Qual. Das Geld aber wächst bekanntlich nicht nach von selber. Es kam nichts dazu, und so nahm es ab. Mit Schrecken wurde er das gewahr, als er sich eben der Gegend von Saarbrücken näherte.

Er war ein stattlicher, prächtiger Bursche, der Geschick und Kräfte hatte. Da er aus dem Lande am Donnersberg war, fiel sein Kommen nicht auf und er fand auf einem Eisenhüttenwerke Arbeit. Wäre er Werbern in die Hände gefallen, vielleicht hätte sein Schicksal eine andere Wendung genommen. Nun blieb er auf dem Hüttenwerke, wo man ihn bald als einen sehr brauchbaren Menschen erkannte. Er erlernte das Formen schnell und wurde bald einer der vorzüglichsten Former. Aber im Innern nagte und gohr es unermüdet fort. Es trieb ihn eine rastlose Unruhe um, und es war einem Trupplein liederlicher Gesellen ein Leichtes, ihn in ihren Kreis zu ziehen, wo der Trunk und Spiel mit gleicher Macht herrschten. So suchte er durch den Taumel der Trunkenheit und die wilde Aufregung des Spiels sein Herz zu betäuben - indessen ist das eine Bahn, die schnell abwärts führt. Der Hüttenherr hätte ihn gerne weggeschickt, wenn er ihn hätte ersetzen und entbehren können. Das war aber nicht wohl thunlich, und so wurde er trotz seiner Laster geduldet. Einst lernte er ein Mädel kennen beim Tanze, das einige Aehnlichkeit mit Lieschen hatte. Sie war aus dem Dorfe, eines Lehmformers Kind, hatte in Trier einige Jahre gedient, war gefallsüchtig und schlau und wußte Caspar so in ihre Netze zu kriegen, daß er sie heirathete. Leider hörte Caspar erst zu spät von ihrer übeln Aufführung in Trier. Das gab denn die Ursache zum Hader ab, und seine Trunksucht und Spielwuth fügte von seiner Seite neue Gründe hinzu, – kurz, sie lebten wie Katzen und Hunde, wie man sagt; verbitterten sich das Leben über die Maßen und machten sich entsetzlich elend und unglücklich. Zwei Kinder waren aus dieser Haderehe entsprossen, die aber beide das erste Lebensjahr nicht erreichten. Der Hader wuchs aber auch in dem Grade, daß es als eine heilbringende Begebenheit angesehen wurde, als Caspar’s Frau starb. Sein Leben war nach und nach aber so völlig regellos geworden, daß er oft mehrere Tage nach einander „blau machte“ und gar nicht aus dem Wirthshause kam. Da könnte denn doch die Rücksicht seines Brotherrn nicht weiter reichen. Er wurde entlassen und somit plötzlich brotlos.

Das war denn doch gegen alle seine Rechnungen. Er hatte übrigens noch mehr Kraft und Selbstbeherrschung, als man ihm zutraute; denn er rührte keine Karte mehr an und betrat das Wirthshaus nicht mehr. Jetzt reuete es seinen Brotherrn, daß er ihn entlassen, und er ließ ihm sagen, wenn er so bliebe, wolle er ihn wieder in Dienst nehmen.

Der Hüttenherr kannte Caspar’s wilde, unbändige Natur nicht. Er ließ ihm höhnend sagen. „und wenn er ihm die Hälfte der Hütte anböte, nehme er keine Dienste mehr!“

Eines Morgens war Caspar fort, und wieder wußte Niemand, wohin er sich gewendet.

Seit seine Frau todt war, hatte er oft eine Art Heimweh empfunden. Er hatte es aber unterdrückt, weil er in seiner Heimath keinen Verdienst finden konnte, wie er ihn hier hatte. Dort blieb ihm nichts übrig, als Holzhauer zu werden. Jetzt, da das Band zerschnitten war, welches ihn an das Hüttenwerk gefesselt, erwachte das Heimweh in heftigerem Grade. Er konnte es kaum länger tragen. Und so brach er einst in stiller Nacht auf und zog die Straße, welche er vor acht Jahren hierher eingeschlagen hatte.

Eins aber fiel ihm auf die Seele, als er nicht mehr ferne von unserem Dorfe war – der Gedanke, Lieschen wieder sehen zu müssen, die für ihn verloren war. Doch – er richtete sich stolz empor und sagte zu sich: „Hast du dem Trunk und dem Spiele entsagt und sollst nicht Herr werden können über eines Weibes Anblick, das dich verschmäht hat?“ – Er schritt rasch zu und erreichte das Dorf am Abend. Ein Stübchen zu finden, wurde ihm nicht schwer, und der Holzhauermeister nahm ihn sogleich wieder an. So war denn vorerst für das Nothwendigste gesorgt. Die Nachricht: der Caspar ist wieder da! lief mit Blitzesschnelle durch’s Dorf.

Lieschen erglühte, als sie sie vernahm. Sie zitterte vor Erregung. Lorenz war abwesend im Walde. Sie konnte die Nacht kein Auge schließen.

Er vermied es mehrere Tage, sie zu sehen, aber als sie sich sahen, waren die Jahre vergessen, die voll Leides und bittrer Erfahrungen zwischen damals und jetzt lagen; da waren die heiligen Pflichten vergessen und die glühendste Leidenschaft zog in beider Herzen ein, oder besser, sie erwachte neu, denn sie hatte leider nur geschlummert.

In unsern Dörfern, wie leicht beweglich auch der Pfälzer ist, führt doch Zucht und Sitte noch ein strenges Regiment, und wehe der Frau oder dem Manne, der des Wortes der heiligen Schrift vergißt. Die Ehe soll ehrlich gehalten werden. Das ist aber doch hier nur ein Aeußerliches gewesen, denn innerlich war sie schon lange gebrochen.

Lieschen war in der That schöner, als sie als Mädchen gewesen war, und Caspar’s verworfener Lebenswandel war nicht im Stande gewesen, seine Mannesschönheit ganz zu vertilgen. Man ahnete wohl, wie es um die Zweie stand, und daß alte Liebe nicht rostet, und dachte an das Sprüchlein:

„Es senget und brennet
Kein Feuer so heiß,
Als heimliche Liebe,
Von der Niemand weiß.“

Hundert Augen aber lauerten auf Lieschen und Caspar. Sie lauerten umsonst, und doch sagte sich Jeder heimlich, es sei, wie das Reimlein sage. Es war augenscheinlich ein neues Leben in Lieschen gekommen. Ihr Auge leuchtete und flammte wieder wie sonst, aber der arme Lorenz war ihr ein Dorn im Auge. Liebloser kann ein Weib ihren Mann nicht behandeln, wie sie ihn. Er trug’s, wie er’s lange schon getragen, und suchte noch immer durch Freundlichkeit ihr die Gelegenheit zum Zorne zu nehmen, aber es half einmal nicht. Sein Kummer lag vor Aller Augen, und die Ursache auch. Wenn sie ihn nicht lieb hatte, warum heirathete sie ihn denn? fragten die Leute. Es ist aber ein leichtfertig Ding gewesen, sagten sie, das nie recht wußte, woran es mit sich selber war, und stets mit dem unzufrieden, was es hatte. Gerade in dem Letztern lag das Unglück. Ich glaube, die Leute hatten Recht. Das Lieschen war ein verzogenes, verwöhntes, eiteles Ding. Als Mädchen war ihr Jeder zuvorkommend, freundlich und that ihr artig und schön; als Frau, versteht sich, hatte das ein Ende. Dazu kam die Art ihrer Trennung von Caspar; das Unrecht, was sie ihm glaubte angethan zu haben und die Macht seiner Liebe, die ihn hinaus in die Welt getrieben. Da saß sie denn zu Hause alleine und hing ihren Gedanken und Hirngespinsten nach, und das, was sie nicht hatte, erschien verklärt und doppelt schön und herrlich, und was sie hatte, das Beste selbst, war nichts werth.

Ich weiß nicht, meine Herren, – sagte der Holzhauer, ob Sie solche Naturen gekannt haben? – Aber sie sind leider so selten nicht. So viel ist aber gewiß, glücklich sind und werden sie niemals.

Ja, ja, bei Caspar war’s eben so, daß verborgenes Feuer inwendig immer tiefer hinabbrennt. Je mehr er seine gottlose Liebe unterdrücken und beherrschen wollte, desto tiefer wurzelte sie und bäumte sich gegen ihn selber auf, wenn er Lieschen sah und nicht zweifeln konnte, wie sie gegen ihn gesinnt sei. Es ist kaum zu bezweifeln, daß sie sich heimlich sahen und daß ein verbrecherischer Umgang Statt hatte; doch ist nie darüber etwas kund geworden. Man vermuthete es wohl.

Daß Lorenz dem wilden Caspar ein Dorn im Auge war, weil er eben zwischen ihm und Lieschen stand, sie ihm entrissen hatte, das ist wohl keinem Zweifel unterworfen; er zeigte seinen Haß aber nicht anders, denn daß er seine Nähe mied, wo er konnte. Wie es aber in Lorenz’s Hause stand, nein, das war ein Jammer! In Lieschens Herzen wuchs die Abneigung gegen ihren Mann täglich. Es fiel ihm kaum auf, denn er wußte es leider nicht besser. Womit er ihre Liebe verscherzt habe, wußte er nicht, [622] weil er sich selbst und alle Welt ihm das Zeugniß geben mußte, daß in ihm auch nicht die geringste Aenderung eingetreten war. Er that ihr Alles zu Gefallen; es kam kein ungegohrenes Wort über seine Lippe; sanft und freundlich war er überall und allezeit gegen sie. Traf er sie manchmal weinend, und fragte sie: Warum weinst Du denn? Es drückt uns kein Mangel ich arbeite fleißig und verthue nichts; ich suche jeden Deiner Wünsche zu befriedigen; ich gebe Dir kein hartes Wort, wiewohl Du so lieblos gegen mich bist, ich trage Dich auf den Händen. Meine Liebe ist noch so innig, wie sie war, als ich Dich freiete, und doch, doch - bist Du unglücklich, und es kommt mir vor, als ernte ich nur Haß für meine Liebe! dann war es, als käme ihr eine bessere Einsicht. Sie reichte ihm ihre Hand, aber wollte er sie an seine Brust drücken, so entwand sie sich ihm und schauderte innerlich. So stand’s, als der Herbst kam und die Holzhauer zu Walde zogen. Auch Caspar ging in den Wald, aber er und Lorenz kamen selten zusammen.

Einmal fügte es sich, daß der Förster sie zum gemeinsamen Fällen einer starken Buche anstellte. Sie stand in einem sehr dichten Unterholze, in dem ich beschäftigt war, ohne daß Beide es wußten. Mir pochte das Herz vor Angst, ich wußte nicht warum, und ich will es gerne gestehen, daß ich meine Arbeit versäumte, um sie zu beobachten. Schon gleich im Anfange ihrer Arbeit entstand ein Wortwechsel zwischen ihnen. Leider war ich nicht nahe genug, alle Worte zu verstehen, aber er bezog sich auf Lieschen. Caspar war heftig. Lorenz antwortete sanft. Die Angst meiner Seele wuchs, weil ich das Schlimmste befürchtete. Ich schlich mich fort, um den Förster zu suchen, um ihn zu bitten, die Zweie von einander zu thun.

Im Fortgehen war mir’s, als hörte ich einen Schrei. Ich stand, wie angefesselt und horchte mit namenloser Angst im Herzen, aber es blieb stille und ich hörte den Schall verdoppelter Axtschläge, und lief, was ich laufen konnte; jenen Schrei aber hielt ich für eine Ausgeburt meiner Einbildungskraft. Den Förster fand ich erst nach einer halben Stunde athemlosen Umherlaufens. Er wieß mich zornig zurück, aber in demselben Augenblicke gab es einen gewaltigen Lärm im Walde. Dem Förster wurde es denn doch unheimlich und wir liefen zurück.

Der Holzhauermeister kam uns entgegen und rief: „Ach, was hat sich für ein Unglück ereignet! Der Baum hat den Lorenz im Fallen zerschmettert! Es ist zum Entsetzen!“

„Ist er todt?“ fragte hastig der Förster. „Mausetodt!“ war die Antwort. Wie eilten zur Stelle. Es war so. Der völlig zerquetschte Leichnam lag da, und Caspar bleich, wie eine Leiche, erzählte den Hergang. Er habe, sagte er, Lorenz gewarnt, weil der hohe, kahle Stamm und die gewaltige, hohe Krone ein rasches Fallen habe vorhersehen lassen.

Als es krachte, sei er weggesprungen, Da aber der Baum nur noch schwach gehängt habe, so sei, trotz seines Widerrathens, Lorenz noch einmal auf den Rand der Vertiefung getreten und habe einen wuchtigen Hieb geführt. Darauf sei rasch der Baum gefallen und habe ihn unter seiner Last begraben. Er habe um Hülfe gerufen, worauf denn die Holzhauer zusammengeströmt seien und mit vieler Mühe den Leichnam hervorgezogen hätten.

„Ihr hättet ihn, da er todt war, müssen liegen lassen,“ sagte der Förster. „Daß er todt war, zeigte der völlig zerschmetterte Kopf. Das Gericht mußte ja kommen!“

„Was, Gericht?“ rief Caspar. „Es ist ein Unglück, das das Gericht nichts angeht!“

Der Förster schickte auch sogleich nach der Stadt.

Am Nachmittage kam das Gericht. Es wurde untersucht, die Zeugen verhört und Caspar verhaftet.

Mit der Rechtspflege, meine Herren, – sagte der Holzhauer – stand es damals traurig genug. Ich wurde nicht verhört. Warum? – Ich weiß es nicht. Anzeige zu machen, hielt mich die Angst zurück, weil der Förster schwieg, der ja Alles so gut wußte, wie ich. Kurz – Caspar kam frei, und als das scheinheilige Trauerjahr um war, wurde er und Lieschen ein Paar. Jetzt blühte sie wieder auf, wie eine Rose, und der ganze Himmel hing voller Geigen. Ging Caspar zu Walde, so gab es einen Abschied, als reise er in ein fremdes Land voll wilder Thiere; kam er zurück, so flog sie ihm entgegen und der Jubel war groß.

Im Dorfe war darüber nur eine Stimme, und ob ich gleich kein Wort zu sagen wagte, so munkelte man doch hin und her viel Schlimmes, und ich hörte mehr als einmal: Wenn das so fort geht, dann weiß man nicht, was man sagen soll! Alle braven Leute mieden das Paar, so viel sie konnten.

Aber es kam so, wie die Leute vermutheten, nur im umgekehrten Verhältniß, wie es zwischen Lorenz und Lieschen gewesen war.

Sie hing an Caspar mit einer geckigen Liebe, aber Caspar wurde immer ernster, einsilbiger und kälter gegen sie. Sie wollte durch das Verdoppeln ihrer Liebkosungen ihn wiedergewinnen, und das gerade stieß ihn mehr zurück. Das nahm reißend zu, und die Nachbarn wollten gesehen haben, wie er sie, als sie ihm mit offenen Armen entgegen kam, zurückgestoßen habe, daß sie taumelte und schier hingestürzt sei.

Caspar blieb wenig zu Hause. Im Walde trank er viel Branntwein, und war er im Dorfe, so saß er in der Schenke, kartete und trank, bis er völlig betrunken heimkam. Dann machte sie ihm Vorwürfe und es kam zu empörenden, rohen, gewaltthätigen Auftritten. Es war so, als müsse Caspar das erwachende Gewissen im Trunke betäuben.

Von der Zeit an konnte man an Lieschen auch eine recht große Veränderung wahrnehmen. Sie verhehlte ihre Thränen nicht mehr; ihre Wangen blichen. Kummer und Unmuth wurden übermächtig, und die Reue nagte an ihrem Herzen.

Caspar kam zuletzt kaum mehr aus der Schenke. Der Verdienst ging hin und Lieschen litt oft bittere Noth zu dem Elende, dessen Last sie trug.

Caspar war trotz dem Allen ein fleißiger Arbeiter im Walde. Einmal mußte ich mit ihm und einem Dritten eine Buche fällen. Der Baum war dem ähnlich, den er einst mit Lorenz zu fällen gehabt hatte. Ehe wir begannen, stand er lange, in sich versunken da, und betrachtete den Baum, dann schüttelte er sich, wie wenn ein Fieberfrost über ihn käme. Mit wahrem Widerstreben ging er an die Arbeit.

„Nehmt Euch in Acht,“ rief ich, als der Baum schon stark angehauen war, „es könnte ein Unglück geben, wie damals, als der Lorenz umkam! Der Baum ist justement gerade so!“

Da schrie plötzlich Caspar. „Bube, was willst Du damit sagen?“ Und sprang gleich einem Wüthenden mit geschwungener Axt auf mich ein.

Ich trat einen Schritt zurück und fragte, ihn scharf ansehend: „Was wollet Ihr mit mir?“

„Warum nanntest Du den Lorenz?“ schäumte er vor Wuth.

„Weil ich durch den Baum daran erinnert wurde,“ sagte ich, „denn ich war damals nicht weit weg!“

Da holte er mit der Axt nach mir aus, daß er, wäre ich nicht zurückgesprungen, mir den Schädel würde gespalten haben. Der Holzhauer sprang herzu und riß ihn zurück.

„Bist Du verrückt, Caspar?“ rief er aus. „Was that Dir der Junge?“

„Hast Du nicht gehört,“ schrie er, „was er gesagt hat?“

„Ich habe nichts darin gefunden, was übel gemeint wäre“, sagte der Holzhauer.

„Ich aber,“ rief Caspar, glühend vor Zorn. „Er meint, ich hätte den Lorenz todt geschlagen.“

„Das sagt Ihr,“ rief ich, „aber ich habe es noch nicht gesagt.“

„Noch nicht?“ schäumte er; „also Du willst es noch sagen?“ und wieder drang er wüthend auf mich ein.

Darüber kam der Förster, der ihn sogleich aus dem Dienste jagte.

Er ging mit furchtbaren Drohungen gegen mich, und sein Weg war in’s Wirthshaus. Dort stieß er die schrecklichsten Drohungen gegen mich aus, und als er völlig trunken war, taumelte er heim. Zu Hause gab es sogleich die heftigsten Auftritte. Die Leute versammelten sich daselbst, wie das so geht, und viele hörten es, daß er ausrief: Du bist Schuld, daß ich den Lorenz todt geschlagen habe. Du hast mich verlockt! Immer wilder wurde der Streit im Hause. So viele Leute auch dastanden, Niemand wagte es, in das Haus zu gehen – bis ein gellender Schrei drinnen endlich die Leute zwang. Sie rissen die Thüre auf und ein entsetzlicher Anblick bot sich ihren Augen dar. Am Boden lag das junge Weib mit zerschmettertem Schädel und Caspar lehnte an der Wand.

[623] „Seht, die hab’ ich zum Schweigen gebracht! So geht’s noch Einem!“ Er nannte meinen Namen.

Sein Maß war indessen voll. Die Leute überwältigten und banden ihn. Sie liefen nach dem Arzte und den Gerichten. Es war indessen längst zu spät für ärztliche Hülfe. Der erste Hieb war tödtlich, denn die Schärfe der Axt hatte den ganzen Kopf gespalten.

Caspar war nüchtern geworden während der einleitenden Vernehmungen. Als man ihn zu dem Körper der so schauderhaft Ermordeten brachte, sank er bewußtlos nieder. Nach vielen Bemühungen des Arztes kam er wieder zu sich und nun bekannte er Alles.

Mit Lorenz hatte er selbst den Wortstreit angefangen. Lorenz schwieg anfänglich zu Allem, aber als es ihm doch zu arg wurde, [624] antwortete er ihm. Ein Wort gab das andere, bis Caspar in seine blinde Wuth gerieth und die umgekehrte Axt dem Armen auf den Kopf schlug. Mit einem Schrei, den ich gehört hatte, stürzte er zusammen und war todt. Caspar verdoppelte nun seine Hiebe an dem Baume und legte den Leichnam Lorenz’s so, daß ihn der Stamm traf und zerquetschte. Von seiner Frau sagte er, sie sei ihm immer vorgekommen, als sei sie blutig. Sie habe ihn verlockt und seinen Haß gegen Lorenz gereizt in den heimlichen Zusammenkünften, und so habe sie zuerst den Gedanken des Mordes in ihm angeregt. Daher sei er denn auch so wüthend geworden, als sie ihn einen Mörder genannt habe.

Jetzt, – sagte der Holzhauer, – kann ich’s kurz zusammenfassen. Der Prozeß ging zwar langsam, aber das Urtheil lautete auf den Tod durch das Beil. Es wurde an ihm vollzogen.

Seitdem duldete es mich nicht mehr daheim. Die Erinnerungen waren zu schreckhaft für mich. Ich ließ mich hier nieder, um dort wegzukommen und es hat mich noch nicht gereuet.“

Der Holzhauer hatte seine Geschichte geendet. Sie hatte uns alle mit Grausen erfüllt.

Während draußen der Sturm noch immer aus vollen Backen blies und der Regen in Strömen fiel, streckten wir uns auf das Mooslager. Mein Freund schlief bald. Ich aber konnte den Schlaf lange nicht finden, denn die Bilder standen vor meiner Seele, die des Holzhauers Erzählung herauf beschworen hatte.

Hier endet der Abschnitt aus den Aufzeichnungen meines Großoheims, der überschrieben ist: Eine Nacht in der Holzhauerhütte, und den ich hier unverändert mitgetheilt habe.


  1. Johannes Bickler, genannt „Schinderhannes“ ist ein Räuber gewesen, dessen Bande bis in die ersten Jahre unseres Jahrhunderts die Gegenden des Hundsrückens, der Nahe, des Gaues u. s. w. unsicher machte. Er war besonders der Schrecken der Juden, deren Zuchtruthe er war. Das Volk betrachtete ihn in günstigerem Lichte und umgab ihn mit einem romantischen Glanze. Er wurde in Mainz hingerichtet, und hat, wie andere berühmte Leute, im Brockhaus’schen Conversationen-Lexicon seine Stelle gefunden, wo unsere Leser, wenn es sie anspricht, das Nähere über ihn finden können.