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Eine deutsche wissenschaftliche Großtat während des Krieges

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Textdaten
Autor: Max Bernhard Weinstein
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Titel: Eine deutsche wissenschaftliche Großtat während des Krieges
Untertitel:
aus: Berliner Tageblatt (in Beilage "Der Zeitgeist" vom 28. Februar 1916)
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1916
Verlag:
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Deutsche Digitale Bibliothek, Commons
Kurzbeschreibung:
Themenseite: Relativitätstheorie
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Eine deutsche wissenschaftliche Großtat während des Krieges.
Von Professor Max B. Weinstein,
Geheimer Regierungsrat.

Wenn der Friede in die Welt wieder eingekehrt ist, müssen die Völker sich gegenseitig fragen, ob und was jedes während des Krieges auch auf dem idealen Gebiete der reinen Wissenschaft geleistet hat. Da werden wir Deutschen so manches vorbringen können, mit dem zu wetteifern den anderen recht schwer fallen dürfte, und einiges, dem sie nichts Ebenbürtiges entgegenzuhalten haben möchten. Und ich bin überzeugt, das im Interesse der Menschheitskultur sie sich freuen werden, so ganz unerwartet Neues zu finden, das seine erleuchtenden Strahlen bis in die höchsten Fragen der Erkenntnis sendet und jetzt schon Früchte gezeitigt hat, die großen wissenschaftlichen Gebieten Fortbildungsmöglichkeit und festen Boden verleihen. Solche Erscheinungen, daß einige Gelehrte in England und Frankreich aus vaterländischem Uebereifer bei Beginn des Krieges sich höchst absprechend über deutsche Wissenschaft geäußert haben, trotz der Ehrungen, mit denen sie bei uns überhäuft worden sind, werden durch unsere geistigen Leistungen während unserer schwersten Zeit in das rechte Licht ihrer unbedachten Uebereiltheit gerückt werden. Und hoffentlich werden unsere jetzigen Gegner an der Ausbildung unserer Errungenschaften so eifrig und willkommen mitarbeiten, wie wir es stets neidlos an der ihrer Erfolge getan haben. Nur eine dieser Errungenschaften, freilich die größte, soll hier beleuchtet werden. Wir verdanken sie dem Urheber der so eigenartigen Relativitätslehre, A. Einstein, für dessen Berufung an die Akademie der Wissenschaften man der Unterrichtsverwaltung nicht dankbar genug sein kann. Damit auch der Nichtfachmann zu folgen vermag, will ich erst eines der Hauptergebnisse der Entdeckung Einsteins auf einem Gebiete schildern, das sich von je der allgemeinen Teilnahme erfreute, auf dem der Astronomie.

Die Erde und alle Planeten bewegen sich in gestreckten Bahnen (Ellipsen) um die Sonne, sie sind ihr infolgedessen bald näher, bald ferner. So erreicht zum Beispiel die Erde um den 2. Januar mit 147 Millionen Kilometer ihre größte Sonnennähe (Perihel) und um den 4. Juli mit 152 Millionen Kilometer, ihre größte Sonnenferne (Aphel). Da sich die Himmelskörper durch ihre Anziehungen gegenseitig stören, bleiben die Momente der Sonnennähe und Sonnenferne nicht erhalten, sie verschieben sich im Laufe der Zeit; und es ist eine Aufgabe der Astronomen, diese Verschiebung aus dem bekannten Newtonschen Anziehungsgesetz zu berechnen. Es hat sich nun, namentlich aus den Untersuchungen von Leverrier, dabei ergeben, das bei den besonders behandelten vier ersten Planeten, Merkur, Venus, Erde, Mars, die berechnete Verschiebung kleiner ausfällt als die beobachtete. Während aber diese Abweichung bei Venus ganz unsicher, bei Erde und Mars in Anbetracht der unausweichlichen Mängel der Rechnung wie der Beobachtung nicht als erheblich anzusehen ist, erreicht sie bei Merkur einen unzulässigen Betrag (etwas mehr als 40 Bogensekunden auf 100 Jahre), der die Astronomen seit langer Zeit beunruhigt. Zahllose Versuche sind gemacht worden, dieses sonderbare Verhalten des Merkur zu erklären. So namentlich auch durch die Annahme eines sogenannten intramerkuriellen Planeten, der aber nicht aufgefunden werden konnte, obwohl er so groß wie Merkur selbst sein müßte, unseren jetzigen Beobachtungsmitteln also nicht entgehen könnte. Die einzige befriedigenere frühere Erklärung stammt von Seeliger, der das Zodiakallicht verantwortlich machte, anscheinend eine gewaltige Staubhülle, die in Form eines Sphäroids die Sonne umgeben soll, und die über die Erdbahn bis zur Marsbahn hinausragt. Allein, diese und ähnliche Erklärungen haben mit der großen Schwierigkeit zu kämpfen, daß, wenn sie auf der einen Seite das Gewollte erreichen, sie an anderen stellen etwas schaffen, das dort der Erfahrung nicht entspricht. Seeliger hat, um dem zu entgehen, weitere Annahmen machen müssen, unter anderem auch die höchst merkwürdige, von Anding stammende, daß unser Sonnensystem als Ganzes, oder die umgebende Sternenwelt als Ganzes um unser Sonnensystem, sich dreht (in etwa 17 Millionen Jahren einmal im Kreise herum). Neuerdings hat dann Freundlich von der hiesigen Sternwarte berechnet, das die von Seeliger angenommene Dichte der Zodiakalhülle, wenn auch nur von dreihundertel Milligramm im Kubikmeter, doch bei weitem zu groß sein dürfte gegenüber anderen Ergebnissen. Dieses alles und das Rätsel, in dem das Zodiakallicht gegenwärtig überhaupt noch schwebt, scheint der geistvollen Seeligerschen Berechnung, die noch sonstige Merkwürdigkeiten im Sonnensystem erklären sollte und erklärt, leider einen Teil ihrer Entscheidung noch zu rauben. Und es zeigt sich, wie sehr sich die Astronomen quälen müssen, um aus dem Lehrgebäude Mängel, die der Nichtfachmann nur als Schönheitsfehler bezeichnen würde, zu entfernen, und wie unbefriedigend dabei oft selbst das Beste ausfällt. Das ist aber besonders bedauerlich, weil es auch gegen die Grundlagen der betreffenden Wissenschaft mit Mißtrauen erfüllt.

Einsteins Lehre löst die Frage unmittelbar. Sie zeigt, daß jeder Planet für sich schon, ganz ab von den Störungen durch andere Himmelskörper und sonstige Massen, eine Verschiebung seines Nähe- und Fernpunktes, gewissermaßen eine Drehung seiner Bahn, erfahren muß. Einstein hat sie für den Merkur genau in dem Betrage errechnet, der den Astronomen bisher so unsägliche Schwierigkeiten mit so vielem Aerger bereitet hat. Aber wie? Da nach dem Newtonschen Anziehungsgesetz eine solche Verschiebung für jeden Himmelskörper für sich doch gar nicht möglich ist; Nun, Einstein verfährt völlig radikal; er reist unsere bisherigen Naturanschauungen mit der Wurzel aus und pflanzt neue ein, in die wir uns noch hineinzuleben haben. Er und der leider so jung hingeraffte Minkowski.

Man hat früher den Raum von der Zeit getrennt; jenen mehr als ein Aeußerliches, diese als ein Innerliches betrachtet. Die Einsteinsche Lehre verbindet beide zu einem Gebilde, dem Raumzeitgebiet. Also ein vierdimensionaler Raum! Ja! aber nicht im Sinne der Spiritisten, die dem Raum an sich eine vierte Dimension zuschreiben, und die ich mit der Frage ärgern konnte, warum sie für ihre Vorführungen Eintrittsgeld nähmen, da sie doch aus ihrer vierten Dimension ohne weiteres alles Gold und alle Juwelen aus dem Erdinnern an sich raffen könnten, wie wir aus unserer dritten Dimension von einer Fläche alles abzuheben vermöchten. Also die vierte Dimension der neuen Lehre enthält nichts Mystisches. Wie weit man die Verbindung von Zeit und Raum nach der Erkenntnis rechtfertigen kann, steht noch dahin und bedarf tiefer Untersuchung. Die Einsteinsche erste Relativitätslehre behauptete nun, daß in diesem Raumzeitgebiet die Naturgesetze immer die gleiche Form haben, ob die Körper, auf denen und von denen aus sie untersucht werden, darin ruhen oder sich gleichförmig in gerader Linie bewegen. Nun kennen wir außer der gleichförmigen Fortbewegung auch eine gleichförmige Drehung, wie beispielsweise die Erde, mit vielen anderen Himmelskörpern, sie hat. Die neue Relativitätslehre nimmt auch diese auf. Sie gelangt dann zur allgemeinen Schwerkraft in ihrem Raumzeitgebiet.

Wenn nämlich ein Körper sich dreht, tritt die Fliehkraft in Erscheinung, die jeder kennt, und die in der Technik eine so große, mitunter so verhängnisvolle Rolle spielt. Diese Fliehkraft besteht auch für die Erde. Es hat aber der ungarische Physiker v. Eötvös nachgewiesen, daß sie sich in keiner Weise von der Schwerkraft trennen läßt; was diese bestimmt, ist in gleichem Betrage für jene maßgebend. Also kann man die Erscheinung bei einer gleichförmigen Drehung auch als Schwerkraft denken. Zieht man nun diese Drehung in die Lehre ein, so hat man auch die allgemeine Schwerkraft und mit ihr auch die gleichförmig beschleunigte Bewegung, wie sie ein frei fallender Körper zeigt, einbezogen. Das aber bewirkt, das nunmehr das Raumzeitgebiet in ganz besonderer Weise aufzufassen ist. Und es trifft diese Auffassung in der Anlage zusammen mit einer Auffassung, die schon vor längerer Zeit der merkwürdige Mathematiker Riemann und später Helmholtz eingehender Untersuchung unterworfen haben. Darüber, wie also nunmehr Raum und Zeit ausschauen, vielleicht bei anderer Gelegenheit. Alle Naturgesetze nun sollen in diesem neuen Raumzeitgebiet, in dem überall die allgemeine Schwerkraft wirkt und dessen Eigenart durch diese Schwerkraft bestimmt ist, eine Form haben und diese Form beibehalten, wie man auch die Körper, auf denen und von denen aus sie untersucht werden, gleichförmig fortbewegen und gleichförmig drehen mag. Bedingung ist nur noch, daß das nämliche auch für die Größe von Strecken und Inhalten unter gleichen Umständen gilt, was jedem wie selbstverständlich erscheinen wird, da er es von unserem Raume gar nicht anders kennt. Das Gesetz der Schwerkraft hat nun ebenfalls überall in diesem Raumzeitgebiet jene Form, und mit Hilfe der angeführten Untersuchungen von Riemann und Helmholtz konnte dann Einstein für dieses Gesetz einen neuen Ausdruck in diesem Gebiete finden, der also an Stelle des Ausdrucks in unserem Raum, des sogenannten Newtonschen Gravitationsgesetzes, zu treten hat. Es blieb dann nur noch übrig, die Planeten selbst für das neue Raumzeitgebiet entsprechend dem neuen Anziehungsgesetz aufzustellen.

Jede gleichförmige Bewegung geschieht ohne Kräfte. Also war nur der Uebergang zu bewirken von der Bewegung in einem Schwerelosen Raumzeitgebiet zu der in einem Schwereerfüllten, denn nach der Lehre soll ja das Ausgangsgesetz für die Bewegung in beiden Fällen die gleiche Form haben. Nun besagt dieses Gesetz im Schwerelosen Gebiet nichts weiter, als das ein Körper, sich selbst überlassen, von einer Stelle zu einer zweiten auf dem kürzesten Wege (in unserem Raume die gerade Linie) gelangt. Das bleibt also auch im neuen, Schwereerfüllten Gebiete bestehen, auch in ihm bewegt sich ein Körper, z. B. ein Planet um die Sonne, von Stelle zu Stelle auf dem dort kürzesten Wege. Daher bedarf es nur noch eines Ausdruckes für Wege, Strecken, im neuen Schwereerfüllten Raumzeitgebiet überhaupt. Dieser Ausdruck ist mathematisch von Riemann und Helmholtz gegeben worden. Die Deutung der in ihm enthaltenen Bestimmungsstücke aus der Schwerkraft ist Einsteins Eigen. Und nun ist alles nur noch Rechnungssache. Es ist eine neue Astronomie im neuen Raumzeitgebiet mit dem neuen Anziehungsgesetz. Und diese neue Astronomie hat also schon so Bedeutendes geleistet. Es wird aber dem Leser sofort eine wichtige Frage sich aufdrängen: wenn das alles neu ist, dann muß es ja auch sonst neue Ergebnisse liefern, wie sie ja für die Drehung der Planetenbahnen schon gefunden sind. Aber abgesehen von dieser Drehung und von einigen anderen Kleinigkeiten, hat sich die bisherige Astronomie doch ausgezeichnet bewährt. Bringt denn nicht das Neue nunmehr auch Unstimmigkeiten? Nein! einstweilen nicht, denn glücklicherweise bleiben die früheren Ergebnisse im wesentlichen unangetastet, und das Neue hat noch Mängeln abgeholfen.

Ein anderes aber ist noch von höchster Bedeutung. In allen Naturgrößen spielt nunmehr, da das Raumzeitgebiet von ihr abhängt, die Schwerkraft eine besondere Rolle. Also müssen alle Naturgesetze von dieser Weltmacht, die früher eine ganz vereinsamte Stellung in der Wissenschaft einnahm und den Forschern deshalb soviel grundsätzliche Schwierigkeiten bereitete, durch sie beherrscht werden. Und so hat Einstein beispielsweise schon gefunden, daß die Lichtstrahlen, die wir als gerade ansehen, tatsächlich gekrümmt sein sollen, namentlich, wenn sie an Körpern vorbeigehen. Wie ich höre, soll diese Folgerung im Astrophysikalischen Institut zu Potsdam von dessen Leiter Schwarzschild, der in diesen Tagen aus Einsteins Lehre die gleichen Folgerungen in strengster Ableitung erhalten hat, geprüft werden. Aber außerdem müssen fast alle Gebiete der exakten Wissenschaften, einschließlich sogar der Mathematik, einer Umarbeitung unterzogen werden. Und das werden hoffentlich unsere jetzigen Feinde Hand in Hand mit uns bewirken.

Es ist immer wieder der Geist, der die Völker zusammenführt, versöhnt und zusammenhält.