Eine letzte Bitte
[207] Eine letzte Bitte. Nachstehendes Gedicht ist ein Kind des Schmerzes. Es geht uns von einer jungen Dame zu, welche, von unwiderstehlichem Drange getrieben und im Widersprüche mit den Ihrigen, sich unlängst den weltbedeutenden Brettern zugewandt. Zur Stunde liegt eine schwere Schule der Enttäuschung und des Schmerzes hinter ihr. Es ist eine kurze Geschichte, diese Geschichte der armen Flora: Zuerst Ueberschätzung des eigenen Könnens und jugendliche Unkenntniß des Lebens, dann Ernüchterung und sinkende Hoffnung, zuletzt Reue und tiefste Zerknirschung. Heute nun, nachdem unsere junge Künstlerin bereits mehrmals vergebens an die Thür der erzürnten Eltern geklopft, sendet sie durch die Gartenlaube den Ihrigen – sie gehören zu den Abonnenten unseres Blattes – eine letzte Bitte um Wiederaufnahme in den Schooß ihrer Familie. Mögen die schlichten Verse, welche auf dichterischen Werth keinen Anspruch erheben können und nur ein psychologisches Interesse gewähren, ihre Adresse nicht verfehlen und ihren Zweck, ein Mutterherz zu erweichen, erfüllen!
Ich hab’ gefehlt – mich traf der Fluch,
Für heiß’ Begehren schwer zu leiden.
Die mich so warm am Herzen trug.
Von Elternliebe konnt’ ich scheiden.
Von fern ein Bild, so hehr, so licht.
Wer kann des Herzens Wünsche wenden?
Erbarmen! O, verdammt mich nicht!
Sie lockte mich sirenenhaft,
Die Kunst der höchsten Leidenschaft,
Die zauberische Kunst der Bühne.
Versuchung hier – dort meine Lieben;
Ihr spracht: „Entsagung ist Dir Pflicht,“
Erbarmen! O, verdammt mich nicht!
Ein schwerer Kampf – ich unterlag
Und stürzte mich in’s bunte Leben.
Ein kurzer Wahn, ein Sommertag,
Dann kam die Nacht, die Nacht ohn’ Ende
Und der Enttäuschung Schreckgesicht.
Zu Euch empor heb’ ich die Hände:
Erbarmen! O, verdammt mich nicht!
Entschwund’nem Glück gilt all’ mein Sehnen.
Was ich verscherzt im Uebermuth,
Nicht kauft’s zurück ein Meer von Thränen,
Und kein Gebet macht wieder blühen
O, laßt mich nicht verzweifelnd ziehen!
Erbarmen! O, verdammt mich nicht!