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Eine naturwissenschaftliche Reise in Panama

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Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Eine naturwissenschaftliche Reise in Panama
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 16
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[16] Eine naturwissenschaftliche Reise in Panama. Die Naturwissenschaft ist neuerdings durch mehrere bisher ganz unbekannte Vierfüßler und 25 Arten neue Insecten aus der zukunftreichen Republik Panama bereichert worden. Wenige, die von diesen neuen Schätzen hörten, dachten wohl daran, was sie kosten, unter welchen Mühseligkeiten, Lebensgefahren, Verlusten, Opfern und heroischen Kämpfen ein Paar Dutzend Schmetterlinge und die Kenntniß von einigen behaarten und beborsteten Republikanern Panama’s nach Europa gebracht wurden.

Hören wir, wie Gaetano Osculati[WS 1] aus Mailand, Mitglied der geographischen Gesellschaft zu Paris, die unbekannteren Regionen dieser reichgeschmückten Taille des amerikanischen Continents durchwanderte und die bisher unbekannten Insecten und Vierfüßler entdeckte. Er verließ die höchste Stadt der Welt, Quito, die Hauptstadt der Ecuador-Republik, in der sich alle Klimate und Vegetationsstufen der Welt zusammendrängen und wo eine englische Compagnie unter Leitung eines deutschen Kaufmanns in London ein neues Deutschland[WS 2] vorbereitet, am 7. Juni 1847, um Archidona zu erreichen und den Fluß Napo weiter zu untersuchen. Gepäck und Instrumente waren ihm vorausgegangen, da die indianischen, von der Regierung angestellten Cargueros oder Gepäckträger, die dort die Stelle von Posten und Briefträgern vertreten, sich wegen einer ansteckenden Krankheit in Quito nicht länger halten ließen. Als er nach Tombacho kam, war die ganze Stadt voller Tumult, Festlichkeit, Trunkenheit und allerhand seltsamer Mummerei. Sie feierten das Fest Corpus Christi. Aus vielmeilenweiter Umgegend waren braune, schwarzbraune, gelbe, rothe, schwarze Landleute und Indianer und unzählige Kreuzungen von spanischen, indianischen und Neger-Mischlingen in bunten Kleidern, Lappen und Putzfetzen herbeigezogen. Sie brüllten und tanzten unter Triumphbogen hin, die üppig mit Blumen und Früchten überdeckt waren und von denen[WS 3] lebendige Kaninchen und junge Ziegen zappelnd und jämmerlich schreiend in der brennenden Sonne herabhängen.

Diese doppelte Thierquälerei wird für die Küchen der Geistlichkeit prakticirt. Eingeborne Indianer bringen die Thiere als Opfer. Christen hängen sie zur Ehre Gottes lebendig auf und lassen sie den Tag über zappeln und – braten, bis sie Abends von den Köchinnen der Geistlichen abgeschnitten werden, während die Massen um Stiergefechte herum, in Maskenanzügen und unter Feuerwerken in schrecklicher Beleuchtung trunken jauchzen und Gesichter in allen Farben und Verzerrungen schneiden.

Osculati konnte das scheußliche christliche Fest nicht bis zu Ende mit ansehen und brach nach Papellcota am See gleiches Namens auf, wo er seine bepackten Indianer zu treffen hoffte. Nach einigen Schwierigkeiten fand er sie und brach mit einer kleinen Fußkarawane am 16. Juni auf, um Archidona zu erreichen. Der Weg dahin ist weder Chaussee noch schlechtester Fußweg, sondern ein enges Gewinde durch dickes Dornengebüsch und furchtbaren Urwald, durch lehmige Wassersümpfe, schlüpfrige Bergschluchten und gefährliche Flüsse. Es konnte immer nur ein Mensch hinter dem anderen her arbeiten, und wenn Einer stecken blieb, mußten auch alle Andern hinter ihm halten. Von mitgenommener Nahrung durfte nur wenig verzehrt werden. Des Nachts mußte man unter Zweigen und Blättern, durch welche der Regen strömte, zu schlafen suchen.

Zu diesen Qualen kam eine viel größere, die begründete Furcht unseres Helden, daß die Indianer sich heimlich verschworen, mit Gepäck und Lebensmitteln zu fliehen und ihn irgendwie zu „beseitigen“. Osculati hielt sich deshalb immer mit einer Doppelflinte und zwei Pistolen unter den Letzten, immer bereit, dem ersten Anfalle tapfer zu begegnen oder den ersten Fliehenden niederzuschießen. Die ersten Spuren der Auflehnung zeigten sich zwischen den Ruinen der alten Stadt Baeza; jetzt einer einzigen, bewohnten, verfallenen Hütte. Hier rastete die Karawane einen Tag. Am folgenden weigerten sie sich unter allerlei Vorwänden weiter zu gehen. Osculati war fest, züchtigte den Anführer und zwang sie, ihre Lasten aufzunehmen und vor ihm herzugehen.

Sie kamen zuerst zu den schönen, reinen Wassern des Vermejo-Flusses, wo Osculati einen schwarzen Bären schoß und durch Vertheilung des Fleisches sich zuverlässigere Diener zu sichern hoffte. Der vom Regen und geschmolzenem Gebirgsschnee geschwollene Cosanga hielt sie jedoch lange auf, bis man sich für einen Umweg entschied. Aber auf diesem war kein Uebergang zu entdecken, so daß die Karawane am Abende des dritten Tages sich übermüdet und tückisch für die Nacht einrichtete. Für Osculati hatten sie eine Hütte gebaut, in welcher er einen Theil des Bärenfleisches, Lebensmittel, Munition und sich selbst verbarricadirte. Aber vor dem Einschlafen merkte er, daß das Bärenstück gestohlen und seine Hütte ungemein fest und von allen Seiten geschlossen war. Er machte Oeffnungen und drohete Jedem mit augenblicklichem Tode, der zu fliehen oder ihm an’s Leben zu kommen suche.

Nach einigen Tagen war der Fluß gefallen, und Osculati machte sich mit dem Indianerführer auf, einen Uebergangspunkt zu entdecken. Während er an einer Stelle hinein watete, machte sich der Indianer davon. Nach seiner Hütte zurückgekehrt, bemerkte er, daß alle die Anderen mit dem größten Theile seiner Kleider und Lebensmittel geflohen waren. Unser Held fand sich nun allein in der Mitte einer unbekannten Wildniß, ohne Weg und Steg, in doppelter Gefahr vor Mord durch die Indianer oder wilde Thiere der Nacht, in Gefahr, Hungers zu sterben.

„Ich sammelte meine Geistesgegenwart,“ heißt es in seinem Tagebuche, „ergab mich in mein Schicksal und stellte zunächst meine vom Winde halb zerstörte Hütte wieder her, verbarricadirte sie mit Rohr, Aesten und Dornen gegen plötzliche Gefahr von Thieren oder Menschen, lud Flinte und Pistolen, machte noch einen Speer von einem langen Bambusrohre und nach einem elenden Mahle von Biscuit, wovon eine Kleinigkeit geblieben war, und Wasser, legte ich mich auf dem Reste meines Gepäckes zum Schlafen zurecht. Aber aus Furcht vor Ueberraschung stand ich mehrere Male auf, um draußen durch Pistolenschüsse etwa lauernde Feinde zu schrecken. Die Finsterniß war absolut, so daß ich die Hand dicht vor den Augen nicht sehen konnte, günstig für Bären und Jaguars, die dem Geruche folgen. Ich schoß mehrere Male während der Nacht und fand am Morgen noch etwas Kaffee, den ich mir bereitete. Ich blieb etwa eine Woche in dieser miserablen Hütte, immer hoffend, daß ein Indianer sich finden und mir Beistand leisten könnte, aber vergebens. Während der Zeit lebte ich von einem Säckchen voll Biscuit, das mir geblieben war, und das ich nur in den kleinsten Portionen zu verkleinern wagte.“ – Wird man glauben, daß unser Naturforscher während dieser Tage Forschungen anstellte, Insecten suchte, untersuchte und wirklich einige neue und seltene Sorten herausfand, sicherte, beschrieb und sorgfältig verpackte? Kaum glaublich; aber so that er.[WS 4]

„Den 27. Juni,“ fährt er fort, „regnete es unaufhörlich in Strömen. Der Fluß schwoll auf. Ich konnte kein Feuer anmachen. Mein bisheriger Muth sank zur Verzweiflung. Während der Nacht ward ich plötzlich durch näher und näher kommendes Brummen und Grunzen aus der Tiefe des Waldes aufgeschreckt. Bald bemerkte ich einen dunkeln Gegenstand, der auf mich zukam. Ungeachtet der dunkeln Nacht glaubt ich doch einen Tapir vermuthen zu müssen, da es schwer schritt und dem Geruche zu folgen schien. Meine Freude war maßlos, aber die Aufregung zugleich so groß, daß ich in Furcht, das Thier zu verlieren, zitterte und mich erst anlehnen mußte, ehe ich im Stande war, mein Gewehr zu zielen und zu entladen. Ich traf, doch zu schwach, das schwerfällige Thier in meine Hütte zu schleppen, begab ich mich wieder in mein Ruhelager, schlaflos in der Hoffnung, nun auf lange Zeit Mittel gegen den Hunger gesichert zu haben. Meine Freude war jedoch von kurzer Dauer. Beim Erwachen am Morgen fand ich mich unabsehbar von tosenden Wässern umgeben. Der geschwollene Fluß war ringsum bis an meine Hütte herangetreten und stieg immer noch, so daß ich kaum noch Zeit hatte, meine Koffer und die Reste armseliger Habe auf Bäume zu retten. Mehrere Sachen waren schon weggeschwemmt, auch mein Tapir-Schwein.

Es regnete immer weiter unaufhörlich. Die Stürme zischten und heulten, die Wässer gurgelten und tos’ten und klatschten donnernd gegen Felsen. Aus der Erde krachten vulcanische Eruptionen. Man wird sich kaum eine Vorstellung machen, welchen Eindruck diese furchtbaren Scenen auf einen Mann machten, der von Hunger, Angst und Schlaflosigkeit so geschwächt war, wie ich.“

Was blieb ihm jetzt übrig, als sich auf einen furchtbaren Tod vorzubereiten? Er schrieb sein Testament und einen Brief an den Präsidenten der Republik, wickelte diese Papiere wasserdicht ein, band sie an eine lange Stange und daran ein Taschentuch, wie eine Fahne, und steckte sie, in die Ferne winkend, auf. Nach zehntägigem Warten, Zögern, Hungern und Verzweifeln raffte er die letzten Reste seines Muthes und seiner Nahrungsmittel zusammen und beschloß einen Versuch zu machen, Archidona schwimmend zu erreichen. Er theilte die Nahrungsmittel in zwei Hälften, um die eine für den Fall des Mißlingens und der Rückkehr in der Hütte zurückzulassen und mit der andern und den werthvollsten Artikeln sich den Fluthen anzuvertrauen. So stürzte er sich in die unabsehbaren Strömungen des Cosanga. Aber die aufgeregten, mächtigen, einander jagenden und überthürmenden Wasserberge schlugen ihn zurück. Er war zu schwach, den Kampf mit ihnen aufzunehmen. Dabei verlor er die Hälfte seiner Lebensmittel und ein Pistol. Jetzt beschloß er, die Rückkehr nach Baeza zu versuchen.

„Drei Tage dieses Versuches,“ erzählt er selbst, „brachten mich endlich auf eine sandige Stelle, auf der ich, zu schwach, mir Schutz und Schirm zu bauen, schlief. Am Morgen brachte ich mich nur mit der größten Schwierigkeit auf die Beine; deren blutende Wunden hinderten mich schmerzhaft im Auftreten und Gehen. Die Hoffnung aber, daß ich nun in einem Tage Baeza erreichen könnte, bemeisterte Schmerz und Schwäche, und so quälte ich mich vorwärts.

Am Tage vorher hatte ich mein letztes Biscuit gegessen. Zwei Hände voll gerösteter Mais blieb Alles, was mich noch vor dem Verhungern ein Weilchen schützen konnte. Ich arbeitete mich mit den furchtbarsten Anstrengungen durch Morast und unabsehbar hohes, in einander gewirrtes dichtes Röhricht. Sehr oft mußte ich auf dem Schmutze und Moraste durch unentwirrbar verwachsenes Rohrgestrüpp hinkriechen. Ich war über und über mit Schlamm und Schleim bedeckt. Unter diesen unsäglichen Qualen des Vorwärtsdringens war es vier Uhr geworden, ohne daß ich irgend etwas Lebendem oder Hoffnung Erweckendem begegnet war. Meine Kraft schien absolut erschöpft; bewegungslos und bald besinnungslos saß ich da und genoß 30 Maiskörner, um die andern für einen zweiten Tag zu verwahren. Dabei vernahm ich zum ersten Male einen Laut – das Krähen eines Hahnes. Zitternd, daß ich mich getäuscht haben könnte, horchte ich mit der qualvollsten Spannung. Nach einigen Minuten deutlich derselbe Laut! Das Blut fließt wieder in meinen Adern und gibt den Gliedern Kraft und Wärme. Ich stürze mich auf die Kniee und schreie weinend vor Freude auf: Gerettet! Barmherziger Himmel, ich danke Dir!“

Man trug den zu einem geisterhaften Skelett abgequälten Helden von Baeza nach Archidona, wo er unter Pflege und Liebe bald wieder erstarkte. Mailand erreichte er in neuer Gesundheit und gab dann der Welt ein edles Beispiel, welche Opfer man der Wissenschaft bringen, welche Gefahren und Schrecknisse der echte Mann erleben und überwinden kann.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gaetano Osculati, italienischer Naturforscher (1808–1894) (Quelle: englische Wikipedia)
  2. Vorlage: Dentschland
  3. Vorlage: deuen
  4. Fehlenden Punkt ergänzt