Einzug zur Fahnenweihe
[612] Einzug zur Fahnenweihe. (Zu dem Bilde S. 600 u. 601) Auf den kühuen Höhenzügen des Herzogenstand und seines Nachbarn, des Heimgarten, der keck vorgestreckt das Loisachthal beherrscht, leuchtet helles Sonnengold; ein prachtvoller Morgen flammt und blitzt über der herrlichen Gebirgslandschaft. Im Thale wogt noch der Nebel, gejagt von den siegreichen Sonnenstrahlen, bis die einzelnen Nebelstreifen aufsteigen und in Duft zerstieben. Die Felswände mit dem dunklen Fichtenstand spiegeln sich im glitzernden lieblichen Kochelsee, der traumumfangen daliegt. Eine paradiesische Landschaft, gesegnet zumal in alter Zeit, als am Heimgarten noch eine goldhaltige Quelle sprudelte und im Berg bei Schlehdorf eine Goldader war, die den drei Schwestern Ainbet, Vilbet und Vorbet gehörig, in Kriegszeiten zugedeckt und später nicht mehr gefunden wurde. Das Kloster Schlehdorf ist von dem Ertrug gebaut; die aus gediegenem Gold gefertigte Monstranz rührt von dem Goldbächlein her.
Sonntag ist heute und ein herrlicher Sommermorgen dazu. Gestern
haben fleißige Hände bis in den späten Abend hinein daran gearbeitet,
dem lieblichen Dorfe Festschmuck anzulegen; vorne am Dorfeingang ist
eine Triumphpforte errichtet, mit Tannengrün umwunden und mit der
blau-weißen bayerischen Fahne und dem Landeswappen stolz geziert. Und
aus den Dachfensterchen des Hauses ragen die Fahnen, vom frischen
Morgenwind leicht bewegt. Jung und Alt hat Feiertagskleidung angelegt
– die Burschen sind in der schmucken „kurzen Wichs“ und die
Dirndln haben das beste Tüchl vor dle Brust gesteckt und tragen den
Galahut auf den langen Flechten. Die seidenen Schürzen schillern im
Sonnenlichte und die Goldquasten glitzern. Das Vereinszeichen am Hut,
den mit der Schärpe geschmückten Vorstand an der Spitze, hinter sich die
Musik – so erwartet der Veteranenverein die eingeladenen Nachbarvereine
der Kampfgenossen. Schulmädchen in weißen Kleidchen harren an der Festpforte.
Der Schlehdorfer Veteranenverein hat sich eine neue Fahne gestiftet,
die in kunstvoller reicher Goldstickerei um hohen Preis aus der Hauptstadt
gekommen ist. Zur Einweihung derselben ist der heutige Sonntag ausersehen,
und sie haben Glück, die wackeren Schlehdorfer, der blaue Himmel
ist ihnen und ihrer Fahne günstig. Nun erklingen lustige Marschtöne,
kräftige Weisen, die das Blut rascher durch die Adern treiben und an die
Zeiten von Weißenburg, Wörth und Sedan erinnern, als die tapferen
Bayern Schulter an Schulter mit den anderen deutschen Brüdern gegen
den französischen Feind kämpften. Unter dem grüßenden Senken ihrer
Fahnen ziehen die Nachbarvereine ein. Die Schlehdorfer schließen sich ihnen
an und der Zug begiebt sich in die Kirche, wo in Gegenwart der
Fahnenmutter und der Fahnenjungfer der Pfarrer die neue Fahne weiht.
Dann folgt der weltliche Theil der Feier, von Gewehrsalven und Böllerschüssen
eingeleitet. Kernige Worte werden gesprochen; bei Becherklang
und Tanz setzt sich die Lust fort, bis die Abendschatten niedersinken und
zum Abschied mahnen. Die Reihen ordnen sich zum Abmarsch, nochmals
werden der neuen Fahne die Honneurs erwiesen, und unter den Klängen
alter bayerischer Soldatenmärsche wird abgerückt. Wenn die Töne der
Abendglocke sanft im lauen Wind verklingen, dann wird’s wieder still
im Dorfe. Arthur Achleitner.