Entstehung der Arten (1876)/Dreizehntes Capitel

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Zwölftes Capitel Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein (1876)
von Charles Darwin
Vierzehntes Capitel


[467]
Dreizehntes Capitel.
Geographische Verbreitung.
(Fortsetzung.)
Verbreitung der Süßwasserbewohner.Die Bewohner oceanischer Inseln.Abwesenheit von Batrachiern und Landsäugethieren.Beziehungen der Bewohner von Inseln zu denen des nächsten Festlandes.Über Ansiedelung aus den nächsten Quellen und nachherige Abänderung.Zusammenfassung dieses und des vorigen Capitels.
Süßwasserformen.

Da Seen und Flußsysteme durch Schranken von Trockenland von einander getrennt werden, so möchte man glauben, daß Süßwasserbewohner nicht im Stande gewesen seien, sich innerhalb eines und desselben Landes weit zu verbreiten, und da das Meer offenbar eine noch weniger passirbare Schranke ist, daß sie sich niemals in entfernte Länder hätten verbreiten können. Und doch verhält sich die Sache gerade entgegengesetzt. Nicht allein haben viele Süßwasserspecies aus ganz verschiedenen Classen eine ungeheure Verbreitung, sondern einander nahe verwandte Formen herrschen auch in auffallender Weise über die ganze Erdoberfläche vor. Ich erinnere mich noch wohl der Überraschung, die ich fühlte, als ich zum ersten Male in Brasilien Süßwasserformen sammelte und die Süßwasserinsecten, Muscheln u. s. w. den englischen so ähnlich und die umgebenden Landformen jenen so unähnlich fand.

Doch kann dieses Vermögen weiter Verbreitung bei den Süßwasserbewohnern in den meisten Fällen, wie ich glaube, daraus erklärt werden, daß sie in einer für sie sehr nützlichen Weise von Teich zu Teich und von Strom zu Strom kurze und häufige Wanderungen anzustellen fähig sind: aus welcher Fähigkeit sich dann die Neigung zu weiter Verbreitung als eine fast nothwendige Folge ergeben dürfte. Doch können wir hier nur wenige Fälle in Betracht ziehen; von diesen bieten Fische einige der am schwierigsten zu erklärenden [468] dar. Man glaubte früher, daß eine und dieselbe Süßwasserspecies niemals auf zwei weit von einander entfernten Continenten vorkommen könne. Dr. Günther hat aber vor Kurzem gezeigt, daß der Galaxias attenuatus Tasmanien, Neuseeland, die Falkland-Inseln und das Festland von Süd-America bewohnt. Dies ist ein wunderbarer Fall, welcher wahrscheinlich auf eine Verbreitung von einem antarctischen Centrum aus während einer früheren warmen Periode hinweist. Indeß wird dieser Fall dadurch zu einem etwas weniger überraschenden, daß die Arten dieser Gattung das Vermögen haben, durch irgend welche unbekannte Mittel große Strecken offenen Meeres zu überschreiten; so findet sich eine Species, welche Neuseeland und den Auckland-Inseln gemeinsam zukommt, trotzdem sie durch eine Entfernung von ungefähr 230 Meilen (engl.) von einander getrennt sind. Oft verbreiten sich Süßwasserfische auf dem nämlichen Festlande weit und in beinahe launischer Weise, so daß zwei Flußsysteme einen Theil ihrer Fische miteinander gemein, einen andern verschieden haben können. Wahrscheinlich werden sie gelegentlich durch Mittel transportirt, die man zufällige nennen kann. So werden nicht selten Fische von Wirbelwinden durch die Luft entführt, wonach sie als Fischregen wieder zur Erde gelangen; und es ist bekannt, daß die Eier ihre Lebensfähigkeit eine beträchtliche Zeit nach ihrer Entfernung aus dem Wasser bewahren. Doch dürfte die Verbreitung der Süßwasserfische vorzugsweise Höhenwechseln des Landes während der gegenwärtigen Periode zuzuschreiben sein, wodurch manche Flüsse veranlaßt wurden ineinander zu fließen. Auch lassen sich Beispiele anführen, daß dies ohne Veränderungen in den wechselseitigen Höhen durch Überschwemmungen bewirkt worden ist. Die große Verschiedenheit zwischen den Fischen auf den entgegengesetzten Seiten von Gebirgsketten, die continuirlich sind und folglich schon seit früher Zeit die Ineinandermündung der beiderseitigen Flußsysteme vollständig gehindert haben müssen, führt zum nämlichen Schlusse. Einige Süßwasserfische stammen von sehr alten Formen ab, und in solchen Fällen wird die Zeit weitaus hingereicht haben zu großen geographischen Veränderungen, jene Formen werden folglich auch Zeit und Mittel gefunden haben, sich durch weite Wanderungen zu verbreiten. Überdies ist Dr. Günther neuerdings durch verschiedene Betrachtungen zu dem Schlusse veranlaßt worden, daß bei Fischen die gleichen Formen eine lange Dauer besitzen. Salzwasserfische können bei sorgfältigem [469] Verfahren langsam ans Leben im Süßwasser gewöhnt werden, und nach Valenciennes gibt es kaum eine gänzlich auf Süßwasser beschränkte Fischgruppe, so daß wir uns vorstellen können, eine marine Form einer übrigens dem Süßwasser angehörigen Gruppe wandre weit der Seeküste entlang und werde später abgeändert und endlich in Süßwassern eines entlegenen Landes zu leben befähigt.

Einige Arten von Süßwasser-Conchylien haben eine sehr weite Verbreitung und verwandte Arten, die nach meiner Theorie von gemeinsamen Arten abstammen und mithin aus einer einzigen Quelle hervorgegangen sind, walten über die ganze Erdoberfläche vor. Ihre Verbreitung setzte mich anfangs sehr in Verlegenheit, da ihre Eier nicht zur Fortführung durch Vögel geeignet sind und wie die Thiere selbst durch Seewasser sofort getödtet werden. Ich konnte selbst nicht begreifen, wie es komme, daß einige naturalisirte Arten sich rasch durch eine ganze Gegend verbreitet haben. Doch haben zwei von mir beobachtete Thatsachen – und viele andere werden zweifelsohne noch entdeckt werden – einiges Licht über diesen Gegenstand verbreitet. Wenn eine Ente sich plötzlich aus einem mit Wasserlinsen bedeckten Teiche erhebt, so bleiben wohl, wie ich zweimal gesehen habe, einige dieser kleinen Pflanzen an ihrem Rücken hängen, und es ist mir vorgekommen, daß, wenn ich einige Wasserlinsen aus einem Aquarium ins andere versetzte, ich ganz absichtslos das letztere mit Süßwassermollusken des ersteren bevölkerte. Doch ist ein anderer Umstand vielleicht noch wirksamer. Ich hängte einen Entenfuß in einem Aquarium auf, wo viele Eier von Süßwasserschnecken auszukriechen im Begriffe waren, und fand, daß bald eine große Menge der äußerst kleinen ausgeschlüpften Schnecken an dem Fuß umherkrochen und sich so fest anklebten, daß sie von dem herausgenommenen Fuß nicht abgeschabt werden konnten, obwohl sie in einem etwas mehr vorgeschrittenen Alter freiwillig davon abfallen würden. Diese frisch ausgeschlüpften Mollusken, obschon zum Wohnen im Wasser bestimmt, lebten an dem Entenfuße in feuchter Luft wohl 12–20 Stunden lang, und während dieser Zeit kann eine Ente oder ein Reiher wenigstens 600–700 englische Meilen weit fliegen und sich dann sicher wieder in einem Sumpfe oder Bache niederlassen, wie sie von einem Sturm über’s Meer hin auf eine oceanische Insel oder auf einen andern entfernten Punkt verschlagen werden können. Auch erzählt mir Sir Ch. Lyell, daß man einen Wasserkäfer (Dyticus) [470] mit einer ihm fest ansitzenden Süßwasser-Napfschnecke (Ancylus) gefangen hat; und ein anderer Wasserkäfer derselben Familie aus der Gattung Colymbetes kam einmal an Bord des Beagle geflogen, als dieser 45 englische Meilen vom nächsten Lande entfernt war; wie viel weiter er aber mit einem günstigen Winde noch gekommen sein würde, das vermag Niemand zu sagen.

Was die Pflanzen betrifft, so ist es längst bekannt, was für eine ungeheure Ausbreitung manche Süßwasser- und selbst Sumpfgewächse auf den Festländern und bis zu entferntesten oceanischen Inseln besitzen. Dies ist nach Alph. DeCandolle’s Bemerkung am deutlichsten in solchen großen Gruppen von Landpflanzen zu ersehen, aus welchen nur einige Glieder aquatisch sind, denn diese letzten pflegen, als wäre es in Folge dessen, sofort eine viel größere Verbreitung als die übrigen zu erlangen. Ich glaube, günstige Verbreitungsmittel erklären diese Erscheinung. Ich habe vorhin die Erdtheilchen erwähnt, welche gelegentlich an Schnäbeln und Füßen der Vögel hängen bleiben. Sumpfvögel, welche die schlammigen Ränder der Sümpfe aufsuchen, werden meistens schmutzige Füße haben, wenn sie plötzlich aufgescheucht werden. Nun wandern gerade Vögel dieser Ordnung mehr als die irgend einer andern und zuweilen werden sie auf den entferntesten und ödesten Inseln des offenen Weltmeeres angetroffen. Sie werden sich nicht leicht auf der Oberfläche des Meeres niederlassen, wo der noch an ihren Füßen hängende Schlamm abgewaschen werden könnte; und wenn sie ans Land kommen, werden sie gewiß alsbald ihre gewöhnlichen Aufenthaltsorte an den Süßwassern aufsuchen. Ich glaube nicht, daß die Botaniker wissen, wie beladen der Schlamm der Teiche mit Pflanzensamen ist; ich habe jedoch einige kleine Versuche darüber gemacht, will aber hier nur den auffallendsten Fall mittheilen. Ich nahm im Februar drei Eßlöffel voll Schlamm von drei verschiedenen Stellen unter Wasser, am Rande eines kleinen Teiches. Dieser Schlamm wog getrocknet nur 6¾ Unzen. Ich bewahrte ihn sodann in meinem Arbeitszimmer bedeckt sechs Monate lang auf und zählte und riß jedes aufkeimende Pflänzchen aus. Diese Pflänzchen waren von mancherlei Art und 537 im Ganzen; und doch war all’ dieser zähe Schlamm in einer einzigen Obertasse enthalten. Diesen Thatsachen gegenüber würde es nun, meine ich, geradezu unerklärbar sein, wenn es nicht mitunter vorkäme, daß Wasservögel die Samen von Süßwasserpflanzen in weite Fernen verschleppten und nach [471] unbevölkerten Teichen und Strömen brächten. Und dasselbe Mittel mag hinsichtlich der Eier einiger kleiner Süßwasserthiere in Betracht kommen.

Auch noch andere und mitunter unbekannte Kräfte mögen dabei ihren Theil haben. Ich habe oben gesagt, daß Süßwasserfische manche Arten Sämereien fressen, obwohl sie viele andere Arten, nachdem sie sie verschlungen haben, wieder auswerfen; selbst kleine Fische verschlingen Samen von mäßiger Größe, wie die der gelben Wasserlilie und des Potamogeton. Reiher und andere Vögel sind Jahrhundert nach Jahrhundert täglich auf den Fischfang ausgegangen; wenn sie sich dann erheben, suchen sie oft andere Wasser auf oder werden auch zufällig über’s Meer getrieben; und wir haben gesehen, daß Samen oft ihre Keimkraft noch besitzen, wenn sie in Gewölle, in Excrementen u. dergl. viele Stunden später wieder ausgeworfen werden. Als ich die großen Samen der herrlichen Wasserlilie, Nelumbium, sah und mich dessen erinnerte, was Alphons DeCandolle über die Verbreitung dieser Pflanze gesagt hat, so meinte ich, ihre Verbreitung müsse ganz unerklärbar sein. Doch versichert Audubon, Samen der großen südlichen Wasserlilie (nach Dr. Hooker wahrscheinlich das Nelumbium luteum) im Magen eines Reihers gefunden zu haben. Obwohl es mir nun als Thatsache nicht bekannt ist, so schließe ich doch aus der Analogie, daß, wenn ein Reiher in einem solchen Falle nach einem andern Teiche flöge und dort eine herzhafte Fischmahlzeit zu sich nähme, er wahrscheinlich aus seinem Magen wieder einen Ballen mit noch unverdautem Nelumbiumsamen auswerfen würde.

Bei Betrachtung dieser verschiedenen Verbreitungsmittel muß man sich noch erinnern, daß, wenn ein Teich oder Fluß z. B. auf einer sich hebenden Insel zuerst entsteht, er noch nicht bevölkert ist und ein einzelnes Sämchen oder Eichen gute Aussicht auf Fortkommen hat. Obschon ein Kampf um’s Dasein zwischen den Individuen der auch noch so wenigen Arten, die bereits in einem Teiche beisammen leben, immer eintreten wird, so wird in Betracht, daß die Zahl der Arten selbst in einem gut bevölkerten Teiche im Vergleich mit den ein gleiches Stück Land bewohnenden Arten gering ist, die Concurrenz auch wahrscheinlich zwischen Wasserformen minder heftig als zwischen den Landbewohnern sein; ein neuer Eindringling aus den Wassern eines fremden Landes würde folglich auch mehr Aussicht haben eine Stelle zu erobern, als ein neuer Colonist auf dem trockenen Lande. Auch dürfen wir nicht vergessen, daß viele Süßwasserbewohner [472] tief auf der Stufenleiter der Natur stehen; und wir können mit Grund annehmen, daß solche tief organisirte Wesen langsamer als die höher ausgebildeten abändern oder modificirt werden, demzufolge dann ein und die nämliche Art wasserbewohnender Organismen lange wandern kann. Wir müssen auch der Wahrscheinlichkeit gedenken, daß viele süßwasserbewohnende Species, nachdem sie früher über ungeheure Flächen in zusammenhängender Weise verbreitet waren, in den mittleren Gegenden derselben erloschen sein können. Aber die weite Verbreitung der Pflanzen und niederen Thiere des Süßwassers, mögen sie nun ihre ursprüngliche Formen unverändert bewahren oder in gewissem Grade modificirt worden sein, hängt allem Anscheine nach hauptsächlich von der weiten Verbreitung ihrer Samen und Eier durch Thiere und zumal durch Süßwasservögel ab, welche bedeutende Flugkraft haben und natürlicher Weise von einem Gewässer zum andern wandern.


Über die Bewohner oceanischer Inseln.

Wir kommen nun zur letzten der drei Classen von Thatsachen, welche ich als diejenigen ausgewählt habe, welche in Bezug auf Verbreitung die größten Schwierigkeiten darbieten, wenn wir uns der Ansicht anschließen, daß nicht bloß alle Individuen einer und derselben Art von irgend einem einzelnen Bezirke aus gewandert sind, sondern daß verwandte Arten, wenn sie auch jetzt die von einander getrenntesten Punkte bewohnen, doch von einem einzelnen Bezirke, der Geburtsstätte ihres früheren Urerzeugers, ausgegangen sind. Ich habe bereits meine Gründe angeführt, warum ich nicht wohl mit der Forbes’schen Ansicht von der Ausdehnung der Continente innerhalb der Periode jetzt existirender Arten in einem so enormen Grade übereinstimmen kann, daß alle die vielen Inseln der verschiedenen Oceane hierdurch mit ihren jetzigen Landbewohnern bevölkert worden sind. Diese Ansicht würde zwar allerdings viele Schwierigkeiten beseitigen, aber keineswegs alle Erscheinungen hinsichtlich der Inselbevölkerung erklären. In den nachfolgenden Bemerkungen werde ich mich nicht auf die bloße Frage von der Vertheilung der Arten beschränken, sondern auch einige andere Thatsachen betrachten, welche sich auf die Richtigkeit der beiden Theorien, die der selbstständigen Schöpfung der Arten und die ihrer Abstammung von einander mit fortwährender Abänderung beziehen.

[473] Die Arten aller Classen, welche oceanische Inseln bewohnen, sind nur wenig im Vergleich zu denen gleich großer Flächen festen Landes, wie Alphons DeCandolle in Bezug auf die Pflanzen und Wollaston hinsichtlich der Insecten zugeben. Neuseeland z. B., mit seinen hohen Gebirgen und mannichfaltigen Standorten und einer Breite von über 780 Meilen, und die davorliegenden Aucklands-, Campbell- und Chatham-Inseln enthalten zusammen nur 960 Arten von Blüthenpflanzen; vergleichen wir diese geringe Zahl mit denen einer gleich großen Fläche am Cap der guten Hoffnung oder im südwestlichen Neuholland, so müssen wir zugestehen, daß etwas von irgend einer Verschiedenheit in den physikalischen Bedingungen ganz Unabhängiges die große Verschiedenheit der Artenzahlen veranlaßt hat. Selbst die einförmige Grafschaft von Cambridge zählt 847 und das kleine Eiland Anglesea 764 Pflanzenarten; doch sind auch einige Farne und einige eingeführte Arten in diesen Zahlen mitbegriffen und ist die Vergleichung auch in einigen andern Beziehungen nicht ganz richtig. Wir haben Beweise, daß das kahle Eiland Ascension ursprünglich nicht ein halbes Dutzend Blüthenpflanzen besaß; jetzt sind viele dort naturalisirt worden, wie es eben auch auf Neuseeland und auf allen andern oceanischen Inseln, die nur angeführt werden können, der Fall ist. Auf St. Helena nimmt man mit Grund an, daß die naturalisirten Pflanzen und Thiere schon viele einheimische Naturerzeugnisse gänzlich oder fast gänzlich vertilgt haben. Wer also der Lehre von der selbständigen Erschaffung aller einzelnen Arten beipflichtet, der wird zugestehen müssen, daß auf den oceanischen Inseln keine hinreichende Anzahl bestens angepaßter Pflanzen und Thiere geschaffen worden sei; denn der Mensch hat diese Inseln ganz absichtslos aus verschiedenen Quellen viel besser und vollständiger als die Natur bevölkert.

Obwohl auf oceanischen Inseln die Zahl der Bewohner der Art nach dürftig ist, so ist das Verhältnis der endemischen, d. h. sonst nirgends vorkommenden Arten oft außerordentlich groß. Dies ergibt sich, wenn man z. B. die Anzahl der endemischen Landschnecken auf Madeira oder der endemischen Vögel im Galapagos-Archipel mit der auf irgend einem Continente gefundenen Zahl und dann auch die beiderseitige Flächenausdehnung miteinander vergleicht. Es hätte sich diese Thatsache schon theoretisch erwarten lassen; denn, wie bereits erklärt worden, sind Arten, welche nach langen Zwischenräumen [474] gelegentlich in einen neuen und isolirten Bezirk kommen und dort mit neuen Genossen zu concurriren haben, in ausgezeichnetem Grade abzuändern geneigt und bringen oft Gruppen modificirter Nachkommen hervor. Daraus folgt aber keineswegs, daß, weil auf einer Insel fast alle Arten einer Classe eigenthümlich sind, auch die der übrigen Classen oder auch nur einer besonderen Section derselben Classe eigenthümlich sind; und dieser Unterschied scheint theils davon herzurühren, daß diejenigen Arten, welche nicht abänderten, in Menge eingewandert sind, so daß ihre gegenseitigen Beziehungen nicht viel gestört wurden, theils ist er von der häufigen Ankunft unveränderter Einwanderer aus dem Mutterlande bedingt, mit denen sich die insularen Formen dann gekreuzt haben. Hinsichtlich der Wirkung einer solchen Kreuzung ist zu bemerken, daß die aus derselben entspringenden Nachkommen gewiß sehr kräftig werden müssen, so daß selbst eine gelegentliche Kreuzung wirksamer sein wird, als man voraus erwarten möchte. Ich will einige Beispiele anführen. Auf den Galapagos-Inseln gibt es 20 Landvögel, wovon 21 (oder vielleicht 23) endemisch sind, während von den 11 Seevögeln ihnen nur zwei eigenthümlich angehören, und es liegt auf der Hand, daß Seevögel leichter und häufiger als Landvögel nach diesen Eilanden gelangen können. Bermuda dagegen, welches ungefähr eben so weit von Nord-America, wie die Galapagos von Süd-America entfernt liegt und einen ganz eigenthümlichen Boden besitzt, hat nicht eine einzige endemische Art von Landvögeln, und wir wissen aus J. M. Jones’ trefflichem Berichte über Bermuda, daß sehr viele nordamericanische Vögel gelegentlich diese Insel besuchen. Nach der Insel Madeira werden fast alljährlich, wie mir E. V. Harcourt gesagt, viele europäische und africanische Vögel verschlagen. Die Insel wird von 99 Vogelarten bewohnt, von welchen nur eine der Insel eigenthümlich, aber mit einer europäischen Form sehr nahe verwandt ist; und 3–4 andere sind auf diese und die canarischen Inseln beschränkt. So sind diese beiden Inseln Bermuda und Madeira von den benachbarten Continenten aus mit Vögelarten besetzt worden, welche schon seit langen Zeiten in ihrer früheren Heimath mit einander gekämpft haben und einander angepaßt worden sind; und nachdem sie sich nun in ihrer neuen Heimath angesiedelt haben, wird jede Art durch die andern in ihrer gehörigen Stelle und Lebensweise erhalten worden sein und mithin wenig leicht Modificationen erfahren haben. Auch wird jede Neigung zur Abänderung [475] durch die Kreuzung mit den aus dem Mutterlande unverändert nachkommenden Einwanderern gehemmt worden sein. Madeira wird ferner von einer wunderbaren Anzahl eigenthümlicher Landschnecken bewohnt, während nicht eine einzige Art von Seemuscheln auf seine Küste beschränkt ist. Obwohl wir nun nicht wissen, auf welche Weise die marinen Schaalthiere sich verbreiten, so läßt sich doch einsehen, daß ihre Eier oder Larven vielleicht an Seetang und Treibholz sitzend oder an den Füßen der Wadvögel hängend weit leichter als Landmollusken 300–400 Meilen weit über die offene See fortgeführt werden können. Die verschiedenen Insectenordnungen auf Madeira bieten nahezu parallele Fälle dar.

Oceanischen Inseln fehlen zuweilen Thiere gewisser ganzen Classen, deren Stellen durch Thiere anderer Classen eingenommen werden. So vertreten, oder vertraten, neuerdings noch auf den Galapagos Reptilien und auf Neuseeland flügellose Riesenvögel die Säugethiere. Obwohl aber Neuseeland hier als oceanische Insel besprochen wird, so ist es doch zweifelhaft ob es mit Recht dazu gezählt wird: es ist von ansehnlicher Größe und durch kein tiefes Meer von Australien getrennt. Nach seinem geologischen Character und der Richtung seiner Gebirgsketten hat W. B. Clarke neuerdings behauptet, diese Insel sollte nebst Neu-Caledonien nur als Anhängsel von Australien betrachtet werden. Was die Pflanzen der Galapagos betrifft, so hat Dr. Hooker gezeigt, daß das Zahlenverhältnis zwischen den verschiedenen Ordnungen ein ganz anderes als sonst allerwärts ist. Alle solche Verschiedenheiten in den Zahlenverhältnissen und das Fehlen ganzer Thier- und Pflanzengruppen auf Inseln setzt man gewöhnlich auf Rechnung vermeintlicher Verschiedenheiten in den physikalischen Bedingungen der Inseln; aber diese Erklärung ist ziemlich zweifelhaft. Leichtigkeit der Einwanderung ist, wie mir scheint, reichlich eben so wichtig als die Natur der Lebensbedingungen gewesen.

Rücksichtlich der Bewohner oceanischer Inseln lassen sich viele merkwürdige kleine Thatsachen anführen. So haben z. B. auf gewissen nicht mit einem einzigen Säugethiere besetzten Inseln einige endemische Pflanzen prächtig mit Häkchen versehene Samen; und doch gibt es nicht viele Beziehungen, die augenfälliger wären, als die Eignung mit Haken besetzter Samen für den Transport durch die Haare und Wolle der Säugethiere. Indeß können hakentragende Samen leicht noch durch andere Mittel von Insel zu Insel geführt werden, [476] wo dann die Pflanze etwas verändert, aber ihre widerhakigen Samen behaltend eine endemische Form bildet, für welche diese Haken einen nun ebenso unnützen Anhang bilden, wie es rudimentäre Organe, z. B. die runzeligen Flügel unter den zusammengewachsenen Flügeldecken mancher insulären Käfer sind. Ferner besitzen Inseln oft Bäume oder Büsche aus Ordnungen, welche anderwärts nur Kräuter enthalten; nun aber haben Bäume, wie Alph. DeCandolle gezeigt hat, gewöhnlich nur beschränkte Verbreitungsgebiete, was immer die Ursache dieser Erscheinung sein mag. Daher ergibt sich dann, daß Baumarten wenig geeignet sein dürften, entlegene oceanische Inseln zu erreichen; und eine krautartige Pflanze, welche auf einem Continente keine Aussicht auf Erfolg bei der Concurrenz mit vielen vollständig entwickelten Bäumen hat, kann, wenn sie bei ihrer ersten Ansiedelung auf einer Insel nur mit andern krautartigen Pflanzen in Concurrenz tritt, leicht durch immer höher strebenden und jene überragenden Wuchs ein Übergewicht über dieselben erlangen. Ist dies der Fall, so wird natürliche Zuchtwahl die Höhe krautartiger Pflanzen, aus welcher Ordnung sie immer sein mögen, oft etwas zu vergrößern und dieselben erst in Büsche und endlich in Bäume zu verwandeln geneigt sein.


Abwesenheit von Batrachiern und Landsäugethieren auf oceanischen Inseln.

Was die Abwesenheit ganzer Ordnungen von Thieren auf oceanischen Inseln betrifft, so hat Bory de St.-Vincent schon vor langer Zeit bemerkt, daß Batrachier (Frösche, Kröten und Molche) nie auf einer der vielen Inseln gefunden worden sind, womit der große Ocean besäet ist. Ich habe mich bemüht, diese Behauptung zu prüfen und habe sie vollständig richtig befunden, mit Ausnahme von Neuseeland, Neu-Caledonien, den Andaman-Inseln und vielleicht den Salomon-Inseln und den Seychellen. Ich habe aber bereits erwähnt, daß es zweifelhaft ist, ob man Neuseeland und Neu-Caledonien zu den oceanischen Inseln rechnen soll; und in Bezug auf die Andaman- und Salomon-Gruppen und die Seychellen ist es noch zweifelhafter. Dieser allgemeine Mangel an Fröschen, Kröten und Molchen auf so vielen echten oceanischen Inseln läßt sich nicht aus ihrer natürlichen Beschaffenheit erklären: es scheint vielmehr, daß Inseln eigentümlich gut für diese Thiere geeignet wären: denn Frösche sind auf Madeira, [477] den Azoren und auf Mauritius eingeführt worden, und haben sich so vervielfältigt, daß sie jetzt fast eine Plage sind. Da aber bekanntlich diese Thiere sowie ihr Laich (so viel bekannt, mit der Ausnahme einer einzigen indischen Species) durch Seewasser unmittelbar getödtet werden, so ist leicht zu ersehen, daß deren Transport über Meer sehr schwierig wäre und sie aus diesem Grunde auf keiner streng oceanischen Insel existiren. Dagegen würde es nach der Schöpfungstheorie sehr schwer zu erklären sein, warum sie auf diesen Inseln nicht erschaffen worden wären.

Säugethiere bieten einen andern Fall ähnlicher Art dar. Ich habe die ältesten Reisewerke sorgfältig durchgegangen und kein unzweifelhaftes Beispiel gefunden, daß ein Landsäugethier (von den gezähmten Hausthieren der Eingeborenen abgesehen) irgend eine über 300 engl. Meilen weit von einem Festlande oder einer großen Continental-Insel entlegene Insel bewohnt habe; und viele Inseln in viel geringeren Abständen entbehren derselben gleichfalls gänzlich. Die Falklands-Inseln, welche von einem wolfsartigen Fuchse bewohnt sind, scheinen einer Ausnahme am nächsten zu kommen, können aber nicht als oceanisch gelten, da sie auf einer mit dem Festlande zusammenhängenden Bank 280 engl. Meilen von diesem entfernt liegen; und da überdies schwimmende Eisberge erratische Blöcke an ihren westlichen Küsten abgesetzt haben, so könnten dieselben auch wohl einmal Füchse mitgebracht haben, wie das jetzt in den arctischen Gegenden oft vorkommt. Doch kann man nicht behaupten, daß kleine Inseln nicht auch kleine Säugethiere ernähren könnten; denn es ist dies in der That in vielen Theilen der Erde mit sehr kleinen Inseln der Fall, wenn sie dicht an einem Continente liegen; und schwerlich läßt sich eine Insel anführen, auf der unsre kleinen Säugethiere sich nicht naturalisirt und bedeutend vermehrt hätten. Nach der gewöhnlichen Ansicht von der Schöpfung könnte man nicht sagen, daß nicht Zeit zur Schöpfung von Säugethieren gewesen wäre; viele vulcanische Inseln sind auch alt genug, wie sich theils aus der ungeheuren Zerstörung, die sie bereits erfahren haben, und theils aus dem Vorkommen tertiärer Schichten auf ihnen ergibt; auch ist Zeit gewesen zur Hervorbringung endemischer Arten aus andern Classen; und auf Continenten erscheinen und verschwinden Säugethiere bekanntlich in rascherer Folge als andere tieferstehende Thiere. Aber wenn auch Landsäugethiere auf oceanischen Inseln nicht vorhanden sind, so finden [478] sich doch fliegende Säugethiere fast auf jeder Insel ein. Neuseeland besitzt zwei Fledermäuse, die sonst nirgends in der Welt vorkommen; die Norfolk-Insel, der Viti-Archipel, die Bonins-Inseln, die Marianen- und Carolinengruppen und Mauritius: alle besitzen ihre eigenthümlichen Fledermausarten. Warum, kann man fragen, hat die angebliche Schöpfungskraft auf diesen entlegenen Inseln nur Fledermäuse und keine anderen Säugethiere hervorgebracht? Nach meiner Anschauungsweise läßt sich diese Frage leicht beantworten, da kein Landsäugethier über so weite Meeresstrecken hinwegkommen kann, welche Fledermäuse noch zu überfliegen im Stande sind. Man hat Fledermäuse bei Tage weit über den atlantischen Ocean ziehen sehen und zwei nordamericanische Arten derselben besuchen die Bermuda-Insel, 600 engl. Meilen vom Festlande, regelmäßig oder zufällig. Ich hörte von Mr. Tomes, welcher diese Familie näher studirt hat, daß viele Arten derselben eine ungeheure Verbreitung besitzen und sowohl auf Continenten als weit entlegenen Inseln zugleich vorkommen. Wir brauchen daher nur anzunehmen, daß solche wandernde Arten durch natürliche Zuchtwahl den Bedingungen ihrer neuen Heimath angemessen modificirt worden sind, und wir werden das Vorkommen von Fledermäusen auf oceanischen Inseln begreifen, bei Abwesenheit aller andrer Landsäugethiere.

Es besteht noch eine andere interessante Beziehung, nämlich die zwischen der Tiefe des, Inseln von einander und vom nächsten Festlande trennenden Meeres und dem Grade der Verwandtschaft der dieselben bewohnenden Säugethiere. Windsor Earl hat einige treffende, seitdem durch Wallace’s vorzügliche Untersuchungen bedeutend erweiterte Beobachtungen in dieser Hinsicht über den großen Malayischen Archipel gemacht, welcher in der Nähe von Celebes von einem Streifen sehr tiefen Meeres durchschnitten wird, der zwei ganz verschiedene Säugethierfaunen trennt. Auf beiden Seiten desselben liegen die Inseln auf mäßig tiefen untermeerischen Bänken und werden von einander nahe verwandten oder ganz identischen Säugethierarten bewohnt. Ich habe bisher nicht Zeit gefunden, diesem Gegenstand auch in andern Weltgegenden nachzuforschen; so weit ich aber damit gekommen bin, bleiben die Beziehungen sich gleich. Wir sehen z. B. Groß-Britannien durch einen seichten Canal vom europäischen Festlande getrennt, und die Säugethierarten sind auf beiden Seiten die nämlichen. Ähnlich verhält es sich mit vielen nur durch schmale [479] Meerengen von Neuholland geschiedenen Inseln. Die westindischen Inseln dagegen stehen auf einer fast 1000 Faden tief untergetauchten Bank; und hier finden wir zwar americanische Formen, aber von denen des Festlandes verschiedene Arten und selbst Gattungen. Da das Maß der Modification, welcher Thiere aller Art ausgesetzt sind, zum Theil von der Zeitdauer abhängt und es eher anzunehmen ist, daß durch seichte Meerengen von einander oder vom Festland getrennte Inseln in noch jüngerer Zeit als die durch tiefe Canäle geschiedenen in Zusammenhang gewesen sind, so vermag man den Grund einer häufigen Beziehung zwischen der Tiefe des Meeres und dem Verwandtschaftsgrad einzusehen, der zwischen der Säugethierbevölkerung einer Insel und derjenigen des benachbarten Festlandes besteht, einer Beziehung, welche bei Annahme unabhängiger Schöpfungsacte ganz unerklärbar bleibt.

Die vorangehenden Bemerkungen über die Bewohner oceanischer Inseln, insbesondere die Spärlichkeit der Arten mit verhältnismäßig vielen endemischen Formen, da nur die Glieder gewisser Gruppen und nicht anderer Gruppen derselben Classe modificirt worden sind, das Fehlen gewisser ganzer Ordnungen wie der Batrachier und der Landsäugethiere trotz der Anwesenheit fliegender Fledermäuse, die eigenthümlichen Zahlenverhältnisse in manchen Pflanzenordnungen, die Verwandlung krautartiger Pflanzenformen in Bäume u. s. w., alle scheinen sich mit der Ansicht, daß im Verlaufe langer Zeiträume gelegentliche Transportmittel viel zur Verbreitung der Organismen mitgewirkt haben, besser zu vertragen als mit der Meinung, daß alle unsere oceanische Inseln vordem in unmittelbarem Zusammenhang mit dem nächsten Festlande gestanden haben; denn nach dieser letzten Ansicht würde wahrscheinlich die Einwanderung der verschiedenen Classen gleichförmiger gewesen sein, und da die Arten in Menge einzogen, so würden auch ihre gegenseitigen Beziehungen nicht bedeutend gestört, sie selbst folglich entweder gar nicht oder alle in einer gleichmäßigeren Weise modificirt worden sein.

Ich läugne nicht, daß noch viele und große Schwierigkeiten vorliegen, zu erklären, auf welche Weise manche Bewohner der entfernteren Inseln, mögen sie nun ihre anfängliche Form beibehalten oder seit ihrer Ankunft abgeändert haben, bis zu ihrer gegenwärtigen Heimath gelangt sind. Doch ist die Wahrscheinlichkeit nicht zu übersehen, daß viele Inseln, von denen keine Spur mehr vorhanden ist, [480] als Ruheplätze existirt haben können. Ich will nur eine solche schwierige Thatsache anführen. Fast alle und selbst die entlegensten und kleinsten oceanischen Inseln werden von Landschnecken bewohnt, und zwar meist von endemischen, doch zuweilen auch von anderwärts vorkommenden Arten. Dr. Aug. A. Gould hat einige auffallende Fälle von Landschnecken auf den Inseln des stillen Meeres mitgetheilt. Nun ist es eine anerkannte Thatsache, daß Landschnecken durch Seewasser sehr leicht getödtet werden, und ihre Eier (wenigstens diejenigen, womit ich Versuche angestellt) sinken im Seewasser unter und werden getödtet. Und doch muß es meiner Meinung nach irgend ein unbekanntes aber gelegentlich höchst wirksames Verbreitungsmittel für dieselben geben. Sollten vielleicht die jungen eben dem Eie entschlüpften Schneckchen an den Füßen irgend eines am Boden ausruhenden Vogels emporkriechen und dann von ihm weiter getragen werden? Es kam mir der Gedanke, daß Landschnecken, im Zustande des Winterschlafs und mit einem Deckel auf ihrer Schaalenmündung, in Spalten von Treibholz über ziemlich breite Seearme müßten geführt werden können. Ich fand sodann, daß verschiedene Arten in diesem Zustande ohne Nachtheil sieben Tage lang im Seewasser liegen bleiben können. Eine dieser Arten war Helix pomatia; nachdem sie sich wieder zur Winterruhe eingerichtet hatte, legte ich sie noch zwanzig Tage lang in Seewasser, worauf sie sich wieder vollständig erholte. Während dieser Zeit hätte sie von einer Meeresströmung von mittlerer Geschwindigkeit in eine Entfernung von 660 geographischen Meilen fortgeführt werden können. Da diese Art von Helix einen dicken kalkigen Deckel besitzt, so nahm ich ihn ab, und als sich hierauf wieder ein neuer häutiger Deckel gebildet hatte, tauchte ich sie noch vierzehn Tage in Seewasser, worauf sie wieder vollständig zu sich kam und davon kroch. Baron Aucapitaine hat neuerdings ähnliche Versuche gemacht; er brachte 100, zu 10 Arten gehörige Landschnecken in einen mit Löchern versehenen Kasten und tauchte sie vierzehn Tage lang in Seewasser. Von den 100 Schnecken erhielten sich siebenundzwanzig. Die Anwesenheit eines Deckels scheint von Bedeutung gewesen zu sein, denn von zwölf Exemplaren von Cyclostoma elegans, welches einen Deckel hat, erhielten sich elf. Wenn ich bedenke, wie gut bei mir Helix pomatia dem Seewasser widerstand, so ist es merkwürdig, daß von vierundfünfzig zu vier Arten von Helix gehörigen Exemplaren, mit denen Aucapitaine experimentirte, kein [481] einziges sich erholte. Es ist indeß durchaus nicht wahrscheinlich, daß Landschnecken oft in dieser Weise transportirt worden sind; die Vogelfüße sind ein wahrscheinlicheres Transportmittel.


Beziehungen der Bewohner von Inseln zu denen des nächsten Festlandes.

Die auffallendste und für uns wichtigste Thatsache hinsichtlich, der Inselbewohner ist ihre Verwandtschaft mit den Bewohnern des nächsten Festlandes, ohne mit denselben von gleichen Arten zu sein. Davon ließen sich zahlreiche Beispiele anführen. Der Galapagos-Archipel liegt 500–600 engl. Meilen von der Küste Süd-America’s entfernt unter dem Äquator. Hier trägt fast jedes Land- wie Wasserproduct ein unverkennbar continental-americanisches Gepräge. Darunter befinden sich 26 Arten Landvögel, von welchen 21 oder vielleicht 23 für besondere Arten gehalten und gemeiniglich als hier geschaffen angesehen werden; und doch ist die nahe Verwandtschaft der meisten dieser Vögel mit americanischen Arten in jedem ihrer Charactere, in Lebensweise, Betragen und Ton der Stimme offenbar. So ist es auch mit andern Thieren und, wie Dr. Hooker in seinem ausgezeichneten Werke über die Flora dieser Inselgruppe gezeigt, mit einem großen Theile der Pflanzen. Der Naturforscher, welcher die Bewohner dieser vulcanischen Inseln des stillen Meeres betrachtet, fühlt, daß er auf americanischem Boden steht, obwohl er noch einige hundert Meilen von dem Festlande entfernt ist. Wie mag dies kommen? Woher sollten die, angeblich nur im Galapagos-Archipel und sonst nirgends erschaffenen Arten diesen so deutlichen Stempel der Verwandtschaft mit den in America geschaffenen haben? Es ist nichts in den Lebensbedingungen, nichts in der geologischen Beschaffenheit, nichts in der Höhe oder dem Clima dieser Inseln noch in dem Zahlenverhältnisse der verschiedenen hier zusammenwohnenden Classen, was den Lebensbedingungen auf den südamericanischen Küsten sehr ähnlich wäre; ja es ist sogar ein großer Unterschied in allen diesen Beziehungen vorhanden. Andrerseits aber besteht eine große Ähnlichkeit zwischen der vulcanischen Natur des Bodens, dem Clima und der Größe und Höhe der Inseln der Galapagos einer- und der Capverdischen Gruppe andererseits. Aber welche unbedingte und gänzliche Verschiedenheit in ihren Bewohnern! Die der Inseln des grünen Vorgebirges sind mit denen Africa’s verwandt, wie die der Galapagos [482] mit denen America’s. Derartige Thatsachen haben von der gewöhnlichen Annahme einer unabhängigen Schöpfung der Arten keine Erklärung zu erwarten, während nach der hier aufgestellten Ansicht es offenbar ist, daß die Galapagos entweder durch gelegentliche Transportmittel oder (wenn ich auch nicht an diese Lehre glaube) in Folge eines früheren unmittelbaren Zusammenhangs mit America von diesem Welttheile, wie die Cap-verdischen Inseln von Africa aus, bevölkert worden sind, und daß, obwohl diese Colonisten Modificationen ausgesetzt gewesen sein werden, doch das Erblichkeitsprincip ihre erste Geburtsstätte verräth.

Es ließen sich noch viele analoge Fälle anführen; denn es ist in der That eine fast allgemeine Regel, daß die endemischen Erzeugnisse von Inseln mit denen der nächsten Festländer oder der nächsten großen Insel in Beziehung stehen. Ausnahmen sind selten und die meisten leicht erklärbar. So sind die Pflanzen von Kerguelenland, obwohl dieses näher bei Africa als bei America liegt, nach Dr. Hooker’s Bericht sehr eng mit denen der americanischen Flora verwandt; doch erklärt sich diese Abweichung durch die Annahme, daß die genannte Insel hauptsächlich durch strandende Eisberge, den vorherrschenden Seeströmungen folgend, bevölkert worden sei, welche Steine und Erde voll Samen mit sich geführt haben. Neuseeland ist hinsichtlich seiner endemischen Pflanzen mit Neuholland als dem nächsten Continente näher als mit irgend einer andern Gegend verwandt, wie es auch zu erwarten war; es hat aber auch offenbare Verwandtschaft mit Süd-America, welches, wenn auch das zweitnächste Festland, so ungeheuer entfernt ist, daß die Thatsache als eine Anomalie erscheint. Doch auch diese Schwierigkeit verschwindet größtentheils unter der Voraussetzung, daß Neuseeland, Süd-America und andere südliche Länder vor langen Zeiten theilweise von einem entfernt gelegenen Mittelpunkte, nämlich von den antarctischen Inseln aus bevölkert worden sind, als diese während einer wärmeren Tertiärzeit vor dem Anfange der letzten Glacialperiode mit Pflanzenwuchs bekleidet waren. Die, wenn auch nur schwache, aber nach Dr. Hooker doch thatsächliche Verwandtschaft zwischen den Floren der südwestlichen Spitzen Australiens und des Caps der guten Hoffnung ist ein viel merkwürdigerer Fall; doch ist dieselbe auf die Pflanzen beschränkt und wird auch ihrerseits sich gewiß eines Tages noch aufklären lassen.

[483] Dasselbe Gesetz, welches die Verwandtschaft zwischen den Bewohnern von Inseln und dem nächsten Festlande bestimmt hat, wiederholt sich zuweilen in kleinerem Maßstabe aber in sehr interessanter Weise innerhalb einer und der nämlichen Inselgruppe. So wird ganz wunderbarer Weise jede einzelne Insel des nur kleinen Galapagos-Archipels von vielen verschiedenen Arten bewohnt; aber diese Arten stehen in näherer Verwandtschaft zu einander, als zu den Bewohnern des americanischen Continents oder irgend eines andern Theiles der Welt. Und dies ist zu erwarten gewesen, da die Inseln so nahe beisammen liegen, daß alle zuverläßig ihre Einwanderer entweder aus gleicher Urquelle oder eine von der andern erhalten haben müssen. Aber wie kommt es, daß auf diesen verschiedenen Inseln, welche einander in Sicht liegen und die nämliche geologische Beschaffenheit, dieselbe Höhe und das gleiche Clima u. s. w. besitzen, so viele Einwanderer auf jeder in einer andern und doch nur wenig verschiedenen Weise modificirt worden sind? Dies ist auch mir lange Zeit als eine große Schwierigkeit erschienen, was aber hauptsächlich von dem tief eingewurzelten Irrthum herrührt, die physikalischen Bedingungen einer Gegend als das Wichtigste für deren Bewohner zu betrachten, während doch nicht in Abrede gestellt werden kann, daß die Natur der übrigen Organismen, mit welchen jeder zu concurriren hat, wenigstens eben so hoch anzuschlagen und gewöhnlich eine noch wichtigere Bedingung ihres Gedeihens ist. Wenn wir nun diejenigen Bewohner der Galapagos betrachten, welche als nämliche Species auch in andern Gegenden der Erde noch vorkommen, so finden wir daß dieselben auf den einzelnen Inseln beträchtlich differiren. Diese Verschiedenheit wäre allerdings wohl zu erwarten gewesen, wenn die Inseln durch gelegentliche Transportmittel bestockt worden wären, so daß z. B. der Same einer Pflanzenart zu einer und der einer andern zu einer andern Insel gelangt wäre, wenn auch alle von derselben allgemeinen Quelle ausgiengen. Wenn daher in früherer Zeit ein Einwanderer sich zuerst auf einer der Inseln angesiedelt oder sich später von einer zu der andern verbreitet hätte, so würde er zweifelsohne auf den verschiedenen Inseln verschiedenen Lebensbedingungen ausgesetzt gewesen sein; denn er hätte auf jeder Insel mit einem andern Kreise von Organismen zu concurriren gehabt. Eine Pflanze z. B. hätte den für sie am meisten geeigneten Boden auf der einen Insel schon vollständiger von andern Pflanzen eingenommen gefunden als auf der andern [484] und wäre den Angriffen etwas verschiedener Feinde ausgesetzt gewesen. Wenn sie nun abänderte, so wird die natürliche Zuchtwahl wahrscheinlich auf verschiedenen Inseln verschiedene Varietäten begünstigt haben. Einzelne Arten werden sich indeß über die ganze Gruppe verbreitet und überall den nämlichen Character beibehalten haben, gerade so wie wir auch auf Festländern manche weit verbreitete Species überall unverändert bleiben sehen.

Doch die wahrhaft überraschende Thatsache auf den Galapagos, wie in minderem Grade in einigen andern Fällen, besteht darin, daß sich die neugebildeten Arten nicht schnell über die ganze Inselgruppe ausgebreitet haben. Aber die einzelnen Inseln, wenn auch in Sicht von einander gelegen, sind durch tiefe Meeresarme, meistens breiter als der britische Canal, von einander geschieden, und es liegt kein Grund zur Annahme vor, daß sie früher unmittelbar mit einander vereinigt gewesen wären. Die Seeströmungen sind heftig und gehen quer durch den Archipel hindurch, und heftige Windstöße sind außerordentlich selten, so daß die Inseln thatsächlich viel wirksamer von einander geschieden sind, als dies auf der Karte erscheinen mag. Demungeachtet sind doch einige der Arten, sowohl anderwärts vorkommende wie dem Archipel eigenthümlich angehörende, mehreren Inseln gemeinsam, und die gegenwärtige Art ihrer Verbreitung führt zur Vermuthung, daß diese sich wahrscheinlich von einer der Inseln aus zu den andern verbreitet haben. Aber wir bilden uns, wie ich glaube, oft eine irrige Meinung über die Wahrscheinlichkeit, daß von nahe verwandten Arten bei freiem Verkehre die eine ins Gebiet der andern vordringen werde. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, daß, wenn eine Art irgend einen Vortheil über eine andere hat, sie dieselbe in kurzer Zeit mehr oder weniger ersetzen wird; wenn aber beide gleich gut für ihre Stellen in der Natur angepaßt sind, so werden sie wahrscheinlich beide ihre eigenen Plätze behaupten und für alle Zeiten behalten. Da es eine uns geläufige Thatsache ist, daß viele von Menschen naturalisirte Arten sich mit erstaunlicher Schnelligkeit über weite Gebiete verbreitet haben, so sind wir zu glauben geneigt, daß die meisten Arten es ebenso machen würden; aber wir müssen bedenken, daß die in neuen Gegenden naturalisirten Formen gewöhnlich keine nahe Verwandten der Ureinwohner, sondern sehr verschiedene Formen sind, welche nach Alph. DeCandolle verhältnismäßig sehr oft auch besonderen Gattungen angehören. Auf dem Galapagos-Archipel [485] sind sogar viele Vögel, welche ganz wohl im Stande wären von Insel zu Insel zu fliegen, von einander verschieden, wie z. B. drei einander nahe stehende Arten von Spottdrosseln jede auf eine besondere Insel beschränkt sind. Nehmen wir nun an, die Spottdrossel von Chatham-Island werde durch einen Sturm nach Charles-Island verschlagen, das schon seine eigene Spottdrossel hat, wie sollte sie dazu gelangen sich hier festzusetzen? Wir dürfen mit Gewißheit annehmen, daß Charles-Island mit ihrer eigenen Art wohl besetzt ist, denn jährlich werden mehr Eier dort gelegt und junge Vögel ausgebrütet, als fortkommen können; und wir dürfen ferner annehmen, daß die Art von Charles-Island für diese ihre Heimath wenigstens eben so gut geeignet ist als die der Chatham-Inseln eigenthümliche Art. Sir Ch. Lyell und Wollaston haben mir eine merkwürdige zur Erläuterung dieser Verhältnisse dienende Thatsache mitgetheilt, daß nämlich Madeira und das dicht dabei gelegene Porto-Santo viele besondere, aber einander vertretende Landschnecken besitzen, von welchen einige in Felsspalten leben; und obwohl große Steinmassen jährlich von Porto-Santo nach Madeira gebracht werden, so ist doch diese letzte Insel noch nicht mit den Arten von Porto-Santo bevölkert worden; trotzdem haben sich auf beiden Inseln europäische Arten angesiedelt, weil sie zweifelsohne irgend einen Vortheil vor den eingeborenen voraus hatten. Nach diesen Betrachtungen werden wir uns nicht mehr sehr darüber wundern dürfen, daß die endemischen und die stellvertretenden Arten, welche die verschiedenen Inseln des Galapagos-Archipels bewohnen, sich noch nicht allgemein von Insel zu Insel verbreitet haben. In den verschiedenen Bezirken eines Continentes hat wahrscheinlich die frühere Besitzergreifung durch eine Art wesentlich dazu beigetragen, die Vermischung von Arten, welche Bezirke mit nahezu gleichen Lebensbedingungen bewohnen, zu hindern. So haben die südöstliche und südwestliche Ecke Australiens eine nahezu gleiche physikalische Beschaffenheit und sind durch zusammenhängendes Land miteinander verbunden, werden aber gleichwohl von einer ungeheuren Anzahl verschiedener Säugethier-, Vögel- und Pflanzenarten bewohnt; ebenso verhält es sich nach Bates mit den Schmetterlingen und anderen Thieren, welche das große offene und zusammenhängende Thal des Amazonenstromes bewohnen.

Dasselbe Princip, welches den allgemeinen Character der Fauna und Flora der oceanischen Inseln bestimmt, nämlich die Beziehungen [486] zu der Quelle, aus welcher Colonisten am leichtesten hergeleitet werden könnten, und deren spätere Modification, ist von der weitesten Anwendbarkeit in der ganzen Natur. Wir sehen dies auf jedem Berg, in jedem See, in jedem Marschlande. Denn die alpinen Arten, mit Ausnahme der durch die Glacialereignisse weithin verbreiteten Formen, sind mit denen der umgebenden Tiefländer verwandt; so haben wir in Süd-America alpine Colibris, alpine Nager, alpine Pflanzen u. s. f., aber alle von streng americanischen Formen; und es liegt auf der Hand, daß ein Gebirge während seiner allmählichen Emporhebung von den benachbarten Tiefländern aus colonisirt werden würde. So ist es auch mit den Bewohnern der Seen und Marschen, so weit nicht die große Leichtigkeit der Überführung denselben Süßwasserformen über die ganze Erdoberfläche vorzuherrschen gestattet hat. Wir sehen dasselbe Princip in den Characteren der meisten blinden Höhlenthiere Europas und Americas. Andere analoge Thatsachen könnten noch angeführt werden. Es wird sich nach meiner Meinung überall bestätigen, daß, wo immer in zwei wenn auch noch so weit von einander entfernten Gegenden viele nahe verwandte oder stellvertretende Arten vorkommen, auch einige identische Arten vorhanden sein werden, und wo immer viele nahe verwandte Arten vorkommen, da werden auch viele Formen sein, welche einige Naturforscher als besondere Arten und andere nur als Varietäten betrachten. Diese zweifelhaften Formen drücken uns die Stufen in der fortschreitenden Abänderung aus.

Diese Beziehung zwischen dem Vermögen und der Ausdehnung der Wanderung bei gewissen Arten (sei es in jetziger Zeit oder in einer früheren Periode) und dem Vorkommen anderer verwandter Arten in entfernten Theilen der Erde ergibt sich in einer andern, noch allgemeineren Weise. Gould sagte mir vor langer Zeit, daß von denjenigen Vogelgattungen, welche sich über die ganze Erde erstrecken, auch viele Arten eine weite Verbreitung besitzen. Ich vermag kaum zu bezweifeln, daß diese Regel allgemein richtig ist, obwohl dies schwer zu beweisen sein dürfte. Unter den Säugethieren finden wir sie scharf bei den Fledermäusen und in schwächerem Grade bei den hunde- und katzenartigen Thieren ausgesprochen. Wir sehen sie in der Verbreitung der Schmetterlinge und Käfer. Und so ist es auch bei den meisten Süßwasserformen, unter welchen so viele Gattungen aus den verschiedensten Classen über die ganze Erde reichen und viele einzelne Arten eine ungeheure Verbreitung besitzen. Es soll [487] nicht behauptet werden, daß in den über die ganze Erde verbreiteten Gattungen alle Arten in weiter Ausdehnung vorkommen. Auch soll nicht gesagt werden, daß die Arten in solchen Gattungen im Mittel eine sehr weite Verbreitung haben; denn dies wird großentheils davon abhängen, wie weit der Modificationsproceß gegangen ist. So können z. B. zwei Varietäten einer Art die eine Europa, die andere America bewohnen, und die Art hat dann eine unermeßliche Verbreitung; ist aber die Abänderung etwas weiter gediehen, so werden die zwei Varietäten als zwei verschiedene Arten gelten und die Verbreitung einer jeden wird sehr beschränkt erscheinen. Noch weniger soll gesagt werden, daß Arten, welche das Vermögen besitzen, Schranken zu überschreiten und sich weit auszubreiten, wie mancher mit kräftigen Flügeln versehene Vogel, sich nothwendig weit ausbreiten müssen; denn wir dürfen nicht vergessen, daß zur weiten Verbreitung nicht allein das Vermögen Schranken zu überschreiten, sondern auch noch das bei weitem wichtigere Vermögen gehört, in fernen Landen den Kampf um’s Dasein mit den neuen Genossen siegreich zu bestehen. Aber nach der Annahme, daß alle Arten einer Gattung, wenn gleich jetzt über die entferntesten Theile der Erde zerstreut, von einem einzelnen Urerzeuger abstammen, müßten wir finden und finden es auch, wie ich glaube, als allgemeine Regel, daß wenigstens einige Arten eine sehr weite Verbreitung besitzen.

Wir dürfen nicht vergessen, daß viele Gattungen aus allen Classen außerordentlich alten Ursprungs sind und daher in solchen Fällen genügende Zeit war sowohl zur Verbreitung als zur späteren Modification. Ebenso haben wir nach geologischen Zeugnissen Grund zur Annahme, daß in jeder Hauptclasse die tieferstehenden Organismen gewöhnlich langsamer als die höheren Formen abändern; daher die tieferen Formen mehr Aussicht gehabt haben, sich weit zu verbreiten und doch dieselben specifischen Merkmale zu behaupten. Diese Thatsache in Verbindung mit dem Umstande, daß die Samen und Eier der meisten tiefstehenden Formen ausserordentlich klein sind und sich zur weiten Fortführung besser eignen, erklärt wahrscheinlich ein Gesetz, welches schon längst bekannt und erst unlängst von Alph. DeCandolle in Bezug auf die Pflanzen vortrefflich erläutert worden ist: daß nämlich jede Gruppe von Organismen sich zu einer um so weiteren Verbreitung eigne, je tiefer sie steht.

Die soeben erörterten Beziehungen, daß nämlich niedrig stehende [488] Organismen sich weiter als die vollkommenen verbreiten, – daß einige Arten weit ausgebreiteter Gattungen selbst eine grosse Verbreitung besitzen – derartige Thatsachen, daß Alpen-, Süßwasser- und Marschbewohner mit denen der umgebenden Tief- und Trockenländer verwandt sind, – die auffallende Verwandtschaft zwischen den Bewohnern von Inseln und denen des nächsten Festlandes – die noch nähere Verwandtschaft der verschiedenen Arten, welche die einzelnen Inseln eines und desselben Archipels bewohnen, – alle diese Verhältnisse sind nach der gewöhnlichen Annahme einer unabhängigen Schöpfung der einzelnen Arten völlig unverständlich, dagegen zu erklären durch die Annahme stattgefundener Colonisation von der nächsten oder leichtesten Quelle aus mit nachfolgender Anpassung der Ansiedler an ihre neue Heimath.


Zusammenfassung dieses und des vorigen Capitels.

In diesen zwei Capiteln habe ich nachzuweisen gestrebt, daß, wenn wir unsere Unwissenheit über alle Folgen der climatischen und Niveauveränderungen der Länder, welche in der Jetztzeit gewiß vorgekommen sind, und noch anderer Veränderungen, die wahrscheinlich stattgefunden haben mögen, gebührend eingestehen und unsere tiefe Unkenntniß der mannichfaltigen merkwürdigen gelegentlichen Transportmittel anerkennen, und wenn wir erwägen (und dies ist eine bedeutungsvolle Betrachtung), wie oft eine oder die andere Art sich über ein zusammenhängendes weites Gebiet ausgebreitet haben mag, um später in den mittleren Theilen desselben zu erlöschen, so scheinen mir die Schwierigkeiten der Annahme, daß alle Individuen einer Species, wo sie auch immer vorkommen mögen, von gemeinsamen Eltern abstammen, nicht unüberwindlich zu sein; und so leiten uns verschiedene allgemeine Betrachtungen insbesondere über die Wichtigkeit natürlicher Schranken aller Art und die analoge Vertheilung von Untergattungen, Gattungen und Familien zu derselben Folgerung, welche viele Naturforscher mit dem Namen einzelner Schöpfungsmittelpunkte bezeichnet haben.

Was die verschiedenen Arten einer nämlichen Gattung betrifft, die nach meiner Theorie von einer Geburtsstätte ausgegangen sein müssen, so halte ich, wenn wir unsere Unwissenheit wie vorhin eingestehen und bedenken, daß manche Lebensformen nur sehr langsam abändern und mithin ungeheuer langer Zeiträume für ihre Wanderungen [489] bedurften, die Schwierigkeit durchaus nicht für unüberwindlich, obgleich sie in diesem Falle, sowie hinsichtlich der Individuen einer nämlichen Art oft ausserordentlich gross sind.

Um die Wirkung des Climawechsels auf die Vertheilung der Organismen durch Beispiele zu erläutern, habe ich die Wichtigkeit des Einflusses der letzten Eiszeit nachzuweisen gesucht, welche selbst die Äquatorialgegenden ergriff und welche in Folge des abwechselnden Eintritts der Kälte im Norden und Süden den Geschöpfen entgegengesetzter Hemisphären sich zu vermischen gestattete und einige derselben in allen Theilen der Erde auf Bergspitzen gestrandet zurückliess. Um zu zeigen, wie mannichfaltig die gelegentlichen Transportmittel sind, habe ich die Ausbreitungsweise der Süßwasserbewohner etwas ausführlicher erörtert.

Wenn sich die Schwierigkeiten der Annahme, daß im Verlaufe langer Zeiten die Einzelwesen einer Art eben so wie die verschiedenen zu einer und derselben Gattung gehörigen Arten von einer gemeinsamen Quelle ausgegangen sind, nicht als unübersteiglich erweisen, dann glaube ich, daß alle leitenden Erscheinungen der geographischen Verbreitung mittelst der Theorie der Wanderung und darauffolgenden Abänderung und Vermehrung der neuen Formen erklärbar sind. Man vermag alsdann die grosse Bedeutung der natürlichen Schranken – Wasser oder Land – in Bezug nicht bloß auf die Trennung, sondern dem Anscheine nach auf Bildung der verschiedenen botanischen wie zoologischen Provinzen zu erkennen. Man vermag dann die Concentration verwandter Species auf dieselben Gebiete zu begreifen und woher es komme, daß in verschiedenen geographischen Breiten, wie z. B. in Süd-America, die Bewohner der Ebenen und Berge, der Wälder, Marschen und Wüsten, in so geheimnißvoller Weise durch Verwandtschaft miteinander wie mit den erloschenen Wesen verkettet sind, welche ehedem denselben Welttheil bewohnt haben. Wenn wir erwägen, daß die gegenseitigen Beziehungen von Organismus zu Organismus von höchster Wichtigkeit sind, vermögen wir einzusehen, warum zwei Gebiete mit beinahe den gleichen physikalischen Bedingungen oft von sehr verschiedenen Lebensformen bewohnt sind. Denn je nach der Länge der seit der Ankunft der Colonisten in einer der beiden oder in beiden Gegenden verflossenen Zeit, – je nach der Natur des Verkehrs, welcher gewissen Formen gestattete und anderen wehrte, sich in grösserer oder geringerer Anzahl einzudrängen, [490] je nachdem diese Eindringlinge zufällig in mehr oder weniger unmittelbare Concurrenz miteinander und mit den Urbewohnern geriethen oder nicht, – und je nachdem dieselben mehr oder weniger rasch zu variiren fähig waren, müssen in zwei oder mehreren Gegenden, ganz unabhängig von ihren physikalischen Verhältnissen, unendlich vermannichfachte Lebensbedingungen entstanden sein, muß ein fast endloser Betrag von organischer Wirkung und Gegenwirkung sich entwickelt haben, – und müssen, wie es wirklich der Fall ist, einige Gruppen von Wesen in hohem und andere nur in geringerem Grade abgeändert, müssen einige sich zu großem Übergewicht entwickelt haben und andere nur in geringer Anzahl in den verschiedenen großen geographischen Provinzen der Erde vorhanden sein.

Nach diesen nämlichen Principien ist es, wie ich nachzuweisen versucht habe, auch zu begreifen, warum oceanische Inseln nur wenige, aber unter diesen verhältnismäßig viele endemische oder eigenthümliche Bewohner haben und warum daselbst in Übereinstimmung mit den Wanderungsmitteln die eine Gruppe von Wesen lauter eigenthümliche und die andere Gruppe, sogar in der nämlichen Classe, lauter Arten darbietet, welche mit denen eines benachbarten Welttheils dieselben sind. Es läßt sich einsehen, warum ganze Gruppen von Organismen, wie Batrachier und Landsäugethiere, auf den oceanischen Inseln fehlen, während die meisten vereinzelt liegenden Inseln ihre eigenthümlichen Arten von Luftsäugethieren oder Fledermäusen besitzen. Es läßt sich die Ursache einer gewissen Beziehung erkennen zwischen der Anwesenheit von Säugethieren von mehr oder weniger abgeänderter Beschaffenheit auf Inseln und der Tiefe der diese von einander und vom Festlande trennenden Meeresarme. Es ergibt sich deutlich, warum alle Bewohner einer Inselgruppe, wenn auch auf jedem der Eilande von anderer Art, doch innig miteinander und, in minderem Grade, mit denen des nächsten Festlandes oder des sonst wahrscheinlichen Stammlandes verwandt sind. Wir sehen deutlich ein, warum in zwei, wenn auch noch so weit von einander entfernten Ländergebieten, sobald sehr nahe verwandte oder stellvertretende Arten vorhanden sind, auch beinahe immer einige identische Species vorkommen.

Wie der verstorbene Edward Forbes oft behauptet hat: es besteht ein auffallender Parallelismus in den Gesetzen des Lebens durch Zeit und Raum. Die Gesetze, welche die Aufeinanderfolge der Formen in vergangenen Zeiten geleitet haben, sind fast die nämlichen [491] wie die, von denen in der Jetztzeit deren Verschiedenheiten in verschiedenen Ländergebieten abhängen. Wir erkennen dies aus vielen Thatsachen. Der Bestand jeder Art und Artengruppe ist der Zeit nach continuirlich; denn der scheinbaren Ausnahmen von dieser Regel sind so wenige, daß sie wohl am richtigsten daraus erklärt werden, daß wir deren in den mittleren Schichten vorkommende Reste, wo sie fehlen, aber darüber und darunter vorkommen, nur noch nicht entdeckt haben; – so ist es auch in Bezug auf den Raum sicherlich allgemeine Regel, daß das von einer einzelnen Art oder einer Artengruppe bewohnte Gebiet continuirlich ist, indem die allerdings nicht seltenen Ausnahmen sich, wie ich zu zeigen versucht habe, dadurch erklären, daß jene Arten in einer früheren Zeit unter abweichenden Verhältnissen oder mittelst gelegentlichen Transportes gewandert oder in den mittleren Gegenden ausgedehnter Gebiete erloschen sind. Arten und Artengruppen haben ein Maximum der Entwickelung in der Zeit wie im Raum. Artengruppen, welche in einem und demselben Zeitabschnitt oder in einem und demselben Raumbezirk zusammenleben, sind oft durch besondere auffallende, aber unbedeutende Merkmale, wie Sculptur oder Farbe, characterisirt. Wenn wir die lange Reihe verflossener Zeitabschnitte und die mehr oder weniger weit über die Erdoberfläche vertheilten zoologischen und botanischen Provinzen in’s Auge fassen, so finden wir hier wie dort, daß einige Species aus gewissen Classen nur wenig von einander differiren, während andere aus andern Classen oder auch nur andern Familien derselben Ordnung weit abweichen. In Zeit und Raum ändern die niedriger organisirten Glieder jeder Classe gewöhnlich minder als die höhern ab; doch kommen in beiden Fällen auffallende Ausnahmen von dieser Regel vor. Nach meiner Theorie sind diese verschiedenen Beziehungen durch Zeit und Raum ganz begreiflich; denn mögen wir die Lebensformen ansehen, welche in aufeinander folgenden Zeitaltern sich verändert, oder jene, welche nach ihren Wanderungen in andere Weltgegenden abgeändert haben, in beiden Fällen sind die Formen innerhalb jeder Classe durch das nämliche Band der gewöhnlichen Zeugung mit einander verkettet; und in beiden Fällen sind die Gesetze der Abänderung die nämlichen gewesen und sind Modificationen durch die nämliche Kraft der natürlichen Zuchtwahl gehäuft worden.

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