Enttäuschung (Wedekind)
[103] Enttäuschung
I.
Trübe Stunden schleichen sachte
Durch die stille Seele mir;
Glück, das ich zu haschen dachte,
Wie so ferne bin ich dir!
Über ein zerknicktes Blatt,
Leis’ bewimmernd, was ein Jeder
Einmal zu verschmerzen hat.
Wenn den alten Mut ich fände,
Ach, die wundgestraften Hände
Sind auf lange Zeit erschlafft.
II.
Einst lag ich ausgestreckt in wachem Traum,
Ermüdet von der Arbeit langer Nächte,
Was sich das junge Herz wohl wünschen möchte.
[104] Der Frage war die Antwort rasch bereit,
Nun durfte nichts mir die Erfüllung rauben,
Und eine unermeßne Seligkeit
Des Lebens Sommer ist derweil verblüht
Und Hoffnung sah um Hoffnung ich zerrinnen;
Aus meinem grellerleuchteten Gemüt
Schlich auch beschämt ein dunkler Wahn von hinnen.
Hier liegt er für des Lebens Rest begraben.
So wird der Mensch ein Krösus an Vernunft
Und, ach, wie bettelarm durch ihre Gaben!