Erin in New-York

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Autor: Friedrich Lexow
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Titel: Erin in New-York
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 318–319
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Polemik gegen Irländer und den Fenianismus
Blätter und Blüthen
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[318] Erin in New-York. (Originalcorrespondenz der Gartenlaube.) Die Leser der „Gartenlaube“ wissen jedenfalls, daß seit etlichen Monaten in Amerika eine irische Republik etablirt ist; daß diese nicht nur einen Präsidenten, sondern deren zwei hat; daß die grüne Fahne mit der goldenen Harfe triumphirend vom prachtvollen, splendid ausgerüsteten Executivgebäude am schönen Union Square, dem Marsfelde New-Yorks, flattert; daß besagte Republik ihren Congreß und ihre Beamten hat; daß sie Obligationen ausgiebt, denen es nicht an Abnehmern fehlt; daß sie Waffen und Munition sammelt; daß sie offen den festen Entschluß zu erkennen giebt, zu Lande und zu Wasser Krieg gegen England zu führen. Amerika sieht dem Allen ruhig zu, denn es kennt seine Pappenheimer. Was anderswo ganz unmöglich stattfinden könnte, gilt hier lediglich als von Presse und Publicum gut mitzunehmender Zwischenfall eines täglichen Treibens, dem es zu keiner Zeit an Großartigkeit fehlt. Dem europäischen Leser aber möchte eine kurze Skizzirung der Elemente, aus denen die irische Republik zusammengesetzt ist, nicht unlieb sein. Auch der europäische Continent hat seine Landplagen; aber wenigstens fehlt es ihm an Irländern, und dazu mag er sich gratuliren.

Die Irländer sind in jeder Beziehung anders, als gewöhnliche Menschen. Sie bringen das fertig, was Andern unmöglich ist, und sind zudem unfähig, was Andere können. Wer hinsichtlich dessen, was auf moralischem oder physischem Gebiet möglich oder unmöglich ist, Berechnungen anstellt, wird die Rechnung ohne den Wirth machen, wenn er mit Bezug auf Söhne und Töchter der grünen Insel gewöhnliche Naturgesetze als Norm annimmt.

Da, wo jetzt die Schiller-Statue über die reizenden Seen des Centralparks schaut, wo die Cascaden sprudeln, die kleinen Katarakte schäumen, wo sorgsam gehegte Blumen duften, der Luftballon des Professors Lowe mit der Brautgondel am Seil in die Höhe steigt, verliebte Pärchen durch den idyllischen Gang streifen und die Geldaristokratie in Tausenden glänzender Equipagen ihren Reichthum und ihre Eitelkeit zur Schau trägt, – war noch vor wenigen Jahren das Paradies der Irländer. Kein Fußbreit des Bodens, auf dem sie hausten, war ihr Eigenthum, aber wo es ihnen gefiel, da setzten sie sich fest und harrten dessen, der es wagen würde, sie zu vertreiben. Lange zögerte man damit, und als endlich die Zeit kam, war eine förmliche Armee von Gesetzesdienern erforderlich, um den nicht besonders passiven Widerstand der in ihren heiligsten Rechten Gekränkten zu brechen. Auch wichen sie nur Schritt für Schritt, und unmittelbar an der Grenze des Centralparks ragen noch jetzt ihre hölzernen Burgen empor. Hier eine Ordnung, Reinlichkeit, Aufsicht und Sicherheit, welche nicht leidet, daß das zarteste Hälmchen geknickt wird, und wenige Schritte davon ein Gebiet, welches die Polizei bei Tage nur mit äußerster Vorsicht und zur Nachtzeit nie betritt. Hier schwarze Fracks und goldene Uhren, Sammetmäntel und Diamanten, dort Lumpen, welche kaum die Blöße decken, und diese Contraste so nahe bei einander, daß der durch kleine Lumpenträger von der Schwelle der väterlichen Behausung geschleuderte Koth den Frack und Mantel erreicht.

Von dort zogen in den schrecklichen Julitagen des Jahres 1863 die Dämonen und Furien aus, um das Schicksalsrad der Militäraushebung zu zertrümmern, die Beamten zu zerreißen, Dutzende von Gebäuden in Flammen aufgehen zu lassen, Waffendepots zu plündern, Neger zu hängen, ein Waisenhaus für farbige Kinder einzuäschern und ein Schreckensregiment einzuführen, an welches New-York selbst heute nur noch mit Scham und Schauder zurückdenkt. Und dorthin wurde der Raub getragen, den Niemand den Räubern abzunehmen wagte, dort wurden heimlich von den Angehörigen die Leichen der im Straßenkampf Gefallenen eingescharrt, von denen man nur weiß, daß sich ihre Zahl auf Hunderte belief. Das ist eines von den Stadtvierteln der Irländer. Suchen wir aber den bevölkertsten Theil New-Yorks auf, so finden wir, daß die schmutzigsten, elendesten Quartiere ausschließlich von denen bewohnt werden, welche zur goldenen Harfe schwören, und blicken wir auf die Sümpfe von New Jersey, über deren Breiwege man nicht hinüber kann, ohne mehr mephitische Dünste einzuathmen, als mit der Gesundheit verträglich ist, so treffen wir dort die Pfahlbauten der Irländer, welche in der pestilenzialischen Atmosphäre wunderbar gedeihen. Die Zähigkeit dieser Menschen, sich’s gemüthlich zu machen, grenzt an’s Wunderbare. Auf einem wegen seines felsigen Charakters bis jetzt vacant gebliebenen Bergloch in einer sonst sehr anständigen Straße sah ich oft im Vorübergehen einen alten Eisenbahnwagen, der, von einer irländischen Familie käuflich erstanden, häuslich eingerichtet war und jetzt Eltern, Kinder und Kindeskinder beherbergte. Für keine häusliche Verrichtung fehlte es an Raum, und eines Tages sah ich sogar eine kleine rothe Fahne darüber flattern, zum Zeichen, daß eben Auction darin abgehalten werde.

Ich brauche mich wohl kaum gegen die Anschuldigung zu verwahren, als wollte ich alle Irländer unter eine Rubrik bringen; Thatsache aber ist es, daß so, wie ich’s hier angedeutet habe, nur die Irländer leben, und daß sie sich nur in dieser Richtung vorzugsweise kenntlich machen, während sie in respectabeln Kreisen nicht genug vertreten sind, um Aufmerksamkeit zu erregen. Auch abgesehen von der Wohnung, sind ihre Sitten ganz eigener Art. Bei der Procession am letzten St. Patrickstage sah ich zwei Söhne Erins, welche eine Meinungsdifferenz nach guter alter Weise durch die Kraft der Fäuste auszugleichen suchten. Sie waren, sich fest umklammernd, gestürzt und bearbeiteten einander mit Fäusten und Zähnen, worin weiter nichts Auffallendes lag. Das Sonderbare aber war, daß sie plötzlich, Beide blutend, aufstanden, einander freundschaftlich, mit dem verbindlichsten Lächeln die Hand schüttelten und sich zusammen wieder der Procession anschlossen. Während des Ringens hatte der beiderseitige Heldenmuth ihnen Respect eingeflößt; sie hatten einander in der Gosse als vollkommene Gentlemen kennen gelernt und waren jetzt die besten Freunde. Bemerkenswerth ist nebenbei die nur unter ihnen herrschende Gewohnheit des Nasenabbeißens.

Und dieses Element ist in New-York eine Macht. Es giebt bei den Wahlen den Ausschlag und will überall berücksichtigt sein. Am Patrickstage wurden durch Beschluß des Gemeinderaths die städtischen Bureaus geschlossen, und vom Stadthause herab, wie von privaten Gebäuden, wehten dieses Jahr ihm zu Ehren dieselben Fahnen, welche so oft die Siege der Republik verherrlichten. Dieser Anblick hat etwas Trauriges, Demüthigendes. Nie würde hier auf einen deutschen Ehrentag dieselbe Rücksicht genommen werden. Eine größere Rolle spielt in der Stadt der rohe Irländer als der gesittete Deutsche; mehr Respect hat man vor der brutalen Kraft als vor der Bildung; mächtiger ist die Furcht als die Achtung.

Das Motiv, welches die Irländer zu Allem bringen kann, ist der Negerhaß, welcher bei ihm keine Grenze kennt und einen wahrhaft fanatischen Charakter trägt. Wo die Einen dominiren, da dürfen die Andern sich nicht blicken lassen. Der Grund dieser eigenthümlichen Erscheinung liegt in dem Gefühl, daß der Irländer auf der niedrigsten Stufe der gesellschaftlichen Leiter stehen würde, wenn der Neger nicht noch tiefer stünde, und darum darf dieser sich nicht erheben. Es ist dem Sohne Erin’s ein Bedürfniß, etwas unter sich zu haben, und diesem Bedürfniß müssen die armen Schwarzen abhelfen. Allen Andern gegenüber fühlt er seine Unterordnung, und den Groll, welchen er darüber empfindet, lässt er am Afrikaner aus.

Und doch kann mit diesen Leuten, einzeln genommen, Niemand bekannt werden, ohne die dem Menschenfreund wohlthuende Ueberzeugung zu [319] gewinnen, daß in ihnen der Kern zu etwas Besserm verborgen liegt. Weiß man sie zu nehmen, so findet man sie gutmüthig und für Freundlichkeiten überaus empfänglich. Zu dem, was sie sind, haben die Verhältnisse sie gemacht, unter denen sie aufwuchsen; ihre sonderbaren Rechtsbegriffe sind das Product der fortwährenden Rechtsverletzungen, die an ihnen und den Ihrigen begangen wurden, und der systematischen Verwahrlosung. Aus dieser Generation ist allerdings wenig mehr zu machen; von der folgenden aber läßt sich schon etwas Besseres erwarten.

Eine höchst achtungswerthe Eigenschaft der Irländer ist ihre Arbeitslust. Die Faulheit ist unter ihnen nur sehr wenig vertreten, und zur Bettlerzunft liefert ihre Nationalität kein starkes Contingent. Für die materielle Entwicklung der Vereinigten Staaten sind sie deshalb auch von der größten Bedeutung, wenn sie gleich im Allgemeinen nur in den niedrigsten Arbeitsfächern zu verwenden sind. Es wäre doch merkwürdig, wenn der Segen der Arbeit sich an ihnen verleugnen sollte. Tritt bei der aufwachsenden Generation diesem Charakterzug der Unterricht und der veredelnde Einfluß eines freien, auf allgemeinen Wohlstand basirten gesellschaftlichen Lebens zur Seite, so wird Amerika sich seiner Bürger von irischer Abstammung nicht zu schämen haben. Nicht minder hoch aber stellt sie das Zusammenhalten unter einander und die aufrichtige, glühende Vaterlandsliebe, wie sie sich jetzt in der fenischen Bewegung offenbart.

Als hier die Nachricht von der Verkündung des Kriegsgesetzes auf der grünen Insel eintraf, da versammelten sich am Sonntag, trotz des strengen Verbots der Geistlichkeit, welche sonst so unbedingten Gehorsam findet, daß jeder echte Irländer sich ohne Murren auf seinen Volksfesten vom Priester prügeln läßt, über hunderttausend Söhne und Töchter jener Insel im großen Parke von John’s Wood. In feierlicher Procession zogen sie hinaus, Gestalten, welche selbst Bassermann sich in seinen schwärzesten Phantasieen nicht träumen ließ, aber dennoch Leute, die augenblicklich von den edelsten, achtungswerthesten Gefühlen beseelt waren. Es ist doch wohl keine Kleinigkeit, dem Vaterland zu Liebe selbst die ewige Verdammniß zu riskiren. Mit freudiger Bereitwilligkeit wurde dem Aufruf um Geldbeisteuern entsprochen, Prügeleien kamen diesmal gar nicht vor, was unter Irländern etwas sagen will, und jedenfalls befanden sich Zehntausende darunter, welche sich keinen Augenblick besonnen haben würden, sofort für das bedrängte Vaterland auf’s Schlachtfeld zu rücken. Der Fenianismus mag von Wahnsinn, seine Leiter mögen durchtriebene Schwindler sein; aber ist der Patriotismus eine Tugend, welche im Herzen des Menschen nicht vereinzelt steht, so liegt in dieser Bewegung die Bürgschaft dafür, daß das irische Element eines bessern Looses werth ist und einem edlern Dasein entgegengeht. Die Irländer werden von hier aus ihr Vaterland nicht befreien, aber zum ersten Mal nöthigen sie uns eine Achtung ab, welche nur durch den Schmerz über die Verkommenheit einer von Natur edlen Race getrübt wird.

New-York. Friedrich Lexow     .