Erinnerung und Phantasie

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Sophie Mereau
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Erinnerung und Phantasie
Untertitel:
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1796, S. 149 – 151
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1796
Verlag: Michaelis
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Neustrelitz
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[149]
Erinnerung und Phantasie.


Warum ergießt sich nur der Schwermuth Schauer
     Aus deiner Schaale mir, Erinnerung?
Warum bewölkt der Sehnsucht stille Trauer
     Der Seele Blick mit trüber Dämmerung?

5
Sie flattert ängstlich mit gelähmtem Flügel

     Um Blüthen der Vergangenheit, enteilt
Auf ewig, wie bei seinem Grabeshügel
     Ein armer unversöhnter Schatten weilt.

Und wie nach Edens seligen Gefilden

10
     Zu späte Reu mit nassem Blicke dringt,

Schaut sie zurück nach luftigen Gebilden,
     Die keine Hofnung je ihr wieder bringt.

[150]

Ist dieß dein Glück, o! du im Mondenglanze,
     Erinnerung? Dieß deine Seligkeit?

15
O! fleuch von mir mit deinem welken Kranze,

     Und überlaß mich der Vergessenheit.

Entführe du auf deinen muntern Schwingen
     O! Phantasie, mich diesem finstern Harm!
Schon fühl’ ich Kraft durch jeden Nerven dringen,

20
     Und fliehe leichter aus der Schwermuth Arm.


Du Göttliche, du schwelgst im Wesenkranze,
     Nicht ängstlich an die Gegenwart gebannt,
Entzückt umher, dir strahlt im Sonnenglanze
     Die Unermeßlichkeit, dein Vaterland.

25
Der armen Nothdurft kärglichem Gebiete

     Entschwingst du, Allumfassende, dich kühn,
Und stürzest dich, berauscht vom Sphärenliede,
     Ins Flammenmeer der Ideale hin.

[151]

Dich fesselt nicht das irrdsche Maaß der Zeiten,

30
     Des Raumes nicht; mit Himmlischen verwandt,

Genießest du im Reich der Möglichkeiten
     Ein Glück, das keine Wirklichkeit umspannt.

Vergebens hüllt ein unauflösbar Siegel
     Den Sterblichen die ferne Zukunft ein,

35
Zurück gestrahlt aus deinem Zauberspiegel,

     Geht sie hervor in schönen Dämmerschein.

Als Mitgenossinn theilest du die Schätze,
     Die tief im Schooß der fernen Nachwelt blühn,
Und lösest kühn der Endlichkeit Gesetze,

40
     Daß von Unsterblichkeit die Seelen glühn.


Beflügle mich, schon bricht aus schwarzer Hülle
     Der Hofnung lichtes Morgenroth hervor,
Die Welt ist schön, und schönre Lebensfülle
     Schäumt mir aus deinem Zauberkelch empor.

SOPHIE MEREAU.