Erinnerungen aus dem Kriege mit Frankreich (6)

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Autor: Moritz Busch
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Titel: Erinnerungen aus dem Kriege mit Frankreich. 6. Tischreden und Theegespräche in Ferrières. – Allerlei Besuch. – Fort nach Versailles.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 26–28
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Erinnerungen aus dem Kriege mit Frankreich.
Von Moritz Busch.
6. Tischreden und Theegespräche in Ferrières. – Allerlei Besuch. – Fort nach Versailles.
Nachdruck verboten.

Ich lasse im Folgenden wieder großenteils mein Tagebuch reden. Mittwoch d. 21. Sept. bei Tische mißbilligte der Minister, als von der Besteckung des alten Fritz vor den Linden mit schwarz-roth-gelben Fahnen die Rede war, daß man die Aufrührung des Streites über die Farben zugelassen. „Für mich ist die Sache abgemacht, seit die norddeutsche Fahne einmal angenommen ist,“ sagte er. „Sonst ist mir das Farbenspiel ganz einerlei. Meinethalben grün und gelb und Tanzvergnügen, oder auch die Fahne von Mecklenburg-Strelitz. Nur will der preußische Troupier nichts von schwarz-roth-gelb wissen“ – was ihm, wenn man sich an die Berliner Märztage und an das Erkennungszeichen der Gegner im Mainfeldzuge von Anno 1866 erinnert, von Billigdenkenden nicht übel genommen werden wird. Der Chef sprach hiernach davon, daß der Friede noch fern sei, und fügte hinzu: „Wenn sie nach Orleans gehen, so folgen wir ihnen nach, und wenn sie noch weiter gehen, auch bis an’s Meer.“ Er las darauf die eingelaufenen Telegramme vor, darunter die Liste der in Paris befindlichen Truppen. „Es sollen zusammen 180,000 Mann sein, es sind aber kaum 60,000 Mann wirkliche Soldaten dabei. Die Mobil- und Nationalgarden mit ihren Tabatieren sind nicht zu rechnen.“ Die Rede kam dann nach anderen ernsten Gegenständen auf das Essen, wobei man unter Anderem hörte, daß Humboldt, der ideale Mensch unserer Demokratie, „ein ungeheurer Esser“ gewesen, der bei Hofe „ganze Berge von Hummersalat und anderen schwerverdaulichen Delicatessen auf seinen Teller zusammengehäuft und dann in seinen Magen versenkt“ habe. Wir hatten zuletzt Hasenbraten, und der Chef äußerte dabei: „So ein französischer Hase ist doch eigentlich gar nichts gegen einen pommerschen, hat keinen Wildgeschmack. Wie anders unser Schmandhase, der sich von Haidekraut und Thymian seinen Wohlgeschmack holt!“ – ein Thema, welches er dann weiter variirte.

Nach halb elf Uhr Abends ließ er herunterfragen, ob noch Jemand beim Thee. Man meldete ihm: „Doctor Busch.“ Er kam, trank ein paar Tassen Thee und aß auch ausnahmsweise etwas kalte Küche. Später nahm er sich eine Flasche voll kalten Thee mit, den er als Nachttrunk zu lieben scheint, da ich ihn früher und später mehrmals des Morgens auf seinem Tische sah. Er blieb bis nach Mitternacht, und wir waren die erste Zeit allein. Er fragte, woher ich gebürtig. Ich erwiderte, aus Dresden. Welche Stadt mir besonders lieb wäre, wohl meine Geburtsstadt? Ich verneinte das und sagte, nächst Berlin wäre Leipzig die Stadt, in der mir am wohlsten wäre. Er erwiderte lächelnd: „So, das hätte ich nicht gedacht. Dresden ist doch eine schöne Stadt.“ Ich gab ihm Gründe an, weshalb es mir trotzdem nicht gefiele. Er schwieg dazu. Ich fragte, ob wegen des Kanonen- und Gewehrfeuers, welches man aus den Pariser Straßen her gehört haben wollte, telegraphirt werden solle. „Ja,“ sagte er, „thun Sie das!“ - „Ueber die Besprechung mit Favre aber wohl nicht?“ - „Doch,“ und dann fuhr er fort: „Haute Maison bei - wie heißt es doch gleich? - Montry erste, dann in Ferrières denselben Abend zweite, dann andern Mittag dritte Besprechung, aber sowohl wegen Waffenstillstand als wegen Frieden ohne jeden Erfolg. Auch von Seiten anderer französischer Parteien sind Unterhandlungen mit uns eingeleitet worden,“ worüber er dann einige Andeutungen gab.

Der Chef lobt den auf dem Tische stehenden Rothwein aus dem Schloßkeller, von dem er dann ein Glas trinkt, und schilt darauf wieder auf das ungebührliche Benehmen Rothschild’s: der alte Baron hätte mehr Lebensart besessen. Ich spreche von dem Fasanengewimmel im Park. Ob man da nicht eine Jagd anstellen werde? „Hm, es ist zwar verboten, im Parke zu schießen. Was will man aber machen, wenn ich hinausgehe und ein paar hole? Arretiren is nich; denn da haben sie Niemand, der den Frieden besorgt.“ Er kommt später auf Jagd überhaupt zu reden und sagt unter Anderem: „Wenn ich jetzt mit dem König in Letzlingen jage, so ist’s der alte Wald unsrer Familie. Burgstall ist uns vor dreihundert Jahren abgedrückt worden - rein der Jagd wegen. Es gab dort wohl noch einmal so viel Wald wie jetzt. Es war zu der Zeit nicht viel werth, mit Ausnahme der Jagd; heutzutage ist es Millionen werth.“ - „Rechtsverletzungen, Einsperrung bei salzigen Speisen ohne Getränk, als der Besitzer nicht wollte. Die Entschädigung war unbedeutend, nicht der vierte Theil des Werthes, und jetzt ist’s fast ganz zu Wasser geworden“ etc.

Ein anderer Gegenstand brachte ihn auf Schützengeschicklichkeit, und er erzählte, wie er als junger Mann ein so gutes Pistol gehabt, daß er damit Papierbogen auf hundert Schritt getroffen und den Enten auf dem Teiche die Köpfe abgeschossen habe. Wieder ein anderes, von ihm oft behandeltes Thema ließ ihn bemerken: "Wenn ich tüchtig arbeiten soll, so muß ich gut gefuttert werden. Ich kann keinen ordentlichen Frieden schließen, wenn man mir nicht ordentlich zu essen und zu trinken giebt - das gehört zu meinem Gewerbe."

Die Unterhaltung lenkt, ich weiß nicht mehr wie, auf die alten Sprachen ab. „Als ich Primaner war,“ sagte er, „da konnte ich recht gut lateinisch schreiben und sprechen; jetzt würde es mir schwer fallen, und das Griechische habe ich ganz vergessen. Ich begreife überhaupt nicht, wie man das so eifrig betreiben kann. Es ist wohl blos, weil die Gelehrten nicht viel mehr wissen und doch etwas wissen wollen.“ Ich erlaubte mir an die disciplina mentis zu erinnern und bemerkte, die zwanzig oder dreißig Bedeutungen der Partikel ἀν wären doch auch etwas sehr Schönes für den, der sie an den Fingern herzählen könne. Chef: Ja, aber das ist im Russischen, wenn man an die disciplina mentis beim Griechischen denkt, doch noch viel schöner. Man könnte statt des Griechischen gleich das Russische einführen, das hätte auch einen unmittelbaren praktischen Nutzen. Da giebt’s eine Menge Partikeln, die bei der Unvollkommenheit der Conjugation [27] aushelfen müssen, und die achtundzwanzig Declinationen, die man früher hatte, waren auch etwas für’s Gedächtniß. Jetzt giebt’s zwar nur noch drei, aber dafür um so mehr Ausnahmen. Und wie werden die Stämme dabei verwandelt – von manchem Worte bleibt kaum ein Buchstabe.“

Wir reden von der Behandlung der schleswig-holsteinischen Frage beim Bundestage. Graf Bismarck-Bohlen, der inzwischen dazugekommen ist, bemerkt, das müsse doch zum Einschlafen gewesen sein. „Ja,“ sagt der Chef, „in Frankfurt schliefen sie bei den Verhandlungen mit offenen Augen. Ueberhaupt eine schläfrige, fade Gesellschaft, die erst genießbar wurde, als ich als der Pfeffer dazu kam.“ Er erzählt dann eine anmuthige Anekdote von Rechberg, die sich später einmal mittheilen lassen wird.

Ich frage darauf nach der „berühmten Cigarrengeschichte“. – „Welche meinen Sie?“ – „Die, wo Excellenz, als Rechberg Ihnen etwas vorrauchte, sich auch eine Cigarre ansteckten.“ – „Graf Thun, wollten Sie sagen. Ja, das war einfach. Ich kam zu ihm, als er arbeitete und dazu rauchte. Er bat mich, einen Augenblick zu verziehen. Ich wartete eine Weile, als es mir aber zu lange wurde und er mir keine Cigarre anbot, nahm ich mir eine und ersuchte ihn um Feuer, das er mir mit etwas verwunderten Gesichte auch gab. – Aber es ist noch eine andere Geschichte der Art zu erzählen. Bei den Sitzungen der Militärcommission hatte, als Rochow Preußen beim Bundestage vertrat, Oesterreich allein geraucht. Rochow hätte es als leidenschaftlicher Raucher gewiß auch gern gethan, getraute sich’s aber nicht. Als ich nun hinkam, gelüstete mich’s ebenfalls nach einer Cigarre, und da ich nicht einsah, warum nicht, ließ ich mir von der Präsidialmacht Feuer geben, was von ihr und den anderen Herren mit großem Erstaunen bemerkt zu werden schien. Es war offenbar für sie ein Ereigniß. Für diesmal rauchten nun blos Oesterreich und Preußen. Aber die anderen Herren hielten das augenscheinlich für so wichtig, daß sie darüber nach Hause berichteten und um Verhaltungsbefehle baten. Die ließen auf sich warten. Die Sache erforderte reifliche Ueberlegung, und es dauerte wohl ein halbes Jahr, daß nur die beiden Großmächte rauchten. Endlich begann auch Schrenth, der baierische Gesandte, die Würde seiner Stellung durch Rauchen zu wahren. Der Sachse Nostitz hatte gewiß auch große Lust dazu, aber wohl noch keine Erlaubniß von seinem Minister. Als er indeß das nächste Mal sah, daß der Hannoveraner Bothmer sich eine genehmigte, muß er, der eifrig österreichisch war – er hatte dort Söhne in der Armee – sich mit Rechberg verständigt haben; denn er zog jetzt ebenfalls vom Leder und dampfte. Nun waren nur noch der Württemberger und der Darmstädter übrig, und die rauchten überhaupt nicht. Aber die Ehre und Bedeutung ihrer Staaten erforderten es gebieterisch, und so langte richtig das folgende Mal der Württemberger eine Cigarre heraus – ich sehe sie noch; es war ein langes, dünnes, hellgelbes Ding – und rauchte sie als Brandopfer für das Vaterland wenigstens halb.“

Am nächsten Tage früh, bevor der Chef aufgestanden, Ausflug in den Park. In einem großen Gehege links ein starkes Rudel weidender Rehe. Weiter draußen eine prachtvolle Volière, in deren geräumigen Drahtkäfigen eine Menge ausländischer Vögel, darunter chinesische, japanesische, neuseeländische, seltene Tauben, Goldfasanen und dergleichen, auch eine Wachtelzucht. Zurückgekehrt, begegne ich Keudell im Corridor. „Krieg!“ ruft er. „Brief von Favre, der Alles ablehnt.“ Bei Tische, wo Tauffkirchen, der in Reims angestellt werden soll, und Oberpostdirector Stephan Gäste des Chefs sind, erzählt Letzterer, daß die Dörfer weiter nach Paris hin sammt den dortigen Schlössern und Villen alle verlassen und großenteils furchtbar verwüstet sind. In Montmorency, wo sich eine schöne Bibliothek und eine Münz- und Alterthumssammlung befunden, seien die Gold- und Silbermünzen gestohlen und nur die kupfernen zurückgeblieben, alles Uebrige zerfetzt, zerschlagen und herumgestreut. Der Chef sagt: „Das ist kein Wunder, wo die Regierung Leute, die sonst nur auf einen Tag weggelaufen und wiedergekommen wären, von den Mobilgarden und Chasseurs d’Afrique mit Säbelhieben hat fortjagen und zur Strafe für ihren Mangel an Patriotismus ihre Häuser hat verwüsten lassen. Unser Troupier stiehlt keine Münzen und zerreißt keine Bücher. Das haben die Mobilen gethan, die größtentheils Gesindel sind. Unser Troupier, der nimmt sich zu essen und zu trinken, wo man ihm nichts giebt, und das ist sein Recht, und wenn er beim Suchen darnach eine Thür oder einen Schrank zusammenschlägt, so ist auch nichts dagegen zu sagen. Wer heißt sie weglaufen?“

Am Sonnabend kam der Minister bei Tische unter Anderem auf die Prunksachen oben im großen Saale zu reden, die er sich erst jetzt angesehen hatte, und unter denen sich, wie man hört, auch ein Thron oder Tisch befindet, welcher einem französischen Marschall in China oder Cochinchina unversehens an den Fingern hängen geblieben und dann von ihm an unsern Baron verkauft worden ist – eine Merkwürdigkeit, die ich bei unserem Besuch des Zimmers unbilliger Weise nicht beachtet hatte. Das Urtheil des Chefs über diese Luxusentwickelung lautete ungefähr wie das vorhin abgegebene: Alles recht theuer, aber wenig schön und noch weniger behaglich. Er fuhr dann fort: „So ein ausgebautes fertiges Besitzthum, wie das hier, könnte mir keine Befriedigung gewähren. Es wäre von Andern gemacht, nicht von mir. Es ist zwar Vieles daran recht schön, aber es fehlt die Freude des Neuschaffens, des Umgestaltens. Auch ist es etwas ganz Anderes, wenn ich fragen muß: sollst du fünf- oder zehntausend Thaler auf diese oder jene Verbesserung verwenden? als wenn man nicht auf die Mittel zu sehen hat. Immer genug und mehr als genug haben, ist langweilig zuletzt.“ Wir aßen heute Fasanen (ungetrüffelt) und der Regisseur bethätigte in Betreff des Weins, daß die Besserung seines inneren Menschen guten Fortgang genommen. Ferner meldet der Oberproviantmeister des mobilen Auswärtigen Amtes, den dasselbe in Graf Bismarck-Bohlen verehrte, daß ein Berliner Wohlthäter dem Chef eine Liebesgabe von vier Flaschen Curaçao gewidmet, von dem dann eine Probe gereicht wurde. „Der Steinhäger aber wird alle,“ schloß der Graf seinen Bericht. Der Kanzler fragte: „Kennst Du (Name unverständlich)?“ – „Ja.“ – „Nun, dann telegraphire ihm doch: Alter Nordhäuser ganz unentbehrlich im Hauptquartier. Zwei Kruken sogleich.“

Am folgenden Tage nahm der Leibarzt des Königs, Dr. Lauer, am Diner theil. Man erfuhr dabei, daß das Lieblingsobst des Kanzlers die Kirschen sind, und daß er nächst ihnen „auf die blaue Bauernpflaume große Stücke hält“. Der Karpfen, welcher einen der Gänge bildete, bringt den Chef auf seine Stellung zur Welt der eßbaren Fische, über die er sich eingehend ausläßt. Unter den Flußfischen giebt er den Maränen, nicht mit den Muränen zu verwechseln, und den Forellen den Vorzug, von welchen letzteren er in den Gewässern bei Varzin sehr schöne hat. Sonst mag er die Seefische lieber, und unter diesen zieht er den Dorsch allen anderen vor. „Doch ist auch eine gutgeräucherte Flunder nicht übel, und selbst den ganz gemeinen Hering möchte ich, wenn er frisch ist, nicht verachtet wissen.“ Man geht zu dem Capitel Austern über, wobei der Minister sagt: „Ich habe mir um die Bewohner von Aachen in meinen jungen Jahren ein Verdienst erworben, wie Ceres durch Erfindung des Ackerbaues um die Menschheit. Nämlich dadurch, daß ich ihnen lehrte, Austern zu braten.“ Lauer erkundigt sich nach dem Recepte, welches ihm ausführlich mitgetheilt wird: wenn ich recht verstand, bestreut man die Thiere mit geriebener Semmel und Parmesankäse und bratet sie in ihrer Schale auf einem Kohlenfeuer. Alle Aeußerungen des Kanzlers waren und sind mir Evangelium und werden es bleiben. Hier bedauere ich, mit gebührender Bescheidenheit, aber fest, überzeugungstreu und gesinnungsvoll (man kann sich dazu Miene und Geberde des seligen Waldeck denken) einmal Protest erheben zu müssen. Hier ist nicht Ceres, sondern die Ferse Achill’s. Die Gründe findet man in meinem Büchlein: „Der gerechte und vollkommene Austernesser“ (Hannover, C. Rümpler), wie ich hoffe, überzeugend entwickelt. Frisch in ihrem Wasser und ohne Zuthat – das ist das einzig wahre Recept.

Abends mehrmals zum Chef hinaufgerufen, um Aufträge zu empfangen, erfahre ich unter Anderem, daß der Bericht Favre’s über seine Unterredungen mit dem Kanzler zwar das Bestreben wahrheitsgetreu zu sein bekundet, aber nicht ganz genau ist, was unter den obwaltenden Umständen und bei drei Besprechungen nicht Wunder nehmen kann. Namentlich tritt darin die Waffenstillstandsfrage zurück, während sie doch im Vordergrunde gestanden hat. Von Soissons ist nicht die Rede gewesen, sondern von Saargemünd. Favre war zu einer erheblichen Geldentschädigung bereit. Die Waffenstillstandsfrage bewegte sich [28] zwischen der Alternative: Erstens, Einräumung eines Theiles der Befestigung von Paris, und zwar eines die Stadt beherrschenden Punktes, an uns und dafür Freigebung des Verkehres der Pariser mit der Außenwelt; zweitens, Verzicht auf jene Einräumung, aber Uebergabe von Straßburg und Toul. Das Letztere beanspruchten wir, weil es in den Händen der Franzosen uns die Zufuhr unserer Bedürfnisse erschwert. Ueber Abtretung von Gebiet sprach sich der Bundeskanzler dahin aus, daß er sich über die Grenzen derselben erst erklären könne, wenn sie im Princip anerkannt sei. Der Waffenstillstand sollte zum Zweck der Befragung der Volksrepräsentation abgeschlossen werden.

Am nächsten Tage, wo der Fürst Radziwil und ein Herr von Knobelsdorff vom Generalstabe mit uns aßen, äußerte der Minister in dieser Beziehung außer einigen anderen Bemerkungen noch: „Als ich etwas von Straßburg und Metz fallen ließ, machte er ein Gesicht, als ob das Scherz von mir wäre. Ich hätte ihm da erzählen können, wie mir einmal – wie heißt er gleich? – der große Kürschner in Berlin sagte. Ich ging mit meiner Frau hin, um nach einem Pelze zu fragen, und da nannte er mir für den, der mir gefiel, einen hohen Preis. ‚Sie scherzen wohl?‘ versetzte ich. ‚Nein,‘ erwiderte er, ‚in de Geschäfte, da scherze ich nich.‘“ Man sprach dann noch von der Einnahme Roms durch die Italiener, die wir Tags vorher erfahren, und vom Papste, der im Vatican zurückgeblieben. Der Kanzler äußerte über Letzteren unter Anderem: „Ja, Souverän muß er bleiben. Nur fragt sich’s: wie? Man würde mehr für ihn thun können, wenn die Ultramontanen nicht überall so gegen uns aufträten. Ich bin gewohnt, in der Münze wieder zu zahlen, in der man mich bezahlt.“ Beim Essen fehlte Abeken; er hatte einen Schlaganfall gehabt und lag zu Bette. Nach Tische kam der amerikanische General Burnside mit noch einem alten Herrn, der ein rothes Wollenhemd und einen Papierkragen trug. Der General, ein ziemlich großer, wohlbeleibter Mann mit dicken, buschigen Augenbrauen und auffallend hübschen weißen Zähnen, konnte mit seinem abgezirkelten, kurzgehaltenen Wilhelmsbarte für einen ältlichen preußischen Major gelten. Der Chef setzte sich mit ihm auf das Sopha links vom Fenster im Eßzimmer und unterhielt sich lebhaft mit ihm bei einem Glase Kirschwasser, während Fürst Radziwil mit dem Andern sprach. Nachdem der Minister dem General bemerkt, daß er etwas spät zu unserer Campagne käme, und dieser das erklärt, setzte er ihm auseinander, daß wir nicht entfernt den Krieg gewollt und, als wir mit der Kriegserklärung überrascht worden, nicht an Eroberung gedacht hätten. Unsere Armee sei vortrefflich für Vertheidigungskriege, aber zur Ausführung von Eroberungsplänen nicht zu verwenden; denn das Heer sei das Volk, und das Volk sei nicht ruhmbegierig; es brauche und wolle den Frieden. Eben deshalb aber, um der Erhaltung des Friedens willen, müßten wir jetzt einem ehr- und eroberungssüchtigen Volke, den Franzosen, gegenüber auf Sicherheit für die Zukunft bedacht sein, und die fänden wir nur in einer Defensivstellung, die besser wäre, als die bisherige. Burnside schien das einzusehen und lobte höchlich unsere vortreffliche Organisation und die tapferen Thaten unserer Truppen. Abends erfuhren wir noch, daß Straßburg sich unserer Belagerungsarmee übergeben habe.

Als der König am Mittwoch, den 28., früh zu einer Truppenbesichtiguung in die Cantonnements bei Paris gefahren, gingen der Chef, Moltke und Podbielski ein paar Stunden auf die Fasanenjagd „in den Wäldern im Norden und Nordosten außerhalb des Parks“; denn in letzterem hatte Seine Majestät alles Schießen und Jagen untersagt. Während der Minister fort war, frühstückte ein ältlicher Franzose in grauem Rocke und grauem Butterglockenhut, mit schneeweißem Haare, stark gebogener Nase und grauem Schnurr- und Kinnbarte mit uns. Es war, wie man später erfuhr, der nach dem Kriege von den Zeitungen viel besprochene Reynier, der in dieser Zeit – wie es schien, halb und halb auf eigene Hand – zwischen der Kaiserin Eugenie und Bazaine den Vermittler spielte. Bei Tische, wo der Adjutant des Königs, Graf Lehndorff, der Landrath Graf Fürstenstein in der Uniform eines hellblauen Dragoners mit gelbem Kragen und ein Herr von Katt mit uns speisten, von welchen die beiden Letzteren Präfecten in eroberten französischen Gebieten werden sollten, erzählte uns der Chef, daß er diesmal in Folge von zu schwachen Patronen auf der Jagd kein Glück gehabt, da er nur einen Fasan erlegt und drei oder vier zwar angeschossen, aber dann nicht gefunden habe. Früher sei es ihm hier besser ergangen, wenigstens mit den Fasanen. Mit anderem Wilde wäre das allerdings nicht der Fall gewesen, dagegen habe er bei Dietze in der Magdeburger Gegend einmal an fünf bis sechs Stunden hundertundsechszig Hasen geschossen.

Nach den Essen war der Großherzog von Weimar oben bei dem Bundeskanzler, dann Reynier und zuletzt Burnside nebst seinem Begleiter vom gestrigen Tage.

Ich überspringe wieder eine Woche und das, was ich von ihr aufzuzeichnen hatte, und komme zu unserer Abfahrt von Ferrières.

Wir verließen, nachdem am Tage vorher Lothar Bucher und der Chiffreur Wiehr als Verstärkung eingetroffen waren, das Schloß am 5. October früh nach sieben Uhr und fuhren, meist auf Dorfwegen, die aber vortrefflich waren, durch einen großen Wald, dann durch verschiedene, fast völlig von ihren Bewohnern verlassene Dörfer, auf die Seine im Südosten von Paris zu. Das wohl angebaute reiche Land war voll von Villen und Schlössern. In den Ortschaften war erst württembergische, dann preußische Einquartierung. Um acht Uhr waren wir, nachdem ein schrecklich steiler Weg passirt war, den man durch einen Weinberg geführt hatte, und auf welchem nur sehr geschicktes Laviren unsere Wagen vor dem Umschlagen bewahrte, in dem anmuthigen Städtchen Villeneuve St. George, in dessen Villen eine gräuelvolle Verwüstung herrschte. In mehreren derselben waren die Spiegel zerschlagen, die Polstermöbel zerbrochen und aufgeschlitzt, Wäsche und Papiere umhergestreut etc. Von hier ging es über einen Canal oder Nebenfluß hinaus auf’s Feld und dann auf einer Pontonbrücke über die klare, grüne, an der Mitte ziemlich tiefe Seine, die hier etwa so breit wie die Elbe bei Pirna ist.

Jenseits des Flusses kamen wir zunächst nach dem hochgelegenen Villeneuve Le Roi, wo die Insassen unseres Wagens in einem Bauernhofe vor dem Düngerhaufen das mitgebrachte Frühstück verzehrten. Aus der Mauer des Hauses fließt ein klarer Brunnen, über welchem eine Tafel besagt, daß der Sieur X. und Frau an dem und dem Tage dieses Wasser fanden und es durch eine Pumpe dem Publicum zugänglich machten. Darunter steht ungefähr: „Die Wohlthäter werden vergessen; ihre Wohlthaten bleiben“. Ein Weißbart in der landesüblichen Blouse und der hohen grauen Zipfelmütze des französischen Bauern humpelte auf Holzschuhen heran, klopfte mich auf die Schulter und fragte, ob das nicht hübsch gesagt sei, und ich erfuhr dann von ihm, daß er selbst die männliche Hälfte des Wohlthäterpaares war, welches die Tafel der Nachwelt zu dankbarem Andenken empfiehlt. „Man muß sein Licht nicht unter den Scheffel stellen,“ sagte der Franzose – da setzte er sich selber ein Denkmal.

Weiterhin durch ein Dorf, bei dem Infanterie, in Bataillonen neben dem Wege gelagert, den König zu einer Besichtigung erwartet. Ein Stück davon auf dem Felde, neben einem Wäldchen vier Cavalleriedivisionen, grüne, braune, rothe Husaren, Ulanen und Kürassiere. Schon lange hoffte ich auf einen Blick nach Paris hin. Aber auf der Seite rechts, wo es liegen muß, versperrt ein ziemlich hoher bewaldeter Hügelzug, auf dem dann und wann ein Dorf oder ein weißes Städtchen sich abhebt, die Aussicht. Endlich kommt eine Senkung in dem Höhenkamm, ein Thälchen, über dem eine gelbliche Erhöhung mit scharfem Rand, vermuthlich ein Fort, und links davon erheben sich über einer Wasserleitung oder einen Viaduct in Rauchsäulen, die aus Fabrikschornsteinen aufsteigen, die bläulichen Umrisse eines großen Kuppelbaues. Das Pantheon! Hurrah! wir sind vor Paris. Es kann kaum mehr als anderthalb Meilen von hier bis dahin sein.

Noch eine Stunde auf der großen gepflasterten Kaiserstraße, noch zwei Dörfer, und wir fahren durch ein eisernes Gitterthor mit vergoldeten Spitzen in eine breite Straße hinein, dann quer über eine noch breitere Allee mit alten Bäumen, darauf durch eine engere Gasse mit dreistöckigen Häusern und wieder über eine große Allee, um in eine Seitenstraße einzubiegen, wo für uns Quartiere besorgt sind. Wir sind in Versailles und zwar auf der Rue de Provence, wo wir dann fünf volle Monate verbleiben.