Erinnerungen aus meinem Leben/Auf dem Metzer Bischofsstuhl

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< Auf dem Metzer Bischofsstuhl >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Erinnerungen aus meinem Leben
Seite: {{{SEITE}}}
von: Willibrord Benzler
Zusammenfassung:
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
[[Bild:{{{BILD}}}|250px]]
[[w:{{{WIKIPEDIA}}}|Artikel in der Wikipedia]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wikisource-Indexseite
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[91]
Auf dem Metzer Bischofsstuhl
(von 1901 an)

Es war im Sommer 1901, als ich ganz unerwartet von Kardinal Kopp zu einer Unterredung nach Hildesheim eingeladen wurde[1]. Ich konnte mir nicht denken, um was es sich da handeln mochte. Doch allmählich stiegen Vermutungen auf, die sich als begründet erweisen sollten. Kardinal Kopp teilte mir mit, daß der heilige Vater beabsichtige, mich zum Bischof von Metz zu ernennen, und daß der Kaiser diesem Vorschlag zugestimmt habe. Was mir Kardinal Kopp damals nicht sagte, das teilte er später, in einem Briefe vom 23. März 1905, dem Erzabte von Beuron mit, daß er nämlich »derzeit zur Beseitigung der wegen der Besetzung von Metz zwischen dem heiligen Stuhle und dem Kaiser eingetretenen Spannung den Abt Benzler in Vorschlag brachte«.

Ich konnte damals die ganze Schwere der Bürde, die mir in Aussicht gestellt wurde, nicht ermessen, doch ahnte ich wohl in etwa die Schwierigkeiten, die mir bevorstanden. Ich beschloß, die Sache gänzlich in die Hände des Heiligen Vaters zu legen. In einem Schreiben an den Kardinalstaatssekretär Rampolla machte ich offen meine Bedenken geltend und bat ihn, wenn er sie als begründet erkenne, meine Ernennung beim Heiligen Vater nicht zu befürworten. Erst nach Wochen erhielt ich die Antwort des Kardinalstaatssekretärs, der mich auf den Segen des Gehorsams hinwies. Am 2. September wurde meine Ernennung zum Bischof von Metz vollzogen.

Nun hieß es, der neuen Lage fest ins Auge schauen. Nachdem ich in München das Glaubensbekenntnis in die Hände des apostolischen Nuntius abgelegt hatte, reiste ich nach Potsdam, wo der Kaiser selber meine Eidesleistung im Neuen Palais entgegennehmen wollte[2]. Als der königliche Hofwagen mich vom Pfarrhause in Potsdam abholte und mit mir und meinem Begleiter durch die stillen Straßen der Stadt schwankte, konnte ich mich eines Gefühls [92] des Staunens nicht erwehren, daß mir, einem armen Mönche, eine solche Ehre zuteil werde; wie hätte ich so etwas jemals ahnen können!

Bei der Vereidigung, die im Muschelsaale stattfand, waren unter anderen zugegen Reichskanzler Fürst Bülow und von Straßburg die Herren Statthalter Fürst Hohenlohe, Staatssekretär von Köller, Unterstaatssekretär Dr. Petri. Nachdem ich dem Kaiser meinen Dank und meine Huldigung dargebracht hatte, legte ich den Eid ab, worauf der Kaiser eine sehr gnädige Ansprache an mich richtete. Aus der Unterhaltung bei Tisch sind mir zwei Worte des Kaisers in der Erinnerung geblieben, die recht charakteristisch sind. Als ich die Bemerkung machte, dem Bischofe stehe nur eine moralische Macht zu, er verfüge nicht über Kanonen, erwiderte der Kaiser lebhaft: »Wie könnte ich meine Macht mit der Ihrigen vergleichen!« Im weiteren Verlauf der Unterhaltung äußerte er: »Es steht fest, daß unter allen Institutionen die am besten organisierten sind die katholische Kirche und die preußische Armee.«

Nun schlug bald die Abschiedsstunde[3] vom lieben Kloster. Es war gut, daß Gott mich die ganze Größe des Opfers nicht fühlen ließ und mir den Mut gab, unverzagt einer unbekannten Zukunft entgegenzugehen.

In der Frühe des 26. Oktober verließ ich Maria-Laach; P. Prior Maurus Plattner gab mir das Geleite. In Trier verweilten wir ein paar Stunden im gastlichen Hause des Herrn Bischofs Dr. Korum, der für Maria-Laach und seinen Abt stets väterliche Güte gezeigt hatte. In Sierck, der ersten lothringischen Station, begrüßten mich die Herrn Kapitularvikare, die Prälaten Karst und Weislinger, sowie eine Abordnung der Metzer Katholiken. Im geschmückten Sonderzug fuhren wir der alten Bischofsstadt zu. Auf dem Bahnhofe wurde ich vom Gemeinderate begrüßt, im bischöflichen Palais vom Domkapitel.

Die Konsekration[4] fand am Feste der heiligen Apostel Simon und Juda (28. Oktober) unter großer Teilnahme des Klerus und des Volkes im Dome statt. Konsekrator war Bischof Dr. Korum von [93] Trier, dem Bischof Fritzen von Straßburg und Weihbischof Schrod von Trier assistierten. Den Benediktinerorden vertraten bei der Feier Abt-Primas Hildebrand de Hemptinne, Erzabt Plazidus von Beuron und Abt Eduard du Coëtlosquet von St. Maur zu Glanfeuil aus der französischen Kongregation.

Nach der liturgischen Inthronisation wurde ich, wie dies in Metz Sitte ist, zum Stuhle des heiligen Klemens, des ersten Metzer Bischofs geführt, um auch von ihm Besitz zu ergreifen. Derselbe ist ein einfacher Thronsitz aus Granit und wird in der St. Livarius-Kapelle des Chorumgangs aufbewahrt.

Nach einer Ansprache, die ich vom Chore aus in französischer und in deutscher Sprache an die Versammlung richtete, wurde ich in feierlicher Prozession unter dem Gesang des »Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat« (Christus siegt, Christus regiert, Christus herrscht) zur bischöflichen Wohnung zurückgeleitet. Das Festmahl mit den üblichen Trinksprüchen beschloß die Feier. Des anderen Tags hielt ich ein Pontifikal-Requiem für meinen hochseligen Amtsvorgänger, Bischof Ludwig Fleck, der genau zwei Jahre vor meiner Ankunft gestorben war (27. Oktober).

Freunde und Verwandte, die zur Konsekrationsfeier gekommen waren, verabschiedeten sich nach und nach und ließen mich allein in den mir völlig unbekannten neuen Verhältnissen. Nur ein Mitbruder, P. Hilarius Delaet aus der Abtei Mont César zu Löwen, blieb bei mir und leistete mir als Geheimsekretär acht Jahre hindurch die treuesten Dienste. Gott lohne es ihm!

Es galt nun vor allem, mich zu orientieren und in dem mir angewiesenen Wirkungskreise zurechtzufinden. Generalvikar Prälat Karst, der die Diözese gründlich kannte, bemühte sich redlich, mich mit Klerus und Volk bekannt zu machen.

Die Arbeit ließ nicht lange auf sich warten. Sie mehrte sich so und nahm mich mit den mannigfachen Amtssorgen jahrelang so sehr in Anspruch, daß für mich sozusagen sonst nichts mehr existierte. [94] Sommer oder Winter, gutes oder schlechtes Wetter gingen an mir fast unbemerkt vorüber; selbst die hohen Festzeiten des Jahres hatten viel von ihrer Einwirkung verloren.

Es waren harte Jahre. Aber Gott half und bewahrte mir den frohen Mut. Manches mußte ich lernen, in vieles mich schicken. Ich glaubte, mir im Kloster einen gewissen Grad der Geduld angeeignet zu haben; er reichte nicht aus und bedurfte einer kräftigen Steigerung. Der heilige Paulus hat recht, wenn er sagt, daß, »wer nach dem Bischofsamte verlangt, ein gutes Werk«, eine gute Arbeit, »verlangt« (1 Tim. 3, 1), und der heilige Augustinus hat aus eigener Erfahrung das Wort niedergeschrieben: «Episcopatus est nomen operis, non honoris« (Die Bischofswürde ist nicht ein Ehrentitel, sondern ein Arbeitsprogramm) De Civ. Dei XIX, 19. Es ist aber auch gut, daß für den Bischof die Ehre hinter der Arbeit und Mühe so sehr zurückbleibt, daß sie aufhört, eine Versuchung zu sein.

Ich fand mich an der Spitze einer Diözese, die zu den ehrwürdigsten der ganzen Christenheit gehört. Nach der Überlieferung, wie sie Paulus Diakonus in seiner Geschichte der Metzer Bischöfe (Gesta Episcoporum Metensium) wiedergibt, reichen ihre Anfänge in die apostolischen Zeiten hinauf. Der heilige Petrus selber soll den ersten Bischof, St. Klemens, nach Metz geschickt haben. Genau hundert Vorgänger hatte ich im bischöflichen Amte, so daß ich das zweite Hundert eröffnete. Aus dieser Zahl werden gegen vierzig als Heilige oder Selige verehrt, darunter einige von hervorragender Bedeutung, wie der heilige Arnulf (611–627), der heilige Chrodegang (742–766) u. a. Auch Söhne des heiligen Vaters Benedikt haben den Metzer Bischofsstuhl geziert, z. B. der heilige Agilram (768–791), der selige Benno von Einsiedeln (927–928). Die Metzer Kirche hat die seltene Ehre und Freude, alljährlich am 27. April das Fest aller ihrer heiligen Oberhirten zu feiern. Das Bistum Metz gehörte ursprünglich zur Metropole Trier, später wurde es der Kirchenprovinz Besançon zugeteilt. Nach dem Frankfurter Frieden ward es als exemptes Bistum unmittelbar dem heiligen Stuhle unterstellt.

[95] Meine beiden letzten Amtsvorgänger, die Bischöfe du Pont des Loges († 18. August 1886)[5] und Fleck († 27. Oktober 1899) waren heiligmäßige Männer, die eine sehr segensreiche Tätigkeit entfaltet haben. Sie hatten einen guten, der Kirche treu ergebenen Klerus herangezogen und das christliche Volk in seiner angestammten Treue zum katholischen Glauben erhalten und befestigt.

Die Feier der Ewigen Anbetung, die etwa alle fünf Jahre in jeder Pfarrei wiederkehrte und jedesmal drei Tage dauerte, auf die eine kürzere oder längere Mission die Gläubigen vorbereitete, hatte zur Belebung des religiösen Geistes sehr viel beigetragen. Der Verein der Glaubensverbreitung und der Kindheit-Jesu-Verein standen in schönster Blüte; die Diözese Metz spendete für deren Zwecke verhältnismäßig den höchsten Betrag.

Im Priesterseminar wirkten tüchtige, echt kirchlich gesinnte Professoren, die ihre Ausbildung in Rom vollendet hatten. Das Knabenseminar zu Montigny bei Metz war ein vollberechtigtes Gymnasium. Daneben bestand zu Bitsch ein zweites bischöfliches Gymnasium, das allerdings noch der staatlichen Berechtigung entbehrte.

Zahlreiche religiöse Frauengenossenschaften sorgten für die Erziehung der weiblichen Jugend, für die Pflege der Armen und Kranken. Zwei ausgezeichnete kontemplative Klöster, die der Heimsuchung und des Karmel, zogen durch ihr Gebets- und Opferleben Gottes Segen auf die Diözese herab. Die drei männlichen Ordensgenossenschaften, der Franziskaner in Metz, der Redemptoristen in Teterchen und der Oblaten in St. Ulrich machten sich durch eifriges Wirken in der Seelsorge und besonders durch die Abhaltung von Volksmissionen sehr verdient[6].

Die Aufnahme, die der neue Bischof bei Klerus und Volk fand, war eine sehr freundliche. Man sah im Bischofe den Gesandten des Heiligen Vaters, den Stellvertreter Gottes; deshalb kam man ihm mit [96] Ehrfurcht und Vertrauen entgegen. Obwohl ich der erste altdeutsche Bischof war, so habe ich doch deshalb auch bei der französisch redenden Bevölkerung nicht die geringste Schwierigkeit erfahren. Als ich im Frühjahre 1902 die erste Firmungsreise antrat, war der Empfang überall ein wahrhaft glänzender, obgleich man in Lothringen früher nicht gewohnt war, beim Besuche des Bischofs besonderen äußeren Pomp zu entfalten. Als Bekenntnis des Glaubens waren mir diese äußeren Kundgebungen willkommen. Angenehm überrascht war ich über die vielen schönen Kirchen, die ich vorfand, und über ihre würdige Ausschmückung. Die Firmfeier vollzog sich in wirklich erhebender Weise. Die Haltung der Kinder war fromm und erbaulich; die Ordnung ließ nichts zu wünschen übrig. Ich selber war oft von der Feier ergriffen und es war mir, als ob der göttliche Geist über der andächtigen Kinderschar schwebte und den Augenblick erwartete, sich den jungen Herzen mitzuteilen.

Im Laufe des Sommers konsekrierte ich eine ganze Reihe Kirchen, die der Diözese zur Zierde gereichen und zum Teil von hervorragender baulicher Schönheit sind.

Wie einstens den heiligen Paulus, so drängte es auch mich, »videre Petrum«, dem Statthalter Christi meine Huldigung darzubringen. Bei dem hohen Alter des ehrwürdigen Greises auf Petri Stuhl durfte ich die Reise nach Rom nicht lange aufschieben. Anfangs November (1902) machte ich mich mit meinem Begleiter, Direktor Wagner von der Domschule, auf den Weg. Wir kehrten in Maria-Einsiedeln ein, um die liebe Gottesmutter in ihrem trauten Heiligtum zu begrüßen.

Wir besuchten auch die neue, schöne Kirche in der Bennau, so genannt nach dem seligen Benno, der im zehnten Jahrhundert aus dieser weltabgeschiedenen Einsamkeit auf den Metzer Bischofsstuhl berufen wurde. Kaum zwei Jahre führte Benno den Bischofsstab. Da er bei einem Volksaufruhr des Augenlichtes beraubt wurde, resignierte er und kehrte in seine geliebte Einsamkeit zurück.

[97] Von Einsiedeln ging unsere Reise weiter nach Mailand. Dort waren wir Gäste des Kardinals-Erzbischofs Ferrari, eine Ehre, die mir einige Jahre später nochmals zuteil wurde. Es gereichte mir zu besonderer Freude, in demselben Hause verweilen zu dürfen, in dem einstens mein Patron, der heilige Karl Borromäus gelebt hatte. Sein Wappen, - nicht das fürstliche seiner Familie, sondern das selbstgewählte seiner Demut -, ein von einer Krone überragtes H (humilitas d.h. Demut), erblickt man noch jetzt an verschiedenen Stellen des ausgedehnten Gebäudes. Ich betete in der Kapelle, in der ein schändliches Attentat auf den Heiligen verübt wurde, das durch einen besonderen Schutz Gottes wirkungslos blieb. Wir stiegen auch zu der Kapelle empor, die der heilige Karl unter dem Dache eingerichtet hatte, um sich ganz ungestört dem Gebete hingeben zu können. Ich hatte auch die Freude, in der Krypta des Domes die heilige Messe zu lesen, wo der Leib des heiligen Karl in kostbarem Krystallschrein ruht. Der Heilige ist mit den Pontifikalgewändern bekleidet, auf dem Haupte trägt er die Mitra, im Arme den Hirtenstab. Mit tiefer Ergriffenheit betrachtet man die sterblichen Überreste dieses außergewöhnlichen Mannes, der in seinem verhältnismäßig kurzen Leben so Großes für die Kirche Gottes geleistet hat.

Über Pavia und die weltberühmte Certosa führte uns die Reise nach Rom, wo wir am 8. November ankamen und in St. Anselm liebevolle Aufnahme fanden.

Anderen Tags suchten wir den heiligen Petrus auf in seiner Grabkirche, dem größten Gotteshause der Welt. Dort ruht der arme Fischer vom See Genesareth unter der majestätischen Kuppel Michelangelos. Hier ist der Grundstein, auf dem die Kirche ruht, heute noch ebenso sicher und fest, wie vor neunzehnhundert Jahren. Hier ist der Mittelpunkt der katholischen Einheit, von hier ergießt sich der Segen des höchsten Pontifikates über die ganze Erde. Hier haben die Glaubensboten ihre Sendung erhalten, von hier sind sie ausgezogen, die Völker für Christus zu erobern. Hier knieten der heilige Willibrord, der heilige Bonifatius, der heilige Adalbert und so viele andere, [98] bevor sie ihre Mission antraten. Hier kniet noch jetzt der Missionär der nach den fernen Gestaden Chinas oder Japans oder nach den entlegenen Inseln der Südsee zieht. Hierhin sind aber auch von altersher die Gläubigen und besonders die Bischöfe gepilgert, um ihren Glauben zu bekennen und sich in ihm stärken zu lassen. Wie viele Heilige haben hier gebetet, wie viele fromme Christen Gott gedankt für die Gnade, Kinder der katholischen Kirche zu sein. Mit welcher Innigkeit, Dankbarkeit und Freude betet man hier das »Credo in unam, sanctam, catholicam et apostolicam Ecclesiam« (Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche). Das Grab des Apostelfürsten ist umgeben von einem Kranze brennender Lampen. Diese zahlreichen Flammen schienen mir alle die Diözesen des Erdkreises zu sinnbilden, die, mit Petrus vereint, das Licht ihres Glaubens und ihrer Liebe leuchten lassen vor Gott und vor der Welt.

Petrus schläft hier, nicht weit von dem Orte, an dem er durch sein Martyrium den göttlichen Meister verherrlicht hatte. Aber droben, im anstoßenden Palaste des Vatikans, da wacht Petrus, da lebt er in der Person eines schwachen Greises, eines Greises, es ist wahr, aber eines solchen, auf den die ganze Welt mit Ehrfurcht schaut, dessen Stimme selbst von denen beachtet wird, die nicht zur Herde Christi gehören.

Bald, am 13. November, dem Feste Allerheiligen unseres Ordens, hatte ich das Glück, von Leo XIII. in Privataudienz empfangen zu werden. Mit väterlicher Huld nahm er mich auf und unterhielt sich längere Zeit aufs herablassendste mit mir. Ich schaute in sein schönes, lebensvolles Auge und hatte wiederholt Gelegenheit, seine Geistesfrische zu bewundern.

Er legte mir besonders die Erziehung des Klerus ans Herz. Im Geiste des Opfers müssen die Seminaristen zu jener sittlichen Freiheit erzogen werden, die sie als Priester instand setzen, den drohenden Gefahren Trotz zu bieten. Er sprach auch von den großen Bedürfnissen der Kirche, besonders der orientalischen, die anfange, den Wünschen des Papstes nachzukommen. »Ich arbeite von morgens bis abends,« bemerkte der zweiundneunzigjährige Greis. Fürwahr, [99] ein rührendes, zur Nachahmung anspornendes Wort! Als ich Leo XIII. bei der Abschiedsaudienz noch einmal sah, empfahl er mir, den Glauben, der in der Diözese Metz lebendig sei, zu erhalten und zu festigen. Der Heilige Vater schien sehr ermüdet. Ein halbes Jahr später ging er zur ewigen Ruhe ein († 20. Juli 1903).

Rom ist die Stadt der Heiligen. Wohl keine andere Stadt hat deren soviele aufzuweisen. Es war mir ein großer Trost, ihre Grabstätten wieder aufzusuchen und mich daselbst ihrer Fürbitte empfehlen zu können. Mein lebhaftes Interesse galt auch den zahlreichen Schöpfungen der antiken, altchristlichen und Renaissance-Kunst, auf die man dort Schritt für Schritt stößt.

Es zog mich auch mit Macht zu den Stätten, an denen sich mein heiliger Ordensvater Gott geweiht und geheiligt hat. Zunächst besuchten wir Subiaco. Hier hat sich der heilige Benedikt in der Einsamkeit der Felsenhöhle auf seinen erhabenen Beruf als Vater und Gesetzgeber der Mönche vorbereitet.

Auch nach Cassino wollten wir dem heiligen Vater folgen, um an seinem Grabe zu beten und uns von seinem Geiste zu erflehen. Halbwegs Neapel thront das Erzkloster, die Wiege unseres heiligen Ordens, hoch oben auf ragendem Berge, weit in die Lande schauend, eine heilige Gottesburg. Gewiß, diese Stätte gehört zu den ehrwürdigsten auf dem ganzen Erdenrunde.

Der Aufstieg war seit einigen Jahren bedeutend erleichtert. Während seit alters ein beschwerlicher Zickzackweg, der nur zu Fuß oder zu Esel zurückgelegt werden konnte, zur Höhe hinaufführte, kommt man jetzt auf breiter Straße bequem zu Wagen hinauf. Und welch herrliche Fahrt! Höher und höher windet sich die Straße, das Städtchen S. Germano oder Cassino, wie es jetzt heißt, mit seiner alten Burg unter sich lassend. Welch prächtige Ausblicke in die großartige, romantische Natur!

Im Kloster wurde uns ein herzlicher, brüderlicher Empfang zuteil. Bald suchte ich in der glänzenden Kirche die Stätte auf, an der ich am liebsten weilte, das Grab des heiligen Vaters Benedikt. Seine [100] Gebeine sind wahrscheinlich nicht mehr dort, sie wurden schon im siebenten Jahrhundert nach Frankreich in die Abtei St. Benedikt zu Fleury an der Loire übertragen; aber die Asche ist jedenfalls im ursprünglichen Grabe zurückgeblieben, und nirgends habe ich so lebhaft als hier die geistige Nähe des heiligen Ordensvaters empfunden. Es tut der Seele so wohl, dort im Gebete zu weilen, und der Sohn St. Benedikts fühlt sich da so recht daheim, beim Vater!

Mit großem Interesse besuchten wir das von den Beuroner Künstlern ausgeschmückte Turmheiligtum, das einst St. Benedikt und seinen Jüngern als Wohnstätte gedient haben soll. P. Desiderius Lenz hat da mit seinen Genossen ein wahrhaft großartiges Werk geschaffen und St. Benedikt und seinem Orden eine ergreifende künstlerische Darstellung gegeben. Wohl mögen Einzelheiten befremden und als weniger glücklich empfunden werden, aber dem Gesamteindruck können diese Mängel keinen Eintrag tun. Die Komposition ist großartig, die Ausführung so zart und tief empfunden, die Formengebung so klassisch schön, die Farbengebung so harmonisch, daß man dieser einzigartigen Schöpfung die Bewunderung nicht versagen kann.

Inzwischen ist auch die Krypta der Kirche mit dem Doppelgrab des heiligen Benedikt und der heiligen Scholastika, das sogenannte »Soccorpo«, unter Leitung des P. Desiderius aufs prächtigste mit Skulpturen und Mosaiken geschmückt worden. Aus Anlaß ihrer feierlichen Konsekration am 6. Mai 1913 erließ Pius X. ein apostolisches Schreiben, in dem er den künstlerischen Leistungen auf Monte Cassino hohes Lob spendet. »Nicht ohne große Freude«, so heißt es in diesem Schreiben, »haben wir die angenehme Nachricht erhalten, daß am kommenden 6. Mai in der Kirche des Erzklosters Cassino, der Kathedrale dieser Abtei, die herrliche Krypta dem öffentlichen Gottesdienste des christlichen Volkes eröffnet werden soll, die Krypta, in der die sterblichen Überreste des heiligen Benedikt und seiner leiblichen Schwester Scholastika die glorreiche Auferstehung erwarten. Da dieser durch das Gedächtnis jener Heiligen ausgezeichnete [101] Ort durch die Unbilden der Zeit und mehr noch der Menschen schmucklos dalag und mit der Pracht der Oberkirche nicht in Einklang stand, so hat der jüngst verstorbene Abt Bonifaz Krug, ermuntert durch den gelehrten Abt Aloysius Tosti, getragen von einem nicht gewöhnlichen Glauben und beseelt von benediktinischem Mute und Geiste, das große Werk der Wiederherstellung der Unterkirche in Angriff genommen. Dabei war es sein Wille, daß um die Ausschmückung des Grabes des Vaters seine Söhne sich mühen sollten, und übertrug darum die Arbeit der Kunstschule der Beuroner Mönche. Seinem Geiste schwebte sogar eine heilsame Erneuerung der christlichen Kunst vor unter Führung des Benediktinerordens. Wie die gregorianischen Sangesweisen, die am besten der Majestät der kirchlichen Liturgie entsprechen, in der Verborgenheit der Benediktinerklöster uns unversehrt erhalten wurden, so hoffte er, daß vom Erzkloster Cassino eine neue Auffassung der bildenden Künste ausgehen werde, welche die unter dem falschen Titel der Kunst zugelassenen Entweihungen von den Gotteshäusern fernhalten und zugleich in der Ausführung Vorbilder zeigen würde, wie die Malerei, die Bildhauerei und die übrigen bildenden Künste zugleich mit der Musik der heiligen Liturgie eine kräftige Hilfeleistung gewähren können. Das also war der Zweck dieses herrlichen Werkes christlicher Kunst. Die Ausführung ist nicht hinter der Erwartung zurückgeblieben. Denn die nunmehr vollendete, mit kostbarem Marmor-, Gold- und Edelsteinschmuck gezierte Unterkirche erweckt nicht nur die Bewunderung der Beschauer, erhält nicht nur das Lob und die Anerkennung der gebildeten, kunstverständigen Männer, sondern zeigt auch klar, daß die neue Auffassung von der echten Kunst der Würde des katholischen Kultus in hohem Maße entspricht«.

Ein schöneres Lob für die Kunstbestrebungen der Beuroner Mönche, insbesondere eine höhere Anerkennung für den Schöpfer und Leiter der Arbeiten, P. Desiderius Lenz, kann man sich kaum denken.

Als ich früh morgens das Fenster meines Zimmers öffnete und auf die Altane hinaustrat, von der man sonst eine entzückende Aussicht [102] genießt, glaubte ich ein gewaltiges, wogendes Meer zu erblicken. Es waren die dichten Nebelmassen, die die Ebene erfüllten, während die das Kloster tragende Bergeshöhe in lieblichem Sonnenschein erglänzte. Ich hatte da ein Bild vor mir, das die Bedeutung von Monte Cassino für die Menschheit trefflich veranschaulichte. Während, einem brausenden Meere gleich, die nordischen Völker Italien und die anderen Länder Europas durchfluteten, leuchtete auf der friedlichen Höhe von Monte Cassino die Sonne christlicher Bildung und Gesittung. In jenen aufgeregten Zeiten »bot«, wie das angeführte päpstliche Schreiben sagt, »dieses Kloster der Religion nicht minder als auch den schönen Künsten ein friedliches Asyl und eine sichere Zufluchtsstätte. Hier leuchtete inmitten der überall hereinbrechenden Finsternis die Fackel der alten Weisheit ..., hier wurde die ehrwürdige Heiligkeit des göttlichen Gesetzes nicht minder als des menschlichen bewahrt in einer so schlimmen und stürmischen Zeit... Was Italien, was das gebildete Europa den Mönchen von Cassino verdankt, lehrt uns die Geschichte, diese Lehrerin des Lebens und Verkünderin der Wahrheit«. Möge das ehrwürdige Erzkloster seiner großen Vergangenheit und seiner hohen Aufgabe in der Gegenwart stets in vollem Maße entsprechen.

In Rom gewährte mir der Besuch der altchristlichen Basiliken und Renaissancekirchen wieder großen Nutzen für Geist und Herz.

Der Monat November, den wir in Italien verlebten, ist dort einer der schönsten des Jahres. Die Luft ist mild und kräftigend, zumal in St. Anselm auf der Höhe des Aventin, so daß der vierzehntägige Aufenthalt daselbst mir zu einer stärkenden Kur wurde. In dem neu angelegten Garten leuchteten die Orangen aus dem dunklen Grün der jungen Bäumchen. Die ganze Natur war in ein üppiges Pfanzenkleid gehüllt. Besonders schön waren die Abende, wenn der Himmel bei Sonnenuntergang sich in die lebhaftesten und mannigfaltigsten Farben tauchte. Der klimatische Unterschied zwischen Italien und der nordischen Heimat machte sich uns fühlbar, als wir zum ersten Adventssonntag wieder in Metz eintrafen.

[103] Seit Jahren war unter der Leitung des Dombaumeisters Tornov an der Wiederherstellung des Metzer Domes gearbeitet worden. Dieses herrliche Denkmal gotischer Baukunst wurde im dreizehnten Jahrhundert begonnen und erst im sechzehnten vollendet, ist aber trotz dieser langen Bauzeit von einheitlicher, großartiger Wirkung. Es besteht merkwürdigerweise aus zwei Kirchen, aus der eigentlichen Domkirche und aus der gegen Westen vorgelegten ehemaligen Kollegiatkirche Ste Marie la Ronde. Beide Kirchen sind so glücklich miteinander verbunden, daß die architektonische Einheit in keiner Weise gestört wird. Die Kollegiatkirche ist noch jetzt deutlich erkennbar an ihren mächtigen Rundsäulen, während der Dom von Bündelpfeilern getragen wird. Den Chor von Ste Marie la Ronde bildet die jetzige sogenannte Karmelkapelle; ihr Hauptportal liegt dem Kammerplatze zu.

Der deutsche Kaiser wandte den Wiederherstellungsarbeiten sein lebhaftes Interesse zu und verfolgte sie mit großer Aufmerksamkeit. Dieselben waren soweit vorangeschritten, daß im Mai 1903 die Einweihung des neuen, vom Kaiser gestifteten Christus-Portals stattfinden konnte.

Kardinal Kopp nahm die Weihe vor in Gegenwart des Kaisers und der Kaiserin. Auch Erzbischof Fischer von Köln war zur Feier erschienen. Der Kaiser hatte mir die Mitwirkung des Domchores anbieten lassen; da es sich aber um eine liturgische Zeremonie handelte, so war es mir nicht möglich, das Anerbieten anzunehmen. Das Priesterseminar und die Kirchenchöre der Stadt übernahmen den gesanglichen Teil der Feier und entledigten sich ihrer Aufgabe so vorzüglich, daß Erzbischof Fischer mir nachher sagte: »Sie haben den Berliner Domchor nicht nötig«. Ich hielt bei dieser Gelegenheit die Ansprache.

Das neue Portal ist eine tüchtige bauliche Leistung und fügt sich harmonisch der Fassade ein. Allerdings, im Profil gesehen, bildet es mit der Stirnseite des Domes eine Linie, die nicht angenehm wirkt. Außerdem mußten ihm notwendig die Mängel des Renaissance-Portals [104] anhaften, das es ersetzt. Ursprünglich hatte der Dom an der Westseite überhaupt kein Portal; nur eine kleine Pforte gestattete dem Bischofe, hier in den Dom einzutreten. Dafür ging das große Fenster dort ebenso tief herunter, wie die beiden ähnlichen in den Transeptseiten. Diese drei gewaltigen Fenster, mit herrlichen Glasgemälden geschmückt, bildeten eine der Hauptschönheiten des Domes. Das Hauptportal befand sich – wo es noch jetzt steht – auf der Südwestecke des Domes. Wie ein alter Domherr mir sagte, läge dem Dome folgende künstlerische Idee zu Grunde: Der Baumeister denkt sich den heiligen Stephanus, dem die Kathedrale geweiht ist, auf dem hohen Chore unter dem Steinhagel der Juden zusammengebrochen. Der Himmel öffnet sich ihm, wie er selber sagte: »Ecce, video coelos apertos« (Ich sehe den Himmel offen) Apg.7, 56. Diesen Blick in die Herrlichkeit des Himmels habe der Künstler darstellen wollen in den imponierenden Pfeilerstellungen, den aufstrebenden Gewölben, den mächtigen, farbenprächtigen Fenstern. Ein großartiger Gedanke, den die Wirklichkeit nicht Lügen straft[7].

Das Jahr 1904 brachte den aufsehenerregenden »Fall Fameck«. Das französische Gesetz vom 12. Juni 1804 bestimmt (Art. 15), daß in den Gemeinden, wo es mehrere Konfessionen gibt (où l’on professe différents cultes), eine jede ihren besonderen Friedhof haben soll, und daß da, wo nur ein Friedhof vorhanden ist, derselbe in ebensoviel Teile geteilt werden soll, als Konfessionen vorhanden sind.

Die deutsche Regierung legte dieses Gesetz so aus, daß die Trennung der Kirchhöfe nur da zu gestatten sei, wo die betreffenden Konfessionen öffentlichen Gottesdienst halten; wo dies nicht der Fall ist, dürfe eine Trennung der Begräbnisstätten nicht vorgenommen werden, also mit anderen Worten, in den rein katholischen Gemeinden müssen die Protestanten »in der Reihe« begraben werden.

Meine Amtsvorgänger hatten diese Auslegung abgelehnt, weil sie im Widerspruch stehe mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes [105] (où l’on professe différents cultes d. h. wo man sich zu verschiedenen Kulten bekennt, wo es Angehörige verschiedener Kulte gibt) und mit den Bestimmungen des katholischen Kirchenrechts. Sie waren überdies mit den meisten Kanonisten der Meinung, daß, wenn ein Protestant auf dem geweihten katholischen Teile des Friedhofes beerdigt werde, das Kirchengesetz die weitere Vornahme kirchlicher Funktionen daselbst verbiete. Sie versäumten nicht, dieses Verbot bekannt zu machen, so oft der Fall eintrat. Auf diese Weise war es gelungen, die Konfessionalität der Friedhöfe aufrecht zu halten.

In zwei Fällen hatte ich besonderer Verhältnisse wegen von einem solchen Verbote Abstand genommen. Als aber auf dem Friedhofe zu Fameck bei Hayingen ein Protestant beerdigt wurde, mußte ich mich entscheiden. Ich folgte der Rechtsauffassung meiner Vorgänger und verbot die Vornahme der kirchlichen Funktionen auf jenem Friedhofe. Hätte ich anders gehandelt, so würde ich mich mit meinen Amtsvorgängern in Widerspruch gesetzt und mir den Vorwurf schwächlicher Nachgiebigkeit, der Preisgabe eines kirchlichen Rechtes, zugezogen haben[8].

Während die früheren Verbote dieser Art von der Öffentlichkeit gar nicht weiter beachtet worden waren, bemächtigte sich die kirchenfeindliche Presse alsbald des »Falles Fameck« und entrüstete sich in schärfsten Worten über die Intoleranz des Bischofs von Metz.

Wäre dieser Vorwurf begründet gewesen, so hätte er natürlich in erster Linie die katholische Kirche selber getroffen. Es ist ja richtig, daß deutsche Kanonisten die Ansicht vertraten, die Beerdigung eines Akatholiken auf einem geweihten katholischen Friedhofe bedinge nicht eo ipso das Verbot jedes kirchlichen Begräbnisses daselbst; allein das kirchenrechtliche Verbot des akatholischen Begräbnisses in geweihter Erde bleibt auch so bestehen. Ist nun ein solches Verbot, das natürlich der Beisetzung eines Akatholiken an einem durchaus würdigen, wenn auch von der katholischen Begräbnisstätte [106] getrennten Platze des Friedhofes durchaus nicht zuwider ist, wirklich intolerant, oder sind nicht vielmehr diejenigen intolerant zu nennen, die den Katholiken das Recht auf katholische Friedhöfe nehmen wollen? Es ist wirklich sonderbar, daß die Protestanten nicht einsehen, welches Armutszeugnis sie sich ausstellen, wenn sie verlangen, unter den Katholiken begraben zu werden, sich also gewissermaßen in die katholische Gemeinschaft eindrängen, zu der sie doch nicht gehören und nicht gehören wollen. Würde jemals ein überzeugungstreuer Katholik verlangen, auf einem konfessionellen, protestantischen Gottesacker mitten unter den Andersgläubigen begraben zu werden?

Die Regierung wußte natürlich ihre Rechtsauffassung den Katholiken aufzuzwingen. Wie unglücklich ihr Vorgehen vom deutsch-nationalen Standpunkte war, ist ganz klar. Daß die katholische Bevölkerung Lothringens durchaus konfessionelle (katholische) Friedhöfe wünscht, beweist die mit vielen tausend Unterschriften versehene Bittschrift, welche die Beibehaltung derselben verlangte. Auch im Landtage wurde über den Fall Fameck verhandelt. Der hauptsächliche Verteidiger des Regierungsstandpunktes, der sogenannte »Sieger von Fameck«, war Daniel Blumenthal, der spätere Landesverräter. Nachdem festgestellt war, daß, in Deutschland wenigstens, die Beerdigung eines Protestanten auf einem geweihten Friedhofe die Vornahme des katholischen kirchlichen Begräbnisses an und für sich nicht verbietet, hob ich um des Friedens willen dieses Verbot für Fameck wieder auf[9].

Aber, so muß man sich fragen, warum hielt die Regierung es für nötig, dem Gesetze ihre eigene Interpretation zu geben und so das [107] religiöse Empfinden der Katholiken aufs schwerste zu verletzen? Aus Staatsklugheit gewiß nicht; denn die Katholiken bilden in Elsaß-Lothringen sechsundsiebzig Prozent der Bevölkerung. Auch nicht, um den Protestanten, die auf katholischen Friedhöfen bestattet werden müssen, eine würdige Begräbnisstätte zu sichern, denn eine solche war ihnen katholischerseits überall gerne zugestanden. Der Grund ist ein anderer. Nach katholischer Auffassung ist der Friedhof ein heiliger Ort; er bildet mit dem Gotteshause gewissermaßen ein Ganzes und wird dort, wo er um die Kirche liegt, zugleich mit dieser geweiht. In einer solchen geweihten Kultstätte können natürlich nur diejenigen begraben werden, die sich im Leben zum katholischen Kulte bekannt haben. Anders ist die Auffassung der Protestanten. Ihnen ist der Friedhof ein rein bürgerlicher Ort, auf dem alle Bürger unterschiedslos ihr Begräbnis finden können. Es ist zweifellos, daß unsere Regierung dieser protestantischen Auffassung zum Siege verhelfen wollte.

Als ich im selben Jahre nach Rom kam und dem Heiligen Vater den »Fall Fameck« und die von mir eingenommene Haltung darlegte, erwiderte er lächelnd: »Bene fecisti« (Du hast gut gehandelt)!

In der Diözese Metz wird alljährlich eine Wallfahrt nach Lourdes veranstaltet. Im Jahre 1904 war es das fünfundzwanzigste Mal, daß die Metzer Pilger gemeinsam dorthin zogen. Zugleich wurde das fünfzigjährige Jubiläum der Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis Mariä begangen. Ich entschloß mich, aus diesen Anlässen an der Wallfahrt teilzunehmen.

Die Tage, die wir in Lourdes verbrachten, verliefen überaus schön und erbaulich. Nirgendwo habe ich so beten hören wie in Lourdes. Von der Morgenfrühe bis zum Abend verstummten Gebet und Gesang keinen Augenblick. Bald war es diese, bald eine andere Gruppe andächtiger Pilger, die ihre Bitten und frommen Lieder zu Maria emporsandte. Alles war überaus erbaulich, nirgendwo bemerkte man irgendwelche Ausschreitung oder Unordnung. Am [108] Feste Mariä Geburt war die herbeigeströmte Menge schier unübersehbar; sie erfüllte alles, störte aber niemand. Man sah es den Pilgern an, daß sie es ernst nahmen mit der Wallfahrt.

Der Bischof von Tarbes und Lourdes, Msgr. Schöpfer, ein Elsässer, nahm uns mit der größten Liebenswürdigkeit auf und erfreute unsere Pilger auch mit einer deutschen Ansprache.

Die letzte Station auf der Pilgerfahrt war Paray-le-Monial, die durch die Offenbarungen des göttlichen Herzens an die heilige Margareta Alacoque geheiligte Stätte. Der Gottesdienst für die Pilger fand in der schönen, im romanischen Übergangsstil des zwölften Jahrhunderts erbauten Basilika statt, die ehedem eine Abteikirche unseres Ordens gewesen war. Die Kapelle des Klosters der Heimsuchung birgt in prächtigem Schreine die Überreste der heiligen Margareta Maria. Von dem Leibe der Heiligen sind nur die Gebeine vorhanden, das Übrige ist in Staub zerfallen, mit Ausnahme des Gehirns, das, obwohl das zarteste Organ, dennoch erhalten geblieben ist; damit wollte der Herr gleichsam zu verstehen geben, daß die seiner Dienerin zu Teil gewordenen Offenbarungen keineswegs die Ausgeburt eines schwachen Gehirns seien, sondern von ihm, dem Allmächtigen, herrühren. Ich durfte in die Klausur eintreten und die verschiedenen Stätten verehren, die durch die Erscheinungen des göttlichen Heilandes geheiligt sind. Die Erinnerung an dieses traute Heiligtum, sowie an die Lourdespilgerfahrt überhaupt, bleibt mir teuer und unvergeßlich.

Auch zu Rom sollte das fünfzigte Jahresgedächtnis der Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis Mariä feierlich begangen und am 8. Dezember das Bild der allerseligsten Jungfrau in der Chorkapelle des Kapitels von St. Peter feierlich durch den Papst gekrönt werden. Ich entschloß mich um so lieber an dieser Feier teilzunehmen, als ich so Gelegenheit hatte, dem heiligen Vater Pius X. meine Huldigung darzubringen.

Auf der Reise in die ewige Stadt hielt ich mich in Bologna, Florenz und Assisi auf. In Rom angelangt, wurde ich gleich in den ersten [109] Tagen vom Heiligen Vater in Audienz empfangen. Ich sah Pius X. zum ersten Mal und erfuhr in den dreiviertel Stunden, die er mir schenkte, in reichem Maße Beweise seiner Herablassung und väterlichen Güte. Ein Gefühl der Befangenheit konnte da gar nicht aufkommen, man mußte sich alsbald daheim fühlen. Ich brachte dem Heiligen Vater die treue Ergebenheit des Klerus und der Gläubigen meiner Diözese zum Ausdruck, worauf er sogleich gütig erwiderte: »De qua (fidelitate) nunquam dubitavimus« (An dieser Treue haben wir niemals Zweifel gehabt). Im Verlaufe der Unterredung kam er auf die Fastenpredigten zu sprechen, die vor ihm gehalten worden waren und in denen der Prediger das Bild eines guten Hirten gezeichnet hatte. In kurzen, prägnanten Zügen stellte der Heilige Vater mir nun dieses Ideal vor Augen. Pius X. sprach das Latein mit großer Leichtigkeit. Die vorgelegten Fragen prüfte er genau und gab dann die Entscheidung, wie das praktische Leben sie erforderte. Als ich ihn zum Schlusse um ein Wort bat, das ich meinen Diözesanen von ihm überbringen könne, antwortete er unverzüglich: »State fortes in fide« (Stehet fest im Glauben).

Noch dreimal sah ich den großen, demütigen Pius X. während meines damaligen römischen Aufenthaltes. In St. Peter fand an einem Nachmittage ein größerer Empfang statt, bei dem der Papst die Segnung des mit Edelsteinen reich geschmückten Diadems vornahm, womit das Bild der Gottesmutter in der Chorkapelle des Kapitels der Basilika gekrönt werden sollte. Eine große Anzahl von Bischöfen und hervorragenden Laien war anwesend, an die der Papst eine italienische Ansprache richtete. Seine Stimme war kräftig und wohltuend, seine Geberden natürlich und voll Anmut, dabei die Aussprache so deutlich, daß ich trotz meiner geringen Kenntnis des Italienischen dem Gedankengange ganz wohl folgen konnte.

Am Feste der Unbefleckten Empfängnis sollte Pius X. selber das Pontifikalamt halten. Lange Wagenreihen brachten in der Frühe Kardinäle und Bischöfe, Diplomaten und sonstige Teilnehmer zur Peterskirche, die in ihren weiten Räumen bald mit Gläubigen [110] dicht gefüllt war. Zu zwei und zwei schritten etwa zweihundert Bischöfe, mit Chormantel und Mitra bekleidet, dem Papste voran, der mit der Tiara geschmückt auf der Sedia gestatoria unter dem sanften Schalle silberner Trompeten seinen Einzug hielt in die Basilika. Der feierliche Zug bewegte sich zunächst zur Chorkapelle, wo in einem Augenblicke tiefen Schweigens der Vorhang vor dem Bilde der Gottesmutter fiel. Der Papst beräucherte dasselbe und sang ein Gebet. Dann begab sich die Prozession zum Altare der Confessio, wo das päpstliche Hochamt mit dem ganzen Reichtum seiner Zeremonien gefeiert wurde, die den Gläubigen immer in tiefster Seele ergreifen.

Die Feier verlief in würdevoller Majestät. Fürwahr, Schauspiele von solcher Größe und Erhabenheit kann nur das ewige Rom bieten; alle Pracht eines weltlichen Hofes muß dagegen zurücktreten. Man sieht aber auch bei dergleichen Gelegenheiten, wo in Rom das Zentrum, das Herz ist. Alles strömt nach St. Peter und zum Vatikan, - der Quirinal liegt in glänzender Vereinsamung, um seinen »königlichen« Bewohner kümmert sich niemand.

Am 11. Dezember fand abermals eine große päpstliche Feier in St. Peter statt; mehreren Seligen, darunter dem bekannten Laienbruder Gerhard Majella aus der Kongregation des allerheiligsten Erlösers, wurden die Ehren der Altäre zuerkannt. Der Heiligsprechung ging ein öffentliches Konsistorium voraus, zu dem die in Rom anwesenden Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe geladen wurden. Ausführliche Berichte, die jedem Teilnehmer zugingen, setzten in den Stand, sich ein Urteil über die Kanonisationssache zu bilden. Zur festgesetzten Stunde erschien der Papst, mit Chormantel und Mitra angetan, im großen Konsistorium-Saale und nahm auf dem Throne Platz. Nach einer Ansprache des Heiligen Vaters an die Versammlung, gaben die Kardinäle und die Vertreter der hierarchischen Rangstufen ihr motiviertes, die übrigen Bischöfe ihr einfaches Placet über die vorzunehmende Kanonisation ab. Die Einstimmigkeit war vollkommen.

[111] In St. Anselm, wo ich wie immer brüderliche Aufnahme gefunden hatte, begegnete ich interessanten orientalischen Gästen, dem griechisch-melchitischen Patriarchen Kyrillos VIII. und seiner Begleitung. Seine »Glückseligkeit« führte den Titel eines Patriarchen von Antiochien, Alexandrien, Jerusalem und des ganzen Orients. Er war von zwei Bischöfen und mehreren Priestern begleitet, die mit ihm ein echt orientalisches Familienleben führten. Sie konzelebrierten mit dem Patriarchen die heilige Messe und verbrachten fast den ganzen Tag in seiner nächsten Nähe. Kyrillus VIII., ein ehrwürdiger Greis mit edlen Zügen, mit Adlernase und wallendem Barte, ist eine imponierende Erscheinung, die infolge der feierlichen Gewandung noch mehr hervortrat. Seine Unterhaltung bei Tisch in französischer Sprache bot manches Interessante; besonders aber erfreute seine treue, ungeheuchelte Hingabe an den apostolischen Stuhl.

Der Besuch der heiligen Stätten in der ewigen Roma war wie immer erhebend und erfrischend, so daß ich geistig und leiblich gestärkt wieder in die Heimat zurückkehrte.

Im Jahre 1905 wurde in Fulda das elfhundertfünfzigjährige[WS 1] Gedächtnis des Todes des heiligen Bonifatius gefeiert. Mit Freuden leistete ich der Einladung zur Teilnahme an dieser Feier Folge und erbaute mich an dem erhebenden Schauspiele katholischen Lebens. Aber welch ein Schrecken, als es plötzlich in der Nacht hieß: Der Dom brennt! Es war ein schauerlicher Anblick, wie die Flammen aus einem der beiden Türme lichterloh zum Himmel emporschlugen. Glücklicherweise konnte der Brand auf seinen Herd beschränkt werden. Der Turm brannte nieder, aber der Dom selber blieb unversehrt. Zur gewohnten Stunde konnte der Festgottesdienst abgehalten werden, bei dem Bischof Keppler von Rottenburg seine Predigt mit den Worten des Propheten einleitete: »Misericordiae Domini, quia non sumus consumpti« (Barmherzigkeit Gottes war es, daß wir nicht versehrt wurden) Klagel. 3, 22.

Mit dem Bonifatiusjubiläum war eine Bischofskonferenz verbunden, an der auch die reichsländischen Bischöfe teilnahmen. Von [112] da an wohnten der Herr Bischof von Straßburg und ich den jährlichen Bischofskonferenzen in Fulda regelmäßig bei.

Die Schlußfeier in der Krypta des Domes ist von ergreifender Wirkung. Nach dem Te Deum und dem sakramentalen Segen findet die Verehrung einer Reliquie vom Haupte des heiligen Bonifatius statt. Einzeln nahen sich die Bischöfe dem Altare und knien nieder. Der Offiziant legt jedem die heilige Reliquie aufs Haupt, spricht ein Segensgebet und reicht die Reliquie zum Kusse dar. Wie viele Bischöfe haben dort vor uns gekniet und in Ehrfurcht den Segen mit der Reliquie des Apostels der Deutschen empfangen! Hier haben die Bekennerbischöfe des Kulturkampfes sich Kraft geholt, und ihre Nachfolger desgleichen. Der hochselige Bischof Thiel von Ermeland war bis zu Tränen gerührt, wenn er an dieser Feier teilnahm.

Die Bischofskonferenzen sind eine Quelle reichsten Segens für das katholische Deutschland. Sie schaffen so recht eigentlich den deutschen Episkopat und verhindern eine Erscheinung, die man in Frankreich zur Zeit des Konkordats mit den Worten kennzeichnete: »Nous avons des évêques, mais nous n'avons pas d'épiscopat« (Wir haben Bischöfe, aber wir haben keinen Episkopat). Möge das Grab des heiligen Bonifatius sich immerdar als lebendiger Jungbrunnen bewähren, aus dem der dort sich versammelnde Episkopat alljährlich geistig neu gestärkt hervorgeht.

In demselben Jahre fand in Straßburg der Katholikentag statt. Die Tagung, an der sich auch Lothringen stark beteiligte, nahm einen glanzvollen Verlauf. Auch ich wollte derselben beiwohnen; mußte ich mir doch sagen, daß bei uns in Metz eine solche Veranstaltung in Anbetracht der Verhältnisse kaum jemals möglich sein werde. Ich hatte mich in dieser Meinung getäuscht; denn neun Jahre später wurde die Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in Metz abgehalten und zwar mit kaum geringerem Erfolge als in Straßburg.

Zunächst sollten wir eine andere Tagung in unseren Mauern sehen, eine noch bedeutendere und eindrucksvollere, als es ein deutscher Katholikentag sein kann, den Internationalen Eucharistischen [113] Kongreß[10]. Schon früher war das Ansuchen an mich gestellt worden, den Eucharistischen Kongreß bei uns aufzunehmen. Damals mußte ich ablehnen, weil die Verhältnisse es durchaus nicht gestatteten. Im Jahre 1906 wurde die Bitte erneuert. Um einen solchen Kongreß aus eigener Anschauung kennen zu lernen, besuchte ich den Eucharistischen Kongreß, der in diesem Jahre in Tournai stattfand. Derselbe verlief überaus schön, ja so schön, daß ich mit anderen glaubte, sagen zu müssen, wir würden in Metz nicht imstande sein, etwas Ähnliches zu leisten. Namentlich waren wir der Ansicht, auf die herrliche Schlußprozession durch die festlich geschmückten Straßen der Stadt, den Glanzpunkt der ganzen Feier, von vornherein verzichten zu müssen, da ja in der lothringischen Bischofsstadt die kirchlichen Prozessionen die Gotteshäuser nicht verlassen durften.

Nach Hause zurückgekehrt, hielt ich eingehende Beratungen ab, in denen viel guter Wille zu Tage trat, aber auch auf viele und ernste Schwierigkeiten hingewiesen wurde. Das Unternehmen schien unsere Kräfte zu übersteigen. Wenn ich es schließlich doch in Angriff nahm, so bestimmte mich dazu ganz besonders eine Mitteilung des Bischofs von Namur, daß diese Diözese infolge des Eucharistischen Kongresses einen jährlichen Zuwachs von nicht weniger als sechshunderttausend heiligen Kommunionen zu verzeichnen hatte. Eine ähnliche Wohltat durften wir für unsere Diözese erhoffen; ich konnte und wollte sie ihr nicht vorenthalten. Die verschiedenen Ausschüsse wurden gebildet, und Bischof Heylen von Namur, Vorsitzender des ständigen Komitees der Eucharistischen Kongresse, kam selber nach Metz, um uns mit Rat und Tat an die Hand zu gehen und die Arbeiten in Fluß zu bringen. In der St. Glossindenkapelle richtete er an die Mitglieder der Ausschüsse eine ermunternde Anrede in französischer und deutscher Sprache. Nun begann eine Periode rüstigen, freudigen Schaffens. Ich muß den beteiligten Herrn [114] und Damen das Zeugnis geben, daß sie mit größter Hingebung und mit weiser Umsicht an alles dachten und alles vorbereiteten.

Die Hauptidee, die dem Kongreß zu Grunde gelegt wurde, war das weltbewegende Dekret des Heiligen Vaters über die häufige und tägliche Kommunion. Selten hatte ich über die katholische Wahrheit eine so lebhafte Freude empfunden, als bei der ersten Lesung dieses Dekretes. Jetzt sollte es die Seele unseres Kongresses werden, um durch ihn in die Seele des gläubigen Volkes zu dringen.

Eine Hauptfrage bildete die Prozession, die den Kongreß schließen und krönen sollte. Wir hatten, wie schon gesagt, eigentlich von vornherein auf ihre Abhaltung verzichtet, weil ein altes französisches Gesetz sie verbot. Wir sagten uns aber schließlich doch, daß wir wenigstens um die Erlaubnis zur Prozession einkommen müßten, wäre es auch nur, um dem Einwande zu begegnen, wir hätten nicht darum nachgesucht. Wie ich kaum anders erwartet hatte, traf von Straßburg auf mein Gesuch ein ablehnender Bescheid ein. Ich legte diese ungünstige Antwort stillschweigend bei Seite. Eine glückliche Fügung wollte es, daß durch zwei einflußreiche Männer die Sache an den Reichskanzler gebracht wurde. Dieser erkannte, daß der gute internationale Ruf Deutschlands hier in Frage komme, und veranlaßte die Straßburger Regierung, der Prozession kein Hindernis in den Weg zu legen. Nicht ganz drei Wochen vor dem Kongresse[11] erhielt ich die Gewißheit, daß die Schlußprozession stattfinden könne. Die kurze Zeit genügte, um die nötigen Vorkehrungen zu treffen und alles aufs Beste zu ordnen.

Inzwischen hatte der Heilige Vater auf meine Bitte den Kardinal Vinzenz Vanutelli zu seinem Legaten ernannt, der auf dem Kongreß den Vorsitz führen sollte. Am 14. Juli richtete Pius X. ein Schreiben an seinen Legaten, in dem er dessen Ernennung bestätigte und herrliche Worte über die heilige Eucharistie als den Mittelpunkt des christlichen Lebens niederschrieb. Dieses päpstliche Schreiben sollte für den Erfolg des Kongresses von großer Bedeutung sein. [115] Bis dahin war die Allgemeinheit von der bevorstehenden großen Feier nicht sonderlich berührt worden, es schien das rechte Verständnis für sie zu fehlen trotz der eingehenden Aufklärung, die ich den Gläubigen bereits im Fasten-Hirtenbriefe gegeben hatte. Als ich aber das genannte päpstliche Schreiben meinen Diözesanen bekannt machte, da fuhr es wie ein elektrischer Funke in die Massen, und jetzt entstand eine religiöse Bewegung, wie Metz und Lothringen sie wohl noch nie gesehen hatten. In Metz besonders regten sich alle Hände, und als die Stunde des Kongresses kam, stand die alte Metis da wie eine Braut geschmückt für ihren Bräutigam.

Der Verlauf des Kongresses war überaus schön und erhebend. Er bot Glanzpunkte, die unvergeßlich bleiben. So die herrlichen gottesdienstlichen Feiern im Dome, besonders die ergreifenden Abendandachten mit den herrlichen eucharistischen Predigten. Wer z. B. die Predigt des Bischofs Keppler von Rottenburg über das Vater unser und die Eucharistie mit ihrem großartigen Schlußworte gehört hat, der wird sich zeitlebens daran erinnern.

Die Schlußprozession[12] gestaltete sich zu einer Kundgebung katholischen Glaubens und Lebens, wie sie Lothringen kaum jemals so schön und großartig erlebt hat. »So etwas sieht man nur einmal in seinem Leben, sagte ein schlichter Mann aus dem Volke.

Und die Früchte? Mit Dank gegen Gott muß ich bekennen, daß sie überaus gesegnet waren. Die eucharistische Bewegung fand bei uns eine kräftige Anregung; besonders wurde die häufige und tägliche Kommunion dem Verständnis des Volkes näher gebracht, so daß in der Folge die Zahl der jährlichen Kommunionen in der Diözese bedeutend zunahm.

Wir haben seitdem nicht aufgehört, diese eucharistische Bewegung zu unterhalten und zu fördern. Im Jahre 1910 feierten wir einen Eucharistischen Diözesankongreß[13], und dann wurden in verschiedenen [116] Dekanaten Kantonalkongresse veranstaltet, die dank dem Eifer des Klerus überall glänzend verliefen und reiche Früchte des Segens brachten. Der Krieg hat leider diese schönen Veranstaltungen unterbrochen. Sobald aber die Friedensglocken wieder läuten, sollen sie auch, so Gott will, die Gläubigen wieder zu den eucharistischen Festen rufen.

Der Kongreß von Metz hatte die weitere schöne Wirkung, daß er diese großen eucharistischen Veranstaltungen ins katholische Deutschland einführte und ihnen bei uns gleichsam das Bürgerrecht erwirkte; denn bis dahin waren sie vielfach als etwas ausschließlich Französisches angesehen und bewertet worden. Seine Eminenz Kardinal Fischer war von dem Verlaufe des Kongresses so sehr befriedigt, daß er den Kongreß für 1909 nach seiner Metropole Köln einlud.

Im Jahre 1908 fand der Internationale Eucharistische Kongreß in London statt. Da Erzbischof Bourne von Westminster die Metzer Tagung mit seiner Anwesenheit beehrt hatte, durfte ich der Londoner nicht fern bleiben. Für die Bischöfe war daselbst in sehr praktischer Weise Sorge getragen. Einem jeden stand für die Zeit des Kongresses ein Automobil zur Verfügung, eine Annehmlichkeit, die sich bei den weiten Entfernungen als notwendig erwies. Die Veranstaltungen in London machten der Weltstadt alle Ehre. Die Feiern in der neuen Westminster-Kathedrale waren erhebend; die Hauptversammlungen in der riesigen Albert-Hall übertrafen alles, was ich in dieser Art bisher gesehen hatte. Die Teilnahme von seiten des Episkopates war eine große; wohl an die neunzig Bischöfe waren anwesend, darunter die Kardinäle Gibbons (Baltimore), Ferrari (Mailand), Logue (Armagh), Mathieu (Rom), Mercier (Mecheln). Die Schlußprozession konnte als theophorische nicht gehalten werden aus Furcht vor Störungen seitens der protestantischen Bevölkerung; man beschränkte sich auf einen Umzug der Bischöfe und des Klerus. Die Polizei mußte zur Aufrechterhaltung der Ordnung manchmal recht kräftig eingreifen.

[117] In der Folge besuchte ich noch zweimal den Eucharistischen Kongreß, im Jahre 1909 in Köln und 1912 in Wien. In Köln war die Veranstaltung großartig; die Hauptversammlungen, die im Dome stattfanden, litten indessen unter der mangelhaften Akustik. Der Wiener Kongreß schien alles bisherige in den Schatten stellen zu wollen, wurde aber sehr beeinträchtigt durch die äußerst ungünstige Witterung. Beide Kongresse haben aber unzweifelhaft zur Hebung des religiösen Lebens sehr viel beigetragen, indem sie der Andacht zum allerheiligsten Sakramente des Altars neue, wertvolle Anregungen gaben.

Auf der Reise zum Wiener Kongreß besuchte ich die Abtei Seckau. Es war mir eine Freude, nach einundzwanzig Jahren die einstige Stätte meiner Wirksamkeit wiederzusehen. Am Feste Mariä Geburt, dem neunundzwanzigsten Jahrestage der Wiedereröffnung des Klosters, hielt ich in der Abteikirche das Pontifikalamt mit Predigt.

An der Hand der Eucharistischen Kongresse sind wir bis in das Jahr 1912 gekommen. Holen wir nach, was die vorhergehenden Jahre noch Bemerkenswertes bieten.

Im Jahre 1906 wurde in Straßburg der Professor der Theologie an der dortigen Universität, Dr. Alois Schäfer, zum Bischof für das Königreich Sachsen geweiht. Ich fungierte als Assistent bei der Konsekration, die Bischof Dr. Fritzen von Straßburg vollzog. Bischof Schäfer wirkte ausgezeichnet in seinem so schwierigen Sprengel, so daß König Friedrich August von Sachsen mir später sagte, einen besseren Bischof als Dr. Schäfer hätten sie noch nicht gehabt. Leider war dem seeleneifrigen Oberhirten eine nur kurze Regierung beschieden. Er starb bereits im Jahre 1914, am 6. September.

Nachdem Kardinal Kopp ein zweites Mal nach Metz gekommen war, als er nämlich im Auftrage des Heiligen Vaters Seiner Majestät dem Kaiser die Abzeichen des Ordens vom heiligen Grabe überreichte, machte ich ihm in Breslau einen Gegenbesuch. Der Herr Kardinal erwies sich als der liebenswürdigste Gastgeber, der uns den Aufenthalt [118] so angenehm als möglich zu machen suchte. Die Herren Domkapitulare erschienen zu Tisch in Gala d. h. mit den sogenannten Beffchen, dem jetzt so verpönten französischen Rabat.

Unter Führung des Herrn Kardinals selber machten wir einen Besuch in dem nicht weit von der böhmischen Grenze entfernten Orte Grüssau, um daselbst die herrliche ehemalige Zisterzienserkirche zu besichtigen. Kardinal Kopp wollte diese Kirche, einen gewaltigen Renaissancebau mit reizender, kunstvoller Ausschmückung, die ein vielbesuchter Wallfahrtsort ist, den Beuroner Benediktinern übergeben und war in dieser Sache beim Kaiser vorstellig geworden. Trotz des Wohlwollens Seiner Majestät konnte der Herr Kardinal die Erlaubnis der Regierung zu einer Benediktiner-Niederlassung in dem ganz katholischen Grüssau nicht erlangen. Die Protestanten der Kreisstadt Landeshut mochten kein Kloster dulden, das nur sieben Kilometer von ihrer Stadt entfernt gewesen wäre[14].

Eine Pilgerfahrt zum Grabe der heiligen Hedwig in Trebnitz beschloß unseren Aufenthalt in Schlesien.

Meine Beziehungen zu den deutschen, wie auch zu den französischen Nachbarbischöfen waren die denkbar besten. Besonders Bischof Dubois von Verdun, später Erzbischof von Bourges[15], erwies mir das freundlichste Entgegenkommen. Ich besuchte ihn in seiner Bischofsstadt und bewunderte seine wahrhaft fürstliche Residenz. Das bischöfliche Palais liegt auf dem höchsten Punkte der Stadt, beherrscht also ganz Verdun und bietet eine entzückende Fernsicht ins weite Land. Der Dom hat außer seinem herrlichen Geläute kaum etwas Bemerkenswertes. Von der berühmten ehemaligen Benediktinerabtei St. Vannes sahen wir die übrig gebliebenen Gebäulichkeiten, die damals wieder kirchlichen Zwecken dienten. Als ich später dem Nachfolger Msgr. Dubois', Bischof Chollet, einen Besuch abstattete, mußte ich ihn in einer bescheidenen Wohnung aufsuchen; das bischöfliche Palais war ihm geraubt worden.

[119] Auch den betagten Bischof Turinaz von Nancy traf ich nicht mehr in seinem Palais am Stanislausplatze, sondern gleichfalls in einer bescheidenen Privatwohnung. Msgr. Turinaz erwies mir die größte Freundlichkeit, zeigte mir selber die schönen Kirchen der Stadt und führte mich hinaus zu der etwa dreiviertel Stunden vor dem Tore gelegenen Karthause Bosserville, in der der Bischof das Knaben- und Priesterseminar untergebracht hatte, nachdem die Häuser dieser Anstalten von der Regierung weggenommen worden waren. Die größte Schwierigkeit, sagte mir Msgr. Turinaz, bestehe für die Kirche in Frankreich darin, daß sie und ihre Institute nicht als rechtsfähig anerkannt sind. Die Folge davon ist, daß das kirchliche Eigentum, Kirchen, Pfarrhäuser, Schulen usw., die errichtet werden, auf den Namen von Privatpersonen eingetragen werden müssen und darum der hohen Erbschaftssteuer unterworfen sind. Armes katholisches Frankreich, wann wird es ihm gelingen, das Joch der Freimaurerei und des Antiklerikalismus abzuschütteln!

Als Erzbischof Mercier von Mecheln im Jahre 1907 nach Rom reiste, um den Kardinalshut zu empfangen, unterbrach er in Metz seine Fahrt, um mich zu besuchen. Ich erwiderte später diesen Besuch in seiner Bischofsstadt, wo ich bei ihm die herzlichste Gastfreundschaft genoß. Zu Tisch hatte er eine erlesene Gesellschaft von Geistlichen und Laien geladen, darunter die belgischen Minister Renkin (Kolonien) und de Landshere (Justiz). Die geistige Bedeutung des Kardinals Mercier ist bekannt; um so angenehmer empfindet man seine große Bescheidenheit und Einfachheit. Sein Urteil über die damaligen etwas schwierigen Verhältnisse war sehr ruhig und zeugte von großer Weitherzigkeit. Für die deutschen Katholiken hegte er eine ausgesprochene Sympathie; die deutschen Priester waren für ihn das Ideal eines seeleneifrigen, den Zeitbedürfnissen Rechnung tragenden Klerus. Bei diesen Gesinnungen des Kardinals überraschte um so mehr seine Haltung im Weltkriege, obwohl diese in den Verhältnissen unschwer ihre Erklärung findet.

[120] Meine dritte Reise zu den Gräbern der Apostelfürsten machte ich im Jahre 1908 in Begleitung des Generalvikars Dr. Pelt. Auf der Hinreise machten wir dem Erzbischof von Lucca, Kardinal Lorenzelli, einen Besuch; ich hatte ihn kennen gelernt, als er Nuntius in München war. Wir kamen unangemeldet an; trotzdem empfing uns der Kardinal mit ungeheuchelter Herzlichkeit. Er war sichtlich erfreut über den Besuch aus dem Norden und wurde nicht müde, uns seine Erlebnisse aus früherer Zeit zu erzählen.

Wie jedesmal hatten wir auch auf dieser Reise ein offenes Auge für die erhabenen Kunstschöpfungen des Altertums und des Mittelalters. Man muß den Glauben jener Zeit bewundern, die so reiche Mittel in den Dienst einer großen, edlen Kunst stellte, um zur Ehre Gottes, zur Freude und Erbauung der Mitbürger so Herrliches zu schaffen. An dieser Erbauung und Freude durften auch wir teilnehmen; wie die vergangenen, so werden auch die kommenden Jahrhunderte an ihnen teil haben; die Werke des Glaubens sind unsterblich!

In Rom rüstete man sich zur Feier des fünfzigjährigen Priesterjubiläums des geliebten Heiligen Vaters Pius X. Zahlreiche Bischöfe und Gläubige waren von weit her gekommen; auch das katholische Lothringen hatte einen Pilgerzug gesandt. Trotzdem der Heilige Vater mehr als gewöhnlich in Anspruch genommen war, empfing er mich doch schon bald nach meiner Ankunft und gewährte mir eine Audienz, die wohl dreiviertel Stunden dauerte. Er war wiederum die Güte und Herablassung selbst. Die Bitten, die ich ihm vorzutragen hatte, prüfte er eingehend und gewährte sie, indem er selber unter die Schriftstücke die Entscheidung setzte. Ich hatte bei dieser Gelegenheit das Geschenk zu übergeben, das die Metzer Damen dem Heiligen Vater zu seinem Jubiläum darbringen wollten, einen prächtigen Chormantel. Der Heilige Vater nahm das Geschenk gütig an, zollte der schönen Arbeit alle Anerkennung und sagte zu, sich des Gewandes bei Spendung der heiligen Firmung bedienen zu wollen.

[121] Am Jubeltage feierte der Heilige Vater selber das Pontifikalamt in St. Peter. Wiederum war ich Zeuge des großartigen Schauspiels, das sich jedesmal erneuert, wenn der Statthalter Christi in der Basilika des Apostelfürsten eine gottesdienstliche Feier abhält. Wie immer bei solchen Anlässen ergoß sich eine wahre Völkerwanderung nach St. Peter, das trotz seiner riesigen Ausdehnung sich fast als zu klein erwies. Pius X. feierte seine Jubelmesse in dem vollen Glanze des obersten Hohenpriesters der Kirche Christi auf Erden. Welch ein Unterschied zwischen der Primiz in der Dorfkirche zu Riese und der Sekundiz unter der Kuppel von St. Peter. Gewiß, niemand hatte weniger an die Möglichkeit einer solchen göttlichen Fügung gedacht als der junge Neopresbyter Josef Sarto! Gott erhöht die Demütigen!

Der Heilige Vater hatte auch dem Metzer Pilgerzuge eine Audienz zugesagt. Aber größere Empfänge mußten zuerst erledigt werden, und dann erkrankte der Papst an starker Erkältung, so daß alle Audienzen abgesagt wurden. Als aber Pius X. hörte, daß die lothringischen Pilger ihre Abreise nicht verschieben konnten und doch so sehr wünschten, ihn zu sehen, konnte er nicht anders als ihrem Wunsche willfahren und ihnen trotz seines Unwohlseins eine Audienz gewähren. Zur bestimmten Stunde fanden wir uns im Vatikan ein. Die sonst so belebten Säle waren wie ausgestorben; eine fast unheimliche Stille umfing uns. Die Pilger wurden in den kleinen Thronsaal geführt und nahmen im Kreise Aufstellung. Bald erschien Pius X. wie ein gütiger Vater inmitten seiner Kinder. Ich stellte mit einigen Worten die Pilger vor, worauf er die Runde machte, um einem jeden die Hand zum Kusse zu reichen. Den Priestern gewährte er die besonderen Gnaden, um die sie ihn baten, und hatte freundliche Worte für sie. Mit einer kurzen herzlichen Ansprache und seinem Segen entließ er die Pilger, die überglücklich waren, eine solche Privataudienz gehabt zu haben. Ich ahnte nicht, daß ich Pius X. zum letzten Male getroffen hatte. Als ich fünf Jahre später wieder nach Rom kam, konnte ich den schwer erkrankten Heiligen Vater nicht mehr sehen.

[122] Auf dem Eucharistischen Kongreß zu London traf mich die Nachricht vom Hinscheiden des Erzabtes Plazidus († 13. September 1908). Ich reiste darum sofort von London nach Beuron, um an der Beisetzung teilzunehmen. Es war eine ergreifende Feier. Erzbischof Nörber von Freiburg zelebrierte das feierliche Requiem und nahm die Beisetzung vor; Abt Alban von Emaus hielt die eindrucksvolle Leichenrede.

Es war kein gewöhnlicher Mann, den man zu Grabe trug. Erzabt Plazidus war ein Mann des Glaubens, des Gebetes und strenger Abtötung. Begeisterte Hingabe an die heilige Kirche und an seinen Beruf zeichnete ihn aus. Keine Mühe war ihm zu groß, kein Weg zu weit, wenn es galt, die Interessen Gottes und des heiligen Ordens wahrzunehmen. Ruhe hat er sich nie gegönnt; buchstäblich fand auf ihn das Psalmwort Anwendung: »Der Eifer für dein Haus verzehrte mich« (Ps. 68, 10)! Dabei war er heiter und aufgeräumt im Umgang; seine frohe rheinische Natur verleugnete er nie. Großes hat er geleistet, und die Beuroner Kongregation verehrt ihn mit Recht als ihren zweiten Gründer. Mir war er als Oberer ein liebender Vater, und auch in meiner späteren Stellung bewahrte er mir seine treue Zuneigung. Sein Andenken bleibt mir teuer, lebendig in dankbarer Liebe[16]. Zu seinem Nachfolger wurde Abt Ildefons Schober von Seckau gewählt, ein treuer Schüler des Erzabtes Maurus, der die Kongregation weiter führte im Geiste ihrer Gründer.[17]

Im Jahre 1909 befiel mich eine ernste Krankheit, die zwar bald überwunden war, mich aber nötigte, die Firmungsreisen zu unterlassen. Statt meiner übernahm diese Msgr. Cénez, Apostolischer Vikar von Basutoland. Derselbe, ein gebürtiger Lothringer und Mitglied der Kongregation der Patres Oblaten von der Unbefleckten Empfängnis, war kurz vorher in der Kathedrale zu Metz von seinem Generalobern Erzbischof Dontenvill konsekriert worden. Auf den Firmungsreisen spendeten ihm die Gläubigen reiche Almosen für seine Mission.

[123] Einige Jahre später empfing ein zweiter lothringischer Missionsbischof im Dome zu Metz die bischöfliche Weihe, Msgr. Léonard von den Weißen Vätern. Konsekrator war der Generalobere dieser Genossenschaft, Bischof Livinhac. Sein Missionsgebiet ist das apostolische Vikariat von Unyanyembe im früheren Deutsch-Ost-Afrika.

Der Orden von der Heimsuchung Mariä feierte im Jahre 1910 das dreihundertjährige Gedächtnis seiner Gründung. Bei dieser Gelegenheit sollte in Annécy die feierliche Übertragung der Reliquien des heiligen Franz von Sales und der heiligen Franziska von Chantal in das neu erbaute Kloster stattfinden. Der Einladung zu dieser Feier leistete ich um so bereitwilliger Folge, als ich auf diese Weise den Schwestern von der Heimsuchung in Metz eine Freude bereiten und den lang gehegten Wunsch, die Stätten der Wirksamkeit des großen heiligen Bischofs von Genf zu besuchen, verwirklichen konnte.

Die Jubelfeier begann in der Kirche der Heimsuchung mit der feierlichen Vesper vor den Schreinen mit den Reliquien der beiden Heiligen; Bischof Rumeau von Angers hielt die Festpredigt. Des anderen Morgens sollte die Übertragung der heiligen Reliquien um acht Uhr beginnen; zwei volle Stunden mußten wir warten, bis die Bischöfe, die in großer Zahl erschienen waren, in die Prozession eintreten konnten. Die Volksmenge war schier unübersehbar. Langsam durchschritten wir die festlich geschmückten Straßen der Stadt; dann nahmen uns Wagen auf, die uns zum neuen Kloster emporführten. Hier war auf freiem Platze ein weites Zelt aufgeschlagen, wo vor den Reliquien der Heiligen Kardinal Maffi, Erzbischof von Pisa, das Pontifikalamt feierte. Eine großartige Szenerie tat sich vor uns auf, ein Gebirgspanorama von einzigartiger Pracht. Die hehre Feier vollzog sich in ihrer liturgischen Schönheit in Gegenwart der Bischöfe und einer unermeßlichen Schar von Gläubigen. Die Predigt, die der berühmte Kanzelredner Bischof Touchet von Orléans halten sollte, mußte der vorgerückten Stunde halber auf den Nachmittag verschoben werden.

[124] Des anderen Tages besuchten wir das Klösterchen, in dem die heilige Johanna Franziska mit ihren Gefährtinnen das Ordensleben vor dreihundert Jahren begonnen hatte; es befindet sich jetzt im Besitze der St. Josefsschwestern. Nichts ist ehrwürdiger, erbaulicher, als dieses bescheidene Haus. Wir betraten das Zimmer, das die heilige Ordensstifterin jahrelang bewohnt, den Garten, in dem der heilige Franz seine so einfachen und doch so geistvollen Unterweisungen gegeben, das Kapellchen, in dem die ersten Schwestern sich Gott geweiht hatten.

Während bisher die Bischöfe verpflichtet waren, alle vier Jahre die Wallfahrt zu den Apostelgräbern zu machen, verordnete Pius X., daß sie nur alle fünf Jahre dieser Pflicht zu genügen brauchten. Im Jahre 1913 war die bestimmte Frist für mich verflossen. Da Ostern sehr früh eintraf, so konnte ich die Romfahrt vor den Firmungsreisen unternehmen. Unser Weg führte über Padua und Venedig.

In Rom lauteten die Nachrichten über das Befinden des erkrankten Heiligen Vaters günstig, und der päpstliche Majordomus stellte uns eine Audienz in sichere Aussicht. Da trat plötzlich im Befinden des Papstes eine ernste Verschlimmerung ein, die alle Hoffnungen zunichte machte. Wir mußten das große Opfer bringen, und Rom verlassen, ohne den Heiligen Vater gesehen zu haben. Doch machten wir seinem Geheimsekretär, Monsignore Bressan, im Vatikan einen Besuch, um durch dessen Vermittlung dem geliebten Heiligen Vater unsere Huldigung und unsere Wünsche zukommen zu lassen. Ich werde den Eindruck nicht vergessen, den die Demut und außergewöhnliche Bescheidenheit Monsignore Bressans auf mich machten. Zur Freude aller erholte sich Pius X. von dieser schweren Krankheit; seine Gesundheit kräftigte sich wieder. Da kam der schreckliche Weltkrieg des Jahres 1914; er brach dem liebenden Vater das Herz († 20. August 1914).

In demselben Jahre (1913) feierte die Erzabtei Beuron das fünfzigjährige Jubiläum ihrer Gründung. Der Erzbischof von Freiburg, [125] der Bischof von Rottenburg, Fürst Wilhelm von Hohenzollern, die Äbte der Kongregation, der Klerus und das katholische Volk nahmen freudigen Anteil an dem Feste und bekundeten ihre Dankbarkeit für den Segen, der von dem stillen Wirken des Klosters ausgegangen war. Vor fünfzig Jahren war ein schwaches Reislein vom Ordensstamm des heiligen Vaters Benedikt im weltvergessenen Beuron gepflanzt worden. Es hat Wurzel gefaßt, ist gewachsen und zum segenspendenden Baume geworden, der weithin seine Äste breitet. Gott schütze Beuron auch weiterhin und erhalte ihm stets den Geist seiner ersten Väter!

Was mir vor einigen Jahren noch unmöglich erschienen war, sollte nun Wirklichkeit werden. Die Generalversammlung der Katholiken Deutschlands sollte im August des Jahres 1913 in Metz stattfinden. Das große Wagnis fand allgemeinen Anklang. Das Ortskomitee bildete sich und arbeitete vorzüglich. Fürst Alois zu Löwenstein, der Präsident des Straßburger Katholikentages, wurde auch in Metz zum Präsidenten erwählt. Er entledigte sich seiner Aufgabe mit vollendetem Takt, so daß er sich die Sympathien aller erwarb. Der Zug der Arbeiter, der sich in den schönen Moselanlagen vor den Bischöfen vorbeibewegte, war stattlich und eindrucksvoll. Alles verlief aufs schönste. Bischof Faulhaber von Speyer hielt eine geistreiche Rede über die Freiheit der Kirche, die großes Aufsehen erregte. Der berühmte Kanzelredner P. Bonaventura O.P. († 12. Mai 1914) rief mit feurigen Worten die Versammlung auf zum Kreuzzug gegen die Entchristlichung des öffentlichen Lebens; es sollte sein Schwanengesang sein. Auch in der französischen Sektion ging alles nach Wunsch. Die letzte allgemeine Sitzung in der großen Festhalle war glänzend und überaus erhebend. Die ganze Veranstaltung war eine herrliche Kundgebung katholischen Lebens und wäre berufen gewesen, auch im nationalen Sinne günstig zu wirken, wenn nicht der im folgenden Jahre ausbrechende Krieg alle diese und noch viele andere Hoffnungen mit rauher Hand zerstört hätte.

[126] Unmittelbar vor dem Beginn des Metzer Katholikentages (am 13. August 1913) starb in Beuron Abt-Primas Hildebrand de Hemptinne. Zu meinem Schmerze war es mir nicht möglich, an seinem Begräbnisse teilzunehmen. Mit ihm war ein großer Mann dahingegangen, für mich der beste Freund. Zwanzig Jahre hatte er mit unermüdlichem Eifer gearbeitet zum Wohle des Ordens und seiner Abtei Maredsous. Jedes Jahr kehrte er aus der ewigen Stadt, wo er als Primas in St. Anselm seinen Sitz hatte, zweimal nach Belgien zurück, um einige Zeit in seinem Kloster zu verbringen. Auf der Durchreise versäumte er kaum einmal, in Metz anzuhalten und mich zu besuchen. Das war für mich jedesmal eine große Freude, für den Primas aber sozusagen die einzige Erholung, die er sich gönnte.

Als er die doppelte Bürde eines Primas des ganzen Ordens und eines Abtes von Maredsous nicht mehr zu tragen vermochte, unterbreitete er die Sachlage dem Heiligen Vater Pius X. Dieser entschied, er solle auf die Abtei Maredsous verzichten und sich einzig seinen Obliegenheiten als Primas widmen. Primas Hildebrand gehorchte sofort, obwohl das Opfer seiner geliebten Abtei ihm fast das Herz brach. Als er dann nach Rom zurückkehrte und vom Papste empfangen wurde, war das erste Wort, das der Heilige Vater an ihn richtete, die Frage: »Mi ha perdonato« (haben Sie mir verziehen)? Der Primas war tief gerührt ob solcher Güte.

Im Jahre 1911 unternahm er mit dem Segen des Heiligen Vaters eine Reise nach Nordamerika, um die dortigen Benediktinerklöster zu besuchen. Hier strengte er sich über seine Kräfte an und hatte auch unter der Ungunst der Witterung zu leiden. Er erfreute alle durch seine gewinnende Güte und sein geistreiches Wort und stiftete ohne Zweifel viel Gutes; aber er hatte seine Kräfte überschätzt. Ganz erschöpft kam er zurück. Gleichwohl blieb er nur kurze Zeit in Belgien. Auf der Weiterreise nach Rom machte er, wie gewöhnlich, in Metz Halt, erkrankte aber so ernstlich, daß er über vierzehn Tage zurückbleiben mußte. Der Arzt hielt den Gebrauch einer Kur für nötig, so daß er erst später nach Rom weiterreisen konnte.

[127] Er erholte sich nicht mehr und hielt es deshalb für seine Pflicht, den Heiligen Vater um Enthebung von seinem Amte zu bitten. Doch Pius X., der den Primas sehr schätzte, entschied, daß er im Amte bleiben, aber einen Koadjutor mit dem Rechte der Nachfolge erhalten solle. Das Breve, das der Papst aus diesem Anlasse an den Primas richtete, war für diesen ein letzter großer Trost. Zum Koadjutor wurde von den in Rom versammelten Äbten des Ordens mein Nachfolger in Maria-Laach erwählt, Abt Fidelis von Stotzingen, der nach dem Tode des Primas Hildebrand sogleich an seine Stelle trat.

Abt Primas Hildebrand war ein außergewöhnlicher Mann. Mir ist niemand auf meinem Lebenswege begegnet, der über eine so hervorragende und allgemeine Begabung verfügt hätte, wie er. Dabei besaß er die edelsten Eigenschaften des Herzens, eine Güte, eine Hochherzigkeit, wie man sie selten findet. Sein Geist war von bewundernswerter Klarheit, fruchtbar an tiefen Gedanken. Die Abhandlungen, die er verfaßte, sei es über aszetische Stoffe z.B. über die Vaterschaft, sei es über Fragen der Kunst, schrieb er sogleich ins Reine nieder und zwar fast ohne Korrekturen. Sein Glaube war stark und feurig; eine heilige Begeisterung erfüllte ihn für die Sache der Kirche und des Ordens. Er war tief fromm und hatte eine große Liebe zu Christus und zur allerseligsten Jungfrau. »Christus mihi vita« (Christus ist mir Leben)! war sein Wahlspruch. Jetzt ruht er in der Kirche zu Beuron, in der er einst durch die heiligen Gelübde sich Gott geweiht hatte. Requiescat in pace!

Auf der Firmungsreise des Jahres 1914 befiel mich eine ernste Krankheit. Ich mußte die Reise unterbrechen und nach Metz zurückkehren. Drei Wochen lag ich darnieder. Ich glaubte nicht, daß ich die Krankheit überstehen würde, und bereitete mich ernstlich auf den Tod vor. Doch unter der sorglichen Pflege der Schwestern von St. Blandina, wohin ich gebracht wurde, gelang es, des Übels Herr zu werden. Ich genaß. Der Arzt verordnete eine längere Erholung, die ich im stillen Jordanbad im Schwabenlande suchte und fand.

[128] Hier war es, wo uns die Schreckensnachricht von der Serajewoer Mordtat überraschte und der Ausbruch des furchtbaren Krieges[18] unser ganzes Denken und Sorgen in Anspruch nahm.

Erst in der zweiten Hälfte des August, nachdem die Schlacht in Lothringen geschlagen war, konnte ich nach Metz zurückkehren. Im Marienhospital zu Stuttgart sah ich die ersten Verwundeten. In Zweibrücken, wo ich übernachten mußte, erfuhr ich zu meinem Schmerze, daß fast sämtliche Männer des lothringischen Dorfes Dalheim ins Gefängnis abgeführt seien, weil sie sich gegen die deutschen Truppen feindselig benommen hätten. Das Dort Dalheim war aus diesem Grunde zerstört worden. Die kriegsgerichtlichen Verhandlungen endigten später damit, daß alle diese Einwohner von Dalheim freigesprochen wurden.

Auch was ich in Metz erfuhr, war wenig erfreulich. Die Militärbehörden hatten die Regierung übernommen und waren gegen die einheimische Bevölkerung, besonders auch gegen die katholische Geistlichkeit, mit einer Strenge vorgegangen, die alles vernichtete, was in den vierundvierzig Jahren deutscher Herrschaft mühsam aufgebaut worden war. Unberechenbare nationale Werte waren mit einem Schlage vernichtet.

Hatte das Land eine solche Behandlung verdient? Im großen Ganzen gewiß nicht. Die Stimmung zu Beginn des Krieges war so günstig und deutschfreundlich, als man es nur wünschen konnte. Aber seit Jahren hatte eine gewisse Presse gegen Elsaß-Lothringen gehetzt und die Militärpartei in ihren Vorurteilen mehr und mehr befestigt. Ohne Zweifel haben in Elsaß-Lothringen einige Zeitungen und gewisse Persönlichkeiten eine Politik verfolgt, die dem Wohle des Landes nicht dienen konnte. Allein das Volk als solches war friedlich, erfüllte seine staatsbürgerlichen Pflichten und hatte sich mit den bestehenden Verhältnissen abgefunden.

Der schlimmste Übelstand für das Land lag in seiner staatsrechtlichen Stellung. Seine Regierung entbehrte der vollen [129] Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Alldeutsche Presse und Militärpartei wußten sich Einfluß zu verschaffen, und so war das Land ohne festen Halt, es fehlte ihm die unentwegte, zielbewußte Leitung, die die erste Bedingung einer gedeihlichen staatlichen Entwicklung ist. Wäre Elsaß-Lothringen ein selbständiger Bundesstaat mit eigenem Landesfürsten, und würde der starken katholischen Mehrheit der Bevölkerung gebührend Rechnung getragen, so wären die Konvulsionen vermieden worden, unter denen das Land so schwer zu leiden hatte. Möge der Krieg, der gerade Elsaß-Lothringen so viel Leid und Not gebracht hat, auch eine Neuordnung der Verhältnisse bringen, die dem Lande wirklich ersprießlich ist.

Ein Jahr dauert nun das entsetzliche Morden und noch ist kein Ende abzusehen. Daß auch die Diözese Metz unter ihm leidet, und zwar mehr als manche andere, ist selbstverständlich. Der Kanonendonner bringt uns die Nähe des Kriegsschauplatzes immer wieder in Erinnerung. Das Priesterseminar, das Knabenseminar und die Anstalt St. Klemens sind in Festungslazarette umgewandelt. Das Knabenseminar dient zur Aufnahme von Typhuskranken und zwar nicht nur das Haus, sondern auch der Garten, in dem mehrere geräumige Baracken aufgeschlagen sind. Glücklicherweise wurde auf unsere Bitte das bischöfliche Gymnasium zu Bitsch, das man anfangs ebenfalls als Lazarett benützte, bald wieder geräumt, so daß der Unterricht daselbst wieder aufgenommen werden konnte.

Bei der langen Dauer des Krieges mußten wir daran denken, auch das Priester- und Knabenseminar wieder zu eröffnen. Die Zöglinge des ersteren fanden auf dem Landgute des Seminars in Basse-Bévoye Unterkunft. Mit etwa vierzig Zöglingen begann der Unterricht; jetzt (Ende Juli) sind es deren noch gegen dreißig. Doch dürfen wir hoffen, daß im September neun Alumnen zu Priestern geweiht werden können. Das Knabenseminar fand im Kloster der heiligen Familie und im Hause der Schulbrüder zu Montigny gastliche Aufnahme. Es zählte im ganzen etwa fünfzig, den vier oberen Klassen angehörende Schüler. Die sechs Oberprimaner bestanden das Abiturienten-Examen. [130] Die Domschule, die in St. Klemens ihr Heim hat, konnte bei den Patres Franziskanern ihren regelmäßigen Unterricht halten.

Dem Klerus muß ich das Zeugnis geben, daß er in dieser schweren Zeit vollauf seine Pflicht getan hat, nicht nur zu Anfang des Krieges bei der Mobilmachung, sondern auch weiterhin. In den Grenzpfarreien im Kampfgebiete blieben die Seelsorger - und bleiben zum Teil noch -, so lange es nur möglich war, selbst da, wo die Ortschaften stark beschossen wurden. Erst als diese militärisch geräumt wurden, gingen auch die Pfarrer fort, machten sich dann aber anderswo nützlich. Leider sind noch immer etwa fünfzehn unserer Priester als verdächtig des Landes verwiesen und genötigt, jenseits des Rheines sich aufzuhalten. Es ist zu bedauern, daß die Militärbehörde den also Getroffenen keine Möglichkeit gibt, sich zu verteidigen oder Mißverständnisse aufzuklären; denn daß Mißverständnisse und gehässige Angebereien vorliegen, ist außer Zweifel. Eine ziemliche Anzahl jüngerer Geistlicher ist eingezogen und tut Dienste in den Lazaretten und in den Bureaus. Mehrere sind in den Osten, nach Breslau, verschickt, wo man sie mit großer Zuvorkommenheit behandelt. Unterdessen fehlen aber bei uns in einigen größeren Pfarreien die nötigsten Hilfskräfte.

Die Korrespondenz muß im Grenzgebiete offen geführt werden. Nicht einmal der Bischof, der doch dem Kaiser den Eid der Treue geschworen hat, kann mit den Pfarrern frei, d.h. in geschlossenen Briefen, verkehren, ein Mißstand, der in der Verwaltung der Diözese sehr peinlich empfunden wird.

Großen Schwierigkeiten begegnet das Predigen in französischer Sprache. Der Kommandant der Festung Diedenhofen untersagte eigenmächtig den Gebrauch des Französischen im Gottesdienste. Später erging ein gleiches Verbot von seiten des Militärpolizeimeisters von Metz für die Pfarreien Montigny und Longeville. Erst als ich mich mit einer energischen Vorstellung an den Reichskanzler und den Statthalter wandte, wurde das Verbot zurückgenommen.

Bei alledem soll nicht verschwiegen werden, daß die Militärbehörden [131] doch auch ein gewisses Wohlwollen zeigen, und daß wir im allgemeinen mit der Lage zufrieden sein dürfen. Allerdings bleibt des Unangenehmen genug übrig, und manche Härten müssen wir ertragen, die bei besserer Einsicht leicht vermieden werden könnten.

Daß alle diese Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten in mir den patriotischen Sinn nicht schmälern können, ist selbstverständlich. Ich fühle mit meinem Vaterlande; seine Leiden sind meine Leiden, seine Freuden meine Freuden. Mit lebhaftem Interesse verfolge ich das furchtbare Ringen in all seinen Wendungen und Ereignissen. Meine täglichen Gebete begleiten unsere tapferen Soldaten, und von Herzen erflehe ich von Gott einen baldigen, ehrenvollen Frieden.

Bald sind vierzehn Jahre verflossen, seitdem mir der Hirtenstab des heiligen Klemens in die Hand gelegt wurde. Es waren Jahre mühevoller Arbeit; hoffentlich waren sie nicht ohne Segen für die mir anvertraute Diözese. Gewiß, Gott hat geholfen. Wie oft ging es mir wie dem Wanderer im Alpenlande, der, rings von Bergen umgeben, keinen Ausweg mehr sieht. Wie aber doch stets ein Weg aus dem Gebirgslabyrinth hinausführt, so war es auch bei mir der Fall. Gott hat immer wieder den Knoten gelöst, die Schwierigkeiten behoben. Ihm sei Dank dafür. Dank aber auch den edlen Männern, die mir in der Verwaltung der Diözese so selbstlos, so unverdrossen zur Seite stehen; Gott lohne es ihnen.

Schon blicke ich auf eine lange Vergangenheit zurück. Was mir sorgende Liebe bei der ersten heiligen Kommunion ins Gebetbuch schrieb: »Steh auf und iß, denn du hast noch einen weiten Weg vor dir« (3 Kön. 19, 7), das ist zum großen Teil schon wahr geworden.

Und welches sind die Gefühle, die beim Rückblick auf die verflossenen Jahre meine Seele erfüllen? Gewiß, bei der Erinnerung an so viele Fehler und Versäumnisse, an so zahlreiche Untreuen im Dienste Gottes muß ein Gefühl tiefer Reue mein Herz durchdringen. Doch der Gedanke an Gottes Barmherzigkeit bannt jede ängstliche Furcht. Das Gefühl glücklicher Dankbarkeit gewinnt die Oberhand.

[132] Ja, danken muß ich dem Herrn für all seine Liebe und Geduld, für die wahrhaft väterliche Führung, die er mir zuteil werden ließ. Dank sei ihm auch gesagt für alle die Leiden und Widerwärtigkeiten, die er mir schickte; ich habe ihre heilsamen Wirkungen oft empfunden. Das Hundertfältige, das der Heiland denen verheißt, die das Irdische für ihn verlassen, hat er mir nicht vorenthalten. So reicht die Zeit nicht aus, Gott nach Gebühr zu danken; die ganze Ewigkeit ist nötig, dieser Pflicht zu genügen: »Misericordias Domini in æternum cantabo» (Das Erbarmen des Herrn will ich ewig besingen) Ps. 88,2.

Was mir noch übrig bleibt von meiner Lebenszeit, ist vielleicht nur mehr eine kurze Frist. Schon lassen die Kräfte nach, das Alter macht sich geltend und die Tage nahen, von denen es heißt: »Sie gefallen mir nicht« (Pred. 12,1). Bleibe bei mir, o Herr! Es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.

Werde ich die Erfüllung der Hoffnungen noch sehen, die mir vor der Seele schweben: eine glückliche Ordnung der politischen Verhältnisse unseres Landes, das Blühen des katholischen Vereinslebens und damit eine Neubelebung des christlichen Sinnes in Stadt und Land, der Neubau des bischöflichen Gymnasiums zu Bitsch, die Erweiterung der Choranlage in unserer Kathedrale? Wie Gott will! Ihm gehören die noch übrigen Tage meines Lebens; mögen sie ganz treuer Pflichterfüllung geweiht sein.

Der Herr, der mich so liebevoll geführt hat, wolle auch fernerhin seine Hand von mir nicht zurückziehen. Mit dem Psalmisten bete ich zu ihm: »Verwirf mich nicht zur Zeit des Alters; wenn meine Kraft hingeschwunden, verlaß mich nicht ... O Gott! Du hast mich unterwiesen von meiner Jugend an, und bis jetzt verkündige ich deine Wunder. Doch auch bis ins Alter und ins Greisentum verlaß mich nicht, o Gott« (Ps. 70, 9; 17 f.). Wie ich einst in der Stunde der heiligen Profeß freudig bewegt gesungen habe: »Suscipe me, Domine«, so will ich auch fort und fort flehen: «Nimm mich auf, o Herr, nach deinem Worte und ich werde leben; laß meine Hoffnung nicht zu Schanden werden« (Ps. 118, 116). Amen. Es geschehe!

Anmerkungen

  1. Vgl. den ersten Abschnitt des Nachtrages.
  2. Am 24. Oktober.
  3. Vgl. den 2. Abschnitt des Nachtrages.
  4. Vgl. den 3. Abschnitt des Nachtrages.
  5. Vgl. F. Klein, Vie de Mons. du Pont des Loges (Paris, Poussielgue 1899).
  6. S. im 5. und 6. Abschnitt des Nachtrages.
  7. Als Plan für die späteren Jahre schwebte dem Bischof die Erweiterung der Choranlage vor der Seele.
  8. Der Bischof wäre wohl nicht mit dieser Strenge vorgegangen, hätte man ihn nicht von gewisser Seite zu diesem Schritte gedrängt.
  9. Infolge einer für den Bischof sehr schmerzlichen Indiskretion kam die Nachricht von der Aufhebung des Interdiktes durch das Wolffsche Büro sofort zur Kenntnis der Öffentlichkeit. Als Kaiser Wilhelm bald darauf nach Metz kam, ließ er den Bischof deutlich fühlen, daß er bei ihm in Ungnade gefallen war. Von da an waren auch tatsächlich die Beziehungen zwischen dem Kaiser und dem Bischof, die vorher einen herzlichen Charakter getragen hatten, fast ganz abgebrochen. In seiner Bescheidenheit äußerte sich Bischof Willibrord nie über diese peinlichen Vorgänge.
  10. Vgl. darüber den 11. Abschnitt des Nachtrages und die »Verhandlungen des achtzehnten internationalen Eucharistischen Kongresses in Metz« (Metz 1908) und »18e Congrès international des Oeuvres eucharistiques« (Metz 1907).
  11. Am 19. Juli wurde die Prozession, aber nur »für diesmal«, gestattet.
  12. An ihr nahmen einunddreißigtausend Männer und Jünglinge teil, hunderttausend Fremde waren an diesem Tage in Metz.
  13. Vgl. darüber im 11. Abschnitte des Nachtrages.
  14. Was damals nicht möglich gewesen, geschah im Jahre 1919, wo Benediktiner von Emaus-Prag dorthin übersiedelten.
  15. Jetzt Kardinal-Erzbischof von Paris.
  16. Biographie des Erzabtes Plazidus Wolter von P. Sebastian v. Oer (1909).
  17. Gestorben am 28. Februar 1918.
  18. Vgl. den zwölften Abschnitt des Nachtrages.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Textvorlage: elfhunderfünfzigjährige