Erinnerungen aus meinem Leben/Kindheit und Jugend

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von: Willibrord Benzler
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Kindheit und Jugend
(1853–1874)

Am Feste des heiligen Gallus, 16. Oktober, 1853 wurde ich zu Hemer in Westfalen geboren und erhielt in der heiligen Taufe die Namen Karl, Heinrich, Johann, Eugen. Wenn es für den Menschen eine der größten Gnaden ist, von guten katholischen Eltern abzustammen, so ist mir diese zuteil geworden. Mein Vater, Gastwirt Karl Benzler, war ein rechtlich gesinnter, echt christlicher Mann. Er duldete in seinem Hause keine Unordnung. Auch an den Werktagen wohnte er häufig der heiligen Messe bei und hielt strenge darauf, daß wir Kinder, selbst in den Ferien, die Messe an keinem Tage versäumten. An den Sonntagen durften Feldarbeiten niemals verrichtet werden, mochte die Witterung solche Arbeiten auch als noch so notwendig erscheinen lassen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, wurde, wie man mir später sagte, die Ernte stets gut eingebracht.

Meine Mutter, Klementine geb. Kissing, war eine tieffromme, zartfühlende Frau. Obwohl wir sie früh verlieren mußten, so steht ihr Bild mir doch lebhaft vor der Seele. Ich erinnere mich, wie sie eine betrübte Frau tröstete und zur Ergebung in den Willen Gottes ermunterte. Als in unserer Kirche ein Bild der heiligen Gottesmutter aufgestellt wurde, sagte sie zu mir: Wie schön muß Maria im Himmel sein, wenn schon hier auf Erden ihr Bild uns so lieblich anmutet. Ihre Freude war es, zum Schmucke des Gotteshauses beizutragen; namentlich mußte am Fronleichnamsfest der Altar, für den sie sorgte, aufs schönste geziert sein. Von einer Reise an den Rhein zurückgekehrt, erzählte sie uns von den vielen Reliquien, die sie in den Kölner Kirchen verehrt habe, die lieben Heiligen würden ihr gewiß die Gesundheit wiedererflehen. Im Jahre 1861 machte ich mit ihr und anderen Verwandten eine Wallfahrt nach Werl, wo das zweihundertjährige Jubiläum der Übertragung [4] des Gnadenbildes der Muttergottes von Soest nach dieser Stadt begangen wurde. Fünfzig Jahre später hatte ich das Glück, als Bischof an der Feier des zweihundertfünfzigjährigen Jubiläums teilzunehmen und dabei Pontifikalamt und Predigt zu halten.

Wie meine Mutter ihre Pflicht als Erzieherin auffaßte, beweist am besten ein Brief, den sie auf dem Sterbebett an mich richtete und den mein Vater mir bei meiner ersten heiligen Kommunion übergab. Er lautet:

 »Mein lieber, lieber Karl! Mein teures Kind!

Ehe ich von hier gehe und Euch alle für diese Welt verlasse auf Gottes heiligen Befehl, möchte ich Dir noch erst ein letztes, lebendiges Zeichen meines mütterlich liebenden Herzens hinterlassen. Es liebt Dich so innig und gerne hätte es Dich heranwachsen sehen als blühenden Jüngling zur Freude Gottes und aller guten Menschen, so gerne den Tag, den wichtigsten Deines Lebens, gerade den, den Du heute feierst. Gottes Wille war anders, mit Demut unterwerfe ich mich.

Welch wichtigen Tag feierst Du heute! O Karl! Welch süßes Glück wird Dir zuteil! Ach, ich kann es ja nicht mit meinem schwachen Arm beschreiben; hoffentlich, ja hoffentlich wirst Du es selbst empfinden. Jetzt bist Du rein, noch fast ein Kind, Dein Heiland wohnt in Deinem Herzen (ich setze voraus, daß Du Dich gut vorbereitet hast), nun vergiß keinen im Gebete, Deinen Vater besonders nicht, sei ihm immer gehorsam. O Karl, teurer Karl, jetzt gehst Du schlimmen, gefährlichen Jahren entgegen. Ich fürchtete fast, wenn ich nicht an Gottes mächtigen Schutz und seine heilige Mutter dächte. O laß Dich nicht verführen. Mancher wird kommen …« Hier entfiel die Feder ihrer sterbenden Hand.

Aus meiner frühesten Kindheit sei ein Vorkommnis erwähnt, das mir den Schutz meines heiligen Engels in dankbare Erinnerung ruft. Man hatte unachtsamer Weise ein schweres Oberbett auf mich gelegt. Ich war in Gefahr zu ersticken, als plötzlich jemand die Lage erkannte und mir noch rechtzeitig zu Hilfe kam.

[5] Ich war der Älteste von vier Geschwistern, von denen eine Schwester, Julie, als Kind starb; mein Bruder Max war zweieinhalb Jahre († in Hemer am 14. November 1916), meine Schwester Paula war sieben Jahre jünger als ich. Die herzlichste Liebe verband uns und verschönte die Jahre der Kindheit; sie bewährte sich aber auch im späteren Leben und wurde nie getrübt.

Mit aufrichtiger Dankbarkeit gedenke ich der edlen Priester, die als Seelsorger meine ersten Schritte lenkten. Pfarrer Röper, der später Pfarrer und Dechant in der benachbarten Stadt Menden wurde, war ein tieffrommer, seeleneifriger Priester, der mir viel Güte und Liebe erwies. Als ich später als Prior von Beuron die Stationen des heiligen Kreuzweges in der Pfarrkirche zu Menden auf seinen Wunsch einweihen konnte, gereichte ihm das zur größten Freude. Bei seiner Schwester, der guten »Tante Dina«, waren wir Kinder wie zu Hause; es verging fast kein Tag, wo wir sie nicht besuchten. Überhaupt waren die Beziehungen unserer Familie mit dem Pfarrhause die denkbar besten, die Freundschaft war eine hergebrachte und selbstverständliche. Mit denselben Gesinnungen der Dankbarkeit gedenke ich auch der Pfarrer Felder und Degenhard, die stets ein väterliches Wohlwollen für mich an den Tag legten und meine ersten Lebensgeschicke mitbestimmten.

Aus meiner Kindheit sei noch der Besuch des Bischofs Konrad Martin von Paderborn in unserer Pfarrei erwähnt. Unsere Mutter schickte uns beide Knaben ins Pfarrhaus, wo wir dem hochwürdigsten Herrn ein Sprüchlein aufsagen und ihn um seinen Segen bitten mußten. Noch jetzt freue ich mich, als Kind den Segen dieses großen nachmaligen Bekennerbischofs empfangen zu haben.

Als ich sechseinhalb Jahre alt war, kam ich in die Elementarschule, die damals von dem sehr fähigen Lehrer Schunck geleitet wurde. Da ich im Lesen bereits Fortschritte gemacht hatte, so rückte ich gleich bis fast in die Mitte der Schule auf. [6] Mit sieben Jahren wurden wir zur heiligen Beichte geführt; bei dem schwierigen Geschäfte der Gewissenserforschung mußte die Mutter natürlich helfen. Eine besondere Freude für uns Kinder war es, an der schönen Fronleichnamsprozession teilnehmen zu können, die ihren Weg fast ganz durch prächtige Waldungen nahm. Der sogenannte Kulturkampf hat ihr später leider ein trauriges Ende bereitet. Den Gipfel des kindlichen Glückes bildete selbstverständlich das Weihnachtsfest. Noch sehe ich den leuchtenden Baum mit der lieblichen Krippe, vom goldstrahlenden Engel überragt: o selige Kinderzeit! Die Abfassung des Neujahrsbriefes war ein Ereignis und verursachte manchmal nicht geringe Nöten.

So verstrichen ein paar stille, glückliche Kinderjahre. Da gefiel es dem lieben Gott, unsere Familie mit einer schweren Prüfung heimzusuchen. Unsere Mutter kränkelte seit längerer Zeit. Alle ärztlichen Mittel versagten; die Schwindsucht trat immer mehr in die Erscheinung. Auf dem Sofa liegend, ließ sie mich ein letztes Mal zu sich kommen, um Abschied zu nehmen. Am Allerseelenfeste des Jahres 1862 starb sie fromm und gottergeben, wie sie gelebt hatte, erst dreißig Jahre alt. Ihr Seelsorger bezeichnete sie als sein bestes Pfarrkind.

Für meinen Vater war dieser Verlust überaus schmerzlich; auch ich empfand ihn tief, wenn ich ihn auch nicht in seiner ganzen Größe erfaßte. Später im Leben habe ich oft die treue Mutter vermißt, aber auch immer wieder die Überzeugung gewonnen, daß sie am Throne Gottes viel besser für mich gesorgt hat, als sie es auf Erden hätte tun können. Ich glaube, der Fürbitte der heimgegangenen Mutter habe ich viel, sehr viel zu verdanken. Gottes Güte hatte übrigens auch für Ersatz gesorgt. Die Schwester meines Vaters, die gute, unvergeßliche Tante Sophie nahm sich um uns Kinder mit wahrhaft mütterlicher Liebe und Sorgfalt an, so daß wir uns nicht als Waisen fühlten.


[7] Als ich zehn Jahre alt war, wurde ich auf die höhere Bürgerschule nach Menden geschickt; ich wohnte daselbst bei einem entfernten Verwandten. Es war seit langem mein Wunsch gewesen, zu studieren, und schon als kleiner Knabe hatte ich auf die Frage, was ich werden wolle, ohne Zögern geantwortet: Bischof! Der Herr Pfarrer sagte dann wohl: aber doch zuerst Kaplan und Pastor! Der Leiter der Schule, Rektor Schulte, war ein Vetter meiner Mutter; der zweite Lehrer, Konrektor Wulff, ein gar strenger Mann, wurde von uns Schülern sehr gefürchtet.

Aller Anfang ist schwer, sagt das Sprichwort; auch ich mußte seine Wahrheit erfahren. Das Latein wollte nicht in den kleinen Kopf, und das Fernsein von der lieben Heimat war mir sehr schmerzlich. Doch die Zeugnisse waren nicht schlecht; ich meine besser, als ich sie verdient hätte.

Zwei Jahre blieb ich in Menden, um dann auf den Rat unseres damaligen Pfarrers ans Progymnasium nach Attendorn zu gehen. Dortselbst wurde ich nach bestandener Prüfung in die Untertertia aufgenommen. Doch war ich für diese Klasse nicht reif, so daß ich nur mit Mühe dem Unterrichte folgen konnte. Ich schlug mich durch, so gut es ging, und rückte jährlich in die höhere Klasse auf. Von den dortigen Lehrern erinnere ich mich besonders an den Rektor der Anstalt, Widmann, der, ein schon älterer Herr, mit jugendlicher Begeisterung den Ovid erklärte und uns durch seinen lehrreichen Geschichtsunterricht besonders anzog. Leider soll er im Kulturkampfe in die altkatholischen Wirren hineingezogen worden sein und sich nicht wieder zurechtgefunden haben.

Aufrichtigen Dank schulde ich unserem damaligen Religionslehrer, Herrn Gocke. Er bereitete uns durch gründlichen Unterricht auf die erste heilige Kommunion vor, die wir am Weißensonntag des Jahres 1867 empfingen. Die heilige Firmung erhielt ich später vom hochwürdigsten Herrn Weihbischof Freusberg in der alten Pfarrkirche zu Iserlohn. Auch auf Sekunda erteilte uns Herr Gocke den Religionsunterricht und trug uns dabei die Lehre von [8] der päpstlichen Unfehlbarkeit so klar und bestimmt vor, daß mir später, als diese Frage Gegenstand leidenschaftlicher Erörterungen wurde, die Entscheidung des vatikanischen Konzils als etwas ganz Selbstverständliches erschien.

Ich verließ Attendorn mit dem Zeugnis für Obersekunda, um am Gymnasium zu Münster die Studien fortzusetzen. Dort bestand ich denn auch die Aufnahmeprüfung; allein der Unterrichtsbetrieb an dieser hervorragenden Anstalt stellte höhere Anforderungen an die Schüler, als ich sie bisher gewohnt war. Ich hatte darum wieder ernste Schwierigkeiten zu überwinden. Das erste Zeugnis ließ zu wünschen übrig; doch am Ende des Schul­jahres stieg ich ohne Hindernis in die Prima auf, und von da an waren die Zeugnisse derart, daß mir im Abiturienten-Examen die mündliche Prüfung erlassen wurde.

Wir hatten in Münster recht tüchtige Lehrer; so den Ordinarius der Sekunda, Halbeisen, der auch auf Prima uns Unterricht in der Religion erteilte; sein Diktat in diesem Fache hat mir noch lange gute Dienste geleistet. Der Mathematiker Hosius war ein hervorragender Lehrer, aber wegen seiner Strenge gefürchtet; leider kam auch er in den altkatholischen Wirren vom rechten Wege ab. Dr. Jos. Hense begann damals seine Lehrtätigkeit als junger Kandidat und ließ schon seine spätere Tüchtigkeit erkennen. Nach Jahren traf ich ihn als Direktor des Gymnasiums zu Warburg, von wo er nachher in gleicher Eigenschaft an das Theodosianum nach Paderborn versetzt wurde († am 11. Oktober 1913).

Während meines Aufenthaltes in Münster starb Bischof Johann Georg Müller; ich sah seine Leiche in der bischöflichen Hauskapelle aufgebahrt. Auch wohnte ich der Konsekration seines Nachfolgers, des späteren Bekennerbischofs Johann Bernhard Brinkmann bei, die im hohen Chore des Domes von dem damaligen Erzbischof Paulus Melchers von Köln unter Assistenz des Bischofs Freiherrn von Ketteler von Mainz und des Weihbischofs Boßmann von Münster am 4. Oktober 1870 vollzogen wurde.

[9] Im Juli des gleichen Jahres war der Krieg gegen Frankreich ausgebrochen und hatte helle Begeisterung in dem katholischen Münster auflodern lassen. Der Unterrichtsbetrieb erlitt indes am Gymnasium keine Störung. Nur diejenigen meiner Mitschüler, welche die Offizierslaufbahn erwählten, durften bereits nach vier Monaten der Oberprima das Abiturienten-Examen ablegen.

Zu Anfang des Jahres 1871 verschlimmerte sich der Gesundheitszustand meines Vaters, der seit einiger Zeit nicht mehr gut gewesen war, in besorgniserregender Weise. Zur Heilung eines Fußleidens, das ich mir zugezogen hatte, durfte ich in die Heimat gehen und konnte so die letzten Wochen, die mein Vater noch zu leben hatte, in seiner Nähe zubringen. Am 7. März starb er, nachdem er andächtig die heiligen Sterbesakramente und kurz vor seinem Tode noch einmal die heilige Kommunion empfangen hatte. Gott wird ihm die väterliche Liebe und Sorge, die er stets uns Kindern geschenkt hat, reichlich lohnen. Für uns war dieser neue Verlust sehr schmerzlich; wir waren nun volle Waisen geworden. Allerdings die treue Tante Sophie, die bisher Mutterstelle an uns vertreten hatte, schreckte auch vor der neuen Bürde nicht zurück. Hochherzig übernahm sie die Führung des Hauswesens mit allen damit verbundenen Sorgen und Mühen und ermattete nicht in ihrem opfervollen Wirken, bis nach Jahren mein Bruder so weit herangewachsen war, daß er die Last ihr abnehmen konnte.

Da für mich die Gymnasialstudien zu Ende gingen, so drängte die Frage der Berufswahl zu einer Entscheidung. Leider hatte bei mir während der Studienjahre die Frömmigkeit Schaden genommen. Die goldenen Ideale der Kindheit waren verblaßt, und ich war entschlossen, einen weltlichen Beruf zu erwählen. Es bedurfte eines besonderen Eingreifens der göttlichen Gnade, um mich wieder auf den Weg zu bringen, den der Herr mich führen [10] wollte. Auf Anraten meines Beichtvaters, des vortrefflichen Oberlehrers Dr. Kreutzer, machte ich zu Pfingsten 1871 zum ersten Male geistliche Übungen und zwar in dem den Patres Jesuiten gehörigen Hause Kannen bei Münster. P. Brinkmann S. J. leitete die Exerzitien und begeisterte uns durch seine schönen Vorträge. Namentlich ist mir die Unterweisung über den heiligen Rosen­kranz in der Erinnerung geblieben: »Dort oben im Himmel«, sagte er unter anderem, »geht es hoch her; da werden alle Tage herr­liche Feste gefeiert, die die ganze Aufmerksamkeit der Seligen in Anspruch nehmen. Aber wenn wir arme Erdenpilger zu unserer himmlischen Mutter rufen und sie immer wieder grüßen: Ave Maria! dann kann sie nicht anders, als die Himmelsfreuden für einen Augenblick lassen und sich uns in mütterlicher Liebe zuwenden«. Der tägliche Rosenkranz war bei allen Exerzitanten eine ausgemachte Sache.

Obwohl P. Brinkmann bei mir Beruf zum Ordensstand wahrzunehmen glaubte und zum ersten Male mich auf den Orden des heiligen Benedikt hinwies, so konnte ich mich doch nicht entschließen, dieser Anregung zu folgen oder auch nur das Studium der Theologie zu erwählen. In dem Schulprogramm von 1871 hieß es, daß der Abiturient K. Benzler sich dem Baufache zu widmen gedenke.

Das praktische Jahr meines neuen Studiums wollte ich bei einem Kölner Baumeister durchmachen, an den mich ein Freund meines Heimatpfarrers, der damalige Kaplan M. Vosen an St. Kolumba in Köln, empfohlen hatte. Auf Anraten des genannten geistlichen Herrn trat ich in Köln der Marianischen Kongregation junger Kaufleute bei, die von P. Voiß S. J. geleitet wurde. Mit letzterem besprach ich die Frage meiner Berufswahl aufs Neue und entschied mich nach kaum einmonatlichem Aufenthalte in Köln, das Baufach mit der Theologie zu vertauschen. Dem Entschlusse folgte die Ausführung auf dem Fuße nach.

[11] In den ersten Tagen des Dezembers (1871) reiste ich über Frankfurt, Würzburg, München nach Innsbruck, wo bekanntlich Patres der Gesellschaft Jesu Professoren an der theologischen Fakultät der Universität sind. Der Winter hatte inzwischen stark eingesetzt und überdeckte die Fenster der ungeheizten Eisenbahnwagen derart mit seinen Blumen, daß ich auf der Reise von den Herrlichkeiten der Alpenwelt gar nichts wahrnehmen konnte. Es war dunkel geworden, als ich in der Hauptstadt Tirols anlangte. Wie groß war am anderen Morgen mein Erstaunen, als ich die gewaltigen Bergriesen vor mir sich zum Himmel auftürmen sah! Fast unheimlich wurde mir’s zu Mute, da es mir vorkam, als sei ich wie in einem gewaltigen Felsenkeller eingeschlossen, aus dem es anscheinend keinen Ausweg mehr gab.

Die Vorlesungen an der Universität hatten längst begonnen; doch wurde ich von dem damaligen Dekan der theologischen Fakultät, P. H. Hurter S. J. noch zur Immatrikulation zugelassen. Ich belegte die Vorlesungen über Philosophie, Kirchengeschichte und biblische Einleitungswissenschaften. Philosophie dozierte nach dem Kompendium von Tongiorgi der sehr tüchtige P. Wieser S. J. († 22. April 1885); Einleitung gab P. Wenig S. J. († 25. Oktober 1875), der durch seine syrische Chrestomathie bekannt geworden ist, und Kirchengeschichte P. Grisar S. J. Letzterer hatte mit dem neuen Semester seine akademische Lehrtätigkeit begonnen und fesselte eine große Zuhörerschaft durch seine interessanten, gediegenen Vorträge.

In Innsbruck traf ich zwei meiner Münsterischen Mitabiturienten, B. Dörholt, später Dogmatikprofessor in Münster, und Clemens Swiersen, später Pater in Beuron. Letzterer war mir in freundschaftlicher Weise behilflich, die wissenschaftlichen Lücken auszufüllen, die mein verspätetes Eintreffen verursacht hatte.

Ich hätte gewünscht, in das von den Vätern der Gesellschaft Jesu geleitete theologische Konvikt einzutreten; doch, als ich nach Innsbruck kam, waren alle Plätze besetzt. So mußte ich, gleich meinen beiden Münsterischen Mitstudenten, in der Stadt Wohnung nehmen.

[12] Innsbruck, zu beiden Seiten des Innflusses im herrlichen, weiten Alpentale gelagert, ist eine überaus anziehende Stadt. Die Bauart der Häuser erinnert schon stark an den Süden. Die engen Gassen der Altstadt, der laubenumsäumte Marktplatz mit dem sogenannten Goldenen Dachl, einem reichverzierten spätgotischen Erker mit vergoldetem Kupferdach, muten den Norddeutschen anfangs fremdartig an. Die prächtige Maria Theresia-Straße mit der St. Annensäule und dem Triumphbogen ist eine hervorragende Zierde der Stadt. Die mächtige Pfarrkirche St. Jakob, im Barockstil erbaut, birgt auf dem Hochaltar das vielverehrte, von L. Cranach gemalte Gnadenbild Maria-Hilf, von den Innsbruckern die »Pfarrmutter« genannt. In der Franziskaner-Hofkirche, mit dem berühmten Grabdenkmal Kaiser Maximilians I. und den prächtigen Bronzestandbildern, hat der Tiroler Freiheitsheld Andreas Hofer seine letzte Ruhestätte gefunden. In der anstoßenden Hofburg hatte er einst residiert, nachdem er die Franzosen siegreich zurückgeschlagen hatte. Die Prunkgemächer der Hofburg änderten aber seinen schlichten, christlichen Sinn in keiner Weise. Wenn des Abends Gäste bei Tisch gewesen waren, dann sagte ihnen Hofer wohl: »Ihr habt mitgegessen, jetzt könnt ihr auch mitbeten«, und damit zog er den Rosenkranz hervor.

Das Universitätsgebäude ist das ehemalige, vom seligen Petrus Canisius gegründete Jesuiten-Kolleg. In der anstoßenden Trinitatiskirche, die als Universitätskirche dient und von den Patres Jesuiten besorgt wird, befindet sich das Herz-Jesu-Bild, vor dem im Jahre 1796 das Land Tirol mit dem göttlichen Herzen den feierlichen Bund geschlossen hat. Auch der Leib des heiligen Mönchs und Regionarbischofs Pirmin aus dem achten Jahrhundert († ungefähr 753) ruht in dieser Kirche.

Die Bürgerschaft Innsbrucks verleugnete ihren katholischen Tirolersinn nicht. Nirgends habe ich, auch an Wochentagen, die Kirchen so gut besucht gefunden, als in dieser Stadt; die geräumige Jesuitenkirche z. B. war jeden Tag in aller Frühe mit Andächtigen gefüllt.

Wenige Tage nach meiner Ankunft in Innsbruck, am Feste der [13] Unbefleckten Empfängnis Mariä, wurde ich in der sogenannten Fürstenkapelle der Trinitatiskirche in die akademische Marianische Kongregation aufgenommen, die von P. J. Haller S. J. geleitet wurde. Ich wählte unsern Pater Präses zu meinem Beichtvater und bin ihm heute noch aufrichtig dankbar für alle Liebe und Geduld, die er mir entgegenbrachte.

Am 1. Januar begannen alljährlich im theologischen Konvikte zehntägige geistliche Übungen, an denen auch die Externen teilnehmen konnten. Ich benützte diese Gelegenheit und machte so zum ersten Male die Exerzitien möglichst genau nach der Methode des heiligen Ignatius. Machten sie auch nicht den begeisternden Eindruck, wie jene zu Kannen, so drangen dafür die ewigen Wahrheiten mir um so tiefer in die Seele.

Die Nähe Italiens lockte manchen Innsbrucker Studenten zum Besuche dieses schönen Landes. Auch ich wollte mir die Gelegenheit, die Herrlichkeiten des Südens zu sehen, nicht entgehen lassen. In den Osterferien des Jahres 1872 zog ich mit zwei Gefährten über den Brenner nach Verona und von da über Padua, Venedig, Florenz und Assisi nach dem ewigen Rom. Dort verbrachten wir die Karwoche und hatten das große Glück, am heiligen Karfreitag von Pius IX. in Audienz empfangen zu werden. Unter vergilbten Papieren fand ich die Niederschrift der Ansprache wieder, die der Heilige Vater damals an uns gerichtet hat. Sie lautet: »Gaudeo, dilectissimi juvenes, quod respectum humanum neglexistis, et in hisce circumstantiis ad hanc Apostolicam Sedem convenistis ad accipiendam apostolicam benedictionem. Incumbite diligenter studiis vestris, frequentate lectiones, sed mementote semper, quod prima lectio est timor Domini: »Beatus vir qui timet Dominum« et »Initium sapientiæ timor Domini«. Tunc progressus facietis in vera scientia. Quocirca benedico vos et studia vestra, ut semper recta sint, et hæc benedictio præbeat vobis virtutem, fortitudinem, amorem Dei. Benedico etiam familias vestras, patres, matres, fratres, sorores. Hæc [14] benedictio comitetur vos per totam vitam, comitetur vos omnibus temporibus præcipue in hora mortis, ut Deum laudare possitis in æternum in cœlis. Benedicat vos etc.« In Übersetzung: »Es freut mich, meine lieben Jünglinge, daß ihr Menschenrücksicht beiseite gelassen habt und unter den jetzigen Zeitverhältnissen zu diesem apostolischen Stuhle gekommen seid, um den apostolischen Segen zu empfangen. Oblieget fleißig Euren Studien, besuchet die Vorlesungen, denkt aber immer daran, daß das wichtigste Studium die Furcht des Herrn ist: »Glückselig der Mann, der den Herrn fürchtet« und »Der Anfang der Weisheit ist die Furcht des Herrn«. Dann werdet Ihr in der wahren Wissenschaft Fortschritte machen. Dazu segne ich Euch und Eure Studien, damit sie immer geregelt seien. Dieser Segen verleihe Euch Tugend, Kraft, Gottesliebe. Ich segne auch Eure Familien, Väter, Mütter, Brüder, Schwestern. Dieser Segen begleite Euch durchs ganze Leben, sei mit Euch zu jeder Zeit, ganz besonders in der Stunde des Todes, damit Ihr Gott ewig im Himmel loben könnet. Es segne Euch…«

Es war gewiß eine besondere Gnade für mich, diesen Segen des großen Papstes empfangen zu haben. Des anderen Tages durften wir der heiligen Messe des Papstes beiwohnen und aus seiner Hand die heilige Kommunion empfangen.

Wir dehnten unsere Reise bis nach Neapel aus, bestiegen den Vesuv, besuchten die blaue Grotte auf Capri und auf dem Rückwege den heiligen Berg Cassino. Die Heimfahrt ging über Pisa, Genua, Mailand. Die Reise brachte eine Fülle von Eindrücken, die ich allerdings damals noch nicht vollkommen verarbeiten konnte; später sollte ich Gelegenheit haben, die ersten Eindrücke aufzufrischen, zu vervollständigen und ihren geistigen Gehalt tiefer zu erfassen.

Inzwischen war auch in Tirol die bessere Jahreszeit eingezogen und hatte das Inntal mit verschwenderischen Reizen übergossen. Nach ernstem Studium wurde denn auch nicht versäumt, die herr­liche Natur zu genießen. Es war Gelegenheit geboten zu den [15] schönsten Spaziergängen, so über das reizende Mittelgebirge zum lieblichen Wallfahrtskirchlein »Heilig Wasserl« am Fuße des Patscher Kofl; dort grüßten wir Maria in ihrem schlichten Bilde und fanden nachher bei der guten Wirtin leibliche Erquickung. Ein anderer vielbesuchter Wallfahrtsort ist Absam. Der Weg dorthin führt talabwärts durch eine Reihe freundlicher Dörfer an der Stadt Hall vorbei.

Eine Wallfahrtsstätte eigentümlicher Art ist der sogenannte Tumelplatz (tumulus), ein Waldfriedhof, auf dem zahlreiche in den Franzosenkriegen gefallene Soldaten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Hier betet man für die Armen Seelen; aber auch zu ihnen, und nicht ohne Erfolg, wie die vielen Exvotos dartun. Überhaupt lebt die Andacht zu den Verstorbenen tief in der Seele des Volkes. In den Kirchen findet man wohl in der Nähe des Weihwasserbeckens eine Darstellung des Fegfeuers, und die Besucher versäumen nicht, auch den abgeschiedenen Seelen einige Tropfen des gesegneten Wassers zu schenken.

Die wilde Mühlauer Klamm, das großartige und zugleich liebliche Selraintal, die in majestätischen Bogen den Sillfluß überspannende Stefansbrücke sind weitere Glanzpunkte der näheren Umgebung Innsbrucks.

In den Ferien wurde wohl auch ein weiterer Ausflug gemacht, so einmal eine herrliche Fußtour über Seefeld mit seiner berühmten wunderbaren Hostie, nach dem bayerischen Flecken Mittenwald, am Fuße des Wetterstein- und Karwendelgebirges, und von da am Walchensee vorbei über Benediktbeuren und Tegernsee nach Tirol zurück zum herrlichen Achensee. In Eben wurde der heiligen Notburga († 1313) ein Besuch abgestattet, die dort in prächtigem Schmucke auf dem Altare steht, mit erhobener Sichel in der Hand.

Ein anderes Mal (1873) benutzten wir die Heimreise zu einer größeren Fußtour durch die herrliche Alpenwelt, die so laut von Gottes Allmacht und Größe erzählt. Der Weg führte uns, bei vorübergehendem Schneewetter (am 15. Juli!) über Nassereit, Lermoos, Reutte nach Hohenschwangau; von da nach Füssen, Kempten, Lindau [16] und über den Bodensee nach Konstanz. Hier wurden das Münster und der Konzilssaal besucht. An dem Hause, in dem Johannes Huß festgenommen worden, lesen wir die Inschrift: »O we mir arme tropf! – hier nam man mich beim schopf. Hierher ich entrunnen war, – bin doch nit kummen auß’der g’far.«

Über Schaffhausen, wo wir den Rheinfall bewunderten, gings nach Freiburg im Breisgau. Hier wurde aber nicht nur das Münster besichtigt und der Schloßberg bestiegen. Was uns mehr als alles andere nach der schönen Dreisamstadt zog, das war der bekannte Professor Alban Stolz; ihn wollten wir sehen und wo möglich sein Kolleg besuchen.

Für Alban Stolz waren wir nicht wenig begeistert. P. Jungmann S. J., unser Professor in der geistlichen Beredsamkeit, schätzte die Werke von Alban Stolz sehr hoch und rühmte ihn uns als einen Schriftsteller, der noch deutsch zu schreiben verstehe. In der Vorlesung, der mir beiwohnten, sprach Alban Stolz über die religiösen Gefühle, wie diese stets von der christlich erleuchteten Vernunft geleitet werden müssen, wie der Katechet sie bei den Kindern wecken und in Gebet und Lied zum entsprechenden Ausdruck bringen soll; daß sie nur Bedeutung hätten, wenn sie mit christlichem Leben und Wirken verbunden seien, denn »Gottes Liebe ohne Tat – Ist Teufels Lust und Teufels Rat.« – Es ist mir zeitlebens eine angenehme Erinnerung geblieben, den bedeutenden Mann gesehen und gehört zu haben.

In Straßburg, wo die Spuren des Bombardements von 1870 noch nicht ganz verwischt waren, wohnten wir in der Seminarkapelle der Feier der heiligen Priesterweihe bei, die Bischof Räß († 17. November 1887) vornahm. Unter den Neupriestern befand sich einer unserer Innsbrucker Freunde.

Im Herbste des Jahres 1872 trat ich in das theologische Konvikt ein. Leider mußte ich aus Gesundheitsrücksichten zu Ostern die Anstalt wieder verlassen, konnte aber im folgenden Jahre dorthin [17] zurückkehren. Das geordnete Leben, die umsichtige, väterliche Leitung seitens der hochwürdigen Patres der Gesellschaft Jesu, der Geist herzlicher brüderlicher Liebe, der die Alumnen beseelte, machte den Aufenthalt in dieser Anstalt nützlich und angenehm zugleich. Die Frömmigkeit wurde eifrig gepflegt: die häufige Kommunion stand in Blüte, die Andacht zum heiligsten Herzen Jesu, von den hochwürdigen Patres mit besonderer Sorgfalt gepflegt, pflanzte sich tief den Herzen ein. Die tägliche Betrachtung, fromme Lesung und Gewissenserforschung förderten das geistliche Leben und nährten den guten Eifer. Letzterer betätigte sich in freudiger Berufsarbeit und treuer Pflichterfüllung. Es wurde im Konvikt mit großem Fleiße studiert, so daß für alle die daselbst verbrachten Jahre reich gesegnet waren.

Ich begann nun das Studium der eigentlichen Theologie. Dogmatik hörte ich bei den Patres Stentrup und Hurter. P. Stentrup war ein bedeutender Theologe; er hatte einen glänzenden Vortrag, sein Geist nahm einen hohen Flug, wohl zu hoch für die Mehrzahl seiner Zuhörer. P. Hurter († 10. Dezember 1914), damals schon durch seine wissenschaftlichen Werke vorteilhaft bekannt, war einfacher, verständlicher und darum seinen Schülern von grösserem Nutzen. An den Vorabenden der Feste pflegte er der Vorlesung eine entsprechende kurze Exhorte anzuschließen: theologia mentis et cordis (Theologie für Geist und Herz) war sein Ideal. Kirchenrecht trug P. Nilles († 31. Januar 1907) vor, der durch seine zahlreichen liturgisch-kanonistischen Veröffentlichungen sich verdient gemacht hat; er war zugleich Regens des theologischen Konvikts. P. Tuzer, Professor der Exegese, war ein sehr gelehrter, aber auch sehr origineller Herr. Moral dozierte P. Jung; er war kein wissenschaftlicher Theoretiker, sondern ein Mann der Praxis und des Seeleneifers. Er teilte seinen Zuhörern aus seiner reichen Erfahrung mit und vergaß nie, durch ein «hoc est valde practicum» (das ist für die Praxis wichtig) die Aufmerksamkeit auf die betreffenden Punkte zu lenken.

[18] Das größte Ansehen genoß unter den Theologiestudierenden P. J. Jungmann († 25. November 1885), Professor der geistlichen Beredsamkeit und Katechetik. Seine Vorträge waren sehr interessant und lehrreich. Als Philosoph ging er den Dingen auf den Grund. Die beiden Schriften, die er damals veröffentlicht hatte, »Gemüt« (2. Aufl. 1885) und »Schönheit und die schöne Kunst, (1866) gaben seinem Fache die philosophische Grundlage. Die theoretischen Darlegungen wußte er im Unterricht durch zahlreiche Beispiele mustergültiger Vorbilder zu stützen und zu veranschaulichen. Aus seinen Vorlesungen ist später das große Werk »Theorie der geistlichen Beredsamkeit« (2 Bände, 3. Aufl. 1895) hervorgegangen. Auch außer­halb des Kollegs übte P. Jungmann einen weitgehenden und geseg­neten Einfluß auf die Studenten aus.

Worin alle Professoren übereinstimmten, das war die gesunde katholische Lehre, die sie uns unverfälscht übermittelten; ein Modernist konnte aus der Innsbrucker theologischen Schule nicht hervorgehen. Alle waren auch einmütig in der Liebe zur heiligen Kirche und in der treuen Hingebung an den Stuhl Petri, Gesinnungen, die sich uns unvermerkt mitteilten und die wir als kostbares Erbe mit ins Leben nahmen.

Die Unterrichtssprache war die lateinische; nur Kirchengeschichte und Beredsamkeit wurden deutsch vorgetragen. Das verursachte anfangs wohl einige Schwierigkeiten, da man es ja leider auf dem Gymnasium nicht mehr zum Lateinsprechen brachte; allein ich freue mich, daß ich lateinische Vorlesungen hörte und mich so mit der Sprache der Kirche mehr vertraut machen konnte. Übrigens wird auch in den österreichischen Priesterseminarien die Theologie lateinisch vorgetragen, wie die katholische Tradition es verlangt; für Innsbruck kommt in dieser Hinsicht noch der besondere Grund hinzu, daß die theologischen Vorlesungen von manchen Ausländern, von französisch sprechenden Schweizern, Amerikanern usw. besucht werden.

Von meinen damaligen Mitschülern wurden eine Anzahl später weiter bekannt, so der nachmalige Fürsterzbischof von Prag [19] Graf Schönborn, Domdekan und Reichstagsabgeordneter Schädler, Volksschriftsteller Dekan Wetzel, die Professoren P. Biederlack und P. Michael S. J., der Propst an St. Hedwig in Berlin, Prälat Kleineidam, und andere.

Während meines Innsbrucker Aufenthaltes besuchte Kaiser Franz Josef I., damals im rüstigen Mannesalter stehend, die Stadt; desgleichen der Sieger von Custozza, Erzherzog Albrecht, Vater des Erzherzogs Friedrich, des österreichisch-ungarischen Generalissimus im Weltkriege. Von kirchlichen Würdenträgern sah ich den Oberhirten der Diözese, Fürstbischof Vinzenz Gasser von Brixen († 6. April 1879), einen der bedeutendsten Bischöfe des vorigen Jahrhunderts; dieser spielte auf dem vatikanischen Konzil eine ganz hervorragende Rolle; er glänzte da nach dem Ausdrucke eines der Sekretäre des Konzils wie die Sonne unter den Sternen: »Qui fuit in Concilio inter multa sidera sol«. Wenn er seine großen, selbst mehrstündigen dogmatischen Reden hielt, so hingen, wie Leo XIII. sich äußerte, alle Bischöfe an seinen Lippen. Als ich den Fürstbischof in der St. Jakobs-Pfarrkirche sah, war er schon recht leidend; fortwährende, fast übermenschliche Anstrengung hatte ihn gebrochen. Der durch seine volkstümlichen Schriften und seinen Seeleneifer bekannte Fürstbischof Johannes Zwerger von Seckau († 14. August 1893) besuchte uns im Konvikt und ermunterte uns durch sein apostolisches Wort.

Mittlerweile ging für mich das sechste Semester zur Neige. In meinem Berufe zum Priesterstande fühlte ich mich mehr und mehr befestigt, ja heilige Begeisterung empfand ich für ihn. Aber ob ich im Weltpriester- oder im Ordensstande Gott und der Kirche dienen sollte, das war die große Frage, welche die ganze Zeit hindurch meinen Geist in Anspruch nahm und in Spannung hielt. Immer wieder drängte sich mir der Gedanke an den Ordensstand auf; aber dieser Gedanke war mir sehr lästig und ich empfand gegen seine Verwirklichung eine fast unüberwindliche Abneigung. [20] Mein Beichtvater beruhigte mich mit dem Bemerken, so lange diese Stimmung andauere, brauche ich an den Eintritt ins Kloster nicht zu denken.

Die Lage sollte sich mit einem Schlage ändern. Es war im Sommer des Jahres 1874 während einer dogmatischen Vorlesung, als mir wie ein Blitz die Überzeugung durch die Seele drang, Gott habe mich zum Ordensstande berufen. Von diesem Augenblicke an war alles Widerstreben verschwunden, freudig war ich entschlossen, dem göttlichen Rufe zu folgen.

Sogleich war auch meine Wahl getroffen; ich wollte in die Gesellschaft Jesu eintreten, die ich in so würdigen Vertretern vor mir sah. Doch der Mensch denkt, und Gott lenkt. Obwohl mein Beichtvater, P. Haller, meinen Entschluß vollkommen billigte, dachte man an maßgebender Stelle anders und lehnte mein Gesuch um Aufnahme ab. Diese Entscheidung ging mir sehr nahe und blieb mir damals unverständlich; später sollte ich sie verstehen und in ihr eine liebreiche Fügung der göttlichen Vorsehung erkennen.

Ich gedachte nun zunächst meine theologischen Studien zum Abschlusse zu bringen, um dann aufs neue und, wie ich hoffte, mit besserem Erfolge um die Aufnahme nachzusuchen.