Für Brillenbedürftige

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Autor: Hugo Süßbach
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Titel: Für Brillenbedürftige
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 308
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[308] Für Brillenbedürftige. Gegen das Unwesen, das in den meisten Landkreisen, selbst in den kleineren Städten Deutschlands, mit dem Verkaufe von Brillen getrieben wird, veröffentliche ich nachstehende Warnung:

Im Allgemeinen erkennt man die Wichtigkeit einer passenden Brille und die großen Nachtheile einer nicht passenden, gewöhnlich zu scharfen Brille viel zu wenig. Man verfährt bei der Anschaffung einer Brille viel zu leichtsinnig. Besonders auf dem Lande wird weder der Arzt noch der Optiker zu Rathe gezogen. Kurzsichtige, die auf dem Lande in viel geringerer Zahl als in den Städten vorhanden sind, die beim Arbeiten in der Nähe durch die Kurzsichtigkeit nicht gestört werden, wählen nur in den seltensten Fällen bei ungewöhnlich hochgradiger Kurzsichtigkeit, die etwa am Erkennen der Furchen hindert, eine Brille. Die Kurzsichtigen auf dem Lande verzichten lieber auf das Sehen in die Ferne, auf das Grüßen in Entfernung und scheuen überdies das Auffallende des öffentlichen Tragens einer Brille oder gar einer Lorgnette. Wird dagegen Jemand gewahr, daß ihm das Lesen kleiner Schrift, das Einfädeln einer Nähnadel sehr schwer wird, so forscht er nach, ob in der Familie oder bei einem Nachbarn eine Lesebrille vacant ist. Hat sich eine solche gefunden, so richtet er sich, wenn das Sehen kleiner Gegenstände nur einigermaßen durch die Familienbrille gebessert wird, mit derselben ein, natürlich zum großen Nachtheile seiner Augen. Solche Brillen wechseln mitunter fünf-, sechsmal ihren Besitzer. Nun kommt alljährlich zu bestimmten Zeiten der Handelsmann mit Brillen in das Dorf und es beginnt das Kauf- und Tauschgeschäft. Der Hausirer, der nur die oberflächlichsten Kenntnisse von Brillengläsern hat, der vielleicht wenige Monate vorher mit alten Kleidern handelte und diesen undankbaren Artikel gegen den einträglicheren Brillenhandel auf dem Lande eintauschte, er weiß seine Brillen mit großer Beredsamkeit an den Mann zu bringen. Im günstigen Falle paßt die Brille wirklich und der Käufer hat nur den Nachtheil, daß er den doppelten Preis zahlen muß. In den allermeisten Fällen ist die Brille zu scharf; sie bessert das Sehvermögen für den Augenblick, indeß bei anhaltendem Gebrauch verursacht sie Drücken im Auge, Thränenlaufen, leichte Eingenommenheit des Kopfes und Reizerscheinungen anderer Art. Findet der Hausirer keine passende Brille, so empfiehlt er zur Schonung des Auges eine blaue Brille. Jedenfalls verkauft er eine Brille, selbst da, wo eine solche ganz unnöthig ist. Er läßt sich oft zwei bis drei Thaler für eine stählerne Convexbrille zahlen, die bei jedem Optiker einer größeren, selbst mittleren Stadt zu dem Durchschnittspreise von einem und ein Drittel Thaler zu haben ist. Bei einem Tauschgeschäfte nimmt er zwei alte Brillen gegen eine neue an und läßt sich anderthalb bis zwei Thaler zuzahlen. Um sich eine größere Glaubwürdigkeit zu verschaffen, so giebt er frecher Weise an, daß er von einer benachbarten Augenheilanstalt mit dem Verkaufe der Brillen beauftragt sei.

Ein solch geriebener Patron, der im vorigen Jahre den Liegnitzer und die benachbarten Landkreise mit blauen Brillen der schlechtesten Qualität versorgte und sich das einzelne Exemplar, das einen ungefähren Werth von fünfzehn Neugroschen hatte, mit zweieinhalb bis drei Thalern bezahlen ließ, gab an, daß er von dem Kloster der barmherzigen Brüder in Breslau mit dem Brillenverkaufe betraut worden sei. Welch großer Nachtheil, weniger noch dem Geldbeutel, als der Sehkraft der armen Brillenbedürftigen durch solche Hausirer zugefügt wird, dürfte annähernd kaum richtig gewürdigt werden. Ich gebe daher den Rath, niemals von Hausirern Brillen zu kaufen. „Die Brillengläser sind,“ wie der berühmte Augenarzt Arlt sagt, „durchaus keine gleichgültigen Gegenstände für die Augen, sie sind den kräftigsten Arzneimitteln an die Seite zu stellen. Und doch, während die sogenannten heroischen, das heißt die stark wirkenden Arzneimittel selbst in Apotheken nur mit größter Vorsicht verabfolgt werden dürfen, verkauft jeder armselige Krämer und Hausirer Augengläser, gleichviel ob gut, ob passend für das Auge oder nicht. So wird das wichtigste der Sinneswerkzeuge mit unverzeihlichem Leichtsinne der Gefahr preisgegeben, seine Brauchbarkeit einzubüßen.“ Heutzutage ist das auch nicht mehr der Weg, sich ein Augenglas zu wählen. Die Aerzte weisen jetzt nicht mehr, wie in früheren Zeiten, die Brillenbedürftigen kurzweg an den ersten besten Optiker. Sie untersuchen zunächst, ob überhaupt eine Brille nothwendig sei oder nicht. Im Besitze einer ausreichenden Anzahl von Probenummern sämmtlicher Gläser, die im Gebrauch sind, wählen sie nicht das für den Augenblick am meisten zusagende, gewöhnlich zu scharfe, sondern das passende Glas, bezeichnen die Nummer desselben genau und schicken den Brillenbedürftigen mit dieser schriftlichen Anweisung zu dem Optiker, „gerade so, wie sie,“ nach einem treffenden Vergleiche Arlt’s, „einen Kranken mit einem Recepte an den Apotheker adressiren.“ In einzelnen Fällen bestimmen sie auch bald, wann das Glas gegen eine stärkere Nummer umgetauscht werden solle. Sie geben fernere nothwendige Verhaltungsvorschriften an, so zum Beispiel den Kurzsichtigen, daß sie die Concavbrille, die sie für die Ferne brauchen, stets beim Lesen abnehmen, oder, falls sie diese Unbequemlichkeit scheuen, eine Lorgnette vorziehen sollen.

Wenn diese Andeutungen dazu dienen, dem durch die Brillenhausirer geübten Unfuge zu steuern, so ist der Zweck dieser Zeilen erreicht.

Liegnitz.
Dr. Süßbach.