Fliegende Hunde

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Fliegende Hunde
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 524–527
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Fliegende Hunde.
Von Brehm.


Nichts finde ich natürlicher, als daß der gebildete Europäer just noch ebenso abergläubisch ist, wie der Neger oder Indianer. Das Wunder, als des Glaubens liebstes Kind, wird unseren Kindern und uns von Kanzel und Lehrstuhl herab als unbestreitbare Wahrheit gepredigt und gelehrt, jedes Aufdämmern vernünftiger Anschauungen von hier aus mit Acht und Bann belegt und damit in allen denkfaulen Köpfen ein Feld bestellt, auf welchem neben dem Glauben auch der Aberglaube seine geilen üppigen Schößlinge treibt und treiben muß. Wer an den Teufel glaubt, hat, um ein Beispiel anzuführen, entschieden nicht das Recht, denjenigen zu verspotten, welcher die Sage vom Vampyr als grausige Wahrheit ansieht; denn schließlich besteht der ganze Unterschied zwischen dem Märchen von blutsaugenden Gespenstern und vom Aberglauben vom Teufel nebst Höllengesindel doch nur darin, daß sich in den Schriften des Morgenlandes keine Belegstellen für Vampyre, sondern nur solche für Satan und Genossen finden.

Billige Erwägung dieses Umstandes stimmt mich zur Milde, wenn ich hören muß, daß die seit einigen Monaten im Berliner Aquarium ausgestellten Flughunde kurzweg als „Vampyre“ bezeichnet werden. „Meine Damen und Herren,“ pflege ich dann unaufgefordert zur Berichtigung zu sagen, „Vampyre giebt es allerdings, zwar nicht im Sinne der Glaubensgenossen unserer verehrlichen Mitbürger Knak und Disselhoff, wohl aber in der Thierkunde, blutsaugende Fledermäuse nämlich. Solche finden sich nicht allein in Südamerika, sondern auch bei uns zu Lande; sie sind aber klein und ziemlich harmlos, namentlich die unserigen, welche bis jetzt erweislich noch kein Menschenblut, sondern höchstens das von anderen Fledermäusen und Hühnern abgezapft haben. Die Thiere nun, welche Sie hier vor sich sehen, sind fruchtfressende Fledermäuse, ihres Hundskopfes halber Flug-, Fleder- oder fliegende Hunde und beziehentlich Füchse, von Marktschreiern und Thierhändlern thatsächlich freilich auch Vampyre genannt.“ Dank meines vertrauenerweckenden Gesichtes finde ich in der Regel schließlich Glauben, nicht immer jedoch ohne weiteres, da sich der Vampyr viel zu fest an manches Hirn angesaugt hat. Und doch brauchte man meinen Flughunden nur in das dummgutmüthige Auge zu blicken, um sich selbst sagen zu müssen, daß es ihnen nicht in den Sinn kommen kann, sich mit verabscheuungswürdigem Teufelsspuk zu befassen.

Die Familie der fruchtfressenden Fledermäuse oder Flederhunde verbreitet sich über Afrika, Südasien und den malaiischen Archipel, und umfaßt ungefähr dreißig Arten, von denen die größten einem kleinen Marder an Leibesumfang etwa gleichkommen und eine vier bis fünf Fuß klafternde Flatterhaut besitzen. Ich habe in Afrika nur eine der kleinsten Arten und auch sie immer blos spärlich gefunden, über das Freileben der Thiere also wenig Beobachtungen sammeln können. Solche sind uns neuerdings mitgetheilt worden durch Tennert, welcher während seines langjährigen Aufenthaltes auf Ceylon gerade die im Aquarium aufgestellte Art tagtäglich auf den Bäumen vor seinem Hause hängen sah und somit im Stande war, ein sehr getreues Bild ihres Lebens und Treibens zu entwerfen. Sie finden sich besonders häufig in allen Küstengegenden der Insel und streichen hier, der Fruchtzeit gewisser Bäume entsprechend, von einer Gegend zur anderen. Beliebte Ruheorte von ihnen sind die großen Silberwoll- und indischen „Raspel“-Bäume, gleichviel ob solche in der Nähe bewohnter Ortschaften oder im einsamen Walde stehen. Auf einer Baumgruppe am Pflanzengarten zu Paradenia unweit Candy vereinigen sie sich im Herbste manchmal zu unschätzbaren Schaaren, verlassen den Wohnsitz aber, wenn die Früchte der elastischen Feige aufgezehrt worden sind. Auf ihren Lieblingsbäumen hängen sie sich zuweilen in solcher Menge an, daß starke Äeste durch ihr Gewicht abgebrochen werden. Jeden Vormittag, in der Regel zwischen neun und elf Uhr, machen sie sich auf und fliegen eine Zeit lang umher, anscheinend, um sich zu üben, wahrscheinlich wohl, um sich zu sonnen und ihre Flughäute vom Nachtthau zu

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Fliegende Hunde.
Nach der Natur gezeichnet von Emil Schmidt.

[526] trocknen. Gelegentlich dieser Ausflüge lassen sich ihre ungeheuren Schaaren am besten schätzen. Sie fliegen in wolkenartigen Schwärmen, scheinbar ebenso dick wie Bienen oder Mücken. Nach geraumer Zeit kehren sie zu ihren Bäumen zurück, hier wie eine Affenherde lärmend und kreischend, weil jeder einzelne sich bemüht auf Kosten der übrigen, den schattigsten Platz zu erobern. Alle Zweige, an denen sie sich anhängen, entblättern binnen Kurzem in Folge der unruhigen Hast der Flederhunde, welche ihre scharfen Krallen ohne jegliche Rücksicht auf den Wohnbaum verwenden. Mit Sonnenuntergang erheben sich die Schwärme zum zweiten Male, um sich nach ihren Futterplätzen zu begeben, und jetzt durchmessen sie oft beträchtliche Strecken, weil sie sich, ihrer großen Anzahl und Gefräßigkeit halber, nothwendiger Weise über einen ausgedehnten Raum verbreiten müssen. Außer den Früchten verschiedener Feigenarten fressen sie alle Baum- und Rankenfrüchte, welche der Mensch anbaut. Während man den Saft der Cocospalmen auffängt, sollen sie oft herbeikommen, gierig lecken und sich förmlich berauschen. Sonst trinken sie nur Wasser, und zwar von einem über die Oberfläche eines Gewässers hängenden Zweige aus, läppend wie ein Hund. Neben der pflanzlichen Nahrung verzehren sie Kerbthiere aller Art, Vogeleier und junge Vögel, sollen sogar, wie die Singalesen behaupten, mit Baumschlangen anbinden und auch diese zerfleischen und verzehren. Pflanzenkost bildet jedoch unter allen Umständen ihre Hauptnahrung, oft genug zum Schaden des Menschen, dessen Pflanzungen und Weinbergen sie beträchtlichen Schaden zufügen. Trotzdem verfolgt man sie nur hier und da, hauptsächlich des Fleisches wegen, welches wie das unseres Hasen schmecken soll. In manchen Gegenden des festländischen Indiens dagegen läßt sich die fromme Einfalt des Hindus auch von ihnen jede Plünderung ruhig gefallen, duldet nicht, daß sie verfolgt werden, erblickt in ihnen eher noch heilige, unverletzliche Wesen.

Ich sah die ersten Flughunde in den Londoner Zoologischen Gärten, bemühte mich aber mehrere Jahre lang vergeblich, ein Pärchen oder einen von ihnen zu erwerben. Einer und der andere gelangte allerdings auf den europäischen Thiermarkt, fand aber stets schon in England seinen Käufer, meist Thierschaubudenbesitzer, nach deren Ansicht ein „Vampyr“ erklärlicher Weise zu den verlockendsten Schaustücken für Diejenigen gehört, welche, wie das Sprüchwort behauptet, niemals aussterben. Mag man auch in der Thierbude selbst sehen, daß dem „Scheusale“ einfacher Reisbrei oder Milchbrod vorgesetzt wird: man glaubt doch dem plappernden Papagei in Gestalt des Thierbeschreibers, richtiger Thierverleumders, der Schaubude, welcher gegen Erstattung eines besondern Trinkgeldes alle Ungeheuerlichkeiten der Vampyrsage in eingelernter, sich ewig gleich bleibender Weise herunterleiert; die Bude füllt sich, und der „Vampyr“ ist bald bezahlt, auch wenn er hundert Thaler gekostet haben sollte. Ich mußte mich, um meinen „Herren Collegen“ zuvorzukommen, schließlich bequemen, Flughunde im Voraus zu bestellen, und versprechen, jeden irgendwie zulässigen Preis für sie zu bezahlen. Hätte ich ahnen können, daß ein erfindungsreicher Hidalgo aus dem Bruderstamme jenseits des Aermelmeeres mit etwa fünfzig Paaren der ersehnten „Hunde“ bereits unterwegs war, und daß man die Thiere kurze Zeit darauf selbst bei Vogelhändlern (unter Anderen bei Geupel-White in Leipzig, woselbst unser Zeichner seine im Aquarium begonnenen Studien fortsetzte) zu sehen bekommen könnte: ich würde mich nicht so beeilt, mindestens nicht einhundertfünfzig Thaler für das Pärchen der immerhin ziemlich hinfälligen Thiere bezahlt haben. Trotzdem bin ich weit entfernt, den Ankauf der Flughunde zu bereuen: sie haben mir und tausend Anderen viel Vergnügen bereitet und sich somit reichlich bezahlt gemacht.

Leider ist es nicht möglich, fliegende Hunde so unterzubringen, daß alle Eigenschaften von ihnen zur Geltung kommen können. Der größte Käfig wäre für sie, als fliegende Säugethiere, noch immer viel zu klein, dürfte sie sogar gefährden, weil sie in einem einigermaßen ausgedehnten Raume zu fliegen versuchen, an den Wänden anstoßen und sich schädigen würden. Aus diesem Grunde hält man sie am zweckmäßigsten in großen Vogelbauern, welche ihnen einigen Spielraum gewähren, alle Fluggedanken aber von vornherein verbannen. Hier kann man sie wenigstens im Schlafe beobachten und einige ihrer Lauf- und Kletterbewegungen studiren.

Uebertages hängen sich die Flughunde an einem ihrer Beine auf, bald an dem rechten, bald an dem linken, ohne dabei regelmäßig zu wechseln. Das zweite Bein wird in schiefer Richtung von oben nach unten oder hinten nach vorn über den Bauch gelegt. Den Kopf biegt das Thier tief auf die Brust herab, bezüglich herauf, da es ja doch mit demselben abwärts hängt, so daß das Genick den tiefsten Punkt des Körpers bildet und nur noch durch die gespitzten Ohren überragt wird.

Nachdem es diese Stellung eingenommen hat, schlägt es erst den einen Flügel mit halb entfalteter Flatterhaut um den Leib, sodann den zweiten, etwas mehr gebreiteten darüber und hüllt dadurch den Kopf bis zur Stirnmitte, den Leib bis auf den Rücken vollkommen ein, ähnlich dem Spanier, wenn er seine Manta um sich wirft. Der handartig gebildete Fuß, dessen lange Fingerzehen mit großen, starkbogig gekrümmten, scharfspitzigen Nägeln bewehrt sind, findet an jedem Aste, an jedem Zweige oder auch am Drahte des Gebauers sicheren Anhalt, und die Lage des Flughundes erscheint, so ungewöhnlich sie dem Unkundigen vorkommen mag, ungezwungen und natürlich, ist auch unzweifelhaft die bequemste Stellung, welche das Thier überhaupt einnehmen kann, zum Schlafen in den lichtdurchglühten Baumkronen seiner Heimath also so geeignet als möglich. Die Flughaut schirmt das Auge von den Lichtstrahlen und schließt die edleren Sinne, mit Ausnahme des Gehörs, vollständig von der Außenwelt ab, läßt aber neben den Kopfseiten noch Raum für den zur Athmung erforderlichen Luftstrom, und erfüllt somit den Zweck einer Umhüllung besser als jede Decke. Zum Verkehr mit der Außenwelt genügt das Gehör, welches zwar, so weit man von den spitzen, nacktbäutigen Fuchsohren folgern darf, an Schärfe dem anderer Fledermäuse bedeutend nachstehen muß, immerhin aber genügend entwickelt sein wird, um jedes störende oder gefahrdrohende Geräusch zum Bewußtsein des Schläfers zu bringen. Ein etwa fallender Regenguß näßt höchstens einen Theil des Unterrückens, nicht aber den übrigen Körper ein, welcher durch die stets sorgfältig gefettete Flatterhaut ebenso gut geschützt ist, wie Unsereiner durch einen Gummimantel. Kurz, die eigenthümliche Ausrüstung des Flughundes kann auch während seines Schlafes gar nicht besser verwerthet werden, als es von seiner Seite geschieht: ein eifriger Zweckmäßigkeitsprediger fände, wollte er unser Thier in den Kreis seiner nutzlosen Betrachtungen ziehen, den ausgiebigsten Stoff zu Faseleien in bekannter Weise.

Der Schlaf unserer Flederhunde währt, so lange die Sonne am Himmel steht, wird aber zeitweilig unterbrochen, um irgend ein wichtiges oder unaufschiebliches Geschäft vorzunehmen. Zu den regelmäßigen Arbeiten des Thieres gehört das Putzen der Flatterhaut. Es handelt sich dabei nicht alles um Reinigung, sondern, und mehr noch, um Einfettung und Geschmeidigmachung dieses so wichtigen Gebildes. Jedes einzelne Feld der Flatterhaut wird mittelst der Schnauzenspitze am allen Theilen gedehnt und ausgeweitet und jede einzelne Talgdrüse dadurch theilweise entleert, die Haut sodann aber innen und außen mit der Zunge beleckt und geglättet. Hierauf pflegt das Thier einen Flügel nach dem andern noch zu voller Breite zu entfalten, gleichsam um sich zu überzeugen, daß kein Theil übersehen wurde. Nach vollendeter Arbeit hüllt es sich ein wie vorher. Hat es ein natürliches Bedürfniß zu befriedigen, so entfaltet es beide Flügel, hebt sich mit dem Kopfe nach vorn und oben, greift mit beiden Daumenkrallen, den einzigen, welche die zum Gerüst für die Flughaut, umgebildete Hand besitzt, nach dem Zweige oder Drahte, an welchem es bisher hing, läßt mit dem Fuße los, fällt dadurch mit dem Hintertheile nach unten und kann sich nunmehr entleeren, ohne sich zu beschmutzen oder zu benässen. Unmittelbar darauf greift es mit den Füßen nach oben und nimmt sobald es sich festgehängt, die frühere Stellung wieder an.

Gegen Sonnenuntergang, meist noch etwas später, erwachen die Flughunde aus ihrem Tagschlafe, lockern die bis dahin eng abgeschlossene Umhüllung ein wenig, spitzen und bewegen die Ohren, putzen noch einige Zeit lang an der Flughaut herum und recken und dehnen sich. Jetzt regen sich auch Hunger und Durst. Humpelnden Ganges, halb kriechend, halb kletternd, bewegen sie sich vorwärts, mit Daumen- und Fußklauen überall nach Halt suchend und mit bemerklichem Geschick solchen auch findend, bis sie in entsprechende Nähe des Futter- und Trinkgefäßes gelangt sind. Am liebsten ist es ihnen, wenn sie, ohne ihre gewöhnliche Stellung aufzugeben, fressen, und trinken können. Sie genießen alle Arten von Obst, am liebsten Datteln, Apfelsinen, Kirschen und Birnen, minder [527] gern Aepfel und Pflaumen. Gekochter Reis behagt ihnen nicht sonderlich, Milchbrod ebensowenig, obgleich ihnen beide Nahrungsstoffe genügen, wenn ihnen andere nicht geboten werden. Sie fassen die Dattel oder den Bissen überhaupt mit dem Maule, kauen ihn aus, saugen dabei behaglich den ausfließenden Saft auf und werfen den Rest, einen großen Theil der Fasern, wieder weg, fressen überhaupt sehr lüderlich und verwerfen mehr, als sie genießen. Ist ihnen ein Bissen zu groß, so kommen sie mit der eben freien Fußhand zu Hülfe, ergreifen mit dieser fest und sicher eine ziemlich große Frucht und führen sie zum Munde. Erforderlichen Falls wird auch die Daumenkralle mit zum Halten verwendet. Zu ihren besonderen Genüssen gehört Milch, möglicherweise ihrer Schmackhaftigkeit halber, möglicherweise auch, weil sie das Bedürfniß empfinden, die ihnen doch nur sehr mangelhaft gebotene thierische Nahrung (feingehacktes Fleisch mit Ameisenpuppen, Käfern etc.) zu ersetzen. Sie trinken täglich ihr Schälchen Milch mit sichtlichem Behagen leer und lassen sich, wenn ihnen diese Leckerei winkt, recht gern ein gewaltsames Erwecken aus ihrem süßesten Schlummer gefallen.

Erst nach wirklich eingetretener Dunkelheit sind die Flughunde zu vollem Leben erwacht. Sie haben sich munter gefressen. Ihre dunkeln Augen schauen hell in’s Weite. Noch einmal werden alle Felder der Flughäute beleckt und geglättet, die Fittige abwechselnd gedehnt, gereckt und wieder zusammengefaltet, die Haare durch Kratzen und Lecken gekämmt und gesäubert; nunmehr versuchen sie, in ihrem engen Gefängnisse die nöthige Bewegung sich zu verschaffen. Die Fittige bald etwas gelüftet, bald wieder fast gänzlich zusammengeschlagen, klettern sie ununterbrochen auf und nieder, kopfoberst, kopfunterst, durchmessen alle Seiten des Käfigs, durchkriechen alle Winkel. Es sieht zum Erbarmen aus, wie sie sich abmühen, irgendwo oder wie die Möglichkeit zu entdecken, ihrer Bewegungslust Genüge zu leisten. Ja, wenn sie fliegen könnten, wie sie in ihrer Heimath es gewohnt! Arme Gefangene, wie gern möchte man euch helfen!

Einmal meine Flughunde in einem weiteren Raume zu sehen, konnte ich mir nicht versagen. Das Geschäftszimmer des Aquarium schien mir groß genug zu sein, um ihnen auch zum Fliegen Raum zu bieten. Der Käfig wurde Abends dorthin gebracht und die Thür geöffnet. Beide Flughunde waren vollkommen munter, kletterten ununterbrochen in ihrem Käfige umher, verließen denselben aber nicht. Die geöffnete Thür schien für sie gar nicht vorhanden zu sein; daß die Oeffnung ihnen einen Weg zum Entkommen bieten könnte, kam ihnen nicht in den Sinn. Ein Höhlenthier, eine Maus z. B., würde anders gehandelt haben, eine kleinere, in Häusern lebende Fledermaus sicherlich auch. Wir mußten uns entschließen, die Flederhunde gewaltsam aus dem Käfige zu nehmen – eine Arbeit, welche uns leichter schien, als sie war. Vor einem Bisse der immerhin leidlich bewehrten Thiere fürchtet sich Futtermeister Seidel, mein unentbehrlicher Gehülfe bei allen Beobachtungen und Versuchen, selbstverständlich nicht; demungeachtet hatte er seine liebe Noth, jene von den Gitterstäben des Käfigs loszulösen und in seine Gewalt zu bekommen. Hatte er wirklich einmal beide Fußhände losgehakt, so griffen die Flederhunde mit der Daumenkralle zu und hingen sich so fest, daß man sie, ohne ihnen Schaden zu thun, nicht frei machen konnte; waren glücklich auch die Daumenkrallen gepackt, so schlüpften die Fußhände wieder aus der Hand, oder ein meinem braven Seidel unversehens beigebrachter Biß that seine Wirkung, und alle eingefangenen Beine und Hakenkrallen wurden gleichzeitig frei. Endlich gepackt und trotz allen Beißens festgehalten, gelang es, die Thiere herauszubringen und außen auf den Käfig zu setzen.

Meine Hoffnung, daß sie von hier abfliegen würden, erfüllte sich nicht. Sie kletterten anscheinend ängstlich an den Außenwänden des Gebauers auf und nieder, schauten verlangend in’s Innere, untersuchten die Wände von allen Seiten, verließen sie aber nicht. Es wurde nunmehr eine schwache Stange herbeigeholt, in einiger Höhe über dem Boden befestigt und an sie die Flederhunde angehängt. Jetzt entfalteten sie die mächtigen Fittige, ließen die Fußhände los, thaten einige laut klappende Flügelschläge und – fielen zum Boden herab, mit möglichster Eile und doch höchst ungeschickt auf demselben weiter kriechend. Der Raum war für ihre Flugbewegungen doch noch viel zu klein! Eilig ergriffen wir die auf dem glatten Boden wahrhaft kläglich sich geberdenden Thiere, und mit ersichtlichem Behagen krochen sie in ihr enges Gefängniß zurück.

Unsere Gefangenen, ein richtiges Pärchen, haben bis jetzt im vollsten Einverständniß zusammen gelebt. Besondere Zärtlichkeiten erweisen sie sich freilich nicht; Zank und Streit kommt aber ebensowenig vor. Sie fressen gleichzeitig aus einer Schüssel, trinken gemeinschaftlich aus einer Tasse und hängen friedlich dicht nebeneinander. Auf Gleichgültigkeit gegen Gesellschaft darf man dieses schöne Verhältniß jedoch nicht zurückführen. Dazu sind sie zu leidenschaftlich. So gutmüthig sie zu sein scheinen, so willig sie sich von uns behandeln, berühren, streicheln lassen, so heftig werden sie, wenn Besucher sie muthwillig stören und necken. Ein höchst ärgerliches schnarrendes Knurren verkündet dann so deutlich, daß man gar nicht in Zweifel bleiben kann, wie zornig sie sind. Ihre Leidenschaftlichkeit äußert sich zuweilen aber auch ihresgleichen gegenüber. Dies erfuhr man im hiesigen zoologischen Garten, einer bisher arg vernachlässigten, seit Kurzem unter Leitung des trefflichen Bodinus rasch und kräftig aufblühenden Anstalt, welche schon gegenwärtig alle übrigen deutschen Thiergärten überflügelt hat. Die Flughunde des Aquarium hatten so großes Aufsehen erregt, daß Freund Bodinus sich entschloß, für den zoologischen Garten ebenfalls ein Paar anzuschaffen. Die Thiere kamen an und wurden ausgestellt; bald aber erkrankte eines und mußte behufs besonderer Pflege von dem Gefährten getrennt werden. Nachdem es vollständig genesen, konnte man es mit diesem wieder vereinigen. Am andern Morgen fand man es verendet im Käfige und zwar, zu nicht geringer Verwunderung der Beteiligten, ermordet durch den Genossen, mit welchem es so lange im tiefsten Frieden gelebt hatte. Man verschrieb also ein anderes Stück, um wieder ein Paar, d. h. ein Männchen und ein Weibchen zu besitzen. Bald nach der Vereinigung fand der Wärter beide Flughunde im wüthendsten ingrimmigsten Kampfe, einem solchen auf Leben und Tod, begriffen. Er griff entschlossen ein, trennte die auf das Höchste erregten Thiere mit größter Mühe und hielt einen verendenden Flughund in seiner Hand. Der Sieger war so erregt, daß er vor Ingrimm zitterte und noch lange Zeit wüthend schnarrte, so oft der Wärter in seine Nähe kam. Am andern Morgen lag auch dieser Flughund todt am Boden seines Käfigs: er war seinen im Kampfe erhaltenen Wunden ebenfalls erlegen. Die Untersuchung ergab, daß alle drei Flederhunde sich gegenseitig an derselben Stelle, dem Schultergelenk, angegriffen hatten. Bei einem der zuerst unterliegenden waren Oberarm, Seitenbrust und Achselgegend von Bissen förmlich zerfetzt, die großen Blutgefäße zerrissen und die Brustmuskeln theilweise abgebissen: der Tod erfolgte daher im Verlaufe weniger Minuten.

Der Doppelmord erklärte uns, Bodinus und mir, den ersten Todtschlag. Die Flederhunde bilden streng geschlossene Gesellschaften, wollen mit Fremden nichts zu thun haben und bekämpfen wahrscheinlich jeden Eindringling auf Tod und Leben. Der kranke Genosse war dem gesunden in den wenigen Tagen der Trennung ebenso fremd geworden wie der später neu erworbene Geselle; geschlechtliche Rücksichten kamen nicht zur Geltung, und der entsetzliche Zweikampf wurde ausgefochten.

Anders lassen sich diese Unthaten nicht wohl erklären; ein bemerkenswerther Beitrag zur Kunde des Wesens der so absonderlichen Geschöpfe bleiben sie aber dennoch. Sollte einer der Verfechter des unter dem Namen „Instinct“ allen Nichtdenkern aufgetischten Unsinns eine richtigere Erklärung des zwecklosen Mordens zu geben wissen, bin ich es auch zufrieden; denn unfehlbar ist nur der alte, thierunkundige Herr in Rom – ich bin es nicht.