Frankreichs schwarzes Cabinet
Das Auffangen von Correspondenzen und das Erbrechen von der Post anvertrauten Papieren war eine Ueberlieferung des alten Regimes, die schon unter Ludwig dem Elften bestand. Dieser hatte überhaupt den Grundsatz aufgestellt, daß die königlichen Couriere nur solche Briefe befördern dürften, welche die Behörde vorher durchgelesen hätte, um sich zu überzeugen, daß dieselben nichts enthielten, was der Regierung Nachtheil bringen könne. Von einem Monarchen seines Schlages darf das nicht Wunder nehmen.
Als der Cardinal Richelieu den Postendienst, der bis dahin den Universitätsboten reservirt war, den königlichen Courieren zuwandte, hatte er einen Hintergedanken, welcher den Ausspruch Montesquieu’s erklärt: „Die Conspirationen im Staate sind schwieriger geworden, weil seit der Einrichtung der Posten die Privatgeheimnisse ein öffentliches Geheimniß geworden sind.“ Der fromme Cardinal nannte das Oeffnen der Briefe ganz einfach „Das Aufweichen des Siegellacks“.
Ludwig der Vierzehnte vervollkommnete das Werk Richelieu’s, indem er ein politisches Polizeibureau errichtete, das speciell mit der Ueberwachung der Correspondenzen betraut war. Er nannte dasselbe „das geheime Cabinet der Posten“, woraus sich später die Bezeichnung „schwarzes Cabinet“, „cabinet noir“, bildete, welche Benennung sich seit jener Zeit bis auf unsere Tage erhalten hat. Man versteht darunter das in despotisch regierten Staaten mit der Postverwaltung in Verbindung stehende, zu dem Zwecke errichtete Cabinet, durch Erbrechen und geschickte Wiederverschließung der Briefe der Regierung Einblicke in die Geheimnisse der Privatcorrespondenz zu eröffnen. Ludwig’s des Vierzehnten berüchtigter Minister Louvois war die Seele des geheimen Spionir- und Brieferbrechungssystems. Die verschiedenen Abtheilungen des „geheimen Cabinets der Posten“ gingen erblich auf die Glieder derselben Familie über, welche eigens für dieses saubere Geschäft erzogen wurden. Diese geheimen Beamten waren ebenso verschwiegen, wie geschickt. Sobald eine politische Persönlichkeit ihrer Controle unterworfen war, nahmen sie einen Abdruck ihres Siegels, erbrachen und verschlossen deren Briefe mit einer solchen Gewandtheit, daß der betrügerische Verrath selbst nicht geahnt werden konnte. Mit diesem einfachen Mittel spionirte die bourbonische Monarchie nicht nur Frankreich, sondern auch ganz Europa aus. Sie durchbrach alle Mauern und drang bis unter die Dächer; sie durchforschte die stolzesten Paläste wie die elendesten Hütten. Sie entdeckte Alles, geheime Pläne, Complote und diplomatische Intriguen. Prinzen von Geblüt, die höchsten Würdenträger des Staates, Gesandte, Hohe und Geringe unterlagen der Controle des cabinet noir. Das „Ochsenauge“ im „schwarzen Cabinet“ spähete nach der ganzen Welt aus.
Ludwig der Fünfzehnte amüsirte sich mit dieser ungeheuren Spionage. Unter ihm hatte dasselbe jedoch mehr den Zweck, den Schleier vom Privatleben zu ziehen, und ist nicht mit jener politischen Agentur zu verwechseln, deren Zweck die Enthüllung diplomatischer Mysterien war, und als deren Directoren Prinz Conti und Graf Broglie functionirten. Eine Kammerfrau der Marquise Pompadour, Madame du Hausset, erzählt darüber Folgendes in ihren Memoiren: „Der König ließ dem Herzog von Choiseul das Geheimniß der Post, das heißt, den Auszug aus den geöffneten Briefen mittheilen, eine Gunst, deren der Herzog von Argenson, sein Vorgänger im Ministerium, sich niemals erfreut hatte. Choiseul mißbrauchte aber die Bevorzugung und amüsirte seine Freunde durch die Erzählung von launigen Geschichten und Liebesintriguen, die er auf diesem Wege erfahren. Ein halbes Dutzend Beamte im Hôtel der Post nahmen von den Briefen, deren Eröffnung ihnen anbefohlen war, einen Abdruck des Petschafts mit einer Quecksilberkugel, legten das Siegel über einen Becher mit warmem Wasser, bis das Wachs schmolz, öffneten den Brief dann, machten den Auszug und schlossen ihn wieder. Mit den Auszügen kam der Intendant alle Sonntage zum Immediat-Vortrage, ganz wie ein wirklicher Minister.“ Madame du Hausset hat hier Wahres mit Falschem gemengt; der Wasserdampf kann nicht Harz, sondern höchstens Oblaten auflösen, und was das Quecksilber anlangt, so ist eine Mischung aus Quecksilber und Silber gemeint, die sehr geschmeidig ist, schnell hart wird und einen Druck so klar wiedergiebt, daß sie ganz gut als Petschaft gebraucht werden kann. Seither hat die Entdeckung neuer Metalle diesem letzteren Theile des Geschäfts eine große Ausbildung gegeben, und Chemiker ersten Ranges haben es unter der Restauration, wo überhaupt das „schwarze Cabinet“ in der höchsten Blüthe stand, nicht verschmäht, die Kunst der „Siegelerweichung“ zu einer so hohen Vollendung zu bringen, daß dadurch auch der Mißtrauischste getäuscht werden kann.
Ludwig der Sechszehnte wollte in seiner Ehrenhaftigkeit dem Scandale, der den beliebtesten Zeitvertreib seines Vorgängers gebildet hatte, ein Ende machen und erklärte in einem Decrete vom 18. August 1775 „die geheime Correspondenz der Bürger für ein Heiligthum, das sich den Blicken der Gerichte wie der Privatpersonen entziehen müsse“.
Allein man wußte den schwachen König sehr bald zu überreden, daß die Staatsklugheit die Wahrung des Briefgeheimnisses nicht gestatte, und bald war das schwarze Cabinet wieder so thätig wie zuvor. In den Cahiers, welche die Wähler ihren Repräsentanten für die Generalstände 1789 mitgaben, spielte das stürmische Verlangen nach Beseitigung der Beschwerden über Verletzung des Briefgeheimnisses und nach strenger Bestrafung jedes Postbeamten, der sich dazu hergebe, Briefe zu öffnen, eine Hauptrolle. Allein schon in der Sitzung vom 25. Juli 1789 hatte Robespierre, der bekanntlich seine Ansicht wechselte, wie es ihm paßte, Mirabeau entgegnet: „Gewiß sind die Briefe unverletzlich; aber wenn eine ganze Nation in Gefahr schwebt, wenn man sich gegen ihre Freiheit verschwört, dann wird, was sonst ein Verbrechen ist, zur lobenswerthen Handlung. Schonung der Verschwörer ist Verrath am Volke.“
Am 8. Juli 1790 strich die Nationalversammlung auf Biron’s Bericht die Fonds für die Spionirdienste des schwarzen Cabinets, und am 22. August ward beschlossen, daß die Administratoren und Beamten der Post in die Hände der Richter den feierlichen Eid abzulegen hätten, für die gesammte Correspondenz des Königreichs die dem Briefgeheimnisse schuldige Achtung zu bewahren und durch alle in ihrer Macht befindlichen Mittel zur Geltung zu bringen. Trotzdem wurden fast um dieselbe Zeit, in welcher die Emigranten allseitig gegen die Nation conspirirten, die Depeschen des Grafen von Artois an Herrn von Castelnau, den französischen Minister zu Genf, confiscirt. Ein Deputirter der Constituante verlangte, daß alle seit dem Beginne der Unruhen in Paris aufgefangenen Briefe in einem sichern Depot zu verwahren seien, um der Nationalversammlung vorgelegt zu werden, wenn diese es passend finden werde; aber Mirabeau erhob sich gegen den Antrag.
„Paßt es für ein Volk, das frei werden will,“ ruft er in die Nationalversammlung hinein, „Maximen und Proceduren [289] von der Tyrannei zu entlehnen? Kann es einem Volke passend erscheinen, die Moral zu verletzen, nachdem es so lange ein Opfer Jener war, welche sie verletzten? Was werden wir durch die schmähliche Briefinquisition erfahren? Elende und schmutzige Intriguen, scandalöse Umtriebe, verächtliche Frivolitäten. Wie, das letzte Asyl der Freiheit sollte von Jenen selbst verletzt werden, welche die Nation zur Wahrung ihrer Rechte abgeordnet hat? Die geheimsten Seelenmittheilungen, die geheimsten Geistesconjecturen, die Ausbrüche eines grundlosen Zornes, die oft im nächsten Momente berichtigten Irrthümer sollten als Zeugniß gegen Parteien verwendet werden dürfen? Der Bürger, der Freund, der Vater und Sohn würden so, ohne es zu wissen, zu gegenseitigen Richtern werden. Sie könnten gelegentlich Einer den Andern verrathen. Und die Nationalversammlung sollte zur Basis ihrer Urtheilserkenntnisse zweideutige Mittheilungen machen, die sie sich nur auf dem Wege des Verbrechens verschaffen konnte?“
Mirabeau weist mit der Beredsamkeit eines empörten Geistes einen Antrag zurück, welcher die Versammlung entehren würde, und diese geht unter Beifallsrufen zur Tagesordnung über. Sie thut noch mehr: sie wandelt den von Mirabeau ausgesprochenen hochherzigen Grundsatz in ein Gesetz um, und schon am 14. August 1790 proclamirt sie die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses. Am 26. August decretirt sie, daß fortan „die Postverwalter und Beamten den Eid zu leisten hätten, das Briefgeheimniß unverbrüchlich zu bewahren und alle Verletzungen, die zu ihrer Kenntniß kamen, sofort anzuzeigen“. Gleichzeitig verhängt sie gegen die Zuwiderhandelnden strenge Strafen, als Geld-, Freiheitsstrafen und Verlust der bürgerlichen Rechte etc. Nach der Varenner Flucht wurden die Bedenken der Versammlung auf eine entscheidende Probe gestellt. Zwei an den König adressirte Briefe waren in den Tuilerien aufgefangen worden. Diese beiden Briefe konnten werthvolle Aufschlüsse über die Absichten, Beziehungen und etwaigen sträfliche Unternehmungen Ludwig’s des Sechszehnten geben. Sie waren außerdem erbrochen. Allein die Versammlung weigerte sich, von deren Inhalt Kenntniß zu nehmen, und verfügte, daß diese Briefe wieder versiegelt und dann dem Adressaten zugestellt werden sollten. So scheiterte das Uebermaß des Verraths an der anerkennenswerthen Ehrenhaftigkeit der Versammlung.
Derselbe Robespierre, der 1789 noch für Verletzung des Briefgeheimnisses eingetreten war, hatte am 28. Januar 1791, als es sich um gewisse Correspondenzen, welche der Nationalversammlung zur Prüfung unterbreitet waren, handelte, entrüstet ausgerufen: „Wie ist man zur Kenntniß dieser Schriften gegen die Nationalversammlung gelangt? Man hat also das Briefgeheimniß verletzt. Das ist ein Attentat gegen die öffentliche Sittlichkeit.“ Daß später das Sicherheitscomité solche freisinnige Auffassung wieder dementirte, versteht sich von selbst. Nach dem 9. Thermidor wollte der Convent von der Staatsraison zur Ehrlichkeit zurückkehren und beschloß am 9. December 1794: „Das Briefgeheimniß darf im Innern der Republik nicht verletzt werden, und die über die Verwaltung der Posten gemachten Bemerkungen werden dem Transportcomité zugewiesen.“
Indessen die Sittenlosigkeit der Thermidorianer, die Geriebenheit und Käuflichkeit ihrer Polizei ist wohl zu bekannt, als daß jener Resolution in der Praxis große Bedeutung beizulegen wäre. Daß das schwarze Cabinet unter dem Consulate und unter dem ersten Kaiserreiche wieder arbeitete, unterliegt wohl keinem Zweifel. Napoleon der Erste nahm die von Ludwig dem Vierzehnten eingeweihte Briefinquisition wieder auf. Der Despotismus griff wieder zu seinem finstern Geschäfte. Der Gedanke, gleichviel in welcher Form er auftrat, ob gedruckt oder handschriftlich, war der polizeilichen Ueberwachung unterworfen.
Die Präfecten konnten alle ihnen verdächtig scheinenden Briefschaften auf der Post in Beschlag nehmen lassen. Die seltsamsten und interessantesten, die amüsantesten und ernstesten wurdest dem Herrn und Meister rapportirt. Als Verbannter freilich war Napoleon anderer Ueberzeugung geworden. Auf Sanct Helena sprach er sich dahin aus, daß das Cabinet noir eine schlechte Institution sei, die mehr Uebles anrichte, als Gutes stifte. – „Ich benutzte das schwarze Cabinet,“ äußerte er sich öfter, „hauptsächlich um die geheime Correspondenz meiner Kämmerlinge, meiner Minister, meiner Großofficiere, Berthier’s, selbst Duroc’s kennen zu lernen.“ Uebrigens mißbilligte der Kaiser die Einrichtung des schwarzen Cabinets nicht, weil es unsittlich, sondern weil es unwirksam sei. Er beklagte sich darüber, daß seine gefährlichsten Feinde dieser Spionage entronnen seien, und sagte mit einem Seufzer das unerhörte Wort: „Es gab einen meiner Minister, von dem ich nie einen Brief auffangen konnte.“
Las Cases meldet über das schwarze Cabinet unter dem Kaiser Napoleon dem Ersten: „Sobald Jemand auf dieser wichtigen Ueberwachungsliste eingetragen war, ließ das Bureau sofort seine Wappen und seine Siegel graviren, so daß seine Briefe nach erfolgter Durchlesung und Wiederverschluß ruhig und ohne das leiseste Merkmal an ihre Adresse befördert werden konnten. Die Kosten des Bureaus beliefen sich auf sechshunderttausend Franken. Die Correspondenz von Privatleuten hielt der Kaiser eher für schädlich als für nützlich.“
Selbst ein Mensch wie der Polizeiminister Savary, der Vollstrecker so vieler geheimen Missionen, z. B. der gegen den Herzog von Enghien, verdammt vom Nützlichkeitsstandpunkte aus das schwarze Cabinet in den entschiedensten Ausdrücken. „Mehr als einmal hat man sich gerade dieses Mittels bedient, durch das der Chef des Staates die ungefälschte Wahrheit zu erfahren hofft, um wohlpräparirte Lüge bis unmittelbar zu ihm dringen zu lassen,“ schreibt Savary. „Mit Hülfe dieser Einrichtung kann ein Individuum einer beabsichtigten Denunciation doppelte Wahrscheinlichkeit verleihen; es braucht nur einen Brief auf die Post zu geben, welcher geeignet ist, die Meinung, um deren Verbreitung es sich handelt, zu unterstützen. Der ehrenwertheste Mann kann so durch einen Brief compromittirt werden, den er nie zu lesen bekommt und den er auch nicht verstehen würde. Ich spreche aus Erfahrung,“ fügt er hinzu.
Desgleichen erklärt Bourienne die offenbare Ungnade, die während des ganzen Empire auf General Kellermann lastete, in nachstehender Manier: „Der General-Postdirector Delaforest arbeitete oft mit dem ersten Consul, und man weiß wohl, was das heißen will, wenn ein General-Postdirector mit dem Staatsoberhaupte arbeitet. In einer dieser Sitzungen nun las Napoleon einen Brief Kellermann’s an Lasalle, worin es hieß: ‚Glaubst Du, mein Freund, daß Bonaparte mich nicht einmal zum Divisions-General gemacht hat – mich, der ich ihm die Krone auf’s Haupt gedrückt habe?‘ (Anspielung auf die Schlacht bei Marengo.) Der Brief ging an seine Adresse ab; Bonaparte aber hat den Inhalt des Briefes dem General Kellermann nie vergessen.“
Die Bourbonen behielten das von Napoleon dem Ersten wieder eingeführte Cabinet noir bei. Es ward wie bisher mit sechshunderttausend Franken aus den geheimen Fonds des Auswärtigen Amtes erhalten und von zweiundzwanzig Beamten verwaltet, unter denen sich sehr vornehme Personen befanden.
Bei dem Sturze Villèle’s (1828), der den Polizei-Präfecten Dolevan mitriß, erklärte das neue Ministerium officiell, „das schwarze Cabinet existire nicht mehr in der Postverwaltung“, eine Zweideutigkeit oder besser eine Lüge; denn man hatte es einfach verlegt. Nach der Julirevolution hatte man keine Mühe, es aufzufinden oder den Beweis zu führen, daß es bis zum letzten Augenblicke functionirt hatte. Der Name eines Beamten, den man damals entdeckte, gab zu einem berühmten Processe Veranlassung.
Eine junge Dame aus bester Familie hatte 1821 einen sehr hohen Postbeamten, eine einflußreiche, direct mit den Tuilerien in Verbindung stehende Persönlichkeit geheirathet. Der Gemahl mußte fast jeden Abend auf seinem Bureau sein, oft einen großen Theil der Nacht daselbst zubringen. Die Julirevolution klärte das Räthsel auf: der Biedermann war einer der Vorsteher des „schwarzen Cabinets“. Empört über diese Ehrlosigkeit, klagte die Frau auf Trennung ihrer Ehe vor dem Seine-Tribunal. Sie verlor indessen ihren Proceß, obgleich derselbe von einem der talentvollsten Advocaten geführt wurde; aber die öffentliche Meinung gab ihr Recht und nie hat sie der Mann wiedergesehen, der sie um eines sehr hohen Gehaltes willen mit in seine Schande hinabgerissen.
Selbst der Bürgerkönig Ludwig Philipp unterhielt diese Briefspionage, und noch im Jahre 1847 waren hierfür unter dem Titel „Pensionen für Beamte des ehemaligen schwarzen [290] Cabinets“ auf die geheimen Fonds des auswärtigen Amtes fünfundsechszigtausend Franken angewiesen.
Unter der Regierung Ludwig Philipp’s und zwar unter dem Ministerium Guizot im Jahre 1847 ereignete es sich, das dem schwedischen Gesandten in dem Couverte seiner Regierung die für den preußischen Gesandten bestimmten Depeschen übergeben wurden, während der preußische die Depeschen des schwedischen Gesandten erhielt. Die Dunkelmänner des schwarzen Cabinets hatten die Depeschen der beiden Regierungen einfach verwechselt. Correspondenzen, welche auf der Post mit Beschlag belegt waren und für die Anklageacten benutzt wurden, spielten in politischen Processen mehrmals eine Rolle. Indessen scheint unter Ludwig Philipp’s Regierung die Verletzung des Briefgeheimnisses mehr eine Waffe gewesen zu sein, deren man sich ausnahmsweise in gefährlichen Momenten bediente, als eine permanente Instruction; wenigstens hat die Februar-Revolution keine Aufschlüsse zu Tage gefördert, welche das letztere bewiesen.
Nach dem Staatsstreiche gelangte man zur napoleonischen Tradition zurück, und namentlich die Briefe der Verbannten oder nach dem Auslande Entflohenen wurden regelmäßig erbrochen. „Was gilt,“ so schreibt ein von Napoleon’s des Dritten Regierung Verbannter, „die Verletzung des Briefgeheimnisses für eine Regierung, die so Vieles verletzt hatte! Ein frecher Einbruch mehr oder weniger, was liegt daran? Wenn man eine Constitution zerrissen, die Thüren einer Nationalversammlung erbrochen, bei Nacht die Volksvertreter aus ihren Betten ausgehoben, mit Kanonenschüssen die Häuser eines Boulevards in Grund und Boden geschossen, Paris mit Blut besudelt, die Provinzen ausgeplündert hat, sollte man da ein Bedenken haben, einen Briefumschlag zu entsiegeln? Soll man fürchten, gegen Leute indiscret zu sein, die man mit Kartätschen niedergemetzelt hat? Man wird von der Regierung zu Grunde gerichtet, deportirt, ausgetrieben, des Daches, der Familie, der Heimath, des Vermögens, des Glückes beraubt, und diese Regierung sollte ein Bedenken haben, die geheiligte Völkercorrespondenz zu unterschlagen?“
Die ehrlichen Briefträger jenseits des Canals waren anfangs ob des scandalösen Vorgehens der kaiserlichen Post äußerst entrüstet; allmählich gewöhnten sie sich aber daran. Dieser briefliche Verkehr hat allerdings Jahre hindurch gewährt, und Jahre lang hat die bonapartistische Polizei die intimsten Geheimnisse des Privatlebens der Verbannten ausspionirt. Auf Grund eines Beschlusses des Cassationshofes vom 21. November 1853, in dem es hieß, daß „die Correspondenzen, durch welche Attentate gegen den öffentlichen Frieden, gegen das Eigenthum und gegen die Sicherheit der Bürger angezettelt und begangen werden, nicht in die Classe derjenigen gehören, die durch das Gesetz geschützt werden müssen,“ hat die bonapartistische Partei nicht abgelassen, die an die Verbannten adressirten und von diesen geschriebenen Briefe einer geheimen Auslese zu unterwerfen. Und dürfte man sich deshalb wundern, daß seiner Zeit der Briefwechsel des nach Belgien geflüchteten Herausgebers der „Laterne“ ganz besonders die Neugierde der französischen Regierung erregte? Der künftige Seinedeputirte sagte damals ganz witzig, das sicherste Mittel, eine Petition an Herrn Vandal gelangen zu lassen, wäre, diese an Heinrich Rochefort zu adressiren. Der Generalpostdirector Vandal wurde von seinem Eifer so weit getrieben, daß er durch ein besonderes Circulair anordnete, die unter den Behörden Frankreichs vorkommenden Correspondenzen zu controliren, da er auf einen Brief des Grafen Chambord fahndete. Zum Spott wurde dieser Eifer „Vandalismus“ genannt.
Vandal, in Folge dieses Circulairs in der Presse heftig angegriffen, suchte in einer Vertheidigungsschrift Etienne Arago, welcher 1848 Postdirector war, zu beschuldigen, indem er behauptete, daß dieser im Interesse des Fiscus ähnliche Maßregeln getroffen hätte. Arago entgegnete dem General-Postdirector, er möge nur das zu jener Zeit erlassene Circulair veröffentlichen, woraus zur Genüge hervorgehen würde, daß nur die Karten oder sonstige portopflichtige Gegenstände enthaltenden Briefe nicht an die Adressaten bestellt, sondern in deren Gegenwart geöffnet worden seien. Den Beamten sei übrigens auf’s Strengste untersagt gewesen, derartige geöffnete Briefe zu lesen. Es dürfte sonach schwer sein, irgend eine Verwandtschaft zwischen dem Circulair Arago’s und dem des Vandal anzunehmen. Nichtsdestoweniger versuchte Rouher, wenngleich vergeblich, Vandal als gerechtfertigt hinzustellen; er behielt ihn auch trotz seines Entlassungsgesuches als General-Postdirector, und es verblieb im Bereiche der Postverwaltung beim Alten. Das Publicum wurde indessen durch diese Vorkommnisse vorsichtiger.
Uebrigens war das Circulair Vandal’s, welches so großes Aufsehen verursachte, nicht das erste; Vandal hatte deren vielmehr fünfzehn an die Postdirectionen erlassen. Man hatte eine peinliche Untersuchung unter den Beamten angestellt, um zu ermitteln, auf welche Weise Vandal’s geheimes Circulair in die Oeffentlichkeit gelangt sei, und dies geschah so auffallend, daß die Presse, der das Verfahren nicht verborgen blieb, die Vandal’sche Inquisition derartig geißelte, daß von jeder weiteren Untersuchung Abstand genommen werden mußte.
Man muß übrigens anführen, daß das schwarze Cabinet Napoleon’s des Dritten am wenigsten geheimnißvoll bei dem Oeffnen der Briefe zu Werke ging. Vandal beging somit ein großes Unrecht, dies in seiner Vertheidigung nicht anzuführen; vielleicht wäre es ihm gelungen, den Glauben an das Vorhandensein eines schwarzen Cabinets wenigstens unter dem leichtgläubigsten Theile der Franzosen zu zerstreuen. Und in der That hatten schon Personen das Vorhandensein des schwarzen Cabinets bezweifelt, wie aus einem Artikel Ducamp’s hervorgeht, an dessen Schlusse es wörtlich heißt: „Giebt es in der jetzigen Zeit noch ein Cabinet noir?“ Ducamp antwortet mit „Nein“, Montaigne sagt, er wisse es nicht, und Rabelais „vielleicht“. Es ist uns ein Leichtes, durch eine Reihe von Thatsachen zu verbürgen, daß unter Louis Napoleon das schwarze Cabinet in vollster Blüthe stand.
Der Gesandte des Kurfürsten von Hessen bediente sich des schwarzen Cabinets, um der französischen Regierung gewisse Nachrichten, welche er schicklicherweise derselben nicht wohl mittheilen konnte, zur Kenntniß zu bringen, indem er an seine Regierung eine Depesche des Inhalts richtete, daß er Dieses oder Jenes nicht thun dürfe. Diese Depesche übergab er der Post zur Beförderung. Da nun die Späheraugen des schwarzen Cabinets am allerwenigsten diplomatische Correspondenzen und Actenstücke verschonten, so kam der Inhalt selbstverständlich sofort zur Kenntniß der französischen Regierung. Während er dieses einfache Mittel anwandte, die französische Regierung irre zu leiten, ließ er die wirklich geheimen Nachrichten von anderen deutschen Courieren über die Grenze bringen.
Im Jahre 1865 empfing Baron Rothschild in Paris per Telegraph von seinem Londoner Hause die Nachricht, daß ein mit Wechseln beladener Brief an seine Adresse per Post abgesandt worden sei. Die Post kam an, aber nicht der Brief für den Banquier der Rue Lafitte. Baron von Rothschild sandte einen seiner Vertrauten zu dem General-Postdirector Vandal, nach dem Verbleib des avisirten Briefes zu recherchiren. Vandal entgegnete, es sei kein derartiger Brief von London eingetroffen. Der Secretair Rothschild’s zeigte das von London gekommene, das Eintreffen des Briefes anzeigende Telegramm und drohte, wegen des eigenthümlichen Verfahrens bei der britischen Regierung Beschwerde zu führen. Dies wirkte. Vandal begab sich in ein angrenzendes Gemach und kehrte in wenigen Minuten mit dem erwähnten Briefe zurück.
Eine nach Napoleon’s Sturz aufgefundene, mit Randbemerkungen Napoleon’s versehene Note lautet wörtlich: „Die Briefträger Henocq, Decisy, Basson, Hondé, Thibault, welche die Straßen Varennes, Celle, Chasse, St. Nicolas, d’Antin, Caumartin, die Chaussee d’Antin bedienen, sind für Geld der geheimen Polizei im Ministerium des Innern gewonnen, die von Saintomer geleitet wird. Ihr Dienst besteht darin, die Correspondenz der ihnen bezeichneten Personen abzuliefern. Sie werden dabei von Thürhütern unterstützt, die ebenfalls für die Einrichtung gewonnen sind. Sie treten bei der Briefvertheilung in die Loge dieser Thürhüter, geben dort ihre etwaigen Briefe ab und holen sie bei der nächsten Vertheilung wieder. Auf diese Weise entgehen sie dem Verdachte; denn sie können ja zu dem Thürhüter zu kommen haben, um Briefe für die Bewohner des betreffenden Hauses zu bestellen.“
Das Laster hatte unter Louis Napoleon sogar die Hülle abgestreift und liegt in seiner ganzen Nacktheit vor unseren Augen. Jeder Präfect und der Polizeipräfect von Paris hatten, [291] nach dem schon erwähnten Beschlusse vom 21. November 1853 das Recht, sich von der Post durch einen gewöhnlichen Commissar, dem sie ein Mandat für den speciellen Fall mitgaben, die Correspondenz an ein näher bezeichnetes Individuum ausliefern zu lassen. Erhielt die Post die Briefe später zurück, so wurden sie vor der Absendung an die Adresse mit einem Stempel versehen: „Geöffnet auf Befehl der Justiz.“ Was die Justiz mit dieser Procedur zu thun hatte, bleibt dabei freilich ebenso ein Rätsel, wie auf welche Art der Cassationshof sein Verdict mit Artikel 187 des Strafcodex in Einklang brachte, worin „jeder Beamte oder Agent der Regierung oder Postverwaltung, der bei Unterschlagung und Erbrechung von Briefen hülfreiche Hand leistet, mit sechszehn bis fünfhundert Frcs. Geldstrafe, mit Gefängniß von drei Monaten bis zu fünf Jahren und mit Entziehung der Fähigkeit, ein Amt zu bekleiden, auf fünf bis zehn Jahre“ bedroht wird.
Daß neben dieser brutalen Maßregelung des Briefgeheimnisses übrigens noch außerdem das schwarze Cabinet arbeitete, haben wir schon bewiesen. Man bediente sich desselben hauptsächlich in den Fällen, in denen man die Oeffentlichkeit scheute oder erst allmählich den Urhebern mißliebiger Mittheilungen in der auswärtigen Presse auf die Spur kommen wollte. Die meisten Berichterstatter ausländischer Blätter wußten ein Lied davon zu singen.
Ebenso ist die Thatsache bekannt, daß das schwarze Cabinet ganz vorzüglich in Thätigkeit war, wenn die Legitimisten nach Frohsdorf oder die Orleanisten nach Claremont wallfahrteten. Die beliebteste Methode der Brieferbrechung war, wie wir schon angedeutet, das Aufschneiden einer Seite des Couverts mit einem Rasirmesser. Nachdem der durchgelesene Brief wieder in das Couvert gesteckt war, wurde die aufgeschnittene Seite mit einer aufgelösten Papiermasse bestrichen, welche schnell trocknet und nicht die leiseste Spur des Verbrechens zurückläßt.
Nun, das kaiserliche Gebäude ist ist Trümmer gelegt; das schwarze Cabinet aber glaubte selbst der große Republikaner Gambetta nicht entbehren zu können. Derselbe hatte während des deutsch-französischen Krieges ein schwarzes Cabinet in Tours errichtet. Demselben stand ein „Prévòt Civil“ vor. Das Document, worin derselbe zur Verletzung des Briefgeheimnisses ermächtigt wurde, lautet: „Kriegsministerium. Herr Dutré, der der Residenz der Regierung attachirte Prévôt Civil, ist ermächtigt, auf der Post die Auslieferung aller Briefe zu requiriren, deren Adresse er angiebt. Tours, 17. November 1870. Der Minister des Innern und des Krieges.“
Daß sich auch die Commune des schwarzen Cabinets bediente, auch dafür haben sich in Paris nach ihrer Niederwerfung die Beweise vorgefunden. Im Posthôtel wurde das Geschäft in großartigem Maßstabe, gerade wie unter dem zweiten Empire, betrieben. Ja, bei der Mehrzahl der Briefe gaben sich ihre Beamten nicht einmal die Mühe, sie wieder zu verschließen; man warf sie einfach zu Hunderten und Tausenden in’s Feuer.
Der zunehmenden Immoralität der französischen Regierung des zweiten Kaiserreichs gegenüber blieb den Regierten nur der Eine Trost, daß die riesigen Proportionen, in denen der Briefverkehr zunahm, am Ende den Kunststücken das Cabinet noir und der geheimen Polizei in Bezug auf Schändung des Briefgeheimnisses eine Grenze ziehen müßten. Da die Post von Frankreich schon unter Louis Napoleon jährlich über siebenhundert Millionen Stück Briefe beförderte, so stand die Spionage zuletzt rathlos vor einer physische Unmöglichkeit; sie würde selbst nicht mehr Kenntniß von dem Inhalte der Briefe nehmen können, wenn dieselben, wie unter Ludwig dem Ersten, offen zur Post gegeben werden müßten.