Freudigkeits-Musik

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Autor: Paul Bekker
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Titel: Freudigkeits-Musik
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aus: Pariser Tageblatt, Jg. 2. 1934, Nr. 216 (16.07.1934), S. 4
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Erscheinungsdatum: 1934
Verlag: Pariser Tageblatt
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Erscheinungsort: Paris
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Freudigkeits-Musik


Der italienische Komponist Respighi hat gelegentlich der Aufführung seiner „Maria die Aegypterin“ einem Pariser Interviewer seine Ideen über die Aussichten des gegenwärtigen musikalischen Theaters mitgeteilt. Nach Respighis Meinung berechtigen diese unverändert zu den schönsten Hoffnungen. Man müsse nur Rücksicht nehmen auf die verminderte Zahlungsfähigkeit des Publikums, also niedrige Eintrittspreise und – zum Ausgleich – Theater mit hoher Platzzahl schaffen. Respighi verwies auf Verona, dessen antike Arena 20.000 Menschen fasst, auf das erneuerte Politeama von Florenz mit annähernd 5000, auf das im Bau befindliche römische Theater mit 6000 Plätzen. Ausserdem freilich[1] müsse man die „algebraische“ Musik vom Theater fernhalten, denn sie vertreibt das Publikum. Bleibe dahingestellt, ob Respighi damit nachträglich einen kollegialen Hieb gegen die römische Aufführung von Malipieros „Vertauschtem Sohn“ führen wollte. Abgesehen von diesem einen, sofort ausgepfiffenen Werk gibt es in Italien keine Opernvorstellungen, die als Dokumente „algebraischer“ – gemeint ist zeitgenössisch moderner – Musik gelten können. Ausserhalb von Italien heutzutage ebensowenig, also geht dieser Kampf gegen die „Moderne“ gegen ein Phantom.

Zusammengefasst: billige Preise, hohe Platzzahl, keine neue Musik – und verschwunden sind alle Theatersorgen. Meint Respighi.

Der Zufall fügt es, dass eben in diesen Tagen eine Aeusserung von Richard Strauss über kulturelle Sonderanstrengungen der Schweiz bekannt wird. „Mit bestrickendem Optimismus wehrte der grosse Künstler alle Einwendungen und Bedenken mit der Behauptung ab, mit Unternehmungslust sei alles zu machen.“

Die Gedankengänge des deutschen und des italienischen Musikers stimmen in der Grundhaltung überein. Für beide ist Optimismus Haupterfordernis des Erfolges, wenn nicht überhaupt der Erfolg selbst. „Glaube, so wird dir geholfen“, oder „dem Mutigen gehört die Welt“. Es gibt noch eine ganze Reihe ähnlicher Sprüche. Die Möglichkeiten des Gelingens hängen nur ab von der Energie unserer Willensspannung. Sozusagen ins Himmelhochjauchzende gewendeter Schopenhauer.

Es ist gewiss nicht gut, wenn sich ein Zeitalter gar zu pessimistisch einstellt, obgleich wir merkwürdigerweise eben diesen Zeiten die reifsten Kunstschöpfungen verdanken. Es ist noch weniger gut, wenn ein Zeitalter zu leichtgläubigem Optimismus neigt, denn damit verbunden ist eine Verkennung der bewegenden Elementarkräfte. Am schlimmsten aber ist es, wenn als Untertanenpflicht ein planmässig übersteigerter Frohsinn gepredigt wird, der den Tatsachen der täglichen Erfahrung ins Gesicht schlägt. Dann ergibt sich das widerliche Bild, dass alle Menschen sich öffentlich mit Wissen beschwindeln, zum mindesten sich etwas vorgaukeln, wovon jeder weiss, dass es falsch ist. Das ist die gegenwärtige Situation.

Gewiss hat Strauss recht, wenn er Unternehmungslust fordert. Ohne Unternehmungslust ist überhaupt nichts zu machen. Sinn indessen hat sie nur, wenn sie sich auf etwas Positives stützen kann. Dagegen ist die Behauptung, dass mit Unternehmungslust „alles“ zu machen sei, ein Geschäftsprinzip von sehr zweifelhafter Güte. Unternehmungssinn ohne reale Unterlage führt zur Bankrotteurwirtschaft.

Will Strauss dazu ermuntern? Respighis Behauptung wiederum von der Rentabilität einer hohen Platzzahl bei kleinen Preisen ist so töricht, dass man ihn zur Strafe zum Leiter des Grossen Schauspielhauses in Berlin machen müsste. Dann wird er bald begreifen, dass Erfahrungen, die er bei einer drei- oder vierwöchentlichen Spielzeit italienischer Massentheater mit weltberühmten Sängern und allbeliebten Verdi-Opern gemacht hat, sich nicht verallgemeinern lassen, denn selbst unter diesen Voraussetzungen war z. B. in Florenz das Defizit so beträchtlich, dass eine Fortsetzung nicht in Frage kam. – Was Strauss subjektiv anbetrifft, so ist sein Optimismus zwar subjektiv berechtigt, denn er hat für seine Person stets aussergewöhnliche Honorare erzwungen. Niemand aber, auch er selbst nicht, kann behaupten, dass das Theater durch dieses System der Ueberhonorierung einen Vorteil gewonnen habe. Das Gegenteil ist der Fall, und gerade Richard Strauss hat durch das Beispiel seiner Finanzgebarung sein redlich Teil zum Ruin des deutschen Theaters beigetragen.

Es ist also zunächst sachlich falsch, die heutige Situation der Kunst mit „Optimismus“ bessern zu wollen. Die Ursachen dieser Situation liegen weder bei der Verzagtheit der Menschen, noch beim Platzmangel der Theater. Sie wurzeln tiefer: in den Bedingtheiten und Möglichkeiten des heutigen Kunstschaffens und Kunstverbrauches. Wenn die Anhänger der faschistischen Systeme sich hiergegen blind machen und meinen, alles mit „Freudigkeit“ kurieren zu können, so zeigen sie, dass sie weder wissen noch ahnen, was eigentlich in der Welt unterhalb der nach Parteivorschrift frisierten Oberfläche vor sich geht.

Damit aber ist auf ein anderes Phänomen gedeutet, nämlich auf die geistige Grundhaltung der faschistischen Kunst überhaupt:

Faschistische Kunst ist gezwungen, „freudig“ zu sein.

Also bleibt ihr nur ein Weg: die Umgehung der Problematik, die Wendung zum Spiel im Sinne rein artistischer Masken-Heiterkeit.

Versucht sie, diese Grenze zu überschreiten und in das ihr so heiss begehrte Gebiet des Heroischen vorzustossen, so ist sie zur Unwahrhaftigkeit verurteilt.

Mit dieser aus der faschistischen Doktrin unabänderlich resultierenden Bedingung ist das Wesen der faschistischen Kunst bestimmt. Sie ist die Kunst der leeren Freudigkeit als Selbstzweck.

Es ist im übrigen gewiss schön, dass man sich amtlich um sie kümmert, ihr Aufträge verschafft und ihr auf jede erdenkliche Art Betätigungsgebiete zu eröffnen sucht. Aber mit alledem hilft man ihr nur von aussen her. Für das künstlerische Schaffen entscheidend bleibt der innere Zusammenhang mit dem geistigen Tiefstrom der Zeit. Ihn durch „Optimismus als sittliche Forderung“ unkenntlich zu machen, ist Verblendung und führt zur Unfruchtbarmachung der Kunst. Dieser anbefohlene Krampf-Optimismus bezeugt nur eine tragische Verkennung der geistigen Daseinsbedingungen, aus deren richtiger Erfassung erst die künstlerische Konzeption erwächst. Sie aber gerade fehlt der faschistischen Kunst und muss ihr jederzeit fehlen, weil die schöpferisch freie Erkenntnis dem Wesen des Faschismus widerspricht, von ihm daher nicht zugelassen ist.

Was bleibt? Coué. Mit ihm kann man gelegentlich Nervendepressionen heilen. Ein zertrümmerter Schädel aber lässt sich auf die Art nicht wieder zusammenflicken.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: freililch