Fridtjof Nansen (Die Gartenlaube 1896/39)

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Autor: Sophus Ruge
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Titel: Fridtjof Nansen (Die Gartenlaube 1896/39)
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 652–656
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[652]

Fridtjof Nansen.

Von Professor Dr. Sophus Ruge.

Nansen begrüßt die Heimat.

Nansen ist von seiner dreijährigen Polarreise glücklich zurückgekehrt und am 13. August – vorläufig ohne Schiff, nur von einem treuen Gefährten begleitet – auf einem englischen Fahrzeuge in Vardö gelandet.“ Diese Kunde durchlief mit Blitzesschnelle die ganze Kulturwelt – überall die freudigste Überraschung, in seinem Vaterlande den lautesten, stolzesten Jubel weckend. … Er war nach etwas mehr als drei Jahren in demselben Hafen wieder ans Land gestiegen, wo er sein Heimatland im Beginn seiner Fahrt verlassen hatte.

Die Erwartung und Spannung der wissenschaftlichen Welt wurde überraschend schnell von dem kühnen Forscher durch einen vorläufigen Bericht über den Verlauf der Fahrt befriedigt. Kurz und knapp sind die Thaten und Ergebnisse gezeichnet und beweisen in ihrer Klarheit, daß Nansen trotz der mühsamsten Eiswanderungen und Schlittenfahrten an geistiger Elasticität keine Einbuße erlitten hat. Und über sein Schiff, die vortrefflich bewährte „Fram“, war er ohne Sorge, denn er schrieb: „Die Leitung der Expedition übergab ich Sverdrup und ich habe solches Vertrauen zu seiner Tüchtigkeit als Leiter und seiner Fähigkeit, Schwierigkeiten zu überwinden, daß ich nicht daran zweifle, er werde alle Mann unversehrt heimführen, selbst wenn das Schlimmste geschehen [653] und die ,Fram’ verloren gehen sollte, was ich für unwahrscheinlich halte.“

Nansen und die Mannschaft der „Fram“.
Nach einer Photographie von Joh. v. d. Fehr in Bergen.

Und wie bald ward diese Zuversicht gerechtfertigt! Acht Tage nach Nansen langte am 20. August auch Kapitän Sverdrup mit dem Schiffe und der Mannschaft wohlbehalten in Nordnorwegen wieder an – ein ans Wunderbare grenzender glücklicher Zufall! Und vom Glück ist die Expedition stets begleitet gewesen, sonst wäre der beispiellose Erfolg nicht erzielt. Aber wir wollen damit nicht etwa das Verdienst des Leiters irgendwie schmälern; im Gegenteil steht uns dabei Goethes Ausspruch vor Augen:

„Wie sich Verdienst und Glück verketten,
Das fällt den Thoren niemals ein;
Wenn sie den Stein der Weisen hätten,
Der Weise mangelte dem Stein!“

Nansens Verdienst besteht aber ebensowohl in der Kühnheit des Planes als in der Kühnheit der Ausführung, die allen drohenden und erwarteten Gefahren durch geeignete Vorkehrungen zu begegnen weiß und vor keiner Schwierigkeit zurückschreckt. Es steckt in ihm das alte Nordmannenblut, das seine Freude hat am Kampfe mit der eisigen Natur der Polarwelt, wie es in den Tagen Erichs des Roten und seines Sohnes Leifs sich durch die erste Entdeckung Amerikas schon einen unsterblichen Namen gemacht hat. Wie Leifs ums Jahr 1000 n. Chr., unbekümmert um die bekannten Wege, die ihn mit seinem Vater von Island nach Grönland geführt hatten, sich – natürlich ohne Karten und Kompaß – von Westgrönland eine neue völlig dunkle Fahrbahn nach dem nordischen Stammlande suchte und zum erstenmal die ganze Breite des nordatlantischen Oceans durchsegelte, so suchte auch Nansen sich auf ganz neuem Wege dem Nordpol der Erde zu nähern. Und wenn er ihn auch nicht erreicht hat, so überragt doch seine Leistung alle bisherigen Heldenthaten arktischer Forschung und er kehrt, kaum 35 Jahre alt, als der bedeutendste Polarforscher unseres Jahrhunderts zurück.

Aber er ist trotz seiner Jugend kein Neuling mehr in der Polarwelt!

Schon in seinem 21. Jahre machte er seine erste Nordfahrt ins Eismeer und in lebhafter Erinnerung steht noch seine 1888 in einem Monate ausgeführte Durchquerung des Grönländischen Eishochlandes, bereits eine geographische Leistung ersten Ranges, die vor ihm noch keinem Forscher gelungen war.[1]

Und auch hier schon der Wagemut, beim Kampf mit dem Eise furchtlos alle Brücken hinter sich abzubrechen! Das Schiff „Jason“ hatte ihn mit seinen Begleitern bis auf 21/2 deutsche Meilen an die Ostküste von Grönland gebracht, von der er nur noch durch einen lockeren Gürtel von Treibeis getrennt war. Für den „Jason“ wäre es leicht gewesen, „durch das bißchen Eis hindurchzugehen“, allein Nansen glaubte, ohne das Schiff irgendwie einer Gefahr aussetzen zu wollen, allein in seinen Booten sich einen Weg bahnen zu können, und so „verließen wir,“ schreibt er in seinem offiziellen Bericht an den Etatsrat Gamel, „unter Kanonensalut und einem kräftigen Hurra der 60 Leute des ‚Jason‘ den letzten Anschluß an die zivilisierte Welt und lenkten unsere Boote ins Treibeis hinein, das uns nicht so billigen Kaufes, wie wir erwartet hatten, wieder loslassen sollte.“ Zwölf Tage währte der Kampf mit den Eisströmungen, ehe die kleine Expedition, die aus 6 Mann bestand – darunter Kapitän Sverdrup, der spätere Leiter der „Fram“ – ans Land kam. Es war diese schwierige Landung an der Ostküste Grönlands eine lehrreiche Vorschule für die spätere größere Unternehmung.

[654] Der Entwurf zu dieser neuen Polfahrt ist dann, wie allgemein bekannt, nach jahrelanger sorgfältiger Vorbereitung 1893 zur Ausführung gekommen. Da hierbei ganz neue Wege mit dem glänzendsten Erfolge eingeschlagen wurden, so mag hier in rascher Uebersicht eine Skizze der bisherigen wichtigen und erfolgreichen Fahrten gegen den Pol gegeben werden. Man wird daraus ersehen, welche Fortschritte seit 300 Jahren gemacht sind und wie, namentlich in unserem Jahrhundert, wo der Nordpol selbst als Ziel aufgefaßt wurde, die aufeinander folgenden Expeditionen, wenn auch die Leiter manchmal geäußert haben, es könne niemand noch weiter als sie selbst gegen den Pol vordringen, dem einmal ins Auge gefaßten Ziele immer näher rückten. Nur ward noch niemals ein solcher Riesenschritt gegen Norden gethan wie durch Nansen.

Das 16. Jahrhundert kannte noch keine wissenschaftlichen Aufgaben für Seeleute, hier handelte es sich bei allen Unternehmungen um Handelszwecke; und die nordischen Meere wurden, ehe man den gewaltigen Fischreichtum dieser Gewässer kannte, nur als die notwendigen Wege nach produktenreichen Ländern betreten. Da man weder die nördlichen Küsten von Asien noch Amerika kannte, so hoffte man um Asien oder Amerika herum einen „praktikabeln“ Weg nach Jndien zu finden. So schlugen die Holländer den Nordostweg um Asien ein, während die Engländer die Nordwestpassage um Amerika wählten. Dabei drangen die Engländer Pet und Jackman zuerst 1580 ins Karische Meer ein und wagten sich ernstlich ins Treibeis hinein, aber ohne Erfolg. 1589 erreichte John Davis in der nach ihm benannten Straße westlich von Grönland die Polhöhe von 72° 42’ nördlicher Breite. Im Jahre 1594 rückte Willem Barendsz an der Westküste von Nowaja Semlja bis 78° n. Br. vor; aber auf Grabkreuzen an der Küste sah er, daß die russischen Fischer auf ihren zerbrechlichen Fahrzeugen beinahe schon ebensoweit ins Eismeer eingedrungen waren. Zwei Jahre später sah sich W. Barendsz genötigt, an jener Küste im sogenannten Eishafen zu überwintern. Es war die erste polare Ueberwinterung. Nur ein Teil der Mannschaft erreichte, nach Zurücklassung des Schiffes, die Heimat wieder.

Im selben Jahre fand Rijp die Bäreninsel (74° 30’) und Spitzbergen, und in diesen Gewässern drang Hudson 1607 am 13. Juli von Spitzbergen aus zum erstenmal über den 80. Parallelkreis vor, er kam mit seinem Schiffe bis 80° 23’ n. Br., während Baffin, den Spuren von John Davis folgend, 1616 am 4. Juli in der Baffinsbai nur bis 77° 30’ n. Br. kommen konnte. Weil man aber überall im hohen Norden das Meer versperrt, also keinen „praktikabeln“ Weg fand, so hörten für anderthalbhundert Jahre die weiteren Polarfahrten auf, doch blieben namentlich die Gewässer um Spitzbergen noch lange wegen des ergiebigen Fischfangs besucht.

Die erste Reise nach Norden, die wissenschaftliche Zwecke verfolgte, unternahm auf Befehl des Königs der englische Kapitän Phips, aber er kam nördlich von Spitzbergen am 28. Juni 1773 nicht viel weiter als Hudson, nämlich nur bis 80° 37’ n. Br.

Da man indessen hier doch noch am weitesten vorgedrungen war, aber, wie es schien, wegen einer unüberwindlichen Eismauer zu Schiffe höhere Breiten nicht gewinnen konnte, so tauchte nun in unserm Jahrhundert zum erstenmal der Gedanke auf, mit Schlitten weiter nordwärts vorzugehen. Diesen Plan führte der berühmte britische Polarfahrer Kapitän Parry 1827 aus; aber er that darin einen Mißgriff, daß er Rentiere als Zugtiere wählte, die sich auf dem rauhen Eise bald als völlig untauglich erwiesen, so daß die Menschen selbst die Schlitten ziehen mußten. Es trat aber dann noch ein bisher unbeachteter Faktor auf, der die Expedition zur Umkehr nötigte: die Wahrnehmung, daß die Eismassen, auf denen man nordwärts strebte, mit der Meeresströmung langsam nach Süden trieben. Es wurde dies aus sorgfältigen Breitenbestimmungen klar, denn man befand sich am 22. Juli unter 82° 43’, am 23. Juli unter 82° 45’ aber am 26. Juli wieder, trotz mehrtägiger Wanderung nach Norden, unter 82° 40’ n. Br., man war also gegen den Stand vom 23. Juli etwa 9 km zurückgetrieben. Man sah die Unmöglichkeit ein, den Pol zu erreichen, und kehrte um. Parry war aber doch 2 Breitengrade weiter als seine Vorgänger gekommen. Die nächsten Unternehmungen, die ursprünglich mit dem Aufsuchen der untergegangenen Franklin-Expedition zusammenhingen, schlugen wiederum den Weg durch die Baffinsbai ein. Auf der zweiten Nordfahrt Kanes gelangte dessen Begleiter Morton mit Hundeschlitten (erste Verwendung dieser Zugtiere) am 24. Juni 1854 bis zum Kap Constitution (801/2° n. Br.), ihm folgte 1861 Hayes und erreichte das Kap Lieber, unter 81° 25’ n. Br. Aber er fand so wild übereinander getürmtes Eis, daß er sich dahin äußerte, man könnte ebenso bequem über die Dächer Newyorks fahren. Trotzdem kam Hall mit seinem Schiffe „Polaris“ 1871 bis 81° 40’ n. Br. in denselben Gewässern und drang mit Schlitten bis 82° 16’ n. Br. vor. Es war also hier noch nicht die Polhöhe Parrys erreicht, aber man sah doch auch, daß die Eisverhältnisse sich nicht in allen Jahren gleichbleiben und daß ein noch weiteres Vordringen keineswegs ausgeschlossen sei. Schwierig mußte allerdings, da der Smithsund sich nach Norden immer mehr verengt, gerade hier die Fahrt erscheinen. Daher schlug die österreichische Expedition unter Payer und Weyprecht 1872 den Weg zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja ein, wo man auf eine günstige gegen NO gerichtete Meeresströmung vielleicht rechnen konnte. Aber am 21. August 1872 wurde das Schiff unter 76° 22’ n. Br. vom Eise besetzt und trieb nun in der Eismasse weiter. Es war die erste, aber unfreiwillige „Eistrift“. Nansen suchte sie später freiwillig. „Wir waren nun,“ schreibt Payer, „nicht mehr Entdecker, sondern unfreiwillige Passagiere des Eises.“ So trieb das Schiff langsam bis an die Südküste des neu entdeckten Franz Joseflandes und blieb unter 79° 38’ n. Br. festgebannt. Von hier aus unternahm Payer dann seit März 1874 Schlittenreisen nach Norden, wobei er die Ueberschreitung des 82. Grades nur der ausdauernden Kraft der treuen Hunde verdankte.

Da also diese Richtung der Nordfahrt sich als ungünstig erwies – man hatte das Schiff im Eise zurücklassen müssen – so schlug die nächste Expedition, die von England unter Kapitän Nares ausgesendet wurde, wieder die Route durch die Baffinsbai ein. Nares selbst überwinterte mit dem einen seiner beiden Schiffe hafenlos am Polarmeere unter 82° 25’ n. Br., und von hier aus unternahm Lieutenant Markham eine Schlittenreise, auf der er am 12. Mai 1876 die Polhöhe von 83° 20’ n. Br. erreichte. So war also nach 50jähriger Arbeit (seit Parry) auch der 83. Grad überschritten. Wenn auch dieser nördlichste Punkt, den Markham erreichte, nur 73 engl. Meilen in der Luftlinie von dem Schiffe entfernt war, so hatte er doch zwischen den Eisbergen und Hügeln des gefrorenen Meeres nordwärts 276 Meilen hinziehen und noch 245 Meilen zurücklegen müssen. Es ist das die beste Illustration für die Schwierigkeiten der Schlittenreisen. Und nun bedenke man, daß Nansen auf seiner letzten Reise, ohne Stützpunkt, 5 Monate lang, vom 14. März 1895 bis zum 6. August, wo er Franz Josefland erreichte, mit Schlitten sich seinen Weg gebahnt hat. Erst dann, als infolge der Eisverhältnisse jedes weitere Vorwärtskommen unmöglich war, wandte er sich zur Umkehr. –

Auf Kapitän Nares, der seine beiden Schiffe glücklich wieder heimführte, folgte dann in denselben Gewässern die unglückliche Greelysche Expedition, wobei Lockwood am 13. Mai 1882 in Nordgrönland auf einer Schlittenreise an der Küste hin die Polhöhe von 83° 24’ n. B. gewann.

Inzwischen waren aber auch schon wichtige Schritte in der Erforschung des sibirischen Eismeeres gethan.

Nordenskiöld und Palander umsegelten 1878 zum erstenmal die Nordseite Asiens und erreichten am 19. August die Nordspitze des Landes unter 77° 37’. Da aber das Schiff gezwungen war, nahe der Beringsstraße am Eismeer zu überwintern, so ging ihm, vom „Newyorker Herald“ ausgesendet, Kapitän de Long von der Beringsstraße her 1879 entgegen; jedoch östlich vom Wrangellslande wurde es im Eise besetzt und trieb nun nach Nordwesten bis zu der nördlichsten Insel von Neusibirien, wo es am 13. Juli 1881 unter 77° 15’ n. Br., vom Eise zerdrückt, unterging. Die Mannschaft suchte sich wohl über Neusibirien nach dem Delta der Lena zu retten, ging aber größtenteils zu Grunde, darunter auch de Long.

Schon im Sommer 1878 hatte auch der norwegische Kapitän Johansen das Meer östlich von Nowaja Semlja durchstreift und mitten zwischen der Nordspitze dieser Doppelinsel und der Nordspitze Asiens eine Insel entdeckt, der er den bezeichnenden Namen „Einsamkeit“ gab.

Jenes Meer, dem früher der Petersburger Akademiker Karl Ernst von Baer den ominösen Namen eines Eiskellers beigelegt hatte, war doch in manchen Jahren besser als sein Ruf und konnte von Fischern fern von der Küste besegelt werden.

So standen die polaren Angelegenheiten, als Nansen mit seinem Plane hervortrat, sich als Gefangener des Eises mit einem [655] Schiffe über den Nordpol treiben zu lassen. Zu dem Zwecke mußte zunächst der Nachweis einer günstigen Strömung geliefert werden. Proben von Erde auf den Eisschollen an der Ostseite Grönlands, die er von seiner Durchquerung Grönlands mit heimgebracht hatte, erwiesen sich als wahrscheinlich von Nordasien stammend. Das Schiff de Longs, das vom Wrangellslande zunächst nach Neusibirien getrieben und dann gesunken war, hatte Trümmer bis nach Grönland verstreut. Daraus wurde aus eine Strömung von Nordasien über den Pol nach Grönland oder Spitzbergen zu geschlossen. An der Ostseite Grönlands und bei Spitzbergen ging die Eisbewegung meist südwärts, entsprechend der vermuteten Strömung. Hatte man also ein Schiff, das den Eispressungen widerstehen konnte, dann war das wesentlichste Erfordernis gegeben. Das Schiff „Fram“ (Vorwärts) wurde nach Nansens Angabe gebaut und zum Kapitän konnte er seinen bewährten Begleiter durch Grönland, Otto Sverdrup, gewinnen.

Die Fahrt selbst, über die von allen Tageszeitungen berichtet wurde, soll hier nur in kurzen Umrissen skizziert werden. Zunächst war es für eine Expedition, deren Dauer sich garnicht ermessen ließ, notwendig, für möglichst lange Zeit Proviant mitzunehmen. In dieser Beziehung war vollauf Genüge geschehen, denn das heimgekehrte Schiff hatte noch für drei Jahre Lebensmittel und auch noch Kohlen an Bord. Und wenn ängstlichen Gemütern die Zeit von drei Jahren, die das Schiff ausgeblieben ist, schon bedenklich erscheinen mochte wegen der sehr wichtigen Magenfrage – es hätte, ohne die Rationen verkürzen zu müssen, noch drei Jahre im Eis stecken können. Bei der Ausfahrt 1893 traf das Schiff im sibirischen Meere die günstigsten Eisverhältnisse. Norwegische Fischer fanden damals noch Mitte August auch im nördlichsten Teile des Karischen Meeres kein Eis, sogar ums Nordkap von Nowaja Semlja war noch im September das Fahrwasser frei. Daher hat sich das Schiff auf seiner Fahrt bis nahe der Lenamündung wahrscheinlich nicht so eng an die sibirische Küste zu halten gebraucht wie Nordenskiöld und eine Anzahl neuer Inseln entdecken können.

Von der Olenekmündung steuerte Nansen nun nordöstlich, bis er nahe dem 79. Grade n. Br. dichteres Eis fand, an dem er sich fest machte. Das geschah am 22. September 1893. Von nun rückte das Schiff in der Eistrift nur sehr langsam vor und brauchte etwa anderthalb Jahre, bis es sich nördlich von der Nordspitze Asiens befand, eine Entfernung, die es in einem eisfreien Meere hätte in wenigen Tagen durchsegeln können; allein das Schiff war doch schon bis nahe an den 84. Grad n. Br., also weiter als irgend eine Expedition vorher, gekommen.

————— die Route Nansens.
– – – – – der Kurs der „Fram“ nach der Trennung von Nansen.

An Bord der „Fram“ herrschte während dieser Fahrt die musterhafteste programmmäßige Ordnung. Alle Mitglieder der Expedition erfreuten sich der besten Gesundheit und es konnten wichtige wissenschaftliche Beobachtungen angestellt werden. Man unternahm Tiefseelotungen, untersuchte die Temperatur des Wassers, seinen Salzgehalt, die Bildung und Bewegung des Eises; man führte astronomische und meteorologische Beobachtungen aus, widmete den Erscheinungen des Nordlichts die gebührende Aufmerksamkeit und jeder that freudig seine Pflicht. Durch eine Windmühle, die an Bord der „Fram“ in Betrieb gesetzt wurde, gewann man die nötige Kraft zur Erzeugung des elektrischen Lichtes, das allen Erwartungen entsprach. Gefahrlos war aber die Fahrt keineswegs; denn das Eis, in dem das Schiff eingefroren war, wurde von Zeit zu Zeit unruhig, es warf sich und türmte sich in Riesenblöcken auf und preßte und drängte gegen das Fahrzeug. Am 4. und 5. Januar 1895 war die „Fram“ den stärksten Eisschraubungen ausgesetzt. Bereits schien dem Fahrzeug der Untergang zu drohen; Proviant, Segeltuchboote und die nötige Ausrüstung wurden aufs Eis geschafft, und man war bereit, auf dasselbe zu flüchten, falls das Schiff sinken sollte. Als aber das Eis sich hoch über die Schiffswände türmte, wurde das Fahrzeug von dem Eise, in dem es eingefroren war, losgerissen und langsam in die Höhe gehoben. Nicht ein bißchen war es beschädigt. „Nach dieser Erfahrung,“ schreibt Nansen, „betrachte ich die ‚Fram‘ so gut wie unbesiegbar vom Eise.“ Aus dem bisherigen Lauf des Schiffes glaubte indessen Nansen annehmen zu müssen, daß die Eistrift ihn nunmehr nicht nach Norden gegen den Pol, sondern westwärts am Pol vorbeiführen würde, und so entschloß er sich, in Begleitung von Johansen, das Schiff zu verlassen, also noch einmal, wie an der Küste Ostgrönlands, alle Brücken hinter sich abzubrechen und zu Schlitten nach dem Nordpol zu steuern.

Am 14. März 1895 teilte sich also die Gesellschaft. Die Ausrüstung Nansens und Johansens bestand aus 28 Hunden, drei Schlitten und zwei Segeltuchbooten. Die letztern waren ähnlich wie die Kajaks oder „Grönländer“ der Eskimos gestaltet. Ihr Gestell bestand aus Bambusstäben; ihr Ueberzug aus ölgetränktem Segeltuch. Etwa 20 Fuß lang, wogen die Boote nur 8 bis 10 Kilogramm. Der Hundeproviant war für 30 Tage berechnet, der Proviant für die beiden Forscher genügte für 100 Tage. Dieser Vorstoß Nansens gegen Norden ist zweifellos die kühnste That eines Polarfahrers, die wir kennen. Vorwärts ging es über bewegtes Eis, das sich in allen Richtungen aufschraubte; da galt es, sich ununterbrochen einen Weg zu bahnen und die beladenen Schlitten über die hochgetürmten Eisrücken hinwegzubringen. Am 7. April wurde die höchste Breite von 86° 14’ erreicht, und zwar bei einer Temperatur, die sich während drei Wochen auf etwa – 40° C. hielt. Von ihrem nördlichsten Lagerplatze machten die Forscher noch eine Schneeschuhtour nordwärts und überzeugten sich dabei, daß ein Vorwärtskommen unmöglich war. „Ueberall bis zum Horizont lag das Eis aufgetürmt wie eine zu Eis erstarrte Brandung.“ Nirgends wurde Land entdeckt; den Nordpol scheint ein Meer zu umspülen.

Am 8. April traten die Polarforscher ihren Rückmarsch an; sie wollten über Franz Josefland nach Spitzbergen gelangen! Südwärts nahmen die Eisspalten zu und erschwerten den Marsch. Der Proviant nahm ab und von den Hunden mußte einer nach dem andern geschlachtet werden, um als Nahrung für die Ueberlebenden zu dienen. Endlich wurde Franz Josefland erreicht und der Entschluß gefaßt, dort zu überwintern. „Wir schossen Bären zur Nahrung,“ lautet Nansens Bericht, „Walrosse für Brennmaterial, bauten eine Hütte aus Steinen, Erde und Moos und deckten als Dach Walroßfelle darüber. Den Speck benutzten wir zum Kochen, zur Beleuchtung und zum Heizen. Bärenfleisch war unsere einzige Nahrung, Bärenfell unser Bett.“ Der Winter verlief gut und bei ausgezeichneter Gesundheit traten die Mutigen die Reise nach dem noch weiten Spitzbergen an. So kamen sie ans Kap Flora, wo sie ein Lager bezogen. Am 17. Jnni dieses Jahres war Nansen mit dem Kochen der Suppe beschäftigt, als er Hundegebell vernahm. Es mußten also Leute auf dem Lande sein. Nansen machte sich auf [656] den Weg, um näheres zu erkunden, während Johansen zurückblieb, um das Lager zu bewachen. Da vernahm auch er Hundegebell. Eine unendliche Freude erfüllte ihn. Er richtete ein Bambusrohr mit einem Hemd an der Spitze auf, damit Nansen oder die Fremdlinge sehen konnten, wo er war. Drei Stunden hatte er geharrt, da sah er einen Mann mit einem langen Gewehr in der Ferne vorübergehen. Um die Aufmerksamkeit mehr auf sich zu lenken, richtete nun Johansen eine weitere Stange mit einer kleinen norwegischen Flagge auf (vergl. unsere untenstehende Abbildung). Bald kam der Fremde auf ihn zu. … Es war ein Mitglied der Jackson-Expedition, die sich gerade auf Franz Josefland aufhielt. Johansen wurde in das Lager der Expedition geführt, wo sich Nansen bereits befand. Auf Jacksons Schiff „Windward“ dampften nun die Polarforscher heimwärts und bereits am 13. August gelangten sie nach Vardö. –

Die „Fram“ im Eise.

Mit 10 Gefährten war Kapitän Sverdrup auf der „Fram“ geblieben. Die Eistrift trug sie hin und her, bis am 16. Oktober 1895 das Schiff seine höchste Breite mit 85° 57’ erreichte. Eisschraubungen bedrohten wiederholt das Fahrzeug, hatten es aber nirgends beschädigt. Im Frühjahr 1896 trat nun auch die „Fram“ ihre Heimfahrt an. Unter Dampf strebte sie vorwärts, wo freieres Wasser war, und wo Eisbänke den Weg versperrten, da wurde die Bahn mit Pulver und Schießbaumwolle freigesprengt. Am 4. August kam man aus dem Eise heraus und begegnete einem Schiff, dessen Kapitän zwar über Nansens Geschick keine Auskunft geben, aber von dem Aufenthalt der Andreeschen Luftballonexpedition auf der dänischen Insel berichten konnte. Dorthin wandte sich die „Fram“. Aber auch hier hatte man keine Kunde von dem Schicksal Nansens. Betrübt faßte nun die Mannschaft der „Fram“ den Entschluß, nach Norwegen zu fahren und dort Erkundigungen einzuziehen. Waren Nansen und Johansen noch nicht zurückgekehrt, dann wollte Sverdrup nur etwas Kohlen einnehmen und ohne Verzug nach Franz Josefland dampfen, um die Kameraden zu suchen. Das Schiff kehrte von einer Polarexpedition zurück, aber es war unbeschädigt, es hatte noch Proviant für drei Jahre an Bord, es war zu einer neuen Polarfahrt bereit! Am 20. August kam die „Fram“ nachts in Vardö an. Sverdrup ging sofort ans Land und klopfte den Telegraphenbeamten heraus. Von ihm erfuhr er die hocherfreuliche Nachricht, daß Nansen und Johansen schon seit acht Tagen in der Heimat sich aufhielten. Nun eilte Nansen seinem Schiff entgegen und bald war er mit seinen Kameraden an Bord der „Fram“ vereinigt. Unser Bild auf Seite 653 stellt die tapfere Schar nach einer Photographie dar; Nansen, sitzend, in der Mitte, neben ihm, an der hellen Mütze kenntlich, steht Sverdrup.

Johansens Begegnung mit der „Jackson-Expedition“ auf Cap Flora

So endete die glorreiche Forscherfahrt, deren Einzelheiten noch lange die öffentliche Meinung beschäftigen werden. Groß sind die wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition. Die Betrachtung über dieselben schließen wir jedoch von unserer heutigen Darstellung aus. Da sie bis jetzt noch in zu knappen Umrissen vorliegen, haben wir uns nur mit den Heldenthaten unseres Polarfahrers beschäftigt. Wenn aber erst ausführliche Berichte vorliegen, werden wir Gelegenheit nehmen, darauf zurückzukommen. Nur eine Frage möchten wir zum Schlusse schon jetzt aufwerfen: ist es möglich, Nansens Leistung noch zu überbieten, ist es wahrscheinlich, daß ein anderer Forscher dem Pole noch näher kommt? Der eingeschlagene Weg, durch Eistrift auf den Pol geführt zu werden, hat sich, wenigstens in der versuchten Weise, als irrig erwiesen. Darum wird Nansen ihn nicht weiter verfolgen. – Aber wenn wir, und sei es auch nur für unser Jahrhundert, die Entwicklung der arktischen, besonders der Polforschung überblicken, erkennen wir einen stetigen Fortschritt. Man rückt dem Pole immer näher. Nansen hat einen gewaltigen Schritt gethan, der ihm die Bewunderung der ganzen Welt erwirbt. Wird er der letzte bleiben?


  1. Nähere biographische Angaben und das Porträt Nansens brachten wir bereits in Nr. 13 dieses Jahrgangs in dem Artikel „Nansens und Andrées Nordpolunternehmen“.