Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Sonaten für das Pianoforte (5)
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1840. → |
Knabe, Jüngling und Mann können kaum mehr von einander verschieden sein, als obige Sonatenwerke, und wüßt’ ich nicht zufällig, daß ihre Verfasser wirklich in solchem Alterverhältniß zu einander stehen, so müßten es ihre Arbeiten verrathen. Unter dem Knaben verstehe man aber keinen deutschen, sondern einen französischen, einen von jenen frühmuthigen, wie man sie in Pariser Emeuten wohl manchmal Barricaden errichten sieht, die in einer Anwandlung von Lebensüberdruß die Waffe wohl gegen sich selbst anlegten, — oder musikalisch deutlicher, ein Berlioz’ianer, der auch das Seinige beitragen will zur französischen Romantik, mit viel Courage und einiger Phantasie begabt, ein lebhafter, interessanter, nie verlegener Bursche. Daß er sich gerade auf die Sonate geworfen, eine Musikart, die in Frankreich nur mitleidig belächelt, in Deutschland selbst kaum mehr als geduldet wird, ist wohl aus seinem längeren Aufenthalt
[185] in Deutschland herzuschreiben, wo er sich schon vor Jahren als clavierspielendes Kind Namen machte, und seitdem ist er als Spieler bedeutend vorgeschritten. Seine Sonate erinnere ich mich von ihm selbst gehört zu haben in einem Concert in Wien; er spielte sie höchst fertig, mit glänzendem Anschlag und goldrein. Wien hatte außer Thalberg kaum einen, der ihm im Spiel die Spitze bieten können. Die Composition wurde damals fast einstimmig vom Publicum dahin gestellt, wo sie hingehört, als ein nicht talentloser Versuch, der nur unter den Händen eines guten Spielers, des Componisten selbst, bis zum Schluß zu genießen, während er unter andern mitleidlos zu Grabe getragen worden wäre. So ist’s mit Schülerarbeiten und man mache die Probe. Ein schlechter Claviercomponist gebe seine Mache einem schlechten Clavierspieler, ein Orchestercomponist sie einer ungeschickten Masse, so treten die Schwächen erst recht schreiend heraus, während andererseits eine Meistercomposition auch von Stümperhänden nicht ganz todt zu machen. Trotz der Mängel der jungen Sonate dürfen wir aber des Componisten selteneres Streben, aus dem Ganzen zu formen, willig anerkennen. Was sich Trivialeres in ihr findet, ist zunächst einem Mißverstehen des neuern sogenannten symphonistischen Clavierstyls und -Spiels zuzuschreiben. Das Clavier soll in seiner Weise, mit seinen Mitteln Massen anwenden dürfen, Stimmencharaktere vorführen, und kann es, nur aber nicht daß es wie ein arrangirtes Orchestertutti aussieht, Tremolo’s
[186] in beiden Händen, Hörnergänge u. dgl. Solche Stellen ausgenommen, enthält die Sonate auch manche werthvollere, so gleich der natürliche Hauptgesang im ersten Theil, wie denn überhaupt die ersten Seiten Gang und Bewegung haben, bis auf den Eintritt des Mitteltheils und dessen Fortführung, jene Stelle in der Sonate und Symphonie, wo der Schüler meistens verunglückt. Das Andante ist schwach; auch in ihm herrscht jener unrichtig auf das Clavier übertragene Orchestercharakter; nicht minder im Scherzo, doch weniger dürftig. Anklänge an Beethoven’sche Symphonieen finden sich, wie in der ganzen Sonate, so namentlich im Scherzo. Der letzte Satz ist französisch, Auber’isch, Strauß’isch, oder wie man will, am Schluß mit Thalberg’schen Sprüngen, die wenig in eine Sonate passen, bis zuletzt alles in Rauch und Flammen aufgeht, und vom Spectakel, wie nach dem Fallen des Vorhanges, kaum mehr übrig bleibt, als der Schwefelgeruch nach einem Theaterwetter. In Summa, der Componist rette sich vor dem überhandnehmenden Virtuosen durch Fleiß und Studien in der Composition; ohne Schüler gewesen zu sein ist noch keiner ein Meister geworden, und ist der Meister ja selbst wieder nur ein höherer Lehrling, und der Beethoven’schen Sonate in B dur, der einzig-großen, gingen 31 andere Beethoven’sche voraus.
Fängt freilich Jemand so an, wie Stephan Heller,[H 1] dessen Sonate wir als die Arbeit eines Jünglings bezeichneten, so erlassen wir ihm einige von den 31; er [187] wird schon mit der 10ten Meisterhaftes zu geben wissen. Ohne viel Worte, in dieser ersten Sonate steckt so viel Mutterwitz, daß wir uns vor künftigen fürchten dürfen, so viel genialisches Blut, daß man eine ziemliche Reihe Pariser Componisten auf die Dauer damit versehen könnte. So kündigt sich nur ein wirkliches Talent an und fordert den Scharfsinn der Kritik heraus, daß sie ihm nur beikommen möchte, wenn sie Lust hätte. Ich wüßte Achillesfersen; aber der Componist ist außer ein guter Kämpfer, wie der griechische Held, auch ein guter Läufer; im Augenblicke, wo man ihm beispringen will, ergreift er lachend die Flucht, im nächsten Moment sich wieder kampffertig zu zeigen; er ist ein schlauer Componist, der jedem Tadel mit einem besseren Gedanken zuvorkommt, als dem erwarteten, mehr von den Grazien geliebt, als ihnen folgend, und seine Sonate ein rechter Vorwurf für ordentliche Recensenten, die es immer erst hinterher sagen, wie etwas nicht sein soll. Also zeigt sich Stephan Heller in seiner Sonate. Man wird fragen, wer, wo ist er? — worauf die kurze Antwort: er ist ein geborner Ungar, reiste schon als halbes Wunderkind, lebte und dichtete dann in Augsburg und verlief sich später leider nach Paris. Die Sonate kenn’ ich schon seit einigen Jahren im Manuscript. Der Componist schickte sie mir in vierteljährlichen Absätzen zu, nicht der Spannung wegen, sondern weil er, wie er sich ausdrückte, langsam brüte und mit viel Zeitverlust, und „was eine Sonate überhaupt mehr wäre als letzterer?“ — [188] So liegt sie nun fertig da, das geflügelte Kind einer seltenen Phantasie mit seinem classisch-romantischen Doppelgesicht und der vorgehaltenen humoristischen Maske. Wer etwas liebt, glaubt es auch am besten zu verstehen und in einem von Beethoven wiederklingenden Concertsaale stehen oft Dutzende von Jünglingen, selig im Herzen, von denen jeder für sich denkt: „so wie ich versteht ihn doch Niemand.“ Im besten Sinne getrau’ ich mir denn die Sonate zu erklären als ein Stück aus dem Leben des Componisten selber, das er wissend oder unwissend in seine Kunst übersetzte, ein Stück mit so viel innerem Mondschein und Nachtigallzauber, wie es nur der Jugend zu schaffen möglich, in das wohl auch oft eine Jean Paul’sche Satyrhand hineingreift, damit es sich nicht zu weit entferne vom gemeinen Lebensmarkt. Irr’ ich nicht, so wollte es der Componist sogar einer Jean Paul’schen Person dediciren, der Liane von Froulay; ein Gedanke, den ihm mancher andere Dedicator sehr verdenken möchte, da das Mädchen schon längst gestorben, und überdies ja nur in einem Buch.[H 2] Aber Liane hätte die Sonate verstanden, wenn auch mit Beihilfe Siebenkäse’s, der ja selbst einen „Schwanzstern,“ ein Extrablatt, eingeschaltet im Scherzo. Die Sonate möge denn ihren Lauf antreten durch diese prosaische Welt. Spuren wird sie überall zurücklassen. Die Alten werden die Perücken schütteln, Organisten über Fugenlosigkeit schreien, und Flachsenfingen’sche Hofräthe fragen, ob das auch ad majorem Dei gloriam[H 3] componirt [189] wäre, was ja Zweck der Musik, und Verdienst nebenbei? — Einstweilen halte sich der jugendliche Dichter brav beieinander, lasse die Weltstadt vergebens um sich tosen und toben, und kehre bald mit doppeltem Reichthume heim. Und bringt er uns dann seine 10te Sonate mit, wollen wir ihm freudig diese Zeilen vorhalten, wo wir auf ihn als auf einen der witzigsten und talentvollsten mit schönen Hoffnungen hingewiesen.
Es bleibt uns noch die dritte Sonate übrig, von F. W. Grund nämlich; Grund genug, wie Florestan wortspielt, etwas Werthes und Tüchtiges zu erwarten. Hut ab vor dem ersten Satz! er gilt mir die ganze Sonate; in ihm ist Weihe, Schwung und Phantasie; die andern stehen zurück. Es gibt eine ähnlich geformte Sonate von Beethoven, eine der wundervollsten, wo dem kühn leidenschaftlichen ersten Satz (in E moll) ein einfacher arioser (in E dur) nachfolgt[H 4] und damit schließt. Die von Grund ist ähnlich angelegt; aber zur Erfindung des ersten Satzes stehen, wie gesagt, die andern zu blaß daneben. Vielleicht, daß diese erst spätere Zeit nach Vollendung des ersten geschrieben sind, wo dann kömmt, daß der Componist nicht mehr in der ursprünglichen Stimmung fortzufahren weiß. Denn so fein wühlt die Phantasie des Musikers, daß, einmal die Spur verloren oder von der Zeit zugeschüttet, sie später nur durch glücklichen Zufall in seltenem Augenblick wieder aufgefunden wird; darum wird auch ein unterbrochenes, bei Seite gelegtes Werk nur selten ein fertiges; lieber fange der [190] Componist ein neues an, entschlage sich der Stimmung ganz. Wär’ es aber mit der Sonate von Grund nicht so, wie ich vermuthe, so müßte man den Abstand des ersten Satzes von den andern für einen Nachlaß an schöpferischer Kraft ansehen: ein Vorwurf, der ungleich mehr schmerzen würde. Genug, der erste Satz reicht hin, dem Componisten unsere Achtung zuzusprechen. Die Tonart des Satzes ist G moll, jene Lieblingstonart der Musiker, aus der schon manches Meisterwerk hervorgegangen: der Charakter dem Beiwort entsprechend,[H 5] den wir im Anfang des Aufsatzes vergleichweise aussprachen. Der würdige, vielleicht zu anspruchlos zurücktretende Mann möge weniger sparsam sein mit Veröffentlichung seiner Werke; der Theilnahme der Besten sei er versichert.
Anmerkungen (H)
- ↑ [GJ] Erst seit seinem Werk 9 nannte er sich Stephen statt Stephan. II.216 Commons
- ↑ [GJ] Im Titan. II.217 Commons
- ↑ [GJ] Wahlspruch des G. Schillingschen „Deutschen Nationalvereins“ und der „Jahrbücher“ desselben. II.217 Commons
- ↑ [GJ] Werk 90. II.218 Commons
- ↑ [GJ] nämlich „mannhaft“. II.218 Commons
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