Geschichte des Illuminaten-Ordens/Einleitung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Geschichte des Illuminaten-Ordens (1906) von Leopold Engel
Einleitung
Die Universität zu Ingolstadt


[1]
Einleitung.


Das grosse Publikum hat gewöhnlich für einzelne Vorgänge in der Geschichte, wenn sie nicht eine durch Blut und Kriegsgeschrei hervorragende Epoche darstellen, wenig Interesse, selbst dann nicht, wenn die Ereignisse in das soziale Leben einstens stark eingegriffen haben und als einen Ausgangspunkt für manche Errungenschaften der Neuzeit betrachtet werden müssen. Dem Geschichtsforscher jedoch, der die Geschicke der Völker nicht nur recht oft durch Zufälligkeiten, sondern sehr oft durch ganz unvorhergesehene, in ihrer Wirkung auf die Menschheit anfangs unterschätzte Ereignisse, beeinflusst sieht, haben gerade Geschichtsvorgänge besonderes Interesse, die die Grundlagen späterer Entwicklung in sich tragen. Ohne der Gründung und Verfolgung des Illuminatenordens nun eine übertriebene Bedeutung beimessen zu wollen, ist doch erwiesen, dass in dem Kampfe, den die Zopfzeit mit der erwachenden, modernen Kulturepoche auszufechten hatte, die seiner Zeit in Bayern in ihrem Gesamtbilde recht unerfreuliche Verfolgung der Illuminaten eine Rolle spielte, die von der Geschichte bleibend aufgezeichnet ist als ein Markstein für den Beginn der Erschütterung des absoluten Herrscherregiments, des Niederganges einer Zeit, in der das stolze Wort: „Regis voluntas suprema lex" noch unumschränkte, selbst das Recht beugende Gewalt besass.

Weil aber jene Zeit der Erschütterung des willkürlichen Regimentes als ein solcher Markstein in der weiteren Zeitenfolge bezeichnet wurde, so konnte sich die Beschuldigung, „der Illuminaten-Orden habe diese von vornherein beabsichtigt, er sei begründet worden, um die Fürsten von den Thronen zu stürzen, habe die französische Revolution verschuldet, sei in seinen Lehren höchst staats- und religionsgefährlich, vernichte die [2] Moral des einzelnen und des Volkes, und dergleichen Unsinn mehr (Beschuldigungen, die heutzutage den Freimaurern noch vielfach nachgesagt werden)“ sehr lange erhalten, während in Wahrheit nichts von alledem nachzuweisen ist. Die Begründung des Illuminatenordens durch den Professor Adam Weishaupt hatte bezüglich ihrer späteren Wirkungen gänzlich unbeabsichtigte Erfolge; niemals hat er daran gedacht, politisch tätig sein zu wollen, wohl aber hatte er beabsichtigt, der Geistesentwicklung des Einzelnen im Orden eine feste Burg zu schaffen; nie hatte er geglaubt, dass sein Orden jemals einer Verfolgung ausgesetzt sein könnte. Wenn letzteres dennoch eintrat, so lagen die Fäden denn doch auf anderer Seite, als vielfach vermutet wurde. Es kommen verschiedene Dinge zusammen, welche eine Verfolgung veranlassten, und würden diejenigen Personen, die eine Wühlarbeit im Interesse der Unterdrückung des allgemeinen, freien Geisteslichtes verrichteten, heute überblicken können, was aus dieser in Bayern und Deutschland allerdings viel Lärm verursachenden Verfolgung entstanden ist, zum Wohle der Allgemeinheit, sie würden entsetzt erkennen, wie das Wort Mephistos auch auf sie passt:

Ich bin ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Wir werden uns im weiteren damit zu beschäftigen haben, die Fäden blosszulegen. Sie sind im Laufe der Zeit kein Geheimnis geblieben, und deswegen sind auch Beschönigungsversuche mancher Art vorgenommen worden, die infolge ihrer Tendenz, zwar nicht schroff, so doch deutlich durchblicken liessen, dass Weishaupt ein mindestens zweifelhafter, moralisch nicht reiner Charakter gewesen sei, der Illuminatenorden staatsgefährliche Umtriebe, böse, nur den geheimen Obern bekannte Absichten verfolgt habe und dass deswegen die Verfolgung immerhin gerechtfertigt gewesen. – Im Laufe unserer Auseinandersetzungen werden wir an der Hand teils noch gänzlich unbekannter, teils bisher in ihrem Wortlaute noch nicht veröffentlichter Dokumente nachweisen, was davon übrig bleibt.

Wir gestehen an dieser Stelle offen ein, dass der jetzige Illuminatenorden, eingetragener Verein zu Dresden, in der unanfechtbaren, geschichtlichen Darstellung seiner Vorfahren, auch das beste Verteidigungswerk für Angriffe auf seine jetzige Tendenz erblickt. Solche Angriffe erlaubt man sich bereits in unzweideutigster Form, unter Benutzung alter Werke aus den [3] Jahren 1784–1788. Man stellt aus diesen sehr leicht ein verzerrtes Bild des damaligen Ordens zusammen; durch Aneinanderreihen möglichst schroffer Stellen, die aus ihrem Zusammenhange gerissen werden, und dadurch ganz anderen, unbeabsichtigten Sinn ergeben, wird es immer spottleicht sein, alles zu beweisen, was man bewiesen haben will. Dieses allbekannte Rezept findet sich z. B. in einem allerneuesten Gebräu[1] literarischer Taschenspielerkunst vortrefflich angewandt, segelt unter dem edlen Vorgeben der Volksaufklärung in die Welt hinaus, und der oder die Verfasser sind sicher, dass naivere und urteilslose Leser, angegrault von den Verführungskünsten und dem angeblich schändlichen Treiben des alten Ordens, den neuen Orden ebenfalls nicht anders beurteilen werden. Der neue Orden ist leider juridische Person und dürfte offenkundige Verdrehungen als Verleumdungen zu strafen wissen – folglich greift man am sichersten für das eigene Heil den historischen Orden an, indem man sicher ist, dass von allen diesen Verleumdungen am jetzigen auch etwas kleben bleiben wird.

Dem heutigen Illuminatenorden, der seine Existenz doch nun einmal aus den Restbeständen alter Zeit nicht ableugnen kann, dazu auch gar keine Ursache hat, könnte es im Grunde genommen höchst gleichgültig sein, ob die längst verflossene historische Periode vorwurfsfrei gewesen oder nicht, er hat lediglich für sich selbst einzustehen und darauf zu achten, dass er jetzt vorwurfsfrei ist; aber es verlangt das Interesse an dem Ursprung, sowie die Gerechtigkeit, dass bestehendes Falsches ausgeschieden und die Wahrheit festgestellt wird, falls dieses möglich ist. Und das ist möglich, wenn das Geheime Staatsarchiv, sowie das Geheime Hausarchiv in München, sowie andere Staats- und Privatarchive vorurteilsfrei herangezogen werden. In diesen Archiven (Berlin, Dresden, Wien, Gotha, Paris) befinden sich diejenigen Urkunden, Briefe, Schriften und Protokolle, welche, wenn nicht einseitig beurteilt und ausgelegt, recht wohl imstande sind, ein klares Bild zu geben. Leider wurde bisher nicht völlig einwandsfrei diese Arbeit geleistet, entweder waren es Teilarbeiten oder Nichtkenntnis mancher vergrabener Licht gebender Urkunde oder auch Rücksichten, welche die Verfasser zwangen, gewisse Dinge mit einem [4] Mäntelchen zu behängen, wodurch volle Klarheit über diese Zeitperiode bis heutigen Tages nicht gegeben ist. Wir wollen versuchen, ohne alle Beschönigung, aber auch ohne alle Bedenken, eine Darstellung der Dinge zu geben und suchen zunächst nach einem roten Leitfaden, der uns auf den vielfach verworrenen Irrwegen zum Führer dienen kann. – Wo ist dieser Leitfaden zu finden?

In den üblichen Anklagen heisst es, weil der Orden staats- und religionsfeindlich gewesen sei, habe Staat und Kirche ein Interesse gehabt, ihn zu vernichten. Wir werden uns folglich zum näheren Verständnis zuerst umsehen müssen, ob diese beiden notgedrungen Gegner werden mussten bezw. waren, und warum sie es waren. Wollen wir jedoch richtig urteilen, so müssen wir uns über die Zustände in Bayern zuerst orientieren, wie das Land zur Zeit der Gründung des Ordens aussah; wir werden uns in die Denkweise jener Zeit zu versetzen haben, die jedenfalls der unseren nicht gleich gewesen ist, andernfalls würden wir falsche Schlüsse ziehen.

Damit nun niemand glauben kann, diese vom heutigen Orden begutachtete Schrift sei tendenziös zugestutzt, möge ein Nichtilluminat, der Professor August Kluckhohn zur Sprache kommen, der 1874 in der Allgemeinen Zeitung längere Aufsätze über: Die Illuminaten und die Aufklärung in Bayern unter Karl Theodor veröffentlichte und in der Einleitung über die Zustände in Bayern folgendes sagt:

„Kurfürst Maximilian III., gewöhnlich Max Joseph genannt, welcher am vorletzten Tage des Jahres 1777 starb, wurde als einer der besten Fürsten Bayerns lang und aufrichtig betrauert. Dankbar erkannte man seine Herzensgüte, seine Liebe zu dem Volke und seine ernste Sorge für dessen Wohlfahrt an. Die Denkenden und Weiterblickenden wussten noch Besseres von ihm zu rühmen. Sie priesen es als ein bleibendes Verdienst des aufgeklärten Fürsten, dass das geistige Leben Bayerns nach langer Verkümmerung und Versumpfung einen neuen Aufschwung genommen, dass die Übermacht des Klerus eingeschränkt, das entartete Mönchtum in seinen Auswüchsen beschnitten und eine bessere Erziehung des sittlich verwahrlosten, in Aberglauben und Unwissenheit dahinlebenden Volkes, wenigstens angebahnt war. Hatten ja schon vor der Aufhebung des mächtigen und gefürchteten Ordens der Jesuiten, welcher seit zwei Jahrhunderten jeden frischen Geistestrieb im Keime

[5]

[6] zu ersticken und Bayern gegen jede Berührung mit dem protestantischen Deutschland abzusperren gewusst hatte, wackere Männer es unternommen, erst in der Stille, dann laut und öffentlich mit Wort und Schrift gegen Priesterdruck und Möncheswahn zu streiten. Die den Jesuiten zum Trotz in der Hauptstadt des Landes 1759 gegründete Akademie der Wissenschaften bildete den Vereinigungspunkt für die Vorkämpfer einer vernünftigen Aufklärung. Heilsame Anregungen gingen von hier aus auf weitere Kreise über. Die schlummernden Geister wurden geweckt, und die frischen, kräftigen Triebe, welche dem bayrischen Volksstamme entkeimten, belehrten auch die Zweifler, dass jahrhundertelanger Druck, bei Mangel an Luft und Licht, wohl jenen gebeugt und im Wachstum gehemmt, nicht aber, dank seiner unverwüstlichen Kraft, ihn gebrochen und der Verdorrung preisgegeben habe.

Was die Hoffnung der Freunde des Volkes befestigte, war namentlich die Verbesserung des Unterrichtswesens, woran Männer wie Ickstatt, Braun und andere mit ausdauerndem Mut und liebevoller Hingebung arbeiteten. Hatten die Jesuiten einst schon im 16. Jahrhundert das in seinen Anfängen bestandene Volksschulwesen systematisch untergraben, so wurde jetzt, namentlich unter Brauns tätiger Teilnahme, die Neubegründung desselben versucht, und die nicht minder notwendige Reform des Gymnasialunterrichtes, der den Jesuiten nur als Mittel, die Geister zu knechten, gedient hatte, wenigstens seit der Zeit mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen, als durch das Breve des Papstes Clemens XIV. vom 21. Juli 1773 die Auflösung des Ordens Jesu ausgesprochen war. Das sehr bedeutende Vermögen der Gesellschaft, von der kurfürstlichen Regierung jetzt ganz für Bildungszwecke bestimmt, schien hinlängliche Mittel für einen systematischen, allen Bedürfnissen genügenden Neubau des Unterrichtswesens zu bieten. Der greise Ickstatt vor allen ging dabei von den höchsten Gesichtspunkten aus. Grosse Pläne wurden entworfen, Gutachten über Gutachten eingeholt, bis im Jahre 1774 auch glücklich eine Schulordnung zustande kam, von der man das beste hätte erwarten können, wenn sie tatkräftig, aller Hindernisse ungeachtet, wäre durchgeführt worden. Die Hindernisse freilich, welche einer tiefgreifenden Unterrichtsform sich entgegenstellten, waren belangreich genug. Es fehlte für die mittleren wie für die niederen Schulen an allen auch nur notdürftig [7] dürftig vorbereiteten Lehrern, so dass man, was doch ein gar bedenkliches Auskunftsmittel war, für die Gymnasien, um sie nicht verwaist zu lassen, wieder zu den Mitgliedern des aufgelösten Ordens greifen musste. Es fehlte ferner der Regierung an eifrigen, pflichttreuen und einsichtigen Verwaltungsorganen, um die Durchführung der Schuleinrichtungen, dem Widerstand des bildungsfeindlichen Klerus und der trägen, vorurteilsvollen

Kurfürst Karl Theodor.

Masse des Volkes zum Trotz, zu erzwingen. – Es fehlte endlich an den leitenden Kreisen, auch unter den Männern, welche das Gute wollten, vielfach die ernste Ausdauer und noch mehr die wünschenswerte Eintracht. Jeder wollte neue Pläne entwerfen, neue Theorien aufstellen; Erinnerungen und Gegenerinnerungen, heimliche Einflüsterungen und offene Streitigkeiten hinderten ein gemeinsames und nachhaltiges Wirken. Schon 1777 ging aus zahlreichen Vorschlägen und Gegenvorschlägen, nicht ohne Rücksicht auf die durch die Finanznot des Staates gebotene Sparsamkeit, eine neue Unterrichtsordnung für die Lyceen und [8] Gymnasien hervor. Ehe dieselbe jedoch praktische Bedeutung gewinnen konnte, starb der wackere Fürst, welcher, wenn auch ohne grosse Tatkraft, doch das Gute gewollt und gefördert hatte.

So lagen in Bayern die Dinge, als an die Stelle Max Josephs III., mit dem die ältere Linie des Wittelsbach’schen Hauses ausstarb, der Kurfürst von der Pfalz und Herzog in Jülich und Berg Karl Theodor trat. Der überlieferte Zustand war erschüttert, die Stagnation einer heilsamen Gärung gewichen, aber mit nichten ein neuer Geist schon zum Durchbruch gekommen. Ihm zum Siege zu verhelfen, bedurfte es eines Herrschers, der klaren Blickes und festen Sinnes einen langen und schweren Kampf gegen Trägheit, Dummheit und Aberglauben nicht scheute. War Max Josephs Erbe dieser Mann?

Schon seit dem Jahre 1742 hatte Karl Theodor bei seinem Regierungsantritt, 26 Jahre alt, am Rhein mit dem Ruhm eines aufgeklärten, Kunst und Wissenschaft liebenden Fürsten gewaltet. In Mannheim hatte er eine Akademie der Wissenschaft gegründet, Bibliotheken und Kunstschätze in der Pfalz wie in Düsseldorf vermehrt und mit Vorliebe das deutsche Schauspiel gepflegt. Bekannt ist, dass bei der Einrichtung des Mannheimer Theaters die Ratschläge keines Geringeren als Lessing in Anspruch genommen wurden, und dass Schillers erste Dramen unter den Auspizien des Kurfürsten zur Aufführung gelangten.

Freilich zeigte Karl Theodors Regiment auch in der Pfalz schon neben äusserlichem Glanz bedenkliche Schattenseiten. Weiber und Priester übten früh bösen Einfluss. Eine Kamarilla von Jesuiten, Favoritinnen und natürlichen Kindern schränkte die liberalen Neigungen immer mehr ein und liess Schlimmeres für die Zukunft fürchten. Hätte die wackere Pfälzerin Elisabeth Charlotte von Orleans bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelebt, so würde sie von Karl Theodor vielleicht dasselbe gesagt haben, was sie einmal über dessen Vorgänger Karl Philipp in einem Brief geäussert hat: „Hätt’ mein Leben nicht gedacht, dass Kurpfalz sich den Pfaffen so unterwerfen würde; hat ja vor saisonabel passiert, nur sich durch Pfaffen regieren lassen, ist gar nicht raisonabel.“

Allerdings sagt auch schon dieselbe Elisabeth Charlotte: „Leute, die in ihrer Jugend nicht gar ordentlich gelebt haben und alt werden, denen machen die Pfaffen die Hölle heiss“, aber [9] sich die Hölle heiss machen zu lassen, liebte Karl Theodor nicht. Er liebte das Leben zu geniessen, und wer bestimmenden Einfluss über ihn gewinnen wollte, musste den sinnlichen Neigungen Rechnung tragen. Der jesuitische Beichtvater Frank steht in dem Rufe, dass er es verstanden, durch fromme und kluge Beredsamkeit etwaige Gewissensskrupel seines Herrn zu besänftigen und nicht minder ihm sich dadurch teuer zu machen, dass er die zärtliche Fürsorge des Fürsten für seine natürlichen Kinder – eheliche hatte er nicht – hegte und stützte. War aber P. Frank schon den Pfälzern ein Anstoss, so sollte er den Bayern ein Gegenstand des Schreckens und des Abscheues werden.

Doch nicht sogleich nach seiner Ankunft in München enthüllte Karl Theodor die schlimmen Seiten seines Regiments. Zwar musste es die patriotischen Kreise schmerzlich berühren, dass der neue Landesherr so sehr bereit war, mit einem grossen Teile des ihm zugefallenen Staates die Vergrösserungssucht des östlichen Nachbars zu befriedigen,[2] und wer auf gute Sitte hielt, konnte nur mit Bedauern die strengere und verständige Richtung, die Max Josef so würdig vertreten hatte, vermissen. Aber in manchen Beziehungen zeigte die neue Regierung offenbar Sinn für das Gute. So gab sich aufrichtige Sorge für die Volkswohlfahrt in verschiedenen wirtschaftlichen Massregeln kund. Auch für künstlerische und wissenschaftliche Bildung legte Karl Theodor insofern Interesse an den Tag, als er die Kunstschätze Münchens und die kurfürstliche Bibliothek vermehrte.

Sogar das Volksschulwesen schien unter dem neuen Regiment kräftig gedeihen zu sollen. In einer der Oberlandesregierung gegebenen Instruktion wird die gute Erziehung der Jugend und die Einrichtung tüchtiger, mit geschickten Lehrern versehenen Schulen als ein Gegenstand bezeichnet, der dem Landesvater vorzüglich am Herzen liege, wie denn auch die Glückseligkeit des ganzen Staates darauf grösstenteils ruhe.

Diese gesunde Auffassung kommt auch später noch wiederholt zum Ausdruck, „da Seine kurfürstliche Durchlaucht“, heisst es in dem Reskript vom 15. Dezember 1779, „mittlerweile nicht nur von dem elenden Zustande, worin das Schulwesen sich [10] durchaus, insonderheit aber auf dem Lande verhält, sondern auch von dem Übel sich überzeugt habe, welches aus dessen Versäumnis bisher entstanden und zum äussersten Nachteil der gemeinen Sicherheit immer mehr zuzunehmen scheine, so wird befohlen, nicht nur auf die Errichtung von genügenden Schulen und Schullehrer-Seminarien, sondern auch auf die Bildung eines ausreichenden Schulfonds ernstlich Bedacht zu nehmen“. In letzterer Beziehung wird es überraschen, zu vernehmen, dass eine kurfürstliche Verordnung in erfreulichem Gegensatz gegen die damals wie später herrschenden Anschauungen und Gewohnheiten für einen Volksschullehrer kein geringeres Jahreseinkommen als 300 Gulden in Aussicht nimmt. Es schien also nicht allein jene Schulordnung, die Heinrich Braun noch in den letzten Tagen Max Josephs für die niederen Schulen neu bearbeitet hatte und die von Karl Theodor im Jahre 1778 sanktioniert wurde, jetzt wirklich ins Leben eingeführt werden zu sollen, sondern es stand zu hoffen, dass weitere zukunftsreiche Reformen auf diesem wichtigen Gebiete folgen würden.

Nicht minder wird, angesichts des mönchischen Charakters, den die Regierung des Kurfürsten später so grell als möglich kennzeichnet, die Tatsache Verwunderung erregen, dass Karl Theodor in den ersten Jahren sogar einen Anlauf nahm, abergläubische Bräuche durch Polizeimassregeln abzustellen und gottesdienstliche Handlungen, insbesondere die öffentlichen Prozessionen, von jenen ungeheuerlichen Zutaten zu reinigen, welche Denkenden schon lange nur zum Ärgernis oder zum Gespött gedient haben. So wurde der in Oberbayern allgemein herrschende Unfug des Wetterläutens und Wetterschiessens mit Strafen bedroht, der sogenannte Palmesel von den Strassen verscheucht und die Fronleichnamsprozession, die unter den Händen der Jesuiten zu einer so abgeschmackten Maskerade ausgeartet war, dass sie selbst nach der Meinung des geistlichen Rats der Würde und Heiligkeit der Religion offen Hohn sprach, wenigstens von den anstössigsten Mummereien gesäubert, indem man die phantastisch zugestutzten Reiterscharen, die Triumphwagen und Tragbahren mit lebenden Bildern, die siebenköpfigen Drachen usw. preisgab. Dazu stimmte es, dass die Regierung auch jener verderblichen Flut von Mönchsschriften, die unter dem Titel von Andachtsbüchern dem krassesten Aber- und Wunderglauben dienten, Einhalt zu tun sich anschickte.

[11] Nur schade, dass derartige Bestrebungen nicht die Konsequenzen eines festen Regierungssystems, sondern zufällige Nachwirkungen der unter Max Joseph eingeschlagenen Richtung waren, und dass um dieselbe Zeit, da man einer vernünftigen Aufklärung noch das eine und andere Zugeständnis machte, Dinge geschahen, die einen vollständigen Bruch mit jener Richtung ankündigten und die bis dahin ausgestreuten Keime einer besseren Geisteskultur geradezu mit Vernichtung bedrohten.

Wer sollte es für möglich halten, dass die ehemaligen Jesuitengüter, auf welchen der Bestand der Gymnasien und Lyceen beruhte, lediglich im Interesse der bequemen Versorgung von Günstlingen, vor allem der natürlichen Kinder des Kurfürsten, zur Dotierung einer neugegründeten Zunge des Maltheser Ordens verwendet, die mittleren Studienanstalten aber den Klostergeistlichen, unter Obhut der Prälaten des Landes, übergeben wurden? Wohl war ein so verderblicher Vorschlag auch in Max Josephs Tagen schon zur Sprache gekommen, aber sofort auf das lebhafteste bekämpft worden, indem man mit schlagenden Gründen geltend machte, dass nie und nimmer zur Erziehung künftiger Staatsdiener die Mönche brauchbar seien. Jetzt hörte man darauf nicht, und schon im Jahre 1779 wurde die verhängnisvolle Massregel getroffen, welche die Arbeit eines Menschenalters vernichtete. –

Wo solche Tendenzen zum Durchbruch kamen, hoben selbstverständlich jene finsteren Mächte, welche sich nur grollend eine kurze Zeitlang dem Willen des Staates gebeugt hatten, von neuem und kecker als je ihr Haupt.

Die Exjesuiten stritten mit den Kapuzinern, Franziskanern und den Scharen anderer Mönche um die Herrschaft; nur in der Verfolgung denkender Männer und bei der Jagd auf verdächtige Bücher boten sie treulich sich die Hand. Und wie viel sie am Hofe selbst gegenüber den besten Männern vermochten, hatte unter anderen der weit über Bayern hinaus geachtete Dichter Zaubser zu empfinden. Gegen die Inquisition, deren Einführung fanatische Mönche zu fordern wagten, hatte Zaubser eine mit Beifall aufgenommene „Ode“ veröffentlicht, und zwar mit Genehmigung der kurfürstlichen Zensurbehörde.

Dem Zensurkollegium ging deshalb nebst einem scharfen Verweis der Befehl zu, jene Schrift zu unterdrücken. Dem Verfasser aber, welcher die Stelle eines Hofkriegsratssekretärs bekleidete, wurde aufgegeben, „bei gesessenem Pleno sein christ- [12] katholisches Glaubensbekenntnis abzulegen, wonach ihm einzuschärfen, dass er in Zukunft bei Vermeidung anderweiten schweren Einsehens in dem religions- und theologischen Fache heimlich oder öffentlich zu schreiben, sich um so weniger unterfangen solle, als er weder den Beruf, noch aus Mangel der erforderlichen Wissenschaft und Prudenz die geringste Anlage dafür habe“, – „wie denn auch heute dem Hofkriegsratsdirektorio der Auftrag beschehen ist, erwähnten Secretarium Zaubser mit der Kanzleiarbeit so weit zu beschäftigten, damit ihm zu theologischen und anderen ausschweifenden Schreibereien keine Zeit übrig bleibe“. So geschehen München, am 11. Oktober 1780.

Um diese Zeit war es, wo ein geheimer, anfangs nur in engem Kreise tätiger Orden, durch weltliche und geistliche Mitglieder von einflussreicher Stellung verstärkt, zu einer öffentlichen Macht angewachsen, begann, stark genug, wie man wähnte, dem Heere der Priester und Mönche mit ihrem gesamten Anhang die Spitze zu bieten und einer energischen Aufklärung allen Finsterlingen zum Trotz zu einem vollständigen Siege zu verhelfen. Ich meine den Geheimbund der Illuminaten, der auch nach seinem Sturze noch Jahre lang die Geister in und ausserhalb Bayerns teils in Liebe, teils in Hass beschäftigte und selbst in der Literatur der Gegenwart die widersprechendsten Urteile über sich ergehen lassen musste.

Nicht minder als Geist und Tendenz des Ordens gehen die Ansichten über den Stifter Adam Weishaupt auseinander. Von den einen als ein begeisterter Apostel der Aufklärung und Humanität gefeiert, gilt er den anderen als Heuchler und Bösewicht. Wir wollen versuchen, ihn an der Hand der Geschichte, zunächst seiner eigenen Geschichte, kennen und würdigen zu lernen.“

Soweit Kluckhohn. Wir ahnen aus diesen Worten bereits, dass der Hauptquell der Verfolgungen auf kirchlicher Seite zu suchen sein dürfte, welche sich der Staatsmacht bediente, und wir werden den roten Faden gefunden haben, an dem sich Ereignis an Ereignis reihen lässt, wenn wir dem Entwicklungsgang vorgreifend zwei Briefe des Papstes Pius VI. an den Bischof von Freising veröffentlichen. Die Originale, lateinisch geschrieben, liegen im Münchener Staatsarchiv und lauten in der Übersetzung[3]:

[13]
Pius P. P. VI.
Verehrungswürdiger Bruder!
Gruss und apostolischen Segen!

Zu Unserem allergrössten Leidwesen haben Wir aus Deinen Zeilen vom 11. Mai ersehen, dass die Sekte der Freimaurer, welche gegenwärtig einen neuen Aufschwung zu nehmen scheint, ihren Sitz in der Hauptstadt München aufgeschlagen hat und dass sie, was Uns noch mehr beunruhigt und auch von Deinem Nuntius selbst bezeugt wird, in der jüngsten Zeit sich weiter ausbreitet und im geheimen ihren Ansteckungsstoff fast durch die ganze Welt verbreitet. Und doch kann es durchaus nicht bezweifelt werden, wie verderblich für die Menschheit die Berührung mit jener Pest ist, wie sehr dieselbe die Religion und die königliche Macht schädigt; und wenn die Gesetze und die Anschauungen derselben auch nur teilweise an die Öffentlichkeit gedrungen sind, so ist doch mehr als hinreichend über dieselben bekannt geworden, um zu wissen, dass Gesellschaften der Art von Tag zu Tag fluchwürdiger erscheinen. Dies gewinnt noch an Deutlichkeit durch die Dokumente, welche Du Deinem Schreiben beigelegt hast. So nehmen Wir denn, verehrungswürdiger Bruder, in noch verstärktem Masse Deinen Fleiss in Anspruch, dass Du alles sammeln und Uns und dem apostolischen Stuhle einsenden mögest, was für die katholische Religion von Nutzen ist und Unsere oberhirtliche Sorge und Wachsamkeit weckt, indem Du dabei der Sitte der Väter und Bischöfe folgst, die schon seit den ersten Jahrhunderten bestanden hat, alle wichtigen Vorgänge, wo sie sich auch immer begeben mögen, der römischen Kirche, aller Kirchen Mutter und Lehrerin, zu vermelden und von dort im Falle von Schwierigkeiten Hilfe und Trost zu erbitten. Neben Deinem Uns hocherfreulichen Bemühen und Deinem Uns mitgeteilten bischöflichen Eifer waren für Uns in Unserer Bekümmernis ein ansehnlicher Trost die Dekrete Unseres demütigen, geliebtesten Sohnes in Christo, des Herzogs Karl Theodor von Bayern und Grafen von der Pfalz, die im allgemeinen gegen derartige geheime Bruderschaften und Versammlungen, speziell aber gegen die Freimaurer gerichtet sind, deren Gesellschaften er strengstens unterdrückt und ächtet. Dieses weise und günstige Verhalten desselben fügt zu seinen übrigen Tugenden noch eine Mehrung seines wahren Lobes und Glanzes. Nunmehr, ehrwürdiger [14] Bruder, ist es Unsere Aufgabe, zu ermitteln, was geschehen muss um diejenigen Mittel zu finden, durch welche die verborgenen und doch überall verbreiteten Anschläge der Feinde ans Licht gebracht werden können. Hierin werden Wir, soweit es an Uns liegt, aufs beste danach schauen, dass etwas geschieht und sich als heilsam erweist. Und wenn Wir Unsere Arbeit als dieser sehr grossen Schwierigkeit zu widmend ansehen, so dürfen Wir, wie Du selber leicht begreifen wirst, dennoch von solcher Sorge und solchem Unterfangen Uns nicht zurückziehen und Unseren Sinn nicht davon entlasten, in Hinsicht auf den göttlichen Beistand, den zu erflehen Wir nicht müde werden; und Wir erbitten von Dir selbst, dass Du Dein Flehen mit dem Unserigen vereinigen mögest und mit Deinen durch solchen Beistand mächtigen Kräften Unsere Unzulänglichkeit ausgleichen möchtest. Dir dies zu schreiben, ehrwürdiger Bruder, benutzen Wir nun eine passende Gelegenheit und spornen Deinen Uns bekannten Eifer für die Sache aufs neue an. In Unsere Hände kam ein Druckblatt, welches sieben Vorschläge enthält. Es entstammt der Buchdruckerei der heiligen Fakultät der Sorbonne vom Jahre 1785. Dass es von Dir der Fakultät der Sorbonne zugestellt worden ist, gilt als sicher und sollst Du von jener ein Gutachten über die Vorschläge erhalten haben. Welche Antwort Dir von jenem Kollegium zu teil geworden ist, wissen Wir nicht. Wir bitten Dich also, Uns über diese Angelegenheit sobald wie möglich Bericht zu erstatten und Uns das Urteil über jeden einzelnen Vorschlag mit Deinem gewohnten Fleisse mitzuteilen. Dir, ehrwürdiger Bruder, Unseren apostolischen Segen, als Pfand Unserer ausgezeichneten Liebe und Wertschätzung, und Unsere dauernde Fürbitte für alle Deiner geistlichen Hut Anvertraute!

Gegeben zu Rom bei St. Peter, unter beigedrucktem Siegel des Fischerrings, am 18. Juni 1785, dem elften Jahre Unseres Pontifikats.

An den Ehrwürdigen Bruder Ludwig Josef, Bischof von Freising.

Pius P. P. VI.
Ehrwürdigster Bruder, Gruss und apostolischen Segen!

Sofort nach erfolgtem Schlusse der Herbstferien beantworten Wir Deinen letzten Brief, worin Du, ehrwürdiger Bruder, Dich über das äusserst, was Uns zumeist am Herzen liegt. Einen [15] Trost in Widerwärtigkeiten bereiteten Uns Deine so wunderbar grossen Verdienste um Uns und erhöhen diese Dein Lob. Allüberall wird der orthodoxe Glaube angefeindet und denselben auch in Deinem Sprengel bedroht glaubend, musstest Du bei Deinem Eifer für die Sache der Religion heftig erschüttert werden durch das, was Du aus der von Grund aus entarteten Ingolstädter Universität erfuhrest. So gingst Du unverzüglich nach München zum Kurfürsten selbst und stelltest ihm mit dem gemeldeten Eifer den Ernst des Übels dar. Die Tugend des Kurfürsten verdient alles Lob. Denn sofort ging von jenem ein Dekret aus, welches so geeignet wie möglich und denkbar wirksamst ist, um die von Gottlosen an jener Universität herbeigeführten Schäden auszurotten und dieselbe wieder zu ihrer einstigen Zierde, die vorzüglich auf der Reinheit des Glaubens beruht, zurückzuführen. Es ist schier unglaublich, ehrwürdiger Bruder, wie sehr Dein Erlass Unsere Seele getröstet hat und welche Freude Wir empfinden, und so erwerben Wir Uns den Dank aller geretteten Guten unter Gottes Hilfe. Ein anderes kurfürstliches Dekret fügst Du noch bei, welches speziell für Militärpersonen bestimmt ist und welches im höchsten Grade den Zeitverhältnissen angemessen erscheint. Eine gleiche Verfügung ist, wie Du schreibst, für die Beamtenschaft erschienen. Durch so viele ausgezeichnete Tatsachen und Anzeichen für des Kurfürsten Frömmigkeit und hervorragende Tugend erhöht sich dessen Lob, erhöht sich aber auch Unsere Hochachtung vor Deiner Uns schon bekannten bischöflichen Treue, Wachsamkeit und Verdienstlichkeit. Wiewohl Wir nicht daran zweifeln, dass Deine letztzeitigen Bemühungen für die Religion unter Gottes Beistand einen rühmlichen Ausgang haben werden, so sind doch jene ersten der fünf gottgleichen Vorschläge des Peter Hartmann baldmöglichst zum erwünschten Ende zu führen, und würde es Uns sehr erfreuen, nach der Drucklegung in der Sorbonne das Urteil und die ganze von Dir glücklich vollendete Serie, von irgend jemand übersetzt, in einem Exemplar entgegen zu nehmen. Für Dich vom allgütigen und allmächtigen Gott als Frucht Deiner Bemühungen und Arbeiten reichen Segen erflehend, senden Wir Dir Unseren apostolischen Segen als immerwährendes Pfand Unseres ausgezeichneten väterlichen Wohlwollens.

Gegeben zu Rom bei St. Maria Majorius, unter Beidruck des Siegels des Fischerringes, am 12. November 1785, dem elften Jahre unseres Pontifikates.

[16] An den Ehrwürdigen Bruder Ludwig Josef, Bischof von Freising. –


Diese Briefe sind an sich so klar, dass sie eines Kommentares kaum bedürfen, wir werden im Laufe der Auseinandersetzungen auf diese zurückzukommen haben, zunächst sind sie ein unumstössliches Dokument, dass, der Sitte der Väter und Bischöfe folgend, wie es im ersten Schreiben heisst, recht viel schon vor dem Jahre 1785 nach Rom berichtet sein muss, und dass die angeblich entartete Ingolstädter Universität (wir werden erkennen, dass damit die Tätigkeit Weishaupts gemeint ist) schon lange ein schmerzender Dorn im Fleische gewesen sein muss. – Gleichzeitig dürfte aber erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass die angegebene Sitte der Väter und Bischöfe auch noch heute Geltung hat und dass der unversöhnliche Feind aller Freimaurer, Illuminaten und ähnlicher Gesellschaften sich in den Kreisen befindet, die näher zu bezeichnen überflüssig sein dürfte.


  1. „Volksaufklärung“, kleine Handbibliothek zur Lehr und Wehr für Freunde der Wahrheit Nr. 49/50. Der Illuminaten-Orden v. Dr. jur. Krueckemeyer. Verlag von A. Opitz in Warnsdorf, Böhmen.
  2. Karl Theodor trat drei Tage nach seinem Regierungsantritt am 3. Januar 1778 den grössten Teil Altbayerns an Österreich ab. 14 Tage danach wurde ganz Niederbayern, ein Teil der Oberpfalz, von österreichischen Truppen besetzt
  3. Die beglaubigte Abschrift der lateinischen Briefe im Ordensarchiv zu Dresden.
Nach oben Die Universität zu Ingolstadt
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.