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Gesetz, betreffend die zu Gunsten der Militairpersonen eintretende Einstellung des Civilprozeß-Verfahrens

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Gesetzestext
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Titel: Gesetz, betreffend die zu Gunsten der Militairpersonen eintretende Einstellung des Civilprozeß-Verfahrens.
Abkürzung:
Art:
Geltungsbereich:
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Band 1870, Nr. 29, Seite 493 - 497
Fassung vom: 22. Juli 1870
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 21. Juli 1870
Inkrafttreten:
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(Nr. 537.) Gesetz, betreffend die zu Gunsten der Militairpersonen eintretende Einstellung des Civilprozeß-Verfahrens. Vom 21. Juli 1870.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc.

verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:

§. 1.

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Für die Dauer des gegenwärtigen Kriegszustandes gelten die in den §§. 2. bis 15. enthaltenen Bestimmungen.

§. 2.

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In allen Civilprozessen, in welchen eine bei den mobilen oder gegen den Feind geführten Truppen der Land- und Seemacht, oder bei den Besatzungstruppen einer vom Feinde eingeschlossenen Festung im Kriegsdienste stehende oder zu solchen Truppen vermöge ihres Amtes oder Berufes gehörende Person (Militairperson) als Hauptpartei oder als Nebenpartei betheiligt ist, wird das Verfahren eingestellt.
Als Militairpersonen im Sinne dieses Gesetzes gelten auch die von dem Feinde weggeführten Geißeln und Gefangenen.

§. 3.

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Die Einstellung des Verfahrens tritt nicht ein:
1) wenn die Militairperson einen Personalarrest erwirkt hat, insoweit es sich um die Entscheidung handelt, ob der Arrest aufrecht zu erhalten oder aufzuheben sei;
2) wenn die Militairperson unter väterlicher Gewalt, Vormundschaft oder Kuratel steht, es sei denn, daß der Rechtsstreit ihre eigenen Handlungen betrifft;
3) wenn die Militairperson als Besitzer eines Gutes, auf welchem ein Pächter oder Verwalter sich befindet, wegen der erst nach der Verkündigung dieses Gesetzes fällig gewordenen Zinsen eines Kapitals, für welches das Gut zur Hypothek haftet, belangt ist. Der Pächter oder Verwalter ist in einem solchen Prozesse zur Vertheidigung der Rechte der Militairperson zuzulassen und zu dieser Vertheidigung von dem Prozeßgerichte aufzufordern, bevor das Kontumazial-Verfahren eintreten kann. [494]

§. 4.

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Ist die Militairperson durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten, oder ist ein anderer zur Wahrnehmung ihrer Rechte berufener Vertreter vorhanden, so ist nur auf Antrag des Vertreters das Verfahren einzustellen.
In Ermangelung eines Vertreters tritt die Einstellung des Verfahrens kraft des Gesetzes ein, und zwar mit dem Tage, an welchem dieses Gesetz verkündigt ist; sofern die Erfordernisse des §. 2. sich erst später ergeben, mit dem Tage, an welchem dieselben eingetreten sind.

§. 5.

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Durch die Einstellung des Verfahrens wird insbesondere der Lauf aller Prozeßfristen, einschließlich der Rechtsmittelfristen, gehemmt.
Nach Beendigung der Einstellung beginnt die volle Frist von Neuem zu laufen.

§. 6.

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Wenn ein Urtheil erlassen ist, welches in Gemäßheit der §§. 2. bis 5. nicht erlassen werden durfte, so hat die Militairperson gegen dasselbe auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Anspruch. Die Wiedereinsetzung ist mit einer besonderen Klage zu beantragen. Für die Klage ist das Gericht zuständig, welches das Urtheil erlassen hat. Die Klage muß binnen sechs Wochen nach Ablauf des Tages angebracht werden, an welchem das Hinderniß gehoben ist. Ueber die Wiedereinsetzung und über die Hauptsache wird gleichzeitig verhandelt und entschieden. Konnte die Militairperson mit einem anderen Rechtsmittel Abhülfe erlangen, so steht ihr die erwähnte Klage nicht zu.
Die Bestimmungen der Landesgesetze über die Rechtsmittel der Restitution und der Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie die Anfechtung des Urtheils in einem noch weiteren Umfange gestatten, bleiben unberührt.

§. 7.

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Die Einstellung des Verfahrens endet, vorbehaltlich der Bestimmung des §. 15:
1) wenn vier Wochen seit Ablauf des Tages verstrichen sind, an welchem das nach §. 2. maaßgebende Verhältniß aufhört;
2) wenn die Militairperson die Fortsetzung des Verfahrens in Antrag bringt. Ist die Fortsetzung beantragt, so endet die Einstellung auch in Bezug auf eine gegen die Militairperson erhobene Widerklage.

§. 8.

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Wenn die Militairperson als Mitkläger oder als Mitverklagter in dem Prozesse betheiligt ist, so tritt die Einstellung des Verfahrens nur in Ansehung der Militairperson, nicht in Ansehung der übrigen Streitgenossen ein. Das Prozeßgericht kann auf Antrag der einen oder der anderen Partei oder auch von Amtswegen die Einstellung des Verfahrens in Ansehung aller Parteien anordnen. [495]

§. 9.

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Hat die Militairperson eine Hauptintervention erhoben, so wird das Verfahren in dem Hauptprozesse nicht eingestellt. Aus dem Erkenntnisse in dem Hauptprozesse findet die Zwangsvollstreckung nur insoweit statt, als es ohne Nachtheil für die Militairperson geschehen kann.

§. 10.

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Durch die Bestimmungen über die Einstellung des Verfahrens ist nicht ausgeschlossen, daß zur Sicherung der Rechte des Gegners ein Arrest angeordnet oder eine andere einstweilige Anordnung erlassen wird, soweit solche Anordnungen ohne vorgängiges Gehör der Militairperson zulässig sind. Ein Arrest ist insofern unstatthaft, als nach den Bestimmungen des §. 12. die Zwangsvollstreckung nicht zulässig ist.

§. 11

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Die Einleitung und Fortsetzung des Konkursverfahrens (Falliment, Debitverfahren, konkursmäßige Einleitung u. s. w.), der Liquidations-, Prioritäts- und Aufgebots-Prozesse, sowie unbeschadet der Bestimmungen des §. 12. der Subhastationsprozesse wird durch den Kriegszustand nicht gehindert. Es gelten jedoch hierbei folgende nähere Bestimmungen:
1) Den Militairpersonen gehen, ohne Unterschied, ob ihre Sachbetheiligung bekannt ist oder nicht, ihre Rechte weder durch ein Kontumazialverfahren oder ein Präklusionsurtheil, noch durch Vertheilung einer Masse oder durch eine andere Verwirklichung eines Kontumazial- oder Präklusionsnachtheils verloren. Sie haben jedoch binnen sechs Monaten nach Ablauf des Tages, an welchem der Kriegszustand beendet ist (§. 15.), oder an welchem das nach §. 2. maaßgebende Verhältniß aufhört, sofern dieser Zeitpunkt früher eintritt, die Rechte, welche ihnen nach der vorstehenden Bestimmung vorbehalten bleiben, erforderlichen Falls im Wege der Klage gegen diejenigen geltend zu machen, welche zu ihrem Nachtheile einen Vortheil erlangt haben.
Ist ein Recht von der Militairperson angemeldet, oder ist nach den Akten anzunehmen, daß ein solches ihr zusteht, so wird ihr dasselbe in der betreffenden Entscheidung oder Verfügung ausdrücklich vorbehalten.
2) Wenn bei einer vorzunehmenden Vertheilung die Akten ergeben, daß eine Militairperson eine bei der Vertheilung zu berücksichtigende Forderung angemeldet hat, oder daß eine solche Forderung ihr muthmaaßlich zusteht, so muß bei der Vertheilung so verfahren werden, als wenn die Forderung und das für sie in Anspruch genommene oder anscheinend begründete Vorrecht endgültig festgestellt wäre. Die auf die Forderung fallenden Beträge sind als Spezialmassen im Depositum zurückzubehalten. [496]
3) Ergiebt sich bei einer nothwendigen Subhastation nach Beendigung der Lizitation aus den Subhastationsakten, daß eine Militairperson wegen einer Forderung, für welche der Gegenstand der Subhastation zur Hypothek haftet oder zu deren Beitreibung die Subhastation nachgesucht ist, durch das Meistgebot nicht gedeckt wird, so ist das Subhastationsgericht befugt, den Zuschlag nicht zu ertheilen und Behufs Fortsetzung der Subhastation einen neuen Bietungstermin anzusetzen, sofern die Umstände die Annahme begründen, daß ein höheres, zur gänzlichen oder theilweisen Befriedigung der Militairperson genügendes Gebot erfolgen werde.
4) Die Bestimmungen unter Ziffer 1. bis 3. gelten nicht zu Gunsten derjenigen Militairpersonen, welche unter väterlicher Gewalt, Vormundschaft oder Kuratel stehen.

§. 12.

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So lange das im §. 2. bezeichnete Verhältniß besteht, ist gegen die Militairperson die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen nur mit folgenden Beschränkungen zulässig:
1) Bei der Zwangsvollstreckung in bewegliche körperliche Sachen darf der Besitz nicht entzogen werden.
2) Die Zwangsvollstreckung mittelst Verkaufs einer unbeweglichen Sache und mittelst Beschlagnahme des Gehalts oder der Besoldung ist unstatthaft.
3) Bei einer anderweiten Vollstreckung muß der Militairperson so viel belassen werden, als dieselbe zur Bestreitung der auf den Dienst sich beziehenden Ausgaben nothwendig bedarf.

§. 13.

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Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten auch zu Gunsten der Ehefrauen und Pflegebefohlenen der Militairpersonen, sowie der ihrer väterlichen Gewalt unterworfenen Kinder, soweit nicht nachstehend ein Anderes bestimmt ist.
Die Bestimmungen dieses Gesetzes kommen nicht zur Anwendung:
1) wenn die Ehefrau oder das Kind nach dem bürgerlichen Rechte in dem betreffenden Falle zur selbstständigen Prozeßführung befugt ist.
2) Die im §. 2. vorgeschriebene Einstellung des Verfahrens tritt nicht ein:
a) wenn die Ehefrau, das Kind oder der Pflegebefohlene aus einer unerlaubten Handlung, welche von ihnen begangen wurde, nachdem der Ehemann, Vater oder Vormund in das nach §. 2. maaßgebende Verhältniß getreten war, oder aus einem erst nach diesem Zeitpunkte von ihnen eingegangenen Vertrage belangt ist;
b) wenn die Ehefrau auf Zahlung eines nach dem erwähnten Zeitpunkte fällig gewordenen Miethszinses oder auf Räumung einer Miethswohnung belangt ist. [497]
In solchen Fällen sind großjährige Kinder und Ehefrauen zur selbstständigen Führung des Prozesses befugt; einem Minderjährigen ist von dem Prozeßgerichte für die Prozeßführung ein Vertreter zuzuordnen.
3) Die Bestimmungen des §. 12. finden nur insoweit Anwendung, als die Zwangsvollstreckung die Vermögensrechte des Ehemannes oder Vaters berührt.

§. 14.

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Von dem Tage der Verkündigung dieses Gesetzes bis zu dem Zeitpunkte, in welchem der Kriegszustand als beendet anzusehen ist, ruht die Verjährung sowohl zu Gunsten der Militairpersonen, als zu Gunsten der Gegner derselben.

§. 15.

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Der Zeitpunkt, in welchem der Kriegszustand als beendet anzusehen ist, wird durch Verordnung des Bundespräsidiums bestimmt.

§. 16.

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Dieses Gesetz tritt in Kraft an dem Tage, an welchem es durch das Bundesgesetzblatt verkündigt wird.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Bundes-Insiegel.
Gegeben Berlin, den 21. Juli 1870.
(L. S.)  Wilhelm.

  Gr. v. Bismarck-Schönhausen.