Grünhörner

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Autor: unbekannt
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Titel: Grünhörner
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 64–66
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[64]
Grünhörner.


„Was ist ein Grünhorn?“ höre ich von allen Seiten ausrufen.

Diese Neugierde ist eine wohlberechtigte, und ich will sie ohne Umschweife befriedigen, obwohl ich befürchten muß, der obligaten deutschen Gründlichkeit kaum Genüge leisten zu können.

Das „Grünhorn“ ist kein vierfüßiges, von der Natur gehörntes, sondern ein zweibeiniges Thier, welches schon den Gelehrten des Alterthums bekannt war und von einem derselben als ein Vogel ohne Federn bezeichnet wurde, welches aber erst den europäischen Boden verlassen und nach Amerika auswandern muß, um sich dort Hörner aufsetzen zu lassen und trotz seiner Federlosigkeit oft weidlich gerupft zu werden.

Die Amerikaner, welche eine solche Vorliebe für Spitznamen haben, daß sie sich selbst bald „Brother Jonathan“, bald „Uncle Sam“ nennen, haben auch für den Europäer in der ersten Zeit seines Aufenthaltes in der neuen Welt, wo er sich wenig oder gar nicht in die Verhältnisse zu schicken weiß und, als hätte er wirklich Hörner, überall anstößt, den Namen „Grünhorn“ erfunden. Jeder Einwanderer, er mag den Bogen des Herkules gespannt oder das Perpetuum Mobile zu Stande gebracht haben, muß sich diesen Namen gefallen lassen, und er wird nach einigen Jahren selbst gestehen müssen, daß er ihn mit vollem Rechte getragen habe.

In dem Folgenden will ich dem deutschen Publicum einige Bilder aus dem Grünhornleben vorführen. Meine Mühe wird reichlich belohnt sein, wenn es mir gelingen sollte, durch diese sachliche Erläuterung das zu ersetzen, was in der wörtlichen mangelhaft ist.

Bevor ich zu der Zeichnung des Grünhorns in seinen verschiedenen Gestalten schreite, will ich im Interesse des besseren Verständnisses einige Haupteigenschaften desselben erwähnen. Das Grünhorn ist vor Allem hoffnungsreich, das heißt, es langt in Amerika mit der zuversichtlichsten Erwartung an, in Kurzem ein schönes Haus, ein blühendes Geschäft, eine ansehnliche Fabrik oder doch wenigstens eine niedliche Farm zu besitzen. Diese Eigenschaft verliert sich in sehr kurzer Zeit und macht einer kolossalen Hoffnungslosigkeit Platz, und wir könnten wohl sagen: das Grünhornthum hört dann auf, wenn der Einwanderer nichts mehr zu hoffen und zu fürchten hat.

Ferner ist das Grünhorn fest überzeugt, daß es die Verhältnisse in Amerika sehr wohl kenne, vielleicht besser als die vernagelten Yankee’s, die nie ein „Handbuch für Auswanderer“ und all’ die übrigen schönen Reisebeschreibungen gelesen haben. Mit andern Worten: Jedes Grünhorn lebt in der vollen Ueberzeugung, daß es kein Grünhorn sei, und nimmt diese Benennung sehr übel auf. Trotz dem aber bringt es Tage lang zu, um sich bei Freunden, Bekannten und Landsleuten Raths zu erholen, und sagt man ihm, daß man einem Grünen nicht rathen könne, weil er gewöhnlich einem wohlgemeinten Rathe keine Folge leistet, so wird man als verknöcherter Yankee und herzloser Egoist verschrieen.

Endlich mögen wir noch als eine Cardinaltugend des Grünhorns sein unbegrenztes Mißtrauen erwähnen. Das Grünhorn traut in Amerika Niemandem, und es würde sich seine eigene Nase abschneiden, wenn es wüßte, daß sie die „Pläne“ verraten könnte, die sein Kopf mit außerordentlicher Fruchtbarkeit hervorbringt. Indessen hat dieses Mißtrauen wieder eine besondere Eigenthümlichkeit, nämlich die, sich blos gegen ehrliche Leute geltend zu machen, während die abgefeimtesten Betrüger, die stets nur die „Pläne“ des Grünhorns „ausarbeiten“ und „erweitern,“ mit einem Unmaß von Zutrauen bedacht werden.


I.
Va. La. Mo.

Auf einem jener prachtvoll ausgestatteten Dampfschiffe, welche zwischen New-York und den Küstenstädten des Südens fahren, befanden sich zwei junge Deutsche in einer blos aus Amerikanern bestehenden Reisegesellschaft.

An ihrer Kleidung, Haltung und Manier konnte man schon auf den ersten Blick schließen, daß sie Deutsche, und zwar „grüne“, das heißt erst kürzlich eingewanderte Deutsche seien, die mit den Landessitten theils noch unbekannt, theils noch nicht befreundet sind.

Wie es gewöhnlich „Grüne“, und besonders deutsche Grüne zu thun pflegen, brachten unsere Neophyten den größten Theil der Reise auf der äußeren Plattform und Ergehungsgallerie des Schiffes zu, wo ihre Blicke die schönen Küstenpunkte aufzufangen suchten, an welchen das Schiff in seinem Laufe vorüberkam. Erst als die matte Novembersonne sich hinter schwarze Wolken zurückzog, und diese zum Ueberfluß ihr Bischen Naß dem Ocean zuträufelten, suchten die Neugierigen die schützenden Räume des reich decorirten und mit allem möglichen Comfort eingerichteten Salons auf, wo sie, der englischen Sprache unkundig, an der Unterhaltung der Gesellschaft keinen Antheil nehmen konnten, sich in eine Ecke [65] zurückzogen, und in einer kleinen Entfernung von einander auf Stühlen Platz nahmen.

Obwohl wir unsere Helden, ohne sie angesprochen oder sonst genauer kennen gelernt zu haben, als Deutsche und „Grüne“ bezeichneten, scheinen sie selbst sich gegenseitig bisher ganz unbekannt geblieben zu sein, was übrigens dadurch zu erklären ist, daß sie so grün waren, sich gegenseitig für Yankee’s anzusehen, und also kein Gespräch mit einander anknüpften. Erst zufällig, und zwar durch die Vermittelung eines wirklichen Amerikaners, wurden die beiden Landsleute gewahr, daß sie Landsleute seien. Dieser Amerikaner glaubte nämlich einem der Deutschen im Vorbeigehen auf den Fuß getreten zu sein, und wendete sich um Entschuldigung bittend an ihn um den Worten: „I beg your pardon, Sir!“ Der Deutsche, der diese Worte nicht verstand und ihre Veranlassung nicht kannte, antwortete etwas verlegen mit der Frage: „Was wünschen Sie, mein Herr?“ Der Amerikaner nahm dies für eine versöhnliche Redensart und gab sich zufrieden, der andere Deutsche aber, durch diese Worte aufmerksam gemacht, näherte sich seinem Landsmann und fragte:

„Sie sind ein Deutscher?“

„Wie Sie hören,“ erwiderte der Andere.

„Das ist mir sehr angenehm,“ meinte jener. „Es ist so fürchterlich langweilig, wenn man mit Niemandem ein Wort sprechen kann. Die englische Sprache will mir trotz meiner eifrigen Vorstudien“ – alle Grünhörner haben gewaltige Vorstudien in der englischen Sprache gemacht – „nicht recht von der Zunge, und ich muß gestehen, das unfreiwillige Stillschweigen seit der Einschiffung in New-York fing bereits an, mir recht unangenehm zu werden.“

„Sie stiegen also auch in New-York ein?“

„Wie Sie sagen. Und Sie?“

„Ich ebenfalls.“

„Sind vielleicht in New-York etablirt?“

„O nein! Ich bin erst seit vier Tagen im Lande und eben jetzt auf der Reise nach dem Orte meiner Bestimmung.“

„Sonderbar, wie das zusammentrifft! Ich bin ebenfalls erst vor vier Tagen in New-York an’s Land gestiegen, wo ich mir nur eine sehr kurze Erholung gönnte, da ich es kaum erwarten konnte, in die Arme meiner Lieben zu eilen.“

„Sie reisen zu Ihren Eltern?“

„Nein! – oder doch – wie man’s nehmen will. Ich reise zu meiner Braut, deren Eltern bald auch die meinigen werden sollen.“

„Nun, das ist doch wahrlich, als wenn wir uns zusammen beredet hätten. Ich reise ebenfalls zu meiner Braut und hoffe, noch heute süße Küsse zu ernten.“

„Und das Ziel Ihrer Reise?“

„Ist Richmond.“

„Richmond?“

„Ja wohl, Richmond.“

„Aber das ist ja köstlich! Wir kommen Beide vor vier Tagen aus Deutschland, steigen in New-York in ein und dasselbe Schiff und gehen Beide nach Richmond, Jeder seiner Braut entgegen.“

„Sie gehen also auch nach Richmond?“

„Gewiß! und zu meinem Mädchen – doch Sie sollen sehen! – Ein solches Mädchen – aber ich führe Sie bei meiner Braut ein und Sie mögen selbst urtheilen.“

„Nehmen Sie sich in acht, lieber Freund, denn ich werde dort jedenfalls Ihre Höflichkeit erwidern und Sie auch meiner Braut zuführen. Haben Sie diese gesehen, so könnten Sie sich leicht von der exclusiven Verehrung der Ihrigen zurückkommen.“

„Sie entschuldigen, lieber Landsmann! Ich will gewiß Ihrer lieben Braut, die ich, ohne sie zu kennen, ehre und schätze, nicht zu nahe treten, aber wenn Sie erst meine Amalie gesehen haben –“

„Es ist jedenfalls eine gute Vorbedeutung für meine Braut. daß sie wenigstens denselben Namen hat, wie die Ihrige!“

„Wie? Auch Ihre Braut heißt Amalie?“

„Ich glaube nicht, daß Ihnen das unangenehm sein wird?“

„O, gewiß nicht! Aber es ist doch sonderbar, daß unsere Verhältnisse so viele Aehnlichkeit zeigen. Es sieht fast so aus, als wären wir Doppelgänger. Dürfte ich auch den Familiennamen ihrer lieben Braut erfahren?“

„Sehr gern. Meine Braut ist eine geborene Müller.“

„Und wohnt in Richmond? Und in welcher Straße?“

„In der Washington-Straße.“

„Was, in der Washington-Straße?“

„Ich sehe nicht ein, was Sie denn so sehr in Staunen setzen kann. Meine Braut heißt Amalie Müller und wohnt in Richmond in der Washington Street. Wie sie mir schreibt, hat ihre Straße noch keine Nummern, weil noch nicht viel Häuser darin stehen, doch werde ich das Haus leicht erfragen können.“

„Und woher ist Ihre Braut?“

„Sie sind in der That neugierig! – Doch ich will Ihnen vollständig Genüge leisten. Meine Braut ist aus Berlin; sie wanderte vor einem Jahre mit ihren Eltern aus und wohnt jetzt in der Washington Street in Richmond in den Vereinigten Staaten von Nordamerika; ich war zur Zeit ihrer Auswanderung noch unter Vormundschaft und konnte die Einwilligung meines Vormundes nicht erlangen. Sobald ich frei wurde, machte ich meine Habseligkeiten zu Gelde und bin jetzt auf dem Wege zu meiner Braut, mit der ich mich in einigen Wochen verheirathen werde.“

„Das werden Sie wohl bleiben lassen, mein Herr! so lange es mir belieben wird, meine Ansprüche auf Amalie Müller aus Berlin, gegenwärtig in Richmond in Amerika, geltend zu machen. Ich muß Ihnen sagen, daß es entweder ein unzeitiger Spaß oder eine maßlose Arroganz ist, sich als den Verlobten eines Mädchens auszugeben, mit dem Sie gewiß nie in nähere Bekanntschaft, viel weniger in ein derartiges Verhältniß getreten sind. Diese Amalie Müller, die Sie für Ihre Braut auszugeben belieben, ist bereits seit drei Jahren mit mir verlobt; vor einem Jahre, als sie auswanderte, hatte ich meiner Militairpflicht noch nicht Genüge geleistet; nun, da ich frei bin, eile ich in die Arme meiner Geliebten und will sehen, wer mich daran verhindern wird!“

„Es ist mir leid, daß ich meine Briefe in meinen Koffer gepackt habe, den ich erst bei der Landung des Schiffes erhalten kann. Ich könnte Ihnen dann leicht beweisen, wie wenig Sie berechtigt sind, mich der Arroganz oder schlechten Witzmacherei zu zeihen, und wie es mir eher zukäme, Ihnen diese Schimpfworte in’s Gesicht zu schleudern.“

„Herr, das ist zu viel! – Ich sage Ihnen, Sie müßten mir geradezu meine Briefe von Amalie stehlen, wenn Sie Ihren lügnerischen Angaben einen Schein von Wahrheit geben wollten!“

„Mein Herr, Ihr Benehmen ist impertinent! Und wenn Sie mit Ihren blödsinnigen Angriffen auf meine Ehre und die Ehre meines Mädchens nicht aufhören, so werde ich Sie wie einen dummen Jungen züchtigen!“

Es wäre hier zwischen den heißblütigen Teutonen wahrscheinlich zu Thätlichkeiten gekommen, hätte nicht eben die Schiffsglocke ihr Geläute und der eintretende Conducteur seine Baßstimme ertönen lassen: Richmond!

In Amerika, wo „Time is money“ (Zeit ist Geld) nicht nur eine Phrase, sondern Wahrheit ist, dauert der Aufenthalt der Dampfschiffe selbst an größeren Stationen nur einige Minuten. Noch bevor man an die Station kommt, wird alles für diese bestimmte Gepäck auf’s Verdeck gebracht und dort nahe an der Ausgangsstelle aufgehäuft; bei der Ankunft wird es mit fast unglaublicher Schnelligkeit an’s Land gebracht und die etwa bereit liegenden Frachtgüter an Bord genommen; und nun beginnen die Räder wieder ihre rauschende Bewegung, um den schwimmenden Palast einem anderen Hafen auf eben so kurzen Besuch zuzuführen.

Dies hatten unsere Landsleute bereits bei mehreren Landungen mit angesehen, und als die Glocke und die Stimme des Conducteurs ertönte, dachten sie an ihre Selbsterhaltung oder vielmehr an ihre Gepäckerhaltung, und entfernten sich mit gegenseitig durchbohrenden Blicken aus dem Salon.

Am Landungsplatze wurden die beiden Bräutigams bald durch die wogende Menge von einander getrennt, doch dauerte es nicht lange, so wurden sie von ihrem Schicksale wieder zusammengeführt.

Beide nämlich konnten sich nur so weit verständlich machen, daß sie nach der „Washington Street“ gehen wollten. Es wurde ihnen also die Richtung angegeben und nach langem Hin- und Herbiegen gelangten endlich Beide, aber an verschiedenen Punkten in die gesuchte Straße. Hier angelangt, gerieth der Eine in eine Bierkneipe, wo man in Amerika stets sicher sein kann, Deutsche zu finden; der Andere ging vor einer offenstehenden Victualienhandlung vorbei, wo er zwei deutsche Frauen miteinander sprechen hörte, und trat ein, um sich nach seiner Braut zu erkundigen; allein auch hier [66] gestaltete sich das Schicksal der Reisenden ganz gleich, denn weder im Lagerbiersalon, wo man angab, jeden Deutschen in der Straße zu kennen, noch in der Victualienhandlung, wo man nicht minder mit der Statistik der Straße vertraut war, wollte man etwas von einer Familie Müller wissen.

Da indeß die Reisenden mit unzerstörbarer Festigkeit darauf bestanden, daß eine Familie Müller in dieser Straße wohnen müsse, so wurden sie in die benachbarten Wohnungen gewiesen, wo sie vielleicht über die unbekannte Familie etwas Näheres erfahren dürften.

Diese Erkundigungen führten zwar nicht zu dem gewünschten Resultate, allein dadurch wurde die Angelegenheit bald unter den Deutschen der Straße bekannt, und da es sich endlich herausstellte, daß zwei Reisende nach einer und derselben Familie fragten, die ihres Wissens in der Straße gar nicht existirte, so wurden dadurch die Reisenden selbst wieder zusammen- und eine Gruppe von Müßiggängern herbeigeführt.

Nun wurde über den Gegenstand unter freiem Himmel hin und her debattirt, und zwischen der disputirenden Menge nahmen sich die gegeneinander halb noch erbitterten, halb durch ihre mißliche Lage ausgesöhnten Reisenden aus, wie zwei Proceßführende, die von ihrem Advocaten so ausgesogen werden, daß sie schon gerne ihren Streit aufgeben möchten und nur durch die Ermuthigungen ihrer „Rechtsfreunde“ daran verhindert werden.

Das hätte noch lange so währen mögen, wäre nicht ein junger Mann, der Sohn eines in der Stadt wohlbekannten deutschen Kaufmanns, durch die Straße gekommen und Zeuge der improvisirten Volksversammlung geworden, nach deren Ursache er sich angelegentlich erkundigte.

Der junge Mann sah bald ein, daß sich aus diesem Gewirr kein klarer Begriff über das Vorgehende herauslösen ließ; er lud daher die Reisenden ein, ihm auf sein Zimmer zu folgen.

Nachdem ihm dort beide eine und dieselbe Geschichte erzählt hatten, fragte der junge Mann, ob sie nicht etwa Briefe bei sich hätten, in welchen ihre Bräute die Adresse ihrer Aufenthaltsorte angegeben, worauf er zur Antwort erhielt, daß sie zwar solche Briefe hätten, doch wären dieselben in den Koffern, welche sie bei dem Magazinbeamten an der Dampfschifflandung zurückgelassen, weil sie es für zweckmäßiger hielten, erst die Wohnung ihrer Angehörigen aufzusuchen, und dann ihr Gepäck nach dem genauer bezeichneten Orte holen zu lassen.

„Also,“ meinte der junge Mann, „müssen Sie vor Allem Ihre Koffer holen lassen; damit wir die Briefe sehen können. Seien Sie nur ganz ungenirt, und lassen Sie dieselben hierher auf mein Zimmer tragen.“

Alle Grünhörner haben eine Eigenschaft gemein, nämlich gegen Jedermann ohne Unterschied des Glaubens, Alters, Geschlechts oder der gesellschaftlichen Stellung mißtrauisch zu sein. Bevor man Europa verließ, hat man so viel von Betrug, Schwindel, Raub und Diebstahl gehört, die auf den Ankömmling ist Amerika lauern; der Herr Onkel, der sehr viel Zeitung liest, und der Herr Nachbar, der selbst einen Pathen in Amerika hat (der ihm aber nie einen Brief geschrieben), haben so eindringlich vor den „amerikanischen Yankee’s“ (als wenn es auch europäische Yankee’s gäbe) gewarnt, daß der Ankömmling in jedem zweibeinigen Thier einen Yankee, in jedem Yankee einen Strauchdieb und Halsabschneider sieht. Auf den Antrag, ihre Koffer in ein unbekanntes Haus bringen zu lassen, standen daher unsere Grünhörner etwas verblüfft da und wechselten fragende Blicke mit einander. Der Deutsch-Amerikaner, der diese Blicke zu deuten wußte, kam ihren Besorgnissen entgegen, und indem er ihnen eine Karte hinhielt, deutete er durch das Fenster auf ein gegenüber liegendes Haus, und sagte:

„Sehen Sie jenen Laden, meine Herren! Es ist eine deutsche Apotheke, in welcher Sie nach dieser Karte Erkundigung einziehen können.“

Die Fremden brachten hierauf stotternd einige Entschuldigungen hervor, worauf sie sich entfernten und nicht lange darauf mit ihren Koffern und Reisetaschen in der Wohnung des freundlichen Jünglings eintrafen. Hier wurden sogleich die Koffer geöffnet und die Briefe von Amalie Müller aus der Washington Street in Richmond hervorgeholt; aber kaum hatte der Deutsch-Amerikaner einen Blick in dieselben geworfen, als er in ein nicht enden wollendes Gelächter ausbrach, und erst nach einiger Zeit konnte er sich beherrschen und den verblüfften Fremdlingen zurufen:

„Aber, meine Herrn, haben Sie denn nicht bemerkt, daß Ihre diversen Bräute zu dem Ortsnamen Richmond noch zwei verschiedene Buchstaben hinzugefügt hatten? Die eine schreibt: „Washington Street, Richmond La.“, die andere: „Washington Street, Richmond Mo.“, Sie aber, meine Herrn, sind weder in „Richmond La.“ noch in „Richmond Mo.“, sondern in Richmond Va.

Die Fremden standen noch immer da mit dem Ausdruck der Verblüfftheit im Gesichte. Der freundliche Jüngling fuhr fort:

„Ich will Ihnen das gleich zurecht legen, meine Herren! In den Vereinigten Staaten gibt es Ortsnamen, die, weil sie von gewissen politischen oder sonstigen Berühmtheiten herkommen, oft zu Dutzenden anzutreffen sind; so gibt es eine Unzahl von Franklins, Jeffersons, Jacksons, Monroes, Livingstons, Richmonds u. s. w. Um nun diese Orte näher zu bezeichnen, so stellt man den Staat oder gar die County (Grafschaft) hinzu, in der sich die sobenannten Städte oder Dörfer befinden, die Namen der Staaten aber werden gewöhnlich nur in einer bereits conventionellen Abkürzung gegeben. So heißt La. = Louisiana, Mo. = Missouri, und Va. = Virginia. Sie, meine Herren, hätten sollen der Eine nach Richmond in Louisiana, der Andere nach Richmond in Missouri reisen; wahrscheinlich haben Sie sich aber in New-York blos nach Richmond erkundigt, und da versteht man immer die große und blühende Hauptstadt des Staates Virginien darunter. Daß Ihre Bräute beide Müller heißen, kann keinen Deutschen verwundern, und eine Washington Street fehlt nur in wenigen Städten und Dörfern der Union. Ich lade Sie nun ein, sich bei mir einige Tage auszuruhen, und ich will Sie dann selbst mit Reisegelegenheiten versorgen, die den Einen nach Nordwesten, den Andern nach Südwesten bringen sollen. Freilich werden Sie jeder einige Hundert Meilen zurückzulegen haben, bis Sie in den Armen ihrer liebenswürdigen Bräute den Lohn für Ihre Mühsale finden, aber seien Sie beide sicher, daß Sie keine Nebenbuhler, sondern nur „Grünhörner“ sind.“