Großherzog und Bäuerin
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Der vorletzte Großherzog von Mecklenburg-Strelitz kannte kein größeres Vergnügen, als im unauffälligen Anzug eines schlichten Bürgers ohne jede Begleitung weite Spaziergänge zu unternehmen, die ihn oft meilenweit von seiner Residenz fortführten. Auf einem dieser Ausflüge wurde der Fürst von einem Gewitterregen überrascht. Zu seinem Glück kam jedoch gerade ein Bauernwäglein vorüber, dessen Lenkerin, eine ältere, einfach gekleidete Frau, den Großherzog auf dessen Bitte mit ins nächste Dorf nahm, wo er das Ende des Unwetters abzuwarten gedachte.
Die Bäuerin, ahnungslos, wen sie neben sich auf dem Sitzbrett ihres Korbwagens hatte, begann sofort eine Unterhaltung, auf die ihr Nachbar auch bereitwilligst und in tadellosem mecklenburgischen Platt einging. Als es stärker zu regnen begann, holte die Frau für ihren freundlichen Begleiter unter dem Sitz einen leeren Kartoffelsack hervor, den der Großherzog sich zum Schutz gegen die fallenden Tropfen umhängen mußte.
Im Lauf des Gesprächs erfuhr der Fürst dann, daß das gutmütige, redselige Weiblein Witwe war und die Gastwirtschaft im Dorf besaß, dessen Kirchturm unten im Tale sichtbar war. Bald fuhr der Wagen vor dem Dorfkrug vor. Die Alte nötigte den städtisch gekleideten Herrn in ihre „gute Stube“ und setzte ihm dort einen reichlichen Imbiß vor. Nach der Mahlzeit bat sie ihn dann, sich doch einmal ihre Besitzung anzusehen.
Der Großherzog fand das Gehöft peinlich sauber gehalten und auch die Gebäude bis auf den hölzernen Schweinestall in bestem Zustande. – Dieser Schweinestall paßte so wenig zu den anderen Baulichkeiten, daß der Fürst die Frau erstaunt fragte, weshalb sie sich denn nicht einen neuen Stall bauen lasse, da es ihr doch offenbar nicht an dem nötigen Geld mangele.
„Ja," erwiderte die Krugwirtin verdrossen, „dat wull’n wi ook all maken (das wollten wir auch schon machen), aber de Landrieder, de will dat nich. Wi häfft em all so veelmal drum beden, aber – hei will dat doch nu mal nich!“
„De Landrieder“ (Landreiter), das ist nämlich in Mecklenburg der berittene Gendarm.
Höchst verwundert über diese Antwort meinte der Großherzog, die Frau solle sich dann doch an den Amtsvorsteher wenden.
Die Alte lachte ärgerlich auf. „Dat hebben wi ook all dahn! Aber das Amt schrifft (schreibt) dann an den Landrieder, un de will ja dat nich.“
„Na, zum Dunner, dann frog Se doch mal bi ’s Ministerium an!“ riet der Fürst.
„Jo, dat Ministeriom!“ meinte die Frau achselzuckend. „Dat schrifft dann doch wedder (wieder) an das Amt, und das Amt schrifft an den Landrieder, un de Landrieder will dat nich!“
Der Großherzog, der jetzt merkte, daß es sich hier fraglos um eine kleine Schikane des Landreiters gegen die Krugwirtin handelte, gab sich dieser jetzt zu erkennen und forderte sie auf, an ihn persönlich ein Gesuch wegen der Bauerlaubnis für den neuen Schweinestall einzureichen.
„Oh,“ rief die brave Krugwirtin da zuversichtlich, „wenn Sei wärklich de Grotherzog wär’n, denn ward dat schon gahn. Denn schreewn (schreiben) Sei man an’n Landrieder un leggen (legen) Sei bi ihm en goot Wurt (Wort) ein, dat hei uns den Bau erlauwen deiht.“
Der Großherzog versprach’s denn auch lachend. Da das Gewitter jetzt vorüber war, machte er sich in bester Laune wieder auf den Heimweg. Der neue Schweinestall wurde wirklich gebaut, wozu der Fürst aus seiner Brennerei die nötigen Steine stiftete. „Denn“, äußerte er zu den Herren seiner Umgebung, „die Erkenntnis, daß in Mecklenburg noch über dem Großherzog ‚de Landrieder‘ steht, ist immerhin ein paar tausend Ziegel wert.“