Großherzoglich Hessisches Bachregulierungsgesetz
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Gesetz,
die Regulirung der Bäche betreffend.
LUDWIG III. von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein etc. etc.
- Wir haben mit Zustimmung Unserer getreuen Stände verordnet und verordnen hiermit, wie folgt:
Art. 1.
- Wenn die Regulirung eines Baches, d. h. eine Veränderung, wodurch einem Bache, unter welcher Bezeichnung in gegenwärtigem Gesetze alle nicht schiffbaren Flüsse und Bäche, sowie die [71] zur Entwässerung einer oder mehrerer Gemarkungen oder größerer Gemarkungstheile bestimmten künstlichen Gräben begriffen sind, ganz oder zum Theil ein anderes als das seitherige Bett angewiesen oder die Sohle desselben verändert werden soll, – ausschließlich zur Verbesserung einer Wiesencultur verlangt wird, so ist nach dem Gesetz vom 7. October 1830, die Wiesencultur betreffend, zu verfahren. Soll eine Bachregulirung auch zu anderen als den oben angegebenen Zwecke vorgenommen werden, so finden die nachstehenden Vorschriften ihre Anwendung.
Art 2.
- Die Kosten der zum Zwecke von Bachregulirungen auf Veranlassung der Staatsverwaltungsbehörden stattfindenden technischen Untersuchungen und Aufnahmen werden aus der Staatskasse bestritten.
Art. 3.
- Wenn ein durch mehrere Gemarkungen fließender oder mehrere Gemarkungen begränzender Bach regulirt werden soll, so haben darüber nicht blos die Ortsvorstände der Gemarkungen, in welchen oder an deren Gränzen die Regulirung beabsichtigt wird, zu berathen, sondern es ist auch sonstigen etwa vorhandenen Interessenten durch öffentliche Bekanntmachung, die in ortsüblicher Weise und in der Darmstädter Zeitung, sowie in einem Localblatte des Bezirks, wenn ein solches besteht, zu geschehen hat, von dem Unternehmen und auf Verlangen durch Gestattung der Einsicht der Pläne und Ueberschläge (Art. 4.) Gelegenheit zu geben, ihre etwaigen Einwendungen in zu bestimmender ausschließender Frist von vier Wochen geltend zu machen.
Art. 4.
- Die Gemeinderäthe der Gemeinden, in deren Gemarkungen Bachregulirungen vorgenommen, oder welche zu den Kosten derselben zugezogen wenden sollen, haben ihren Berathungen vollständige Pläne zu Grunde zu legen, welche eine genaue Darstellung aller vorzunehmenden Arbeiten, namentlich Aufzählung aller Vortheile und Nachtheile der Regulirung und einen Ueberschlag sämmtlicher durch Ausführung der Arbeiten entstehenden Kosten, sowie des Antheils jeder einzelnen Gemeinde an letzteren enthalten muß.
- Haben nach Vorschrift des Art. 2 die technischen Untersuchungen und Aufnahmen auf Veranlassung der Staatsverwaltungsbehörde stattgefunden, so werden auch jene Pläne und Ueberschläge auf Kosten der Staatskasse aufgenommen. Andern Falls steht es den Gemeinden frei, sie auf ihre Kosten fertigen zu lassen.
Art. 5.
- Mit Ausnahme der im Art. 2 bezeichneten Kosten werden alle übrigen durch eine Bachregulirung entstehenden Kosten – soweit nicht Zuschüsse aus der Staatskasse statt finden (Art. 13.) – von den betreffenden Gemeinden und zwar als Ausgaben III. Klasse bestritten.
Art. 6.
- Die durch eine Bachregulirung entstehenden Kosten (Art. 5) werden auf diejenigen Gemeinden, in deren Interesse die Regulirung vorgenommen werden soll, nach dem Verhältniß des Vortheils, [72] welchen die Regulirung jeder einzelnen Gemeinde gewährt, nach Anhörung der Ortsvorstände der betheiligten Gemeinden von der Regierungsbehörde vertheilt. Ist eine Bachregulirung nur Einer Gemeinde von Vortheil, so hat diese allein die Kosten zu tragen.
Art. 7.
- Widerspricht der Gemeinderath einer Gemeinde der Uebernahme der durch eine vorzunehmende Bachregulirung entstehenden Kosten, so hat darüber auf Veranlassung der Regierungsbehörde der Bezirksrath zu entscheiden.
Art. 8.
- Wenn im Falle des Art. 6. über das Verhältniß, in welchem die Kosten einer Bachregulirung auf mehreren Gemeinden zu repartiren sind, eine gütliche Uebereinkunft nicht zu Stande gebracht werden kann, so hat auf Veranlassung der betheiligten Gemeinden oder der Regierungsbehörden der Bezirksrath oder, wenn der Streit zwischen Gemeinden verschiedener Regierungbezirke besteht, das Ministerium des Innern, nach Anhörung der betreffenden Bezirksräthe mit Gutachten, die Entscheidung zu geben.
Art. 9.
- Wenn gegen die Entscheidung des Bezirksraths Recurs ergriffen wird, so hat die Behörde, welche hierüber zu erkennen hat, vor Ertheilung einer Entscheidung das Gutachten einer Commission von sechs Sachverständigen von Amtswegen, wenn ein solches Gutachten von jener Behörde als nöthig erachtet wird, oder auf Verlangen einer der Partieen einzuholen. – Zu dieser Commission haben Diejenigen, welche die Regulirung verlangen, so wie Diejenigen, welche der Regulirung oder der beabsichtigten Art der Ausführung widersprechen, jede Partie zwei Sachverständige, einen Landwirth und einen Bauverständigen, zu ernennen. Die zwei weiteren Sachverständigen werden, und zwar ein Landwirth von dem Ausschusse des landwirthschaftichen Vereins der Provinz, in welcher die Regulirung statt finden soll, und ein Bauverständiger von der Oberbaudirection als Mitglieder der Commission ernannt.
- Werden die von den Partieen zu ernennenden Sachverständigen nicht binnen der von der Behörde, welche über den Recurs zu erkennen hat, festzusetzenden Frist bezeichnet, so erfolgt die Ernennung durch die Regierungsbehörde, und wenn mehrere Gemeinden zusammen, oder eine oder mehrere Gemeinden in Gemeinschaft mit den Regierungsbehörden ihre zwei Sachverständigen zu ernennen haben, aber über eine Wahl sich nicht vereinigen können, so entscheidet das Loos zwischen den verschiedenen als Sachverständige in Vorschlag gebrachten Personen.
- Die Verpflichtung und Instruction der Sachverständigen erfolgt durch die Regierungsbehörde.
Art. 10.
- Wenn eine Gemeinde, an welche ein Anspruch auf Uebernahme eines Antheils an den Kosten der Regulirung eines ihre Gemarkung durchfließenden oder begränzenden Baches nicht gemacht wird, der Regulirung als für ihre Gemarkung nachtheilig widerspricht, so hat über [73] diesen Widerspruch, welcher bei Vermeidung des Ausschlusses binnen sechs Wochen nach erfolgter Bekanntmachung des Unternehmens (Art. 3.) zu erheben ist, die Regierungsbehörde zu erkennen.
- Wenn einzelne Privaten wegen blos ihnen vermeintlich erwachsenden Schadens zufolge der nach Art. 3 erlassenen Aufforderung einen Widerspruch gegen die beabsichtigte Regulirung erheben, so finden ebenfalls die Bestimmungen dieses Gesetzes Anwendung.
Art. 11.
- Gegen die Entscheidung der Regierungsbehörden (Art. 10) kann an das Ministerium des Innern Recurs ergriffen werden, welcher binnen vier Wochen nach Bekanntmachung der Entscheidung der Regierungsbehörde bei letzterer angezeigt und binnen weiteren vier Wochen bei dem Ministerium gerechtfertigt werden muß.
- Das Ministerium des Innern hat vor Ertheilung einer Entscheidung das Gutachten einer Commission von Sachverständigen, welche auf die im Art. 9 bezeichnete Art zu bilden ist, von Amtswegen, wenn es eine solche Begutachtung für nöthig erachtet, oder auf Verlangen der recurrirenden Gemeinde, einzuholen.
Art. 12.
- Die in Folge von Regulirungen verlassenen Bachbette verbleiben den Gemeinden innerhalb ihrer Gemarkungen als ausschließliches Eigenthum, sie sollen jedoch den Besitzern der angränzenden Grundstücke auf deren Verlangen gegen Erstattung des abzuschätzenden Werths überwiesen werden. Es ist hierauf bei der nach Art. 6 vorzunehmenden Kostenrepartition die geeignete Rücksicht zu nehmen.
Art. 13.
- Ueber die an einzelne Gemeinden zu den Kosten von Bachregulirungen aus der Staatskasse zu leistenden Beiträge oder verzinslich darzuleihenden Capitalien soll den Ständen zum Behuf ihrer Zustimmung von dem Ministerium des Innern jedesmal die geeignete Vorlage unter Mittheilung der Pläne und Kostenüberschläge gemacht werden.
Art. 14.
- Sind die Gemeinden mit der innerhalb ihrer Gemarkungen vorzunehmenden Bachregulirung nach dem ursprünglich aufgenommenen oder im Laufe der Verhandlungen verbesserten Plane einverstanden oder die dagegen erhobenen Einwendungen verworfen worden, so erfolgt die Ausführung der Arbeiten unter der oberen Aufsicht der Regierungsbehörde und unter Leitung der technischen Behörde.
Art. 15.
- Insoweit zur Ausführung der nach Maßgabe des gegenwärtigen Gesetzes vorzunehmenden Bachregulirungen zwangsweise Abtretung von Grundeigenthum nöthig wird, findet das Gesetz vom 27. Mai 1821 Anwendung.
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Art. 16.
- Wenn das in einem Bache fließende Wasser bisher von Wiesenbesitzern zur Wässerung ihrer Wiesen benutzt worden, oder Gewerbtreibende zur Benutzung des Wassers für ihren Gewerbsbetrieb berechtigt waren, und es mit dem durch Regulirung des Baches zu erreichenden Zweck nicht vereinbarlich ist, den Wiesenbesitzern oder Gewerbtreibenden den Gebrauch des Wassers in dem bisherigen Umfange zu belassen, so soll, im Fall eine gütliche Uebereinkunft nicht zu Stande kommt, sowohl wegen der zwangsweisen Entziehung des Gebrauchs des Wassers, als auch wegen der dafür zu leistenden Entschädigung das Gesetz vom 27. Mai 1821 Anwendung finden.
Art. 17.
- Insoweit es zur Ausführung einer Bachregulirung nöthig wird, Grundstücke zur Niederlegung von Materialien, Auswurf und zu sonstigen ähnlichen Zwecken vorübergehend zu benutzen, können die Grundeigenthümer dagegen keinen Widerspruch einlegen, sie sind aber für die gestörte Benutzung ihres Geländes zu entschädigen und, wenn eine Uebereinkunft nicht zu Stande kommt, der Betrag der Entschädigung aus dem durch das Gesetz vom 27. Mai 1821 vorgeschriebenen Weg zu bestimmen.
Art. 18.
- Sind Privatpersonen oder Corporationen vermöge eines privatrechtlichen Titels verpflichtet, die Kosten der Regulirung eines Baches ganz oder zum Theil zu bestreiten, so wird diese Verbindlichkeit durch gegenwärtiges Gesetz nicht ausgehoben, indessen haben bei erfolgendem Widerspruche die betreffenden Gemeinden so lange die Kostenvorlagen zu leisten, bis die genannten Privaten oder Corporationen auf gerichtlichem Wege zur Erfüllung ihrer etwaigen Verbindlichkeiten genöthigt werden.
Art. 19.
- Vorstehende Artikel finden auch auf die Districte, welche, ohne einer Gemeinde einverleibt zu seyn, eigene Gemarkungen bilden, Anwendung. Die Besitzer solcher Gemarkungen sind wie die Gemeinden zu behandeln und denselben Verbindlichkeiten, wie diese, unterworfen.
Art. 20.
- Zur Erhaltung der Gränzen für die Breite und Tiefe der regulirten Bäche sind Gränzsteine zu setzen und, soweit es die Regierungsbehörde als nöthig erachtet, die Sohlen mit Schwellen zu versehen.
Art. 21.
- Die in Gemäßheit dieses Gesetzes stattfindenden Verhandlungen und Eingaben an die Behörden bedürfen keines Stempels.
- Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und des beigedrückten Staatssiegels.
- Darmstadt am 19. Februar 1853.
(L. S.)
LUDWIG.
v. Dalwigk.