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Grundzüge der Geschichte der Philosophie bei den Chinesen

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Textdaten
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Autor: Julius Mohl
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Titel: Grundzüge der Geschichte der Philosophie bei den Chinesen
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 56, 58, 60-61, 63-64. S.  221-223, 231-232, 238-240,243-244, 251-252, 255-256.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[221]

Grundzüge der Geschichte der Philosophie bei den Chinesen

[1].
Von Julius Mohl.

Suche die Weisheit und wäre es in China.
Muhammed.

Der Begriff, welchen man sich gewöhnlich von der chinesischen Philosophie macht, beruht einzig auf den Uebersetzungen einiger Bücher aus der Schule des Confutse, welche wir den katholischen Missionären verdanken. Die besondere Lage dieser Classe von Europäern in Peking nöthigte sie, diese Werte zu studieren, welche durch ihr Alterthum bei den Gelehrten der Nation fast das Ansehen heiliger Bücher hatten, die Grundlage der Staatswaltung, und die Richtschnur der Politik geworden waren, und durch die zahllosen Bearbeitungen, die über sie erschienen sind und noch erscheinen, die Basis der ganzen Literatur bilden. Ebenso waren sie genöthigt, die angesehensten Commentare dieser alten Bücher zu studiren, um diese so zu verstehen, daß sie eine Stelle unter den Gelehrten des Landes einnehmen konnten. Bald erhielten sie Gelegenheit, die chinesische Gelehrsamkeit, welche sie sich so erworben hatten, anzuwenden. Die Bedeutung gewisser Ceremonien zu Ehren des Himmels, der Erde und der Ahnen, und der Sinn der Stellen aus den alten Büchern, worauf jene Gebräuche beruhen, wurden der Gegenstand eines heftigen Streits zwischen zwei rivalen Mönchsorden. Der Eine derselben glaubte die Ceremonien bei den Neubekehrten erlauben zu können, um dadurch die Bekehrungen zu erleichtern, während der Andere mit Heftigkeit diese Art von Vergleich zwischen Wahrheit und Irrthum, zwischen Götzendienst und Christenthum, verwarf. Die Frage war im Grunde ob die alten Chinesen die Existenz eines vernünftigen, schöpferischen, und vergeltenden Gottes anerkannt hätten. Nach Lecomte, Fouquet, Prémare, Bouvet u. a. hatten Confutse, seine Vorgänger und seine Schüler von alter Zeit her, die edelsten Begriffe über das All, und hatten dem wahren Gott in dem ältesten Tempel auf der Erde geopfert; aber nach Maigrot, Navarette und selbst dem Jesuiten Longobardi beteten die Chinesen hölzerne Täfelchen mit sinnlosen Aufschriften, oder höchstens Genien, ohne Intelligenz, in grobem Götzendienst an. Nach den Einen näherte sich der alte Deismus der Chinesen der Reinheit des Christenthums, nach den andern war der Fetischismus der Masse bei den Gelehrten in Materialismus und systematischen Atheismus ausgeartet. Die ersten beriefen sich auf entscheidende Texte, die andern auf den entgegengesetzten Sinn, den ihnen die anerkanntesten Ausleger gaben. Dieser philosophische Streit, der nicht immer auf das anständigste geführt wurde, wurde theologisch durch eine Congregation entschieden, welche nicht chinesisch verstand; und die Meinungen der chinesischen Schriftsteller wurden in Rom verurtheilt, ohne daß dieß die Gelehrten gehindert hätte, sie zum Gegenstand noch mancher Streitigkeit zu machen. Allein alle diese Untersuchungen sind weit entfernt, den Gegenstand erschöpft zu haben; sie wurden ohne alle Kritik geführt, vermischten alle Zeiten und Verhältnisse, die Aufeinanderfolge der Schulen und Exegeten, und litten besonders an [222] der Einseitigkeit, mit der sie sich auf die Lehre von Confutse beschränkten. Seine Lehren, und die seiner ersten Schüler‚ so wie einige seiner spätern Anhänger, galten für die ganze chinesische Philosophie, und Tseng-tsé, Tsé-tzé, Meng-tsé und einige andere Schriftsteller dieser Epoche, waren die einzigen Philosophen, mit deren Grundsätzen und Ansichten man sich beschäftigte, und es schien, als hätten die Europäer die Verachtung der Anhänger der orthodoxen, oder eigentlich der offiziellen chinesischen Lehre gegen alle anders denkenden Sekten angenommen. Kaum einige der unterrichtetsten Missionäre hatten die Augen auf die Schriften von Lao-tsé, Hoainae-tsé Tschuang-tsé und so vielen andern geworfen, obgleich die Uebersetzungen einiger abgerissenen Sätze aus ihnen die lebhafteste Neugier hätten erregen sollen; die Gelehrten von der Schule des Confutse vernachläßigten diese alten Schriftsteller und ihre Nachfolger, verstanden sie nicht oder mißverstanden sie, und so gieng es auch den Europäern. Man schrieb ihnen ohne Bedenken, und ohne sie gelesen zu haben, die falschesten Begriffe und die wahnsinnigsten Meinungen zu. Welche Philosophie konnte man von solchen Materialisten, Atheisten, Nihilisten, Astrologen und Schwarzkünstlern erwarten? Die Bücher die von ihnen übrig sind, schienen dunkel und schwierig; man fand es daher weit einfacher und kürzer, sie liegen zu lassen und zu ignoriren. Dieß hat man gethan bis auf die letzte Zeit, in der einige Gelehrte angefangen haben, unsere Kenntnisse in diesem Theil der Geschichte der Philosophie auszudehnen, und zu berichtigen. Das Resultat der wenigen Schriften, welche bisher darüber erschienen sind, die Ausbeute, welche der chinesische Cours von Remusat im College de France in Paris darbietet, und die, welche ein kurzes Studium des Textes selbst dem Verfasser gegeben hat, sind hinreichend um ein wahreres und befriedigenderes Bild von der Entwicklung der Philosophie in China zu entwerfen. Es ist nur ein leichter Umriß, dessen Fehler spätere Meister verbessern mögen.

Das Verhältniß der Mythologie zur Philosophie, welches bei den klassischen Völkern so schwer zu bestimmen ist, ergiebt sich bei den Chinesen mit der größten Bestimmtheit. Ueberall zeigen sich in den alten Büchern Spuren einer ausgebildeten Metaphysik, und es ist fast nicht nöthig den allegorischen Schleier aufzuheben, der bisweilen die Form derselben bildet. Die Entstehung der Welt, und die großen Naturerscheinungen sind einer intelligenten Macht zugeschrieben, zwar oft in einer mysteriösen und dunkeln Sprache, aber ohne Mischung von Fabeln und ohne zusammenhängende Reihen von Mythen, welche im Geist des Volks irgend Leben gehabt haben könnten. Denn man muß wohl unterscheiden zwischen sinnbildlichen Ausdrücken, welche in diesen Dingen unvermeidlich sind, und keinen irgend bedeutenden Irrthum hervorbringen können, und zwischen einer absichtlichen Einkleidung, erfunden um ein Dogma zu verschleiern, oder eine Sage zu bereichern. Der wahre Sinn von Allegorien zeigt sich von selbst, während über mythologische Erzählungen sich gewöhnlich nur mit Hülfe der Tradition etwas bestimmtes sagen läßt.

Die Bildung des Weltalls wurde von den chinesischen Philosophen vor Confutse einstimmig einem intelligenten und allmächtigen Wesen zugeschrieben, das sie Vernunft nannten, oder, wie Remusat [2] es übersetzt, Logos, denn die doppelte Bedeutung des chinesischen Worts Tao zeigt eine Intelligenz an, die sich durch das Wort zur Erscheinung bringt. Diese Vernunft umfaßt die Welt, und war vor ihr. Sie selbst ist unkörperlich, hat aber die Welt geschaffen, wie eine Quelle einen leeren Raum füllt. Sie war unermeßlich, anfanglos, endlos, oder - wie einer dieser Philosophen sagt - ohne Morgen und Abend. Sie dehnte sich aus über Himmel und Erde in alle Theile des Raumes, aber ihre unendliche Feinheit verhindert es, sie zu fassen. Sie enthielt in sich die zwei Prinzipien: das Große und das Kleine, das Licht und die Finsterniß, das Schwache und das Starke; die Gestirne verdanken ihr ihren Glanz, die Berge ihre Höhe, der Abgrund seine Tiefe; sie macht die vierfüßigen Thiere gehen, die Vögel fliegen, die himmlischen Körper bewegen. Sie ist sich Selbstgrund und ihre eigene Wurzel; sie ist die innerste Natur oder das Wesen der Dinge, der große Gipfel oder das absolute Princip, der Herr, der Herrscher, der alle Bewegungen des Universum’s leitet. Sie war Eines vor der Schöpfung der Wesen, und enthielt drei in Einem. Einer der Namen des Herrn des Himmels ist: das große Eins. Der große Gipfel ist intelligent und göttlich, wie der Heilige, der alles versteht, alles erleuchtet, alles sieht, alles kennt, alles denkt, alles bewegt. Die beiden Principien sind nicht geistig und intelligent, sondern die Vernunft, ein unbegreifliches Wesen über ihnen, hat die Intelligenz und die Geistigkeit; die beiden Principien wirken auf tausend Arten gegenseitig auf einander: aber wer hat ihnen diese Bewegung mitgetheilt? Das intelligente und geistige Wesen d. i. der Fürst und der Herr der Schöpfung. Lao-tsé [3] sagt: „Vor dem Chaos, welches der Bildung des Himmels und der Erde vorherging, war Ein unendliches und schweigendes Wesen, unbeweglich und immer handelnd, ohne sich je zu ändern. Man kann es als die Mutter des All ansehen. Ich weiß seinen Namen nicht, aber ich bezeichne es mit dem der Vernunft.“ Später setzt er hinzu: „Gezwungen es zu nennen, nenne ich es Groß. Die Vernunft ist das absolute Seyn aller Dinge, anfanglos, endlos. Das All hat ein Ende, aber jene Vernunft hat kein Ende. Unveränderlich vor dem Seyn der Welt war sie namenlos, aber sie war. Vernunft ist der einzige Name, den ihr der vollkommene Weise geben kann; er nennt sie auch Geist, weil kein Raum sie einschließt oder ausschließt; Wahrheit, weil kein Falsch in ihr ist, dass Absolute im Gegensatz gegen das Entstandene und Relative. Dieses Absolute ist wesentlich Eines, erhält den Himmel und die Erde, und hat keine Eigenschaft, die in die Sinne fällt. Seinem Wesen nach [223] nennt man es das Reine; nach der Weltordnung die es gebildet hat, nennt man es Vernunft, Natur, nach der Kraft die es dem Menschen mitgetheilt, und die diesem innwohnt; Geist nach der absoluten, und über Raum und Zeit erhabenen Form seiner Aeußerung. Es ist Eins, und existirt durch sich selbst. Nach der Zahl nennt man es die Einheit; nach der Substanz das Nichts; nach seiner Wirkung auf alle Wesen die Vernunft; nach seinem unkörperlichen Wesen den Geist; nach seiner schöpferischen Kraft; die Reinheit oder um die Vereinigung dieser fünf Eigenschaften auszudrücken, nennt man es das Absolute (die Vernunft, die absolute Vernunft, Tao); dieses ist die Basis des Himmels, es ist unhörbar, unsichtbar, unaussprechlich; was man hört, sieht und ausspricht ist verschieden davon, zu ihm führt kein Weg, und keine Pforte zu seiner Anschauung. Sein Wesen kann nicht dargestellt, seine Form nicht aufgefaßt werden. Der Gedanke erreicht es nicht, die Worte durchdringen es nicht. Die Bildung des Seyenden hat ihm nichts entzogen, und würde es das All wieder in sich aufnehmen, so würde es dadurch um nichts vergrößert werden. Alles ist doppelt, und hat seines Gleichen unter den Wesen im Himmel und auf der Erde; nur das Absolute nicht. Ein Töpfer kann tausend Gefäße bilden, aber nie kann ein Gefäß den Töpfer schaffen oder vernichten; so reicht das Absolute hin, alle Wesen zu bilden, aber kein Wesen kann das Absolute bilden oder beschädigen. Das Absolute, sagt der Verfasser eines berühmten Wörterbuchs, ruhte anfangs in der Einheit; aus dieser Einheit die kein Gleiches hatte, sind alle Wesen hervorgegangen, sie ist der Herr. Der Geist der das All belebt, das Princip aller Dinge, das Absolute Eine. Die Einheit ist das Wesen des Absoluten, sie ist die wahre göttliche Qualität, die Quelle der Formen und Kräfte, der Anfang der Zahlen. Das Absolute läßt weder Mischung zu, noch Zwischenraum zwischen Anfang und Ende; weder Theilung in seinem Wesen, noch Unterbrechung in seiner Aeußerung; es umfaßt alles ohne Ausnahme. Es ist mit andern Worten der große Gipfel, aber diese Benennung ist unzulänglich und unvollkommen für ein Wesen das keinen Namen haben kann, über dem nichts ist; welches das Princip des All ist, selbst anfangslos; welches das große Ende des All bewirken wird, selbst endlos, welches alle Kraft des All regelt und beschränkt, selbst unfehlbar, unwandelbar; welches das Princip des Lebens ist, das alle Wesen geschaffen hat, selbst immer und wahrhaft lebend und doch unbeweglich, im Gegensatz der Dinge, die ewig ändern. Wie könnte man ein solches Wesen darstellen? Man bezeichnet es durch die Form eines Cirkels; aber man muß nicht glauben, daß ein Cirkel das Absolute sey. Welche erstaunliche Entfernung, sagt Thee-ße, verbirgt uns das immer schaffende Wesen, das den Himmel zum Himmel gemacht hat. Durch diese schönen Worte, sagt ein anderer Schriftsteller, bezeichnet Thee-ße, das Absolute; es giebt im All der Dinge keinen Namen der ihm zukäme, ihm einen zu geben muß man sagen, daß es anfangslos und endlos ist, nicht äußerlich noch innerlich, nicht in die Sinne fallend, noch zu fein, nicht rund noch viereckig, selbst formlos ist es die Form aller Wesen, selbst bildlos ist es das Bild des All. Andere Namen des großen Eins sind das Absolut-Gute, der Herr des Himmels, der höchste himmlische Geist, der Urgeist, in dem Alles ist, und aus dem Alles kommt.

[231] Dies ist ein getreuer Abriß dessen, was die Chinesen über das Absolute gedacht haben, und die Wiederholungen darin sind nur Folge der Sorgfalt, mit der die Ausdrücke verschiedener Schriftsteller beibehalten wurden, welche alle über diesen Punkt einig sind. Bei allen diesen Versuchen eine transcendente Wahrheit zu erreichen und auszudrücken, spricht sich unverkennbar eine sehr bestimmte und lebendig aufgefaßte Idee aus, die eines allmächtigen, allweisen, schöpferischen Wesens. Freilich bleibt noch eine wichtige Frage unentschieden, nämlich ob diese Philosophen sich die Gottheit mit Bestimmtheit als ein von der Welt die sie geschaffen, und der Materie die sie gebildet, verschiedenes Wesen dachten, und die Zweideutigkeit gewisser Ausdrücke über Emanation und Schöpfung der Wesen kann Zweifel entstehen machen, ob die Chinesen nicht eher spinozistisch, als deistisch gedacht; der Verfasser ist zwar sehr bestimmt der letztern Ansicht, allein der Versuch sie auch dem Leser mitzutheilen, würde zu einer viel zu weitläufigen Untersuchung führen; daher läßt er diesen Punkt unberührt, so wie die Stellen, welche anzudeuten scheinen, daß die Tao-se das Absolute als ein Wesen betrachteten, dessen Natur Einig und Dreifach zugleich sey; er begnügt sich darüber auf die Abhandlung von Remusat am angeführten Orte, und die Beiträge zu verweisen, welche sie zur Geschichte der Trinitätsehre enthält. Unser kurzer Abriß erlaubt die Ausführung dieser einzelnen Dogmen nicht, so daß wir nun nach der etwas längeren Darstellung der Grundlage dieser Theologie, zu welcher uns der Wunsch sie in den eigenen Worten der Hauptschriftsteller zu geben, veranlaßt hat, die aus diesem Grundprincip abgeleiteten Dogmen so wie die minderwichtigen Sätze des Systems kürzer behandeln müssen.

Die Lehre vom menschlichen Geiste, seinen Eigenschaften und seiner Bestimmung bildet die schwächste Seite des Systems. Der Mensch ist der Microcosmus, und das All der Mensch im Großen; die menschliche Vernunft ist die allgemeine Vernunft; der vollkommene (heilige) Mensch ist dem Absoluten ähnlich und eben so geistig; er ist das erste der Wesen; sein Geist ist Eins mit dem Himmel; er ist das Meisterstück der absoluten Vernunft, ein Einziges Wesen; solche Ausdrücke wiederholen sich immer in den alten Büchern, aber sie lassen Zweifel über die Ansicht dieser Schriftsteller über Unsterblichkeit, Freiheit, Immaterialität des Geistes und Wiedervergeltung. Der Gedanke war körperlos vor der Schöpfung des Himmels und der Erde, und niemand weiß, wem er angehört: als aber der doppelte Geist (die beiden Principien) anfieng sich zu äußern, da entstanden die körperlichen Formen. Ein unreiner oder getrübter Geist schuf die Thiere, der reinste bildete den Menschen. Der menschliche Geist (beides, animus und anima, Seele und Geist) ist ein himmlisches Wesen; der Körper ist ein irdisches Erzeugniß; beide kehren zurück woher sie kamen. Aber wie kann sich bei dieser Trennung das Ich erhalten? fragt sich der chinesische Philosoph aus dem diese Psychogonie gezogen ist. Der vollkommene (heilige) Mensch ahmt den Himmel nach, richtet sich nach den natürlichen Neigungen, läßt sich nicht durch die gemeinen Gebräuche binden, noch durch andere Menschen verführen. Der Himmel ist sein Vater, die Erde seine Mutter, die beiden Principien der Stoff, woraus er gemacht ist; die Zeit ist das Band das ihn hält; seine Reinheit ist eine himmlische Ruhe; seine Ruhe ist Festigkeit, wie die Erde fest ist. Der Tod ist, wenn das All nicht mehr für ihm existirt: Leben ist, wenn alle Dinge mit ihm in Einigkeit sind. Die Ruhe ist das wahre Leben der Seele, so wie Negation aller Eigenschaft das Eigenthümliche des Absoluten ist. Daher kommt das berühmte Dogma von der philosophischen Unthätigkeit, auf welches Lao-tsé und seine ersten Anhänger so sehr drangen, und welches spätere Schriftsteller so sehr mißverstanden, indem sie darin das Princip der Apathie, des beschaulichen Mönchslebens und der sonderbarsten Verirrungen des Geistes fanden. Die Unthätigkeit schließt die ganze Moral dieser Philosophie in sich, und ist auf das Princip gegründet, daß die Verhältnisse zu der äußern Welt, worauf unsere irdischen Neigungen und Gedanken beruhen, eine zufällige und untergeordnete Beschäftigung des immateriellen und vernünftigen Geistes sind: ein Princip, das sie mit den indischen Quietisten theilt, so daß entweder dieselbe Krankheit des menschlichen Geistes in beiden Ländern entstanden seyn muß, oder, wie die Folge wahrscheinlich machen wird, sie den Einen Lande durch Ansteckung von dem andern mitgetheilt wurde.

Es ist ein merkwürdiger Zug des Geistes der Chinesen, daß wir bei ihren alten Schriftstellern statt wunderbarer und dichterischer Erzählungen die Spitzfindigkeit einer [232] trancendenten Metaphysik, und die Verirrungen finden, welche der Mißbrauch des Verstandes nothwendig in den spätern Bildungsstufen civilisirter Völker hervorbringt. Der Grund mag wohl darin liegen, daß der Geist des Priesterthums, der überall im hohen Alterthum die Meinungen in Glaubenslehren verwandelte, in China keinen Einfluß hatte, und daß man hier frei und ohne Mysterien das besprach, was sonst den Gegenstand mystischer Gebräuche, symbolischer Darstellungen und dessen bildete, was man den Eingeweihten lehrte. Doch darf man daraus nicht schließen daß es keine Mährchen in China gab; es hätte ja keine gemeine Menge geben, und das Volk aus lauter Gebildeten, über Aberglauben erhabenen, aus lauter Weisen bestehen müssen. Dieselben Bücher aus denen wir vernünftige und philosophische Ansichten geschöpft haben, enthalten bisweilen, doch seltener, unsinnige Meinungen über Zahlen, phantastische Darstellungen der physischen, physiologischen, siderischen etc. etc. Kräfte, über die Eigenschaften der Heilkräuter, über die Wirkungen geheimer Künste, der Astrologie, der Alchymie, Zeichendeuterei und Magie. Allein es ist ein eigener Zug bei den Chinesen, daß alle diese falschen Dinge von ihnen auf die guten und schlechten Principien ihre Cosmogonie zurückgeführt werden. Wer das Geheimniß des Absoluten ergründet hat, kann fliegen, oder sich den Unsterblichkeitstrank verschaffen. Die Genien und Dämonen, das Einhorn, der Phönix und die Drachen, welche die thierischen Symbole jener sind, alles wird auf die Theorie der successiven oder der Gegenwirkung der beiden Principien bezogen. Wo sich darunter Symbole oder Fabeln finden, kann man sicher seyn, daß die Fabeln dem einzelnen Schriftsteller, die Symbole fremden Systemen angehören. Die antike Weisheit, welche das Objekt aller aufgeklärten Männer des Alterthums war, zeigt sich hier mit aller ihrer Unzweckmäßigkeit und Unvollkommenheit, wie sie den Menschen, die Natur und die Gottheit umfaßt, alles erklären will, ehe nur Eines bekannt seyn konnte, auf falschen Ansichten beruht, mit fehlerhaften Methoden weiter baut, und zu irrigen Folgerungen führt. Allein doch ist es Weisheit, ein rationelles Ganze von oft sinnreichen, bisweilen erhabenen Ideen über die Bildung des All, über die Wirkungen der ersten Ursache und der secondären Kräfte über die Natur des Menschen und die Principien seiner Pflichten. Es ist die Mythologie der Griechen, der Egypter oder der Indier, ohne ihren allegorischen Schleier, ohne ihre räthselhafte Sprache, ohne ihre unzusammenhängenden Mythen und localen Sagen, und unmittelbar an Vernunft und Verstand sich wendend. Auf diese Höhe hatte sich die chinesische Philosophie vor Confutse erhoben, und wir finden ihre halb verwischten Spuren, und zerstreute Bruchstücke in den Schriften von Lao-tsé, Hoai-Nan-tsé, L ẻ-tsé, Tschoang-tsé und anderer, welche die Anhänger von Confutse oft mißverstehen, und zu oft verachten, und in welchen das gelehrte Europa den Nachklang und die Trümmer der Ursagen von Hochasien zu suchen hat.

Confutse suchte sich nicht so hoch zu erheben; er war, um mich eines Ausdrucks von Remusat zu bedienen, ein Socrates, der keinen Platon fand, denn seine Schüler, die uns seine Lehren überliefert haben, waren großentheils mittelmäßige und beschränkte Köpfe. Er führte die Philosophie auf die Erde zurück, um sie ausschließend mit den Pflichten der Könige und der Unterthanen, den Familienverhältnissen und dem materiellen Zustand der menschlichen Gesellschaft zu beschäftigen. Seine Moral hat ein glänzendes Schicksal gehabt, zum Erstaunen des unbefangenen Beobachters; seine Metaphysik ist unbestimmt und unzusammenhängend, so daß der ganze theologische und psychologische Theil seiner Schriften den entgegengesetztesten Auslegungen zugänglich ist. Er würdigt den Urgrund der Dinge herab, indem er die Vernunft nicht mehr für die absolute und schöpferische Existenz, sondern als ein Attribut, als eine Art der Aeußerung, als eine Qualität der Vollkommenheit ansieht, so daß alles seine Vernunft d.h. seine Vollkommenheit hat. Die erste derselben ist die des Himmels, des eigentlichen höchsten Wesens nach Confutse. Der Himmel ist die intelligente und vergeltende Wahrheit; von ihm haben die geschaffenen Wesen ihre natürlichen Eigenschaften, und die Art ihres Gebrauchs. Im Menschen ist die Vernunft eine diesen natürlichen Eigenschaften angemessene Handlungsweise. Indem I-King, — einem Commentar zu einer alten Sammlung räthselhafter Symbole und unverständlicher Sprüche, in der tausend Träumer vor ihm das Geheimniß aller Wissenschaften und die Principien einer Art von Kabbala gesucht haben, — sagt er daß der große Gipfel die zwei Principien, die er Bilder nennt, hervorgebracht habe. Allein er erwähnt des großen Gipfels nur im Vorbeigehen, und geht gewöhnlich nicht über eine gewisse Weltordnung hinaus, (die er nicht definirt, obgleich er sie als den Ur- und Normal-Zustand des All darstellt,) und über einen Hauch oder eine active Kraft, deren Ursprung er nicht bestimmt. Der große Gipfel, der Geist sind Wesen, welche der Gedanke nicht ergründen kann; ebenso wenig als die Genien und Dämonen, seyen diese individuelle Wesen, oder, wie andere Stellen zu beweisen scheinen, Qualitäten der Dinge. Die Moralisten zur Zeit von Confutse stritten sich über das Princip der Tugend, welches die Einen in den wohlberechneten Nutzen, andere in das Wohlwollen, als Quelle der Menschlichkeit setzten; noch andere behaupteten eine Nothwendigkeit, die den Menschen zum Guten und Bösen unwiderstehlich treibe. Confutse ließ nach dem Zeugniß seiner Schüler diese schwierigen Lagen bei Seite; allein er selbst bot dem Philosophen in einer gewissen ideellen Vollkommenheit, deren Urbild im All, deren Princip in uns, und deren Vorbild in den Ueberlieferungen des Alterthums liege, eine Moral ohne Gewähr und Autorität dar. Der Himmel schickt den Guten das Glück, und den Bösen das Unglück, aber wo und wann, darüber schweigt er, und läßt so die unglückliche Tugend ohne Trost. Der Himmel befördert unsere Neigungen; sind wir gut, so macht er uns besser, sind wir schlimm, so macht er uns schlimmer, oder, um eine Parabel eines seiner ersten Schüler zu brauchen, die Erde giebt dem Baum Saft, so lange er steht: wenn er gefallen ist, bedeckt sie ihn, und läßt ihn in Fäulniß zerfallen. Allein dabei bleibt dem Baum immer die Frage übrig: warum bin ich gefallen? [238] Confutse stellt die Familie als Basis der Gesellschaft auf, und (wie er überhaupt in dem unmittelbar Moralischen reine und vernünftige Gesinnungen zeigt,) beweist ziemlich gut, daß es besser sey mit Pietät gegen seine Eltern, mit Wohlwollen, Mäßigung, Gerechtigkeit, Offenheit, Uneigennützigkeit zu handeln. Er wird warm bei dem Gedanken an die Vortrefflichkeit, welche der Weise erreichen kann; aber er zeigt sich zu weich gegen den Verkehrten, Unmenschlichen, Leidenschaftlichen, Ungerechten, Betrügerischen, Habsüchtigen; und, außer in einigen Stellen, welche keinen Sinn hätten, wenn man sie nicht darauf [239] beziehen dürfte, spricht er, nie deutlich von Immaterialität des denkenden Princips, von Freiheit des Willens, und den Folgen der guten und bösen Handlungen.

Das Schicksal dieser beiden Systeme und der Einfluß den sie auf die Nation welche sie hervorgebracht, gewonnen haben, ist ein interessantes Objekt für die Erforschung des Philosophen, und ohne Zweifel würde man bei einem Versuch, die Folgens derselben a priori zu bestimmen, auf völlig falsche Resultate kommen. Eine Sekte, welche von den ältesten Zeiten her so würdige Begriffe von der Gottheit hatte, oder die sich wenigstens von den gemeinen Ansichten, welche diesen großen Gedanken so oft entstellt haben, frei zu halten wußte, hätte, wie es scheint, durch consequentes Denken früher oder später die wahren Principien der socialen Moral entdecken sollen, und durch Anwendung jener erhabenen Betrachtungen, wodurch sie die negativen Attribute der höchsten Intelligenz erkannt, hätte sie die alles erforschende Analyse finden können, welche bei andern Völkern von der Theologie auf Metaphysik, von der Betrachtung der göttlichen Vollkommenheiten auf die Beobachtung der menschlichen Eigenschaften und des Mechanismus des Gedankens geführt hat. Auf der andern Seite, möchte man denken, daß die auf platter Hand liegenden Wahrheiten der Schule von Confutse, und ihre unbestimmten und tautologischen Definitionen der Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern, Fürst und Unterthan, Gatten, Brüdern und Freunden, der Menge, welche das Mysteriöse und Unbegreifliche liebt, eben so unzureichend hätten erscheinen sollen , als den Denkenden welche etwas Bestimmtes und Vernünftiges fordern. Allein gerade das Gegentheil geschah. Die Lehre von Confutse erhob sich zu der Stellung, die bei andern Völkern Staatsreligionen einnehmen. Durch die Consequenz, mit der sie gelehrt; durch den Eifer, mit der sie Fürsten und Großen gepredigt wurde; durch den negativen Charakter ihrer Dogmatik; durch ihr Anschmiegen an die Ceremonien des alten Naturdienstes, und sogar an die Anbetung von Hausgöttern, wodurch sie jedem frei ließ an ihre öffentlichen oder Privatgebräuche einen beliebigen Sinn zu knüpfen; verfolgt von Tyrannen, unterstützt von den Freunden der Ordnung, ist dieses System die Basis von Institutionen geworden, auf denen seit zwölf Jahrhunderten alle socialen Verhältnisse der Nation beruhen; seine Anhänger, haben sich der Staatsämter, der Bildung, des Reichthums, kurz alles dessen bemächtigt, was dem Menschen Kraft giebt, und haben so die alte Lehre, deren Hauptsätze sie sich angeeignet, beinahe erstickt, und ihre eigene Nation und die Fremden, welche sich darum bekümmert, überredet daß ihre Ansichten die alte reine Lehre der drei ersten chinesischen Dynastien seyen, und daß Confutse sie nur gesammelt und in ein Ganzes gebracht habe. Auf der andern Seite verloren die Anhänger der Lehre vom Tao (der absoluten Vernunft) durch ihre Entfernung von allen öffentlichen Ämtern und allen Vortheilen einer literarischen Bildung, ebenso viel als ihre Gegner gewannen. Der mythologische Stoff, welcher die Anwendung symbolischer Ausdrücke in ihre philosophische Sprache gebracht hatte, war wie ein Saamen des Aberglaubens, welcher sich mit den Fortschritten der Unwissenheit gleich entwickeln mußte. Die geheimen Wissenschaften entarteten in Charlatanerie und Betrügerei; die mystischen Gebräuche wurden zu lächerlichen Mummereien; das Mönchswesen führte Sittenverderbniß und Bettelei herbei, so daß die Vernunftlehrer in einen Zustand von Degradation fielen, der den erhabenen Namen, den sie entwürdigt haben, zu einem Ausdruck für alles Verächtliche und eine schamlose Marktschreierei machte. Durch einen begreiflichen Irrthum hat man nach dem, was diese Sekte jetzt ist, auf ihr früheres Wesen geschlossen, so daß man diesen modernen Aberglauben mit den Spuren der alten orientalischen Weisheit vermengt hat, welche die ältesten chinesischen Philosophen lehrten, und die noch mehrere Jahrhunderte nach Confutse in China vorherrschte.

Um die Zeit des Anfangs unserer Zeitrechnung verbreitete sich ein drittes System in China, das neue Ideen einführte, oder die ältesten wieder ins Leben rief – es ist der Buddhismus, dessen Ursprung und Geschichte wohlbekannt sind. Durch seine religiösen Formen, und eine Masse von Traditionen und abergläubischen Gebräuchen zog er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, erregte die Bewunderung vieler, den Unwillen anderer, und nahm bald eine bedeutende Stelle überall ein, wo der Proselitismus ihn hinverflanzt hatte. Wie alle indischen Systeme (darin dem Geist der alten Welt getreu) vermischt er Philosophie und Theologie, und bedient sich des Götzendienstes als Schleier für Metaphysik. Es gehört nur wenig Scharfsinn dazu, sich hiervon zu überzeugen; allein man darf sich nicht wundern, daß sich ganze Nationen darin getäuscht haben; giebt es doch bei uns gebildete Menschen genug welche noch glauben, daß nach der Meinung der blinden Heiden Minerva eine junge Person war, welche auf einen Hieb mit der Axt gewaffnet aus dem Haupte Jupiters sprang; und daß der Ocean, der Vater der Götter, ein alter Mann gewesen, der am Ende der Welt wohnte. Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß man sich über den Sinn der indischen Symbole getäuscht hat, obgleich eigentlich die Extravaganz derselben, nach ihrer wörtlichen Bedeutung, hätte darauf leiten sollen, daß man den geheimen Sinn, der darin niedergelegt sey, zu suchen habe. Dasselbe gilt von der Sprache, in der die Buddhisten die mystischen Ideen ausdrücken, welche die Basis ihrer geheimen Lehre bilden; denn um sie zu mißverstehen, muß man einer Masse von Menschen, worunter sehr gelehrte und vernünftige seyn mochten, einen Grad von Wahnsinn beilegen, den man ohne Noth seines Gleichen nicht zuschreiben darf. So ist es sehr gewöhnlich dem Schakia-Muni im Augenblick seines Todes folgende Worte in den Mund zu legen: „Man täuscht sich wenn man das erste Princip aller Dinge außerhalb des Nichts sucht. Aus diesem Nichts ist alles hervorgegangen, und alles wird dahin zurückkehren. Das ist der Abgrund wo unsere Hoffnungen enden.“ Dieß ist nach den Anhängern von Confutse die Grundlage der Ansichten dieses Gesetzgebers, und die katholischen Missionen haben sie mit einer Art von Fanatismus verdammt, so daß sie einer den quintessencirten Gipfel der Bosheit nennt; das Gefäß worin er enthalten sei, müsse wohl verkittet werden, denn eine genaue Untersuchung seiner Grundsätze zeige, daß die Kunst pharisäischer Heuchelei darin vollkommen gelehrt sey, so wie der Greuel atheistischer Gotteslästerung, und die verruchte [240] Ketzerei der modernen Neuerer. Mit weniger Bitterkeit, haben neuere Schriftsteller den Buddhismus nicht günstiger beurtheilt, denn sie haben nach den Chinesen versichert, daß es die Lehre vom Nichts sey, daß nach Schakia-Muni das Nichts das Princip des Seyns sey , daß alle Wesen nur eine Scheinexistenz haben, kurz daß die buddhistische Metaphysik ein vollkommner Nihilismus sey.

Allein alle diese Vorwürfe beruhen nur auf einer Sylbenstecherei, die man sich bei einigem Nachdenken hätte ersparen können, denn wen wird man überreden können zu glauben, daß ein vernünftiger Mensch im eigentlichen Sinn und ohne Bild habe sagen können, daß das Nichts das Seyn geschaffen habe, daß die Nichtexistenz das All hervorgebracht, daß das absolut Leere der Grund der Welt sey? Sind nicht diese Ausdrücke so handgreiflicher und offenbarer Unsinn, daß man den, der sie im Ernste wiederholt, für wahnsinnig erklären müßte, und ist man nicht eben dadurch genöthigt zu untersuchen, ob diese Formeln nicht etwas Zweideutiges haben, das uns Hoffnung ließe bei genauerer Betrachtung in der scheinbaren Absurdität einen Sinn zu finden? Dieß ist schon bei einer oberflächlichen Untersuchung dieser buddhistischen Sätze durch unbefangenere Richter geschehen. Die Worte, welche man durch Nichts, Nichtexistenz, das Leere übersetzt, und wonach man zwar spitzfindigen, aber doch vernünftig organisirten Menschen wahnsinnige Lehren zugeschrieben hat, bedeuten nur die Negation materieller Attribute, der Körperlichkeit und der Ausdehnung. Wenn man aber zugleich findet, daß von diesem Nichts gesagt wird, es habe kein Herz um es zu bewegen, keinen Gedanken, es zu betreiben, keinen Verstand, damit zu schließen; daß es einfach, rein, unkörperlich, unveränderlich, unverderblich, vollkommen, intelligent sey; daß alles aus ihm komme, und zu ihm zurück kehre; daß es das Urprincip und die Ursache aller Dinge sey: kann man da den Sinn einer solchen Benennung mißverstehen, und etwas anderes darin finden, als das Absolute der Pantheisten, die Ursubstanz, die keine Attribute und Verhältnisse hat, die unabhängig von allem existirt, in der alles ist, kurz eine der Formen, welche die Einbildungskraft des Menschen dem höchsten Wesen leiht, und eine deren Bildung wenigstens ebensoviel Erhabenheit und Kraft des Geistes voraussetzt, als jede andere, wenn sie auch nicht besser als die andern die unaussprechliche Würde ihres Gegenstands ausdrückt. So stehen die Buddhisten in ihrem Grunddogma auf derselben Linie, wie die Braminen von der Schule der Vedanta, wie die Stoiker, die Sufi’s, die gelehrteste und reinste aller muhammedanischen Sekten, und wie einige neue Schulen des gebildeten Abendlands. Man kann ihnen freilich die Spitzfindigkeit ihrer Lehren vom beschaulichen Leben, und einen ungemessenen Mysticismus vorwerfen, allein eben diese Fehler sind der großen Einfalt, die man bei ihnen voraussetzt, völlig entgegengesetzt; denn sie sind Folge unausgesetzten Grübelns über Dinge, in denen der Mensch nie zur Klarheit kommt. Sobald man aber zugiebt, daß die Anhänger dieser Religion den Begriff von Geist, verschieden von der Materie und ihr entgegengesetzt durch seine höhere Natur und seine Attribute, haben, so sehen wir in dem, was früher in ihrer Geheimlehre dunkel und widersprechend war, eine Reihe von Ideen und Ansichten, welche eine, wo nicht hinreichende, doch beachtenswerthe Auflösung der großen Räthsel der Existenz enthalten.

Das Leere oder das Absolute ist zwar seinem Wesen nach ewig, unveränderlich und unabhängig, aber doch hat sein Urzustand sich in einen minder vollkommenen verändert, wo die Scheinexistenz der Materie die Abhängigkeit, die Veränderlichkeit, die Zeit, die Individualität und die materiellen Zustände und Verhältnisse, welche davon abhängen, wie Gedanken, Gefühle, Leidenschaften, hervorgebracht hat. So sind alle Wesen in größern oder kleinern Entfernungen von dem Urwesen, und haben eine mehr oder minder große Neigung sich ihm wieder zu nähern. Der Mensch hat vor seinen Augen den Bilderspiegel, den man Welt nennt; wenn er stirbt so wenden sich seine Blicke von den eiteln Bildern, welche er ihm zuwarf, und sie haben aufgehört für ihn zu existiren, oder vielmehr, sie haben nie wirklich existirt. Die Seele des Menschen muß gleichsam über einen breiten Fluß setzen, um sich dem großen Wesen zu nähern, und sich mit ihm zu vereinigen; im Uebersetzen verliert sie alle, was ihre Natur verkehrt hatte, ihre Leidenschaften, Gefühle, Neigungen, Gedanken, und ihre Ichheit; aber die Meditation, die eben das Mittel ist, diese Unvollkommenheiten abzuwerfen, giebt ihr an wahrer Intelligenz was sie an Scheineigenschaften verliert. Sie ist unzerstörbar, und nähert sich, solange sie durch individuelle Existenz an die drei Welten gebunden ist, dem Aufgehen im Absoluten, das ihr Ziel ist, durch Beherrschung und Vernichtung ihrer materiellen Kräfte, oder entfernt sich von ihrem Zweck durch Nachgiebigkeit gegen ihre Neigungen. Das Ziel, dem sie nachstreben muß, ist Vernichtung des Ich, und die verschiedenen Grade von Unvollkommenheit, welche sie davon trennen, sind in der exoterischen Lehre durch die Stufen der Seelenwanderung, vom Thiere bis zu den Genien, bezeichnet. Daher sind auch in dieser Lehre die gereinigten Menschen,- wie die Rahan, die Inkarnationen des ersten und zweiten Grads, genannt Buddha’s und Buddhisatwa’s, endlich die Deva’s, welche die Buddhisten aus der braminischen Mythologie beibehalten, - keineswegs Götter, sondern Seelen, welche in dem Pfad der Reinigung mehr oder minder bedeutende Fortschritte gemacht haben. Dabei gelten die tugendhaften Handlungen freilich für ein Mittel, allein das wirksamste ist die Contemplation und die Extase. Daher kommt diese Neigung zur Unthätigkeit, welche diese Seite mit den alten chinesischen Philosophen theilt, und welche gegen beide Schulen die heftigen Anklagen der Anhänger von Confutse erregt, und zum Theil gerechtfertigt hat; denn die Wirkung welche die Einführung des Buddhismus überall hervorgebracht, sind zahllose Mönchsklöster, eine mehr oder minder theokratische Regierung und die Unterdrückung der Kraft und Männlichkeit, welche zur völligen Entwickelung des menschlichen Geistes nothwendig sind. Tibet und die Tartarei sind dieser Erschlaffung unterlegen, aber die literarischen Institutionen von China haben sie mit Erfolg bekämpft. [243] Die Schule von Confutse hat die buddhistischen Lehren in unzähligen Widerlegungen, und auf eine höchst bemerkenswerthe Art angegriffen, indem sie immer mit gröster Energie die Lehre vom Nichts und der Unthätigkeit bestreiten, während sie kaum mit einigen Worten den Unsinn der Cosmogonie und der Mythologie berühren; ein Beweis, daß diese weder von den Anhängern noch von den Gegnern der Lehre im Ernste genommen werden, und daß man sich wohl bewußt ist, daß es sich um ein philosophisches System handle, dessen moralische Folgen allein verdienen die Aufmerksamkeit der Gebildeten auf sich zu ziehen.

Manche chinesische Schriftsteller haben auf den äußern Unterschied dieser verschiedenen Lehren nur wenig, und auf die Verschiedenheit der mythologischen Sagen gar keinen Werth gelegt, und die absolute Vernunft der Schule von Lao-tsé, die Weltordnung von Confutse, und das absolute Nichts der Buddhisten für gleichbedeutende Ausdrücke Einer und derselben Idee gehalten. Es giebt sogar ein sehr bekanntes Sprüchwort, daß die drei Lehren nur Eine seyen, so daß die äußern Formen, welche sie unterscheiden, und denen man im allgemeinen sehr wenig Werth beilegt, nur willkürliche Verschiedenheiten im Ausdruck wären, wie sie der Verlauf der Zeit und weitere Ausbreitung hervorzubringen pflegen. Die Kaiser aus der gegenwärtig regierenden tartarischen Familie gehören unter diese Eklektiker, welche die drei Arten von Cult verbinden, ohne Zweifel weil sie die Einheit der Principien und der Dogmen annehmen. Man könnte allerdings sagen, daß alle drei Lehren in ihrer ursprünglichen Reinheit eine von der Materie verschiedene ewige Urkraft annehmen, nur mit dem Unterschied daß die Tao-ße seine Intelligenz, Confutse die Reinheit seines Wesens, als Basis der Weltordnung und des Guten, endlich die Buddhisten seine absolute Vollkommenheit im Gegensatz gegen die Materie, welche nur als eine vergängliche Erscheinung des wahren Seyns erscheint, vor allem herausgehoben haben. Uebrigens ist es leicht Ideen zu verbinden, welche unter einander eine nothwendige Analogie haben, und die beinahe nothwendig zusammenfließen, sobald man sich auf eine gewisse Höhe der Abstraction erhebt, weil es unmöglich wird, sie zu unterscheiden. Abgesehen jedoch von der Schule von Confutse, welche von Anfang an auf die Lehre von den göttlichen Dingen verzichtet hat, um sich auf angewandte Moral [244] und Politik zu beschränken, kann man die große Analogie nicht läugnen, zwischen den Lehren der Schule der Absoluten Vernuft, welche als ursprünglich chinesisch gilt, und den der Buddhisten, welche vor 1800 Jahren aus Indien in China eingeführt wurden; eine Analogie welche sowohl die Grundlagen der Lehre als die Einzelheiten des Volksglaubens betrifft, und welche sich auf verschiedene Art erklären läßt. Die Menschen sind durch ihre, allen gemeinschaftliche Organisation nicht nur in der Zahl der Wahrheiten, welche sie entdecken können, beschränkt, sondern es sind ihnen sogar die möglichen Wege vorgeschrieben, auf denen sie sich verirren können, so daß sie in allen Zeiten und bei allen Völkern in dieselben Irrthümer fallen, und einen Kreis durchlaufen, der sie beständig auf dieselben Punkte zurückführt, ganz unabhängig von aller Verbindung und allem Einfluß der Traditionen. So erzeugt sich der Pantheismus, der Idealismus und der Mysticismus, der daraus folgt, ganz natürlich an einem dieser Punkte der Kreisbahn des menschlichen Geistes, als eine nothwendige Wirkung der Verblendung, welche ein zu starres Anschauen des großen Schauspiels der Natur hervorbringt. Die Liebe Gottes führt weiche Seelen dahin, und die Wunder der Schöpfung kräftige Geister. Wir haben in unserer Zeit diese Ansichten im Abendland entstehen sehen, ohne daß die alten Systeme des Orients hinlänglich bei uns verbreitet wären, um die Erscheinung von ihnen abzuleiten; und China hätte ohne Zweifel vor dreitausend Jahren dasselbe Schauspiel darbieten können. Allein der Zustand der Bildung dieses Landes in jener Zeit erlaubt uns zu zweifeln, ob diese geistige Bewegungen ganz von China ausgieng, und einige verworrene Sagen, einige fast verwischte Erinnerungen, eine gar zu starke Analogie in den systematischen Ausdrücken, und der Gebrauch von Bildern und Symbolen berechtigt uns das Gegentheil anzunehmen. Nur vom Abendland konnte China das Dogma von der Vernunft, von der Dreieinigkeit, lhu, von der schöpferischen oder ordnenden Kraft, von dem Hauch der den Geist und die Materie verbindet, vom Microcosmus, von der Erwartung eines Heiligen zur Wiederherstellung der Unvollkommenheiten des physischen und moralischen Alls erhalten haben, so wie es gewiß den 19jährigen Cyclus der Intercalation, die wahre Jahreslänge, selbst die Fabeln über die astronomischen Operationen des mythologischen Kaiser Jao, und die Geburt von Fo-si aus einer Blume, so wie manches andere, was hier nicht aufgezählt werden kann, dorther erhalten hat. Wenn man übrigens diese zerstreuten Züge sammelt, welche zu beweisen scheinen, daß die verschiedenen Völker des Orient vor dem Anfang der Geschichte, so weit wir sie kennen, unter einander Verbindungen hatten, so muß die Critik sorgfältig die mythologischen und modernen Sagen ausscheiden, welche durch eine willkürliche Vermischung der Traditionen dieser nun rivalen Sekten entstanden sind, und die nichts beweisen, als ihre gleich große Begierde sich mit allen abergläubischen Thorheiten zu bereichern, welche sie auffinden können; dann muß die Critik entscheiden, ob das Vaterland der chinesischen Lehren in Indien, das seine Ideen auf allen Seiten hin ausgebreitet hat, zu suchen sey, oder in Babylon, Persien und Phönicien, wie Remusat anzunehmen scheint. Alleim dieß sind weitaussehende, schwierige Untersuchungen, zu denen hier kein Raum ist.

[251] Die große Neigung der Chinesen zu philosophischen Studien, und ihre Institutionen, welche jeden künftigen Staatsdiener zwingen die alten Werke gründlich zu lesen, zu meditiren, auswendig zu lernen, und zu erklären, haben bei diesem Volk, das Geschmack an Literatur und eine Art von Druckerei hat, eine unglaubliche Anzahl philologischer, historischer und dogmatischer Commentare hervorgebracht, in denen die Exegeten, aus Neigung etwas neues zu sagen, und aus Verzweiflung etwas finden zu können, sich theils ausschreiben, theils widersprechen. So hat sich z. B. der I-King (die Sammlung von Symbolen, von denen oben die Rede war) alle Erklärungen gefallen lassen, weil er nichts bedeutet, und ist wechselsweise und mit gleichem Glück moralisch, metaphysisch, cosmogonisch und sogar physikalisch und herantisch gedeutet worden. Die Zahl der Träumer, welche ihre Zeit daran verloren haben, ist vielleicht der aller Gelehrten gleich, welche seit dem Wiederaufleben der Wissenschaft in ganz Europa sich mit der classischen Literatur beschäftigt haben. Dieß ist keine Uebertreibung, sondern reine Wahrheit, deren Beweis alle chinesischen Bibliographien enthalten; man sehe z. B. nur im 2ten Bande der Mémoires des Jésuites de Pekin einen Auszug aus dem Verzeichniß der Commentatoren der chinesischen classischen Bücher im Mittelalter. Man kann sich daher nicht wundern, wenn eine solange fortgesetzte Exegese ihre gewöhnliche Wirkung hervorgebracht hat, nemlich Verschiedenheit der Erklärungen, Zwiespalt in den Meinungen und Streit unter den verschiedenen Schulen. Eine vollständige Darstellung der chinesischen Philosophie erforderte eine gründliche Untersuchung aller dieser Meinungen; davon kann natürlich in diesem Abriß nicht die Rede seyn; allein Eine dieser exegetischen Schulen hat einen so großen Einfluß gehabt, daß sie nothwendig erwähnt werden muß. Im eilften Jahrhundert nach Christus erschien in China ein Mann, von dem unsere historischen Werke schweigen, der aber durch die Wichtigkeit seiner Arbeit und ihre bleibenden Wirkungen wohl eine Stelle in den Biographien berühmter Männer verdient hätte. Tschu-hi, genannt der König der Wissenschaft, begann seine Studien mit der Ergründung aller Werke des Alterthums, und ausgestattet mit einer Gelehrsamkeit, wie vielleicht nie ein Gelehrter irgend eines Volks, mit einer tiefen Kenntniß der Systeme der Schule von Confutse und aller andern chinesischen Sekten, unternahm er eine Vergleichung aller dogmatischen Punkte, und eine durchgreifende Untersuchung aller Stellen der classischen Schriftsteller, welche einander bestätigen oder widerlegen konnten, und legte nach Beendigung dieser ungeheuern Arbeit seine Resultate in einem großen Commentare nieder, welcher ein Muster von Klarheit, Eleganz und Bestimmtheit ist. Unglücklicherweise nahm er als Basis seiner Erklärungen eine Idee, welche zwar von der Art war, daß sie einen Mann von hohem Geist leicht verführen konnte, doch an sich äußerst unwahrscheinlich war, nemlich daß alle diese alten Schriften, obgleich zu verschiedener Zeit und unter verschiedenen Umständen verfaßt, durchaus dieselbe Lehre enthielten, da sie Confutse alle gleich anerkannt hatte. Bei diesem System suchte er nicht sowohl den Sinn schwieriger und zweideutiger Stellen, welche sich nicht mit andern, deren Sinn klar war, zu vertragen schienen, sondern wie er jene mit diesen in Einklang bringen könnte: und verwischte so Ideen von hoher Wichtigkeit, welche in einer kleinen Zahl von Stellen in den alten Büchern ausgesprochen sind, nur weil sie sich nicht mit der am häufigsten und klarsten in den classischen Büchern vorgetragenen Ansicht in Harmonie bringen ließen. Vielleicht hat sich dieser gelehrte Erklärer bisweilen von seinen persönlichen [252] Ansichten verführen lassen, und mag wohl oft, wie es ja den Klügsten geht, in den Büchern der Schule von Confutse weniger das gesehen haben was sie enthalten, als was er darin suchte. Wie dem auch seyn mag, Tschu-hi brachte alle die zerstreuten Ansichten, die er in den King’s fand‚ in Ein Ganzes , und erklärte sie aus gleichförmige Art; und da seine Werke ein vollständiges Ganze bildeten, gelehrt, tiefsinnig und angenehm geschrieben waren, so breiteten sie sich schnell aus, wurden in den Schulen angenommen, und erregten die Bewunderung der Gelehrten seiner Zeit so sehr, daß sie allgemein anerkannt wurden, und noch heute anerkannt sind. Das Ansehen seiner Commentare ist fast dem der Texte gleich, und während man glaubt sich an Confutse oderTse-tze zu halten, ist es im Grunde Tschu-hi dem an folgt, und von dem man sich leiten läßt. Alle neueren Commentare und die tartarischen Uebersetzungen sind in diesem Geiste geschrieben, so daß der Vortheil einer immer klaren und scheinbaren Erklärung die sie einem anbieten, auf der andern Seite durch die Furcht aufgewogen wird, sechshundertjährige Ideen für die alten von dreißig Jahrhunderten, das neue für das alte, das secundäre für das ursprüngliche, und die Ansichten eines Commentators aus dem Mittelalter für den Glauben des hohen Alterthums zu nehmen.

Nachdem Tschu-hi seine Ansicht über die zu erklärenden Stellen in seinen Commentaren an ihrem Ort ausgesprochen hatte, setzte er in einem eigenen und dogmatischen Werke, das er Naturphilosophie betitelte, seine Principien auseinander, und erhielt dafür allen Beifall, den er durch eine klare Methode und einen schönen classischen Styl verdient hatte. Allein obgleich diese Schrift oft nur aus zusammengestellten Stellen der classischen Schriftsteller besteht, so daß man glauben könnte, den Text derselben vor sich zu haben , so ist es doch nur der kleinste aller der Vorwürfe, die man ihm machen kann, daß er den erhabenen Sinn mancher Stellen von Confutse verkannt, daß er das zweideutige und nur hingeworfene derselben bestimmt und positiv ausgedrückt, kurz daß er dem wohlberechneten Skepticismus des chinesischen Sokrates einen reinen Materialismus untergelegt habe.

Tschu-hi nimmt, wie seine Vorgänger, Ein weltbeherrschendes Princip an; er nennt es Himmel, Schicksal, Natur, Weltordnung; dieß sind ihm gleichbedeutende Namen. Himmel heißt es, sofern es durch sich selbst existiert; Schicksal, sofern es alle Wesen regiert; Natur, sofern es die absolute Substanz ist, die Allem Seyn und Leben giebt; Weltordnung endlich, um die gegenseitigen und nothwendigen Verhältnisse anzuzeigen, welche zwischen allen Wesen und bei allen ihren Aeußerungen bestehen. Allein unter Himmel ist natürlich nicht die die blaue Wölbung über uns zu verstehen: seine Substanz ist das All; sein Einfluß ist das Schicksal; seine Aeußerung in uns ist unsere Natur, deren Wirkung sich in unsern Neigungen zeigt, welche ursprünglich gut und naturgemäß sind, so lange sie nicht verdorben werden. Die Vernunft, welche schon bei Confutse auf eine so unbestimmte Stellung beschränkt war, wird nun zum bloßen Wort, und durch eine Sophisterei im Ausdruck wird sie zur Regel und Richtschnur der Dinge. Der große Gipfel ist nur ein anderer Name für die Weltordnung; diese äußert sich in zwei Formen, welche wechselweise auf einander wirken, nämlich als Bewegung und Ruhe, Thun und Leiden, und so fort in allen Eigenschaften, die einander direct entgegengesetzt sind. Auch die Materie hat zwei Formen, grobe und feine Materie; sie enthalten alle die Kräfte, welche das All gebildet haben und erhalten; aber nichts war vor ihnen, denn wenn auch ihre Thätigkeit irgendwo zu wirken anfängt, so haben sie früher anderswo sich geäußert. Bewegung und Ruhe bilden das Wesen des All. Himmel, Erde und alle Wesen sind nur durch diese ewig wirkenden zwei Kräfte; die Eigenschaften des Körpers, die Wirkungen der Natur, die Elemente, die atmosphärischen Erscheinungen, die Vegetation, das Leben, die Neigungen, der Verstand - alles hängt ab von der Bewegung und der Ruhe, und folglich (dieß ist der Schluß den wir daraus ziehen) von der Lage der Atome der ätherischen oder soliden Materie; alles ist wechselsweise Action und Substanz, Reaction und Ruhe; Genien und Dämonen sind nur Aeußerungen von zwei Naturkräften. Uebrigens giebt es wirklich Genien und Dämonen? Dieß ist eine Frage, sagt, Tschu-hi, welche man nicht so kurz beantworten kann; daher widmet er ihr auch 108 Seiten. Das Bewußtseyn liegt im Verstande (Herzen) der ätherischen Produktion der Naturtraft, wozu die Ordnung allein ohne active Kraft nicht hinreicht, wie eine Wachskerze oder ein Talglicht der Flamme bedarf, um zu erleuchten. Bei diesen Definitionen und Erklärungen zeigt sich Tschu-hi (so weit der gegenwärtige Zustand der Kenntnisse des Chinesischen zu schließen erlaubt) oft als ein Sophist, der sich mit Worten begnügt, und seinen Lesern dasselbe zumuthet; er erscheint als einer der formellen Menschen, welche sich mehr damit beschäftigen, gleichbedeutende oder entgegengesetzte Ausdrücke zusammenzustellen, als Ideen in ein Ganzes zu vereinigen, und die viel aufgeklärt zu haben meinen, wenn sie ein kahles Fächerwerk abstracter Formeln regelmäßig aufgerichtet. Jedenfalls ist klar, daß er durch Zerstörung der Unbestimmtheit in welcher die alten Chinesen ihre zwei Principien gelassen hatten, mit seiner Lehre von Thätigkeit und Ruhe zu ganz materialistischen Erklärungen, auch der intellectuellen Erscheinungen, genöthigt ist. Die atomistische Lehre ist nach ihm in spätern Compilationen, die unter dem Titel „Beiträge zur Naturphilosophie“ u. s. f. erschienen sind, noch weit deutlicher ausgesprochen worden. Alle alten Bücher sind, gezwungen oder ungezwungen, nach diesem System der Thätigkeit und Ruhe des Aethers und der festen Materie erklärt worden; so wie man bei uns oft Menschen trifft, welche einige technische Ausdrücke aus der Physik aufgefaßt haben, ohne einen bestimmten Sinn damit zu verbinden, und glauben daß sie alle Naturerscheinungen erklären, wenn sie Expansion, Contraction, Attraction, Repulsion, Polarisation u. s. f. sagen können. [255] Die katholischen Missionen kamen erst lange nach der Einführung dieser atomistischen Philosophie nach China zu einer Zeit, wo die Gegner, welche sie vielleicht gefunden hatte, durch den einstimmigen Beifall der Gelehrten zum Schweigen gebracht waren; man darf sich daher nicht wundern, wenn einigen von ihnen die materialistischen Ansichten, welche überall in der Erklärung der alten Texte, Gebräuche und Ceremonien vorherrschen, vor allen auffielen. Ob diese Ansichten auch wirklich denen des Alterthums entsprechen oder nicht, darum fragte es sich für sie nicht; denn daß die modernen Chinesen sie angenommen hatten, war hinreichend um ihnen die Pflicht aufzulegen, diese Meinungen zu bestreiten. Nur darin hatten einige Unrecht, daß sie vom damaligen Zustand auf den ehemaligen schloßen, und unbedingt auf das Wort einiger bekannten Commentatoren hin, den alten Philosophen Atheismus zur Last legten. Umsonst beriefen sich die Vertheidiger der King auf den Text dieser Bücher selbst, umsonst nöthigten sie selbst den Kaiser sich über den Sinn der Hauptstellen für die Geistigkeit der absoluten Vernunft, für Vorsehung, für Vergeltung, für ein anderes Leben auszusprechen; diese großen Autoritäten vermochten nichts gegen den Glauben, den man beinahe im ganzen chinesischen Volk antraf. Einige Jesuiten freilich, welche Stellen über das platonische Dogma vom Logos, von der Dreieinigkeit, vom vermittelnden Hauch gefunden zu haben glaubten, waren viel weiter gegangen, und hatten in den alten Büchern nicht nur einen ausgebildeten Spiritualismus gefunden, sondern glaubten sogar die auffallenden Aehnlichkeiten in den Lehren nicht anders erklären zu können, als durch Traditionen, welche von Nachkommen Noah’s herkämen, oder von der Zerstreuung der zehn Stämme oder gar von einer eigenen Offenbarung. Diese gewagten Vermuthungen wurden vielleicht mit Recht verworfen, [256] allein ihre Urheber wurden sehr mit Unrecht der Unwissenheit oder der Verfälschung angeklagt, denn das flüchtigste Durchlaufen der Texte, welche diese Missionäre im Original schickten, hätte hingereicht, um Premare, Fouquet und die übrigen gegen den gehässigen Verdacht, den man gegen sie hegte, zu schützen.

Diesem kurzen Grundriß des Feldes das die Geschichte der Philosophie in China finden wird, sollte eigentlich eine Angabe der Quellen, woraus sie zu schöpfen hat, folgen; allein da Remusat im Begriff ist den Catalogen der chinesischen Bücher der Pariser Bibliothek drucken zu lassen, so ist es wohl besser den Leser darauf zu verweisen. Nur noch einige Worte über die gewöhnliche Methode der Chinesen in ihren philosophischen Werken. Nirgends sind soviel wir wissen, die Gegenstände, welche behandelt werden, nach den verschiedenen Theilen der Philosophie denen sie angehören, streng und wissenschaftlich geschieden. Die Aristotelische Methode hat erst spät, wenn je, in China einigen Einfluß ausgeübt; die Bücher von Confutse bestehen blos aus einer Reihe abgesonderter Sätze, in denen nur das Auge von Commentatoren einen Schatten von Verbindung und Folge entdecken konnte; Moral und Metaphysik, Cosmogonie und Psychologie sind beständig vermischt, oder auf eine gezwungene Art auf gleiche Principien zurückgeführt. Der Himmel, die Natur, der Mensch und seine Kräfte, Verhältnisse, Pflichten, die Politik, die Sittenlehre, die Administration, und bisweilen Wahrsagerei und Astrologie, alles bildet ein Ganzes, oder vielmehr ein Chaos, dem erhabene Gefühle und Gedanken, und vortreffliche Maximen einen gewissen Reiz verleihen, dessen Grund aber mehr in der Wahl der Ausdrücke und Bilder als in der Natur und dem Inhalt der Gedanken und Betrachtungen liegt. Immer jedoch bleibt die Reinheit von Fabeln ein eigener und ehrenvoller Zug in diesen alten Werken. Die unter dem Namen Tse bekannten Schriftsteller, welche man, nach dem Beispiel der Sekte von Confutse, sonderbarerweise ketzerische Philosophen genannt hat, befolgen ungefähr dieselbe Methode, und suchen ihren vielumfassenden Gegenstand zu beherrschen, indem sie ihn in kleine besondere Abhandlungen zertheilen, über Vernunft, Wahrheit, die Welt, Zeit, Phänomene, Seele, Leben, Tugend u. s. f. Die buddhistischen Werke behandeln gewöhnlich einen religiösen, liturgischen oder contemplativen Gegenstand; allein es ist undenkbar, daß die ungeheure theologische Sammlung, welche den Titel Gandschur führt, und die vielleicht nur von Rußland aus für Europa zugänglich werden kann, nicht großen Theils metaphysischen Inhalts sey. Tschu-hi, als ein vernünftiger und methodischer Schriftsteller, befolgt einen systematischeren Plan: er theilt sein Werk in zwei Theile; der erste handelt von den Principien, der Natur, dem Schicksal, der Vernunft, der Weltordnung und der Tugend; der zweite von den Aeußerungen der Naturkräfte , vom großen Gipfel, vom Aether und der Materie, von der Zeit, der Astronomie, der physischen Geographie, der Meteorologie, den Genien und Dämonen, den beiden Seelen, dem Cult, der Politik, und schließt mit einer Critik der früheren Philosophen. Eine ähnliche und vielleicht noch strengere Methode ist in dem großen naturphilosophischen Werke beobachtet, dessen oben gedacht wurde. Alle Stellen der classischen Schriftsteller und die alten Sagen werden angeführt, und nach dem System des Erklärers gedeutet; die ganze Methode der neuern Schriftsteller besteht in Citationen und Erklärungen, und auch wenn sie eine neue Meinung aufstellen, suchen sie sich auf eine bedeutende Autorität dabei zu stützen.

Dieß ist die, wenn gleich höchst unvollkommene Skizze eines Feldes für neue Untersuchungen, das Reiz für diejenigen haben sollte , welche das Gemälde der Geschichte des menschlichen Geistes vervollständigen wollen. Diese Aufeinanderfolge verschiedener Ansichten, welche sich im äußersten Osten, ohne einen sichtbaren Einfluß des Abendlands, entwickelt hat; diese pythagoräischen und platonischen Lehren vor Pythagoras und Platon; diese Stoiker welche die Ordnung zu ihrem Grunddogma gemacht, und die Wissenschaft und Tugend klug verbunden, und so ein Reich auf die Principien ihrer Philosophie gebaut haben; diese Idealisten, welche ihren allegorischen Götterdienst bei zwanzig verschiedenen Völkern eingeführt, und die einen gebildet, die andern verbildet haben; diese neuen Epikurär welche weder Demokrit noch Epikur gekannt; diese verschiedenen Schulen und Meinungen, welche sich an dem großen Räthsel der Welt erschöpft haben, sind ein schöner Gegenstand für Studium, Nachdenken und Bearbeitung. Wir dürfen hoffen, daß nicht durch Nachläßigkeit die zahlreichen Quellen über diese große Lücke in der geistigen Geschichte der Menschheit, wenigstens diejenigen, welche in den europäischen Bibliotheken sind, und durch ein Studium weniger Jahre durchaus zugänglich werden, unbenützt bleiben. Die Uebersetzung des Lün-jü, durch Herrn Dr. Schott (Halle 1826 8.) läßt hoffen, daß die Gelehrten sich diesem Studium jetzt mehr zuwenden, und sein Buch erhält dadurch, als ein Vorläufer bedeutenderer Arbeiten, einen Werth, den ihm sein eigenes Verdienst kaum geben möchte. Er hat einen Versuch gemacht den Theil des Lün-jü, den Marshman ins Englische übersetzt hatte, ins Deutsche zu übertragen, was vernünftig war, doch hätte er wohl besser gethan, nach den lateinischen Uebersetzungen von Couplet oder Noël, die er nicht gekannt zu haben scheint, zu arbeiten. Da diese Bücher in der lateinischen Ausgabe selten, und auch die französischen Uebersetzungen derselben in Deutschland nicht sehr verbreitet sind, so hätte er etwas verdienstliches gethan, wenn er die sex libri classici aus Noël übersetzt hätte. Freilich würde er noch besser thun, wenn er eine Zeitlang die chinesische Literatur selbst studirte, besonders da der Umschlag seines Buchs beweist, das er wenigstens die Charaktere dieser Sprache lesen gelernt hat, so daß er sich in den Stand setzte, selbst die Urtexte und die Commentare zu lesen, um den Gegenstand dieser Grundzüge neu und ausgedehnt zu behandeln; denn die Kenntniß des Gegenstands ist natürlich die erste Bedingung einer solchen Arbeit, und sie ist Deutschen vorbehalten, denn gewiß lernt ein deutscher Philosoph leichter Chinesisch, als ein französischer oder englicher Sinologe Schelling, Fichte oder Hegel verstehen lernen könnte.


  1. Früher hatte die Geschichte der Philosophie bei den Chinesen die Aufmerksamkeit der Gelehrten und Philosophen in Deutschland auf sich gezogen. Herdrich, Carpzow, Bayer, Noel, Leibniz, Bilfinger und andere wetteiferten mit den Gelehrten des übrigen Europa um die genauere Kenntniß der philosophischen Systeme der Chinesen; aber seit 50 Jahren schienen die deutschen Gelehrten geneigt, die ungerechte und unbesonnene Verachtung zu theilen, mit der Pauw diese Philosophie behandelt hatte, was um so auffallender ist, da dieß mit der großen Entwickelung der Philosophie in Deutschland und des Studiums der hochasiatischen Sprachen in anderen europäischen Ländern zusammentraf. Jemehr man nöthig hatte, sich darin Kenntnisse zu erwerben, und je mehr die Schwierigkeiten, welche früher unüberwindlich schienen, verschwanden, um so größer wurde die Gleichgültigkeit gegen einen Theil der Geschichte, der früher so viele aufgeklärte Männer beschäftigt hatte. Die unfruchtbare Geschichte wilder tartarischer Stämme war das einzige, worauf sich die Ausmerksamkeit derer richtete, welche wirklich Kenntniß der chinesischen Sprache hatten. Dechanterais kannte vom Buddhismus nichts als seine Mythologie, und Deguignes beschäftigte sich mit dieser ausgebreiteten Religion nur soweit, als ihrer in den Jahrbüchern der tartarischen Staaten erwähnt wurde, deren Geschichte er schrieb. Die beiden Arten von Studien, deren Vereinigung die Bearbeitung dieses Theils der Geschichte der Philosophie voraussetzt, blühten damals getrennt. Man Verstand die Sprachen des östlichen Asiens in Frankreich, aber man hatte dort keinen Sinn für die Ideen, während man in Deutschland die Geschichte der Meinungen billig achtete, aber der materiellen Kenntnisse entbehrte, um in diesem Fache Fortschritte machen zu können. Doch scheint diese für die Wissenschaft so schädliche Trennung sich ihrem Ende zu nähern, da einige französische Gelehrte angefangen haben, sich mit der Geschichte der Ideen, und einige Deutsche, sich mit den hinterasiatischen Sprachen an beschäftigen.
  2. Memoire sur la vie et la doctrine de Laotsé, im 8ten Bande der mem. de l’acad. des inscriptions et belles lettres. Paris 1824.
  3. Nach den Legenden welche Remusat am angeführten Ort übersetzt hat.