Hamlet/Vierter Aufzug

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Erste Scene.

[438]

Ein Zimmer im Schlosse. (Der König, die Königin, Rosenkranz und Güldenstern.)
König. In diesen tiefen Seufzern ist ein Sinn;
Legt sie uns aus, wir müssen sie verstehn.
Wo ist eu’r Sohn?

Königin. (zu Rosenkranz und Güldenstern.) Räumt diesen Platz uns auf ein weilchen ein.
     (Beide ab.)
Ah, mein Gemahl! Was sah ich diese Nacht!

König. Wie, Gertrud? Was macht Hamlet?

Königin. Er rast wie See und Wind, wenn beide kämpfen,
Wer mächt’ger ist: in seiner wilden Wut,
Da er was hinterm Teppich rauschen hört,
Reißt er die Kling’ heraus, schreit: eine Ratte!
Und tötet so in seines Wahnes Hitze
Den ungeseh’nen guten alten Mann.

König. O schwere That! so wär’ es uns geschehn,
Wenn wir daselbst gestanden. Seine Freiheit
Droht aller Welt, euch selbst, uns, jedem andern.
Ach! Wer steht ein für diese blut’ge That?
Uns wird zur Last sie fallen, deren Vorsicht
Den tollen jungen Mann, eng eingesperrt,
Und fern von Menschen hätte halten sollen.
Doch unsre Liebe war so groß, daß wir
Nicht einsehn wollten, was das beste war.
Und wie der Eigner eines bösen Schadens,
Den er geheim hält, ließen wir ihn zehren
Recht an des Lebens Mark. Wo ist er hin?

Königin. Er schafft den Leichnam des Erschlagnen weg,
Wobei sein Wahnsinn, wie ein Körnchen Gold
In einem Erz von schlechteren Metallen,
Sich rein beweist: er weint um das Geschehne.

König. O Gertrud, laßt uns gehn!
Sobald die Sonne an die Berge tritt,
Schifft man ihn ein; und diese schnöde That
Muß unsre ganze Majestät und Kunst
Vertreten und entschuldigen. – He, Güldenstern!
     (Rosenkranz und Güldenstern kommen.)
Geht, beide Freunde, nehmt euch wen zu Hilfe.
Hamlet hat den Polonius umgebracht
In seinem tollen Mut, und ihn darauf
Aus seiner Mutter Zimmer weggeschleppt.
Geht, sucht ihn, sprecht ihm zu, und bringt den Leichnam
In die Kapell’. Ich bitt’ euch, eilt hierbei.
     (Rosenkranz und Güldenstern ab.)
Kommt, Gertrud, rufen wir von unsern Freunden
Die klügsten auf, und machen ihnen kund,
Was wir zu thun gedenken, und was leider
Geschehn: so kann der schlangenart’ge Leumund,
Dess’ Zischeln von dem einen Pol zum andern,
So sicher wie zum Ziele die Kanone,
Den gift’gen Schuß trägt, unsern Namen noch
Verfehlen, und die Luft unschädlich treffen.
O komm hinweg mit mir! Entsetzen ist
In meiner Seel’ und innerlicher Zwist.
     (Beide ab.)

Zweite Scene.

 
Ein anderes Zimmer im Schlosse. (Hamlet kommt.)
Hamlet. – Sicher beigepackt. –

Rosenkranz. und Güldenstern. (hinter der Scene.) Hamlet! Prinz Hamlet!

Hamlet. Aber still – was für ein Lärm? Wer ruft den Hamlet? O, da kommen sie.
     (Rosenkranz und Güldenstern kommen.)

Rosenkranz. Was habt ihr mit dem Leichnam, Prinz, gemacht?

Hamlet. Ihn mit dem Staub gepaart, dem er verwandt.

Rosenkranz. Sagt uns den Ort, daß wir ihn weg von da
In die Kapelle tragen.

Hamlet. Glaubt es nicht.

Rosenkranz. Was nicht glauben?

Hamlet. Daß ich euer Geheimnis bewahren kann, und meines nicht. Ueberdies, sich von einem Schwamme fragen zu lassen. Was für eine Antwort soll der Sohn eines Königs darauf geben?

Rosenkranz. Nehmt ihr mich für einen Schwamm, gnädiger Herr?

Hamlet. Ja, Herr, der des Königs Miene, seine Gunstbezeugungen und Befehle einsaugt. Aber solche Beamte thun dem Könige den besten Dienst am Ende. Er hält sie wie ein Affe den Bissen im Winkel seines Kinnbackens; [439] zuerst in den Mund gesteckt, um zuletzt verschlungen zu werden. Wenn er braucht, was ihr aufgesammelt habt, so darf er euch nur drücken, so seid ihr, Schwamm, wieder trocken.

Rosenkranz. Ich verstehe euch nicht, gnädiger Herr.

Hamlet. Es ist mir lieb: eine lose Rede schläft in dummen Ohren.

Rosenkranz. Gnädiger Herr, ihr müßt uns sagen, wo die Leiche ist, und mit uns zum Könige gehen.

Hamlet. Die Leiche ist beim König, aber der König ist nicht bei der Leiche. Der König ist ein Ding –

Güldenstern. Ein Ding, gnädiger Herr?

Hamlet. Das nichts ist: Bringt mich zu ihm. Versteck dich, Fuchs, und alle hinterdrein!
     (Alle ab.)

Dritte Scene.

Ein anderes Zimmer im Schlosse. (Der König tritt auf mit Gefolge.)
König. Ich lass’ ihn holen, und den Leichnam suchen.
O wie gefährlich ist’s, daß dieser Mensch
So frank umhergeht! Dennoch dürfen wir
Nicht nach dem strengen Recht mit ihm verfahren.
Er ist beliebt bei der verworrnen Menge,
Die mit dem Aug’, nicht mit dem Urteil wählt,
Und wo das ist, wägt man des Schuld’gen Plage,
Doch nie die Schuld. Um alles auszugleichen,
Muß diese schnelle Wegsendung ein Schritt
Der Ueberlegung scheinen: wenn die Krankheit
Verzweifelt ist, kann ein verzweifelt Mittel
Nur helfen, oder keins.
     (Rosenkranz kommt.)
 Was ist geschehn?

Rosenkranz. Wo er die Leiche hingeschafft, mein Fürst,
Vermögen wir von ihm nicht zu erfahren.

König. Wo ist er selber?

Rosenkranz.  Draußen, gnäd’ger Herr;
Bewacht, um eu’r Belieben abzuwarten.

König. So bringt ihn vor uns.

Rosenkranz. He, Güldenstern! Bringt den gnädigen Herrn herein.
(Hamlet und Güldenstern kommen.)

König. Nun, Hamlet, wo ist Polonius?

Hamlet. Beim Nachtmahl.

König. Beim Nachtmahl?

Hamlet. Nicht wo er speist, sondern wo er gespeist wird. Eine gewisse Reichsversammlung von feinschmeckenden Würmern hat sich eben an ihn gemacht. So ’n Wurm ist euch der einzige Kaiser, was die Tafel betrifft. Wir mästen alle anderen Kreaturen um uns zu mästen; und uns selbst mästen wir für Maden. Der fette König und der magere Bettler sind nur verschiedene Gerichte; zwei Schüsseln, aber für eine Tafel, das ist das Ende vom Liede.

König. Ach Gott! Ach Gott!

Hamlet. Jemand könnte mit dem Wurm fischen, der von einem König gegessen hat, und von dem Fisch essen, der den Wurm verzehrte.

König. Was meinst du damit?

Hamlet. Nichts als euch zu zeigen, wie ein König seinen Weg durch die Gedärme eines Bettlers nehmen kann.

König. Wo ist Polonius?

Hamlet. Im Himmel. Schickt hin, um zuzusehen. Wenn euer Bote ihn da nicht findet, so sucht ihn selbst an dem andern Orte. Aber wahrhaftig, wo ihr ihn nicht binnen dieses Monats findet, so werdet ihr ihn wittern, wann ihr die Treppe zur Galerie hinaufgeht.

König. (zu einigen aus dem Gefolge.) Geht, sucht ihn dort.

Hamlet. Er wird warten, bis ihr kommt.
     (Einige aus dem Gefolge ab.)

König. Hamlet, für deine eigne Sicherheit,
Die uns so wert ist, wie uns innig kränkt,
Was du begangen hast, muß diese That
In feur’ger Eile dich von hinnen senden.
Drum rüste dich: das Schiff liegt schon bereit,
Der Wind ist günstig, die Gefährten warten,
Und alles treibt nach England auf und fort.

Hamlet. Nach England?

König. Ja, Hamlet.

Hamlet. Gut.

König. So ist es, wenn du unsre Absicht wüßtest.

Hamlet. Ich sehe einen Cherub, der sie sieht. – Aber kommt! Nach England! – Lebt wohl, liebe Mutter.

König. Dein liebevoller Vater, Hamlet.

Hamlet. Meine Mutter. Vater und Mutter sind Mann und Weib; Mann und Weib sind ein Fleisch: also meine Mutter. Kommt, nach England! (Ab.)

König. Folgt auf dem Fuß ihm, lockt ihn schnell an Bord;
Verzögert nicht: er muß zu Nacht von hinnen.
Fort! Alles ist versiegelt und geschehn,
Was sonst die Sache heischt. Ich bitt’ euch, eilt.
     (Rosenkranz und Güldenstern ab.)
Und, England! Gilt dir meine Liebe was
(Wie meine Macht sie dich kann schätzen lehren,
Denn noch ist deine Narbe wund und rot
Vom Dänenschwert, und deine Ehrfurcht leistet
Uns willig Lehenspflicht), so darfst du nicht
Das oberherrliche Geheiß versäumen,
Das durch ein Schreiben solchen Inhalts dringt
Auf Hamlets schnellen Tod. O thu’ es, England,
Denn wie die Hektik rast er mir im Blut:
Du mußt mich heilen. Mag mir alles glücken,
Bis dies geschehn ist, kann mich nichts erquicken.
     (Ab.)

Vierte Scene.

Eine Ebene in Dänemark. (Fortinbras und Truppen, im Marsch begriffen.)
Fortinbras. Geht, Hauptmann, grüßt von mir den Dänenkönig;
Sagt ihm, daß Fortinbras auf sein Gestatten
Für den versprochnen Zug durch sein Gebiet
Geleit begehrt. Ihr wißt, wo wir uns treffen.
Wenn Seine Majestät uns sprechen will,
So wollen wir pflichtmäßig ihn begrüßen;
Das meldet ihm.

Hauptmann. Ich will es thun, mein Prinz.

Fortinbras. Rückt langsam vor.
     (Fortinbras und Truppen ab.) – (Hamlet, Rosenkranz, Güldenstern und andere kommen.)

Hamlet. Wess’ sind die Truppen, lieber Herr?

Hauptmann. Sie sind von Norweg, Herr.

Hamlet. Wozu bestimmt, ich bitt’ euch?

Hauptmann. Sie rücken gegen Polen.

Hamlet. Wer führt sie an?

Hauptmann. Des alten Norwegs Neffe, Fortinbras.

Hamlet. Und geht es auf das ganze Polen, oder
Auf einen Grenzort nur.

Hauptmann. Um wahr zu reden und mit keinem Zusatz,
Wir gehn, ein kleines Fleckchen zu gewinnen,
Das keinen Vorteil als den Namen bringt.
Für fünf Dukaten, fünf, möchte’ ich’s nicht pachten.
Auch bringt’s dem Norweg oder Polen sicher
Nicht mehr, wenn man auf Erbzins es verkauft.

Hamlet. So wird es der Polack nicht halten wollen.

Hauptmann. Doch; es ist schon besetzt.

[440]
Hamlet. Zweitausend Seelen, zwanzigtausend Goldstück’

Entscheiden diesen Lumpenzwist noch nicht.
Dies ist des Wohlstands und der Ruh Geschwür,
Das innen aufbricht, während sich von außen
Kein Grund des Todes zeigt. – Ich dank’ euch, Herr.

Hauptmann. Geleit’ euch Gott! (Ab.)

Rosenkranz.  Beliebt es euch zu gehn?

Hamlet. Ich komme gleich euch nach. Geht nur voran.
     (Rosenkranz und die übrigen ab.)
Wie jeder Anlaß mich verklagt und spornt
Die träge Rache an! Was ist der Mensch,
Wenn seiner Zeit Gewinn, sein höchstes Gut
Nur Schlaf und Essen ist? Ein Vieh, nichts weiter.
Gewiß, der uns mit solcher Denkkraft schuf
Voraus zu schaun und rückwärts, gab uns nicht
Die Fähigkeit und göttliche Vernunft,
Um ungebraucht in uns zu schimmeln. Nun,
Sei’s viehisches Vergessen oder sei’s
Ein banger Zweifel, welcher zu genau
Bedenkt den Ausgang – ein Gedanke, der,
Zerlegt man ihn, ein Viertel Weisheit nur
Und stets drei Viertel Feigheit hat – ich weiß nicht,
Weswegen ich noch lebe, um zu sagen:
„Dies muß geschehn;“ da ich doch Grund und Willen
Und Kraft und Mittel hab’, um es zu thun.
Beispiele, die zu greifen, mahnen mich.
So dieses Heer von solcher Zahl und Stärke,
Von einem zarten Prinzen angeführt,
Dess’ Mut, von hoher Ehrbegier geschwellt,
Die Stirn dem unsichtbaren Ausgang beut,
Und gibt sein sterblich und verletzbar Teil
Dem Glück, dem Tode, den Gefahren preis,
Für eine Nußschal’. Wahrhaft groß sein, heißt,
Nicht ohne großen Gegenstand sich regen;
Doch einen Strohhalm selber groß verfechten,
Wenn Ehre auf dem Spiel. Wie steh’ denn ich,
Den seines Vaters Mord, der Mutter Schande,
Antriebe der Vernunft und des Geblüts,
Den nichts erweckt? Ich seh’ indes beschämt
Den nahen Tod von zwanzigtausend Mann,
Die für ’ne Grille, ein Phantom des Ruhms,
Zum Grab gehn wie ins Bett: es gilt ein Fleckchen,
Worauf die Zahl den Streit nicht führen kann;
Nicht Gruft genug und Raum, um die Erschlagnen
Nur zu verbergen. O von Stund’ an trachtet
Nach Blut, Gedanken, oder seid verachtet!
     (Ab.)

Fünfte Scene.

Helsingör. Ein Zimmer im Schlosse, (Die Königin und Horatio treten auf.)
Königin. – Ich will nicht mit ihr sprechen.

Horatio. Sie ist sehr dringend; wirklich außer sich.
Ihr Zustand ist erbarmenswert.

Königin.  Was will sie?

Horatio. Sie spricht von ihrem Vater; sagt, sie höre,
Die Welt sei schlimm, und ächzt und schlägt die Brust;
Ein Strohhalm ärgert sie; sie spricht verworren
Mit halbem Sinn nur: ihre Red’ ist nichts,
Doch leitet ihre ungestalte Art
Die Hörenden auf Schlüsse; man errät,
Man stückt zusammen ihrer Worte Sinn,
Die sie mit Nicken gibt, mit Winken, Mienen,
So daß man wahrlich denken muß, man könnte
Zwar nichts gewiß, jedoch viel arges denken.

Königin. Man muß doch mit ihr sprechen; sie kann Argwohn
In Unheil brütende Gemüter streun.
Laßt sie nur vor. (Horatio ab.)
Der kranken Seele, nach der Art der Sünden,
Scheint jeder Tand ein Unglück zu verkünden.
Von so bethörter Furcht ist Schuld erfüllt,
Daß, sich verbergend, sie sich selbst enthüllt.
     (Horatio kommt mit Ophelia.)

Ophelia. Wo ist die schöne Majestät von Dänmark?

Königin. Wie geht’s, Ophelia?

Ophelia. (singt.)
 Wie erkenn’ ich dein Treulieb
 Vor den andern nun?
 An dem Muschelhut und Stab,
 Und den Sandelschuhn.

Königin. Ach, süßes Fräulein, wozu soll dies Lied?

Ophelia. Was beliebt? Nein, bitte, hört. (Singt.)
 Er ist lange tot und hin,
 Tot und hin, Fräulein!
 Ihm zu Häupten ein Rasen grün,
 Ihm zu Fuß ein Stein.
O!

Königin. Aber sagt, Ophelia –

Ophelia.   Bitt’ euch, hört.
     (Singt.) Sein Leichenhemd, weiß wie Schnee zu sehn –

     (Der König tritt auf.)

Königin. Ach, mein Gemahl, seht hier!

Ophelia. (singt.)
 Geziert mit Blumensegen,
 Das unbethränt zum Grab mußt’ gehn
 Von Liebesregen.

König. Wie geht’s euch, holdes Fräulein?

Ophelia. Gottes Lohn! Recht gut. Sie sagen, die Eule war eines Bäckers Tochter. Ach, Herr! Wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können. Gott segne euch die Mahlzeit!

König. Anspielung auf ihren Vater.

Ophelia. Bitte, laßt uns darüber nicht sprechen; aber wenn sie euch fragen, was es bedeutet, so sagt nur: (Singt.)
 Auf morgen ist Sankt Valentins Tag,
 Wohl an der Zeit noch früh,
 Und ich, ’ne Maid, am Fensterschlag,
 Will sein eu’r Valentin.
 Er war bereit, thät an sein Kleid,
 Thät auf die Kammerthür,
 Ließ ein die Maid, die als ’ne Maid
 Ging nimmermehr herfür.

Königin. Holde Ophelia!

Ophelia. Fürwahr, ohne Schwur, ich will ein Ende machen:
     (Singt.)
 Bei unsrer Frau und Sankt Kathrin!
 O pfui! Was soll das sein?
 Ein junger Mann thut’s, wenn er kann,
 Beim Himmel, 's ist nicht fein.
 Sie sprach: eh’ ihr gescherzt mit mir,
 Gelobtet ihr mich zu frein.
Er antwortet:
 Ich bräch’s auch nicht, beim Sonnenlicht!
 Wärst du nicht kommen herein.

König. Wie lang’ ist sie schon so?

Ophelia. Ich hoffe, alles wird gut gehen. Wir müssen geduldig sein: aber ich kann nicht umhin zu weinen, wenn ich denke, daß sie ihn in den kalten Boden gelegt haben. Mein Bruder soll davon wissen, und so dank’ ich euch für euren guten Rat. Kommt, meine Kutsche! Gute Nacht, Damen! Gute Nacht, süße Damen! Gute Nacht! Gute Nacht!
     (Ab.)

König. Folgt auf dem Fuß ihr doch; bewacht sie recht!
     (Horatio ab.)

[441]
O dies ist Gift des tiefen Grams: es quillt

Aus ihres Vaters Tod. Und seht nun an,
O Gertrud! Gertrud! Wenn die Leiden kommen,
So kommen sie wie einzle Späher nicht,
Nein, in Geschwadern. Ihr Vater umgebracht;
Fort euer Sohn, er selbst der wüste Stifter
Gerechten eignen Banns; das Volk verschlämmt,
Schädlich und trüb’ in Wähnen und Vermuten
Vom Tod des redlichen Polonius;
Und thöricht war’s von uns, so unterm Husch
Ihn zu bestatten; dann dies arme Kind
Getrennt von sich und ihrem edlen Urteil,
Ohn’ welches wir nur Bilder sind, nur Tiere.
Zuletzt, was mehr als alles in sich schließt:
Ihr Bruder ist von Frankreich insgeheim
Zurückgekehrt, nährt sich mit seinem Staunen,
Hält sich in Wolken und ermangelt nicht
Der Ohrenbläser, um ihn anzustecken
Mit gift’gen Reden von des Vaters Tod;
Wobei Verlegenheit, an Vorwand arm,
Sich nicht entblöden wird uns zu verklagen
Von Ohr zu Ohr. O liebste Gertrud, dies
Gibt wie ein Traubenschuß an vielen Stellen
Mir überflüss’gen Tod. (Lärm hinter der Scene.)

Königin.  O weh! Was für ein Lärm?
     (Ein Edelmann kommt.)

König. Herbei! Wo sind die Schweizer? Laßt die Thür bewachen.
Was gibt es draußen?

Edelmann.  Rettet euch, mein Fürst.
Der Ozean, entwachsend seinem Saum,
Verschlingt die Niedrung ungestümer nicht,
Als an der Spitze eines Meutrerhaufens
Laertes eure Diener übermannt.
Der Pöbel nennt ihn Herrn, und gleich als finge
Die Welt erst an, als wär’ das Altertum
Vergessen, und Gewohnheit nicht bekannt,
Die Stützen und Bekräft’ger jedes Worts,
Schrein sie: Erwählen wir! Laertes werde König!
Und Mützen, Hände, Zungen tragen’s jubelnd
Bis an die Wolken: König sei Laertes!
Laertes König!

Königin. Sie schlagen lustig an auf falscher Fährte.
Verkehrt gespürt, ihr falschen Dänenhunde!
     (Lärm hinter der Scene.)

König. Die Thüren sind gesprengt.
     (Laertes kommt bewaffnet. Dänen hinter ihm.)

Laertes. Wo ist denn dieser König? – Herrn, bleibt draußen.

Dänen. Nein, laßt uns mit herein.

Laertes.  Ich bitt’, erlaubt mir.

Dänen. Gut, wie ihr wollt.
     (Sie ziehen sich hinter die Thür zurück.)

Laertes.  Dank euch! Besetzt die Thür! –
Du, schnöder König, gib mir meinen Vater.

Königin. Guter Laertes, ruhig!

Laertes. Der Tropfe Bluts, der ruhig ist, erklärt
Für Bastard mich; schilt Hahnrei meinen Vater,
Brandmarkt die Metze meiner treuen Mutter,
Hier zwischen ihre reinen, keuschen Brau’n.

König. Was ist der Grund, Laertes, daß dein Aufstand
So riesenmäßig aussieht? – Laßt ihn, Gertrud,
Befürchtet nichts für unsere Person.
Denn solche Göttlichkeit schirmt einen König:
Verrat, der nur erblickt, was er gewollt,
Steht ab von seinem Willen. – Sag, Laertes,
Was bist du so entrüstet? – Gertrud, laßt ihn! –
Sprich, junger Mann.

Laertes.  Wo ist mein Vater?

König.  Tot.

Königin. Doch nicht durch ihn.

König.  Laßt ihn nur satt sich fragen.

Laertes. Wie kam er um? Ich lasse mich nicht äffen.
Zur Hölle, Treu’! Zum ärgsten Teufel, Eide!
Gewissen, Frömmigkeit, zum tiefsten Schlund!
Ich trotze der Verdammnis; so weit kam’s:
Ich schlage beide Welten in die Schanze,
Mag kommen, was da kommt! Nur Rache will ich
Vollauf für meinen Vater.

König. Wer wird euch hindern?

Laertes. Mein Wille, nicht der ganzen Welt Gebot,
Und meine Mittel will ich so verwalten,
Daß wenig weit soll reichen.

König.  Hört, Laertes,
Wenn ihr von eures teuren Vaters Tod
Das Sichre wissen wollt: ist’s eurer Rache Schluß,
Als Sieger in dem Spiel, so Freund als Feind,
Gewinner und Verlierer fortzureißen?

Laertes. Nur seine Feinde.

König.  Wollt ihr sie denn kennen?

Laertes. Den Freunden will ich weit die Arme öffnen,
Und wie der Lebensopfrer Pelikan
Mit meinem Blut sie tränken.

König.  So! nun sprecht ihr
Als guter Sohn, und echter Edelmann.
Daß ich an eures Vaters Tode schuldlos,
Und am empfindlichsten dadurch gekränkt,
Soll eurem Urteil offen dar sich legen,
Wie Tageslicht dem Aug’.

Dänen. (hinter der Scene.) Laßt sie hinein!

Laertes. Was gibt’s? Was für ein Lärm?
     (Ophelia kommt, phantastisch mit Kräutern und Blumen geschmückt.)
 O Hitze, trockne
Mein Hirn auf! Thränen, siebenfach gesalzen,
Brennt meiner Augen Kraft und Tugend aus! –
Bei Gott! dein Wahnsinn soll bezahlt uns werden
Nach dem Gewicht, bis unsre Wagschal’ sinkt.
O Maienrose! süßes Kind! Ophelia!
Geliebte Schwester! – Himmel, kann es sein,
Daß eines jungen Mädchens Witz so sterblich
Als eines alten Mannes Leben ist?
Natur ist fein im Lieben: wo sie fein ist,
Da sendet sie ein kostbar Pfand von sich
Dem, was sie liebet, nach.

Ophelia. (singt.)
 Sie trugen ihn auf der Bahre bloß,
 Leider, ach leider!
 Und manche Thrän’ fiel in Grabes Schoß –
Fahr wohl, meine Taube!

Laertes. Hätt’st du Vernunft und mahntest uns zur Rache,
Es könnte so nicht rühren.

Ophelia. Ihr müßt singen: „’nunter, hinunter! und ruft ihr ihn ’nunter.“ O wie das Rad dazu klingt! Es ist der falsche Verwalter, der seines Herrn Tochter stahl.

Laertes. Dies Nichts ist mehr als Etwas.

Ophelia. Da ist Vergißmeinnicht, das ist zum Andenken: ich bitte euch, liebes Herz, gedenkt meiner! und da ist Rosmarin, das ist für die Treue.

Laertes. Ein Sinnspruch im Wahnsinn: Treue und Andenken bezeichnet.

Ophelia. Da ist Fenchel für euch und Agley – da ist Raute für euch, und hier ist welche für mich – ihr könnt eure Raute mit einem Abzeichen tragen. – Da ist Maßlieb – ich wollte euch ein paar Veilchen geben, aber sie [442] welkten alle, da mein Vater starb. – Sie sagen, er nahm ein gutes Ende. –
     (Singt.)
 Denn traut lieb Fränzel ist all meine Lust –

Laertes. Schwermut und Trauer, Leid, die Hölle selbst,
Macht sie zur Anmut und zur Artigkeit.

Ophelia. (singt.)
 Und kommt er nicht mehr zurück?
 Und kommt er nicht mehr zurück?
 Nein, nein! er ist tot,
 Ist gangen zu Gott,
 Er kommt ja nimmer zurück.
 Sein Bart war so weiß wie Schnee,
 Sein Haupt dem Flachse gleich:
 Er ist hin, er ist hin,
 Und kein Leid bringt Gewinn;
 Gott helf’ ihm ins Himmelreich!
Und allen Christenseelen! Darum bet’ ich. Gott sei mit euch!
     (Ab, in Geistesverwirrung tanzend.)

Laertes. Seht ihr das? o Gott!

König. Laertes, ich muß euren Gram besprechen;
Versagt mir nicht mein Recht. Entfernt euch nur,
Wählt die Verständigsten von euren Freunden,
Und laßt sie richten zwischen euch und mir,
Wenn sie zunächst uns, oder mittelbar,
Dabei betroffen finden, wollen wir
Reich, Krone, Leben, was nur unser heißt,
Euch zur Vergütung geben; doch wo nicht,
So seid zufrieden uns Geduld zu leihn;
Wir wollen dann, vereint mit eurer Seele,
Sie zu befried’gen trachten.

Laertes.  Ja, so sei’s.
Die Todesart, die heimliche Bestattung –
Kein Schwert, noch Wappen über seiner Gruft,
Kein hoher Brauch, noch förmliches Gepräng –
Sie rufen laut vom Himmel bis zur Erde,
Daß ich’s zur Frage ziehn muß.

König.  Gut, das sollt ihr,
Und wo die Schuld ist, mag das Strafbeil fallen.
Ich bitt’ euch, folget mir. (Alle ab.)

Sechste Scene.

Ein anderes Zimmer im Schlosse. (Horatio und ein Diener treten auf.)
Horatio. Was sind’s für Leute, die mich sprechen wollen?

Diener. Matrosen, Herr; sie haben, wie sie sagen,
Euch Briefe zu bestellen.

Horatio.  Laßt sie vor. (Diener ab.)
Ich wüßte nicht, von welchem Teil der Welt
Ein Gruß mir käme, als vom Prinzen Hamlet.
     (Matrosen kommen.)

Erster Matrose. Gott segn’ euch, Herr!

Horatio.  Dich segn’ er ebenfalls.

Erster Matrose. Das wird er, Herr, so es ihm gefällt. Hier ist ein Brief für euch, Herr; er kommt von dem Gesandten, der nach England reisen sollte, wenn euer Name anders Horatio ist, wie man mich versichert.

Horatio. (liest.) Horatio, wenn du dies durchgesehn haben wirst, verschaffe diesen Leuten Zutritt beim Könige, sie haben Briefe für ihn. Wir waren noch nicht zwei Tage auf der See gewesen, als ein starkgerüsteter Korsar Jagd auf uns machte: da wir uns im Segeln zu langsam fanden, legten wir eine notgedrungene Tapferkeit an, und während des Handgemenges enterte ich; in dem Augenblick machten sie sich von unserm Schiffe los, und so ward ich allein ihr Gefangener. Sie haben mich wie barmherzige Diebe behandelt, aber sie wußten wohl, was sie thaten; ich muß einen guten Streich für sie thun. Sorge, daß der König die Briefe bekommt, die ich sende, und begib dich zu mir in solcher Eile, als du den Tod fliehen würdest. Ich habe dir Worte ins Ohr zu sagen, die dich stumm machen werden, doch sind sie viel zu leicht für das Gewicht der Sache. Diese guten Leute werden dich hinbringen, wo ich bin. Rosenkranz und Güldenstern setzen ihre Reise nach England fort: über sie hab ich dir viel zu sagen. Lebe wohl.  Ewig der Deinige Hamlet.“
Kommt, ich will diese eure Briefe fördern,
Und um so schneller, daß ihr hin mich führt
Zu ihm, der sie euch mitgab.
     (Alle ab.)

Siebente Scene.

(Ein anderes Zimmer im Schlosse. (Der König und Laertes treten auf.)
König. Nun muß doch eu’r Gewissen meine Unschuld
Versiegeln, und ihr müßt in euer Herz
Als Freund mich schließen, weil ihr habt gehört,
Und zwar mit kund’gem Ohr, daß eben der,
Der euren edlen Vater umgebracht,
Mir nach dem Leben stand.

Laertes.  Ja, es ist klar. Doch sagt mir,
Warum belangtet ihr nicht diese Thaten,
So strafbar und so peinlicher Natur,
Wie eure Größe, Weisheit, Sicherheit,
Wie alles sonst euch drang?

König.  Aus zwei besondern Gründen,
Die euch vielleicht sehr marklos dünken mögen,
Allein für mich doch stark sind. Seine Mutter,
Die Königin lebt fast von seinem Blick;
Und was mich selbst betrifft – sei’s, was es sei,
Entweder meine Tugend oder Qual –
Sie ist mir so vereint in Seel’ und Leben,
Wie sich der Stern in seinem Kreis nur regt,
Könnt’ ich’s nicht ohne sie. Der andre Grund,
Warum ich’s nicht zur Sprache bringen durfte,
Ist, daß der große Hauf’ an ihm so hängt:
Sie tauchen seine Fehl’ in ihre Liebe,
Die, wie der Quell, der Holz in Stein verwandelt,
Aus Tadel Lob macht, so daß meine Pfeile
Zu leicht gezimmert für so scharfen Wind,
Zurückgekehrt zu meinem Bogen wären,
Und nicht zum Ziel gelangt.

Laertes. Und so verlor ich einen edlen Vater,
So ward mir eine Schwester hoffnungslos
Zerrüttet, deren Wert (wofern das Lob
Zurückgehn darf) auf unsrer Zeiten Höhe
Auffordernd stand zu gleicher Trefflichkeit.
Doch kommen soll die Rache.

König. Schlaft deshalb ruhig nur. Ihr müßt nicht denken,
Wir wären aus so trägem Stoff gemacht,
Daß wir Gefahr am Bart uns raufen ließen
Und hielten es für Kurzweil. Ihr vernehmt
Mit nächstem mehr: ich liebte euren Vater,
Auch lieben wir uns selbst; das hoff’ ich, wird
Euch einsehn lehren – (Ein Bote kommt.)
 Nun? Was gibt es Neues?

Bote. Herr, Briefe sind’s von Hamlet; dieser da
Für Eure Majestät, der für die Königin.

König. Von Hamlet? und wer brachte sie?

Bote. Matrosen, heißt es, Herr; ich sah sie nicht.
Mir gab sie Claudio, der vom Ueberbringer
Sie selbst empfing.

König.  Laertes, ihr sollt hören. –
Laßt uns. (Bote ab.)

[443]
(Liest.) „Großmächtigster! wisset, daß ich nackt an euer Reich ausgesetzt bin. Morgen werde ich um Erlaubnis bitten, vor euer königliches Auge zu treten, und dann werde ich, wenn ich euch erst um Vergünstigung dazu ersucht, die Veranlassung meiner plötzlichen und wunderbaren Rückkehr berichten.

 Hamlet.“
Was heißt dies? Sind sie alle wieder da?
Wie? oder ist’s Betrug und nichts daran?

Laertes. Kennt ihr die Hand?

König.  ’s sind Hamlets Züge. „Nackt“,
Und in der Nachschrift hier sagt er: „Allein“ –
Könnt ihr mir raten?

Laertes. Ich bin ganz irr’, mein Fürst. Allein er komme.
Erfrischt es doch mein Herzensübel recht,
Daß ich’s ihm in die Zähne rücken kann:
„Das thatest du!“

König.  Wenn es so ist, Laertes –
Wie kann es nur so sein? wie anders? – wollt ihr
Euch von mir stimmen lassen?

Laertes.  Ja, mein Fürst,
Wenn ihr mich nicht zum Frieden überstimmt.

König. Zu deinem Frieden. Ist er heimgekehrt,
Als stutzig vor der Reis’, und denkt nicht mehr
Sie vorzunehmen, so beweg ich ihn
Zu einem Probstück, reif in meinem Sinn,
Wobei sein Fall gewiß ist; und es soll
Um seinen Tod kein Lüftchen Tadel wehn,
Selbst seine Mutter spreche los die List,
Und nenne Zufall sie.

Laertes.  Ich will euch folgen, Herr,
Und um so mehr, wenn ihr’s zu machen wüßtet,
Daß ich das Werkzeug wär’.

König.  So trifft sich’s eben.
Man hat seit eurer Reis’ euch viel gerühmt,
Und das vor Hamlets Ohr, um eine Eigenschaft,
Worin ihr, sagt man, glänzt; all eure Gaben
Entlockten ihm gesamt nicht so viel Neid,
Als diese eine, die nach meiner Schätzung
Vom letzten Rang ist.

Laertes. Und welche Gabe wär’ das, gnäd’ger Herr?

König. Ein bloßes Band nur an dem Hut der Jugend,
Doch nötig auch, denn leichte, lose Tracht
Ziemt minder nicht der Jugend, die sie trägt,
Als dem gesetzten Alter Pelz und Mantel
Gesundheit schafft und Ansehn. – Vor zwei Monden
War hier ein Ritter aus der Normandie.
Ich kenne selbst die Franken aus dem Krieg,
Und sie sind gut zu Pferd; doch dieser Brave
That Zauberdinge: er wuchs am Sitze fest,
Und lenkt’ sein Pferd zu solchen Wunderkünsten,
Als wär’ er einverleibt und halbgeartet
Mit diesem wackern Tier: es überstieg
So weit die Vorstellung, daß mein Erfinden
Von Wendungen und Sprüngen hinter dem
Zurückbleibt, was er that.

Laertes.  Ein Normann war’s?

König. Ein Normann.

Laertes. Lamord, bei meinem Leben.

König.  Ja, derselbe.

Laertes. Ich kenn’ ihn wohl, er ist auch in der That
Das Kleinod und Juwel von seinem Volk.

König. Er ließ bei uns sich über euch vernehmen,
Und gab euch solch ein meisterliches Lob,
Für eure Kunst und Uebung in den Waffen,
Insonderheit die Führung des Rapiers:
Es gäb’ ein rechtes Schauspiel, rief er aus,
Wenn wer darin sich mit euch messen könnte.
Er schwur, die Fechter seines Landes hätten
Nicht sichre Hut, noch Auge, noch Geschick,
Wenn ihr sie angrifft: dieser sein Bericht
Vergiftete den Hamlet so mit Neid,
Daß er nichts that als wünschen, daß ihr schleunig
Zurückkämt, um mit euch sich zu versuchen.
Nun, hieraus –

Laertes.  Was denn hieraus, gnäd’ger Herr?

König. Laertes, war euch euer Vater wert?
Wie, oder seid ihr gleich dem Gram im Bilde,
Ein Antlitz ohne Herz?

Laertes. Wozu die Frage?

König.  Nicht als ob ich dächte,
Ihr hättet euren Vater nicht geliebt.
Doch weiß ich, durch die Zeit beginnt die Liebe,
Und seh’ an Proben der Erfahrung auch,
Daß Zeit derselben Glut und Funken mäßigt.
Im Innersten der Liebesflamme lebt
Eine Art von Docht und Schnuppe, die sie dämpft,
Und nichts beharrt in gleicher Güte stets:
Denn Güte, die vollblütig wird, erstirbt
Im eignen Allzuviel. Was man will thun,
Das soll man, wenn man will; denn dies Will ändert sich
Und hat so mancherlei Verzug und Schwächung,
Als es nur Zungen, Hände, Fälle gibt;
Dann ist dies Soll ein prasserischer Seufzer,
Der lindernd schadet. Doch zum Kern der Sache!
Hamlet kommt her: was wollt ihr unternehmen,
Um euch zu zeigen eures Vaters Sohn
In Thaten mehr als Worten?

Laertes. Ihn in der Kirch’ erwürgen.

König. Mord sollte freilich nirgends Freistatt finden,
Und Rache keine Grenzen. Doch, Laertes,
Wollt ihr dies thun, so haltet euch zu Haus.
Wir lassen eure Trefflichkeit ihm preisen,
Und doppelt überfirnissen den Ruhm,
Den euch der Franke gab; kurz, bringen euch zusammen,
Und stellen Wetten an auf eure Köpfe.
Er, achtlos, edel, frei von allem Arg,
Wird die Rapiere nicht genau besehn;
So könnt ihr leicht mit ein paar kleinen Griffen
Euch eine nicht gestumpfte Klinge wählen,
Und ihn mit einem wohlgeführten Stoß
Für euren Vater lohnen.

Laertes.  Ich will’s thun
Und zu dem Endzweck meinen Degen salben.
Ein Charlatan verkaufte mir ein Mittel,
So tödlich, taucht man nur ein Messer drein,
Wo’s Blut zieht, kann kein noch so köstlich Pflaster
Von allen Kräutern unterm Mond, mit Kraft
Gesegnet, das Geschöpf vom Tode retten,
Das nur damit geritzt ist; mit dem Gift
Will ich die Spitze meines Degens netzen,
So daß es, streif’ ich ihn nur obenhin,
Den Tod ihm bringt.

König.  Bedenken wir dies ferner,
Was für Begünstigung von Zeit und Mitteln
Zu unserm Ziel kann führen. Schlägt dies fehl,
Und blickt durch unsre schlechte Ausführung
Die Absicht, so wär’s besser nicht versucht,
Drum muß der Plan noch einen Rückhalt haben,
Der Stich hält, wenn er in der Probe birst.
Still, laßt mich sehn! – Wir gehen feierlich
Auf euer beider Stärke Wetten ein, –
Ich hab’s:
Wenn ihr vom Fechten heiß und durstig seid,
(Ihr müßt deshalb die Gänge heft’ger machen)

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Und er zu trinken fordert, soll ein Kelch

Bereit stehn, der, wenn er davon nur nippt,
Entging’ er etwa eurem gift’gen Stich,
Noch unsern Anschlag sichert. Aber still!
Was für ein Lärm? (Die Königin kommt.)
 Nun, werte Königin?

Königin. Ein Leiden tritt dem andern auf die Fersen,
So schleunig folgen sie.
Laertes, eure Schwester ist ertrunken.

Laertes. Ertrunken sagt ihr? Wo?

Königin. Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach,
Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen.
Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
An den gesenkten Aesten aufzuhängen,
Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
Die rankenden Trophäen und sie selbst
Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
Verbreiteten sich weit, und trugen sie
Sirenengleich ein Weilchen noch empor,
Indes sie Stellen alter Weisen sang,
Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
Für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren Melodien
Hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.

Laertes. Ach, ist sie denn ertrunken?

Königin. Ertrunken.

Laertes. Zu viel des Wassers hast du, arme Schwester!
Drum halt’ ich meine Tränen auf. Und doch
Ist’s unsre Art; Natur hält ihre Sitte,
Was Scham auch sagen mag: sind die erst fort,
So ist das Weib heraus. – Lebt wohl, mein Fürst.
Ich habe Flammenworte, welche gern
Auflodern möchten, wenn nur diese Thorheit
Sie nicht ertränkte. (Ab.)

König.  Laßt uns folgen, Gertrud.
Wie hatt’ ich Mühe, seine Wut zu stillen!
Nun, fürcht’ ich, bricht dies wieder ihre Schranken,
Drum laßt uns folgen.
     (Ab.)

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