Hebung gesunkener Schiffe

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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Hebung gesunkener Schiffe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 719–720
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Hebung gesunkener Schiffe.

In der Tagespresse wird eine neue Erfindung beschrieben, welche „zur Hebung gesunkener Schiffe oder Wracks“ dienen soll. Der Erfinder ist ein Amerikaner, und nach den vorliegenden Angaben besteht der Apparat aus eisernen Hohlkugeln von 20 Fuß Durchmesser, die vollständig luftdicht hergestellt sind. An der einen Seite jeder Kugel sitzt das Eintrittsventil, an der entgegengesetzten ein Ausströmungsventil. Bei Anwendung der Vorrichtung sollen die Kugeln, mit Wasser gefüllt, versenkt und durch Taucher am Wrack befestigt werden. Ist das geschehen, so wird zunächst aus den am Stern und Bug des Schiffes angebrachten Kugeln vermittels einer Luftpumpe das Wasser durch Luft verdrängt. Dadurch soll das Wrack aufgerichtet werden, denn die mit Luft gefüllten Kugeln sollen je 500 bis 700 Tonnen Auftriebskraft besitzen. Dann wird in die einzelnen an den Längsseiten befestigten Hohlkugeln zu gleicher Zeit Luft eingepumpt, und das Schiff steigt sammt den ihre Tragkraft entfaltenden Kugeln an die Oberfläche.

Bei dieser Gelegenheit bestätigt sich wieder die Erfahrung, daß nicht jede „neue“ Erfindung, die uns von jenseit des Oceans gemeldet wird, wirklich neu ist. Das Prinzip, vom Meeresgrund Lasten durch den Auftrieb von Behältern zu heben, die mit Luft gefüllt sind, ist schon lange bekannt und vor etwa 30 Jahren thatsächlich in Deutschland erprobt worden. Der Mann, welcher es zuerst in Anwendung brachte, ist ein Deutscher Namens Wilhelm Bauer. Er war kein studierter Ingenieur, sondern ein Erfinder von Gottes Gnaden, eines jener urwüchsigen Talente, die auch ohne besondere höhere Schulbildung im Leben Großes zu leisten vermögen. Er wurde am 23. Dezember 1822 zu Dillingen in Bayern geboren, erlernte das Drechslerhandwerk und trat später in den Militärdienst seines Heimathlandes. Da man hier seine technische Begabung erkannte, so versetzte man ihn als Unteroffizier zur Artillerie. Im Jahre 1848 marschierte er mit dem bayerischen Armeecorps nach Schleswig-Holstein, und als er hier die Schutzlosigkeit der deutschen Küste sah, verfiel er auf den Plan einer unterseeischen Schiffahrt und ersann seinen „Brandtaucher“, zu dem ihm der Seehund als Modell gedient haben soll. Mit geringfügigen Mitteln, die ihm aus öffentlichen Sammlungen zuflossen, baute er das erste unterseeische Fahrzeug, das aber leider bei einem Versuch am 1. Februar 1851 auf den Grund des Kieler Hafens versank und erst am 5. Juli 1887 wieder gehoben wurde.

Später baute Bauer in Rußland unter dem Schutze des Admirals Großfürsten Konstantin einen neuen Brandtaucher, mit dem er eine große Anzahl gelungener Fahrten ausführte. 1858 kehrte er nach München zurück und beschäftigte sich hier mit der Ausführung einer anderen Erfindung, welche unter dem Namen der „unterseeischen Kamele“" bekannt wurde.

In meiner jüngst erschienenen Schrift „In Meerestiefen“ habe ich diese Erfindung kurz in folgender Weise beschrieben:

„Unter dem sonderbaren Namen sind einfach Luftballons zu verstehen, die einen auf dem Meeresgrund liegenden Gegenstand, z. B. ein gesunkenes [720] Schiff, heben sollen. Zu diesem Zwecke werden sie leer auf den Grund gebracht, dann am Schiffe befestigt und durch eine Luftpumpe mit Luft gefüllt, bis sie durch ihren Auftrieb das Schiff heben. Ein Ballon von 700 Kubikfuß Inhalt sollte nach Bauers Berechnungen eine Tragfähigkeit von etwa 200 Zentnern haben, sodaß 40 Stück eine Last von 8000 Zentnern heben würden.“

Bauer war in der Lage, die Richtigkeit seiner Behauptung zu beweisen und durch seine Kamele wirklich ein Schiff zu heben.

Am 1. März 1861 war auf dem Bodensee, an der Schweizer Seite, der bayerische Postdampfer „Ludwig“ durch den Dampfer „Zürich“ in der Dunkelheit und bei starkem Nebel in den Grund gebohrt worden. Bauer übernahm zwei Jahre später unter sehr ungünstigen Bedingungen den Auftrag, das 120 Fuß lange Fahrzeug binnen einiger Monate aus einer Tiefe von 65 Fuß zu heben; seine Mittel reichten nicht einmal zur Herstellung der Hebekamele, sodaß er an deren Stelle große Fässer setzen mußte. Diese wurden mit Wasser gefüllt, in die Tiefe gezogen und um das Schiff her befestigt. Um 2500 Zentner Tragkraft zu gewinnen, bedurfte er natürlich vieler Fässer, und von den herbeigeschafften zeigten sich nur wenige stark genug für seinen Zweck. Endlich stand ihm nicht einmal eine Luftpumpe zu Gebote, mit gewöhnlichen Feuerlöschspritzen mußte er das Wasser in der Tiefe aus den Fässern heraustreiben. So war es mit großer Mühe und noch größerem Zeitverlust für ihn verknüpft, nur die einfache Hebekraft zu gewinnen.

Trotz all der kläglichen Aushilfsmittel ging Bauer doch mit seinen Tauchern rüstig an die Arbeit, und bald gelang es ihm, mit 27 Fässern das Schiff aus dem Lehmgrund, in den es tief eingesunken war, herauszubefördern, die „Adhäsion“ vollständig zu brechen. Mit weiteren 10 Fässern hob er das Hintertheil 5 Fuß vom Grunde empor, und am 29. Mai stand das Schiff schon so hoch, daß 5 große Tragfässer auf der Oberfläche schwammen und der Dampfer in allen Theilen sichtbar war. Da kam, statt des erwarteten und verheißenen Schleppdampfers, der den „Ludwig“ in einen sicheren Hafen führen sollte, ein furchtbares Gewitter mit hochbewegter See, die Wellen schlugen die tragenden Fässer aneinander, zertrümmerten sie und der „Ludwig“ sank nach denselben Gesetzen, mit deren Hilfe man ihn heraufgebracht hatte, wieder in die alte Tiefe hinab. Noch zweimal, am 7. und am 23. Juni, erfolgte die Hebung, allein auch diese beiden Male mißglückte die Bergung, da die Schleppfahrzeuge nicht zur rechten Zeit an Ort und Stelle waren.

Bauer arbeitete indessen unverdrossen an dem übernommenen Werke fort, bis ihm dessen Ausführung mit seinen Hebekamelen wirklich gelang und der „Ludwig“ am 21. Juli 1863 nach Rorschach gebracht wurde. Als man sich dem Ufer näherte, ließ einer der Taucher die Schiffsglocke des wiedererstandenen Schiffes ertönen, wobei, wie ein Augenzeuge berichtet, viele die Thränen nicht zurückhalten konnten.

Vor dreißig Jahren beschäftigten die unterseeischen Kamele lebhaft die öffentliche Meinung, auch die „Gartenlaube“ ist von Anfang an in einer Reihe von Artikeln aus der Feder von Dr. Friedrich Hofmann aufs wärmste für Bauers Erfindungen eingetreten und hat bei dieser Gelegenheit eine Abbildung des Hebeapparates gebracht (Jahrg. 1862, S. 60 und 61). Eine verkleinerte Wiedergabe dieses lehrreichen Bildes findet sich auch in dem oben erwähnten Buche „In Meerestiefen.“

Bauers Erfindungen wurden in unserer raschlebenden Zeit früher vergessen, als sie verdienten. So wurde z. B. noch vor zwei Jahren an dem französischen Unterseebot von Goubet besonders die Sicherheit und Verläßlichkeit hervorgehoben, mit welcher das Fahrzeug unter Wasser auf und absteigen kann, und als ein großer Fortschritt gelobt. Dieser Vorzug wird aber durch Einlassen des Wassers in den Schiffsraum und wieder durch Auspumpen erzielt – und dasselbe „neue“ Prinzip war schon bei dem ersten Brandtaucher Bauers in Anwendung gebracht, wie an dem gehobenen Wrack im Kieler Hafen genau festgestellt werden konnte. Wahren wir also dem ursprünglichen Erfinder, dessen Los wie das so vieler seiner Geistes- und Leidensgenossen kein leichtes gewesen ist, den wohlverdienten Ruhm! C. Falkenhorst.