Heilung des Wundstarrkrampfes (Tetanus)

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Autor: C. F. = „Carl Falkenhorst“ = Stanislaus von Jezewski
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Titel: Heilung des Wundstarrkrampfes (Tetanus).
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 74–75
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Kampf gegen die Bakterien.

Die Heilung des Wundstarrkrampfes (Tetanus).


Wer jemals in seinem Leben an dem Leidenslager eines vom Wundstarrkrampfe Befallenen geweilt hat, dem wird der erschütternde Anblick unverlöschlich in der Erinnerung haften. „Traurig großartig“ hat noch vor kurzem Dr. Renvers treffend die Summe von Erscheinungen genannt, welche den Tetanus begleiten. Mit krankhaft verzerrten Gesichtszügen, gerunzelter Stirn, angsterfülltem Blick, den Kopf hinten übergebogen, mit krampfhafter Streckung der Bauchwirbelsäule liegen die Kranken unbeweglich mit starrer Rumpfmuskulatur bei vollem Bewußtsein im Bett, nur imstande, sich mühsam lispelnd zu verständigen. Die Kaumuskeln sind zusammengezogen, die Oeffnung des Mundes ist unmöglich. Von Zeit zu Zeit steigert sich die anhaltend dauernde Starre. Bald fieberlos, bald nur vor dem Tode hohe Temperaturen zeigend, erliegen die Patienten entweder in den ersten Tagen einem solchen Krampfanfall, oder aber es tritt langsam zunächst Nachlaß der Krämpfe und dann der Starre ein, wenn nicht Erschöpfung auch jetzt noch den Patienten zu Grunde richtet.

Der Tetanus tritt zumeist als eine Begleiterscheinung von Wunden auf, und das Räthselhafte bestand bisher darin, daß er oft mit ganz geringfügigen, kaum bemerkbaren Verletzungen, einem Splitter, der selbst vom Kranken übersehen wurde, der keine Eiterung erzeugte, verbunden war. So geringe Ursachen und so fürchterliche Wirkungen! Beträgt doch die Sterblichkeit bei dieser Krankheit etwa 90 Prozent; in den deutschen Kriegslazarethen 1870/71 fielen ihr 159 Verwundete zum Opfer.

Schon der alte Hippokrates kannte den Wundstarrkrampf und stellte bereits die richtige Regel auf, daß der Tetanus um so gefährlicher ist, je frühzeitiger er nach der Verletzung sich einstellt, und mehr Aussicht auf Heilung bietet, wenn die ersten vier Tage ohne Anfangsspuren desselben verlaufen. Die Ursache dieser erschütternden Krankheit konnte er nicht finden, und bis auf unsere Tage blieb sie für alle Aerzte ein unerforschliches Räthsel.

Da kamen die Zeiten, in denen die Bakteriologie neues Licht in das Wesen so vieler Krankheiten brachte, und ihr gelang es auch in kurzer Zeit, alles in diesem jahrtausendelang so geheimnißvollen Leiden aufzuklären und selbst ein Heilmittel gegen dasselbe zu finden Das ist ein Siegeslauf, dem die ganze Menschheit entgegenjubelt, und der Jubel wird auch selbst im Stillen Ocean ein recht lautes Echo finden, denn ein großer Ruhmesantheil an dieser Entdeckung gebührt einem Schüler Robert Kochs, dem Dr. Kitasato aus Tokio in Japan.

Der erste Lichtstrahl drang aus Italien hervor. Hier stellten im Jahre 1884 Carle und Rattone fest, daß man bei Thieren Tetanus erzeugen könne, wenn man sie mit Wundsekreten am Wundstarrkrampf erkrankter Menschen impfe. Es war nun erwiesen, daß der Tetanus eine übertragbare, infektiöse Krankheit sei; die Suche nach dem Krankheitserreger begann. Nun geschah in Deutschland fast gleichzeitig und unabhängig von der italienischen eine neue wichtige Entdeckung. Nicolaier fand in Göttingen eine Gartenerde, die, wenn er sie Mäusen, Meerschweinchen und Kaninchen unter die Haut brachte, regelmäßig die Erkrankung und den Tod der Thiere an Tetanus veranlaßte. Es unterlag keinem Zweifel – in dieser Gartenerde mußte der Krankheitserreger stecken. Man durchsuchte den Eiter der an Tetanus erkrankten Versuchsthiere und fand eine Menge verschiedener Bakterien, darunter aber auch einen dünnen borstenartigen Bacillus, der an einem Ende Sporen bildete, so daß er in diesem Zustande wie ein Trommelschlägel oder eine Stecknadel aussah; er erschien von Anfang an verdächtig, und der Verdacht wurde noch bestärkt, als Rosenbach ein ähnliches Gebilde in der Wunde eines an Tetanus erkrankten Menschen nachwies. Aber der Bacillus spottete aller Bemühungen, ihn rein darzustellen, er erschien immer in Gesellschaft von anderen Bakterien, so daß man nicht bestimmen konnte, welchem Bacterium die Fähigkeit, den Wundstarrkrampf zu erzeugen, zuzusprechen sei.

Inzwischen mehrten sich die Beweise für die Uebertragbarkeit des fürchterlichen Leidens. In einem Falle wurde ein Holzsplitter aus der Wunde eines Tetanuskranken herausgezogen und vierzehn Monate lang trocken aufbewahrt; er wurde dann einem Thiere eingeimpft und erzeugte Tetanus; in einem zweiten Falle rief ein Holzsplitter, welcher aus einer Hohlhandwunde vier Monate nach der Verletzung herausgezogen und zweieinviertel Jahr in Papier aufbewahrt worden war, bei Thieren Impftetanus hervor. Ein Knabe endlich, welcher sich durch Fall auf einen Holzpfahl in einem Weinberge eine Verletzung im Gesicht zugezogen hatte, erkrankte acht Tage darauf und starb bald. Aus der Gesichtswunde wurde ein Splitter entnommen; auch er hat, Thieren eingeimpft, Tetanus verursacht.

Aber der Tetanusbacillus blieb immer noch unfaßbar. Seine Züchtung war mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft. Der borstenartige Bacillus ist ein anaërobes Bakterium, das heißt: er gehört zu der Klasse derjenigen Kleinorganismen, für welche Sauerstoff, der belebende Theil der Luft, geradezu Gift ist, und er muß darum unter Ausschluß von Sauerstoff gezüchtet werden. Dies war aber um so schwieriger, als er stets, wie wir bereits erwähnt haben, im Verein mit anderen anaëroben Bacillen auftrat. Erst neuestens ist es Kitasato gelungen, ihn aus diesem Bacillengemisch herauszugreifen. Er nahm ein kleines Gewebsstückchen von einem an Tetanus gestorbenen Menschen aus der unmittelbaren Umgebung der vereiterten Wunde und brachte es auf die gebräuchlichen Nährmittel. Nun machte er die Beobachtung, daß im Brutschrank die verschiedenen Bakterien sich sehr üppig entwickelten, daß aber der verdächtige borstenförmige Bacillus am allerersten seine Sporen ausbildete, während die übrigen erst viel später sich hierzu bequemten. Dieses voreilige Wachsthum sollte dem Bacillus verderblich werden.

Die Bakteriensporen sind nämlich viel widerstandsfähiger gegen die Einwirkung der Hitze als die im Wachsthum befindlichen sogenannten „vegetativen“ Bakterien. Kitasato wartete darum nicht ab, bis auch die anderen Bacillen Sporen gebildet hatten, sondern erhitzte seine Mischkulturen 1/2 bis 1 Stunde im Wasserbade auf 80° C. Alle vegetativen Formen wurden dadurch abgetödtet, nur die Sporen blieben entwickelungsfähig, und nun war es ein Leichtes, aus diesen Sporen Reinkulturen des borstenförmigen Bacillus zu erhalten, der jetzt durch Impfversuche als der unzweifelhafte Erreger des Wundstarrkrampfes entlarvt wurde und den Namen „Tetanusbacillus“ mit Fug und Recht erhielt.

Es ist bemerkenswerth, daß er in Reinkulturen ein widerwärtig riechendes Gas erzeugt; in Traubenzuckerbouillon ist diese Gasentwicklung mitunter so stark, daß beim festen Verschluß des Kölbchens dieses selbst auseinander gesprengt und zertrümmert wird.

Man wandte sich nunmehr auch der genauen Erforschung der von den Tetanusbacillen erzeugten Stoffwechselprodukte zu und fand in Reinkulturen derselben zunächst zwei alkaloidartige Gifte, Tetanin und Tetanotoxin, die allerdings erst in großen Dosen starke Reflexkrämpfe erzeugen, und zuletzt ein eiweißartiges Gift, ein Toxalbumin, welches dem Schlangengift ähnlich schon in sehr geringen Gaben die dem Tetanus eigenthümlichen Starrkrämpfe hervorruft. Das Toxalbumin wirkt bereits in der winzigen Menge von 1/100 Milligramm.

Impfungen mit ganz kleinen Mengen der Reinkultur ergeben folgendes Bild. Bei Mäusen macht sich schon nach 15 Stunden eine Muskelunruhe bemerkbar, die sich namentlich in einer großen Aengstlichkeit und Erregbarkeit zeigt. Nach etwa 20 Stunden beginnt zunächst in der Nähe der geimpften Stelle eine Starrheit der Muskeln, die sich rasch über den ganzen Körper erstreckt und von lebhaften Muskelstößen begleitet wird. In diesem Zustand bleiben die Thiere 1–3 Tage und gehen dann gewöhnlich am 2. oder 3. Tage nach der Impfung zu Grunde. Besser läßt sich (nach Renvers) das Krankheitsbild an größeren Thieren, namentlich an Kaninchen und Hunden, verfolgen, da hier der Impftetanus langsamer auftritt. Die Thiere bleiben zuweilen 3 Tage lang ohne jede Veränderung. An der Impfstelle bemerkt man keine Entzündung. Ist das Thier z. B. am Oberschenkel geimpft worden, so zeigt sich alsdann die Starre zuerst in diesem Körpertheil, in 24 Stunden schreitet sie auf die Rumpfmuskeln über, befällt zunächst die auf der Impfstelle liegende Seite und bewirkt eine starke Seitwärtskrümmung der Wirbelsäule; in weiteren 20 Stunden kommt es zu Krämpfen der Gesammtmuskulatur, denen die Thiere rasch erliegen.

[75] In der Wunde fehlt jede Eiterung, wenn die Impfung wirklich mit einer Reinkultur vorgenommen wurde. Die Bacillen sind nur in der unmittelbarsten Nähe der Wunde aufzufinden oder sind inzwischen zu Grunde gegangen. Sie haben eben an Ort und Stelle, ohne weiter den Körper zu durchdringen, das furchtbare Tetanusgift erzeugt, welches sich von hier aus über den ganzen Körper verbreitet und nach und nach den Tod herbeiführt.

So wurde das Wesen des Wundstarrkrampfes enträthselt. Die Keime des Tetanusbacillus sind in der Natur sehr verbreitet. Sie finden sich häufig in oberflächlichen Schichten der Gartenerde, ebenso hat man sie in verfallenem Mauerwerk, in faulenden Flüssigkeiten, sowie im Dunge nachgewiesen. Die französischen Forscher haben namentlich auf ein sehr häufiges Vorkommen des Tetanusbacillus in Pferdeställen aufmerksam gemacht, wodurch die vielen Tetanuserkrankungen bei französischen Kavalleristen ihre Erklärung finden. Ob es außer diesem bacillären Tetanus noch einen anderen, der durch andere Ursachen bedingt wird, den sogenannten „idiopathischen“ Tetanus, giebt, werden erst weitere Untersuchungen ergeben können.

Nachdem auf diese Weise das Wesen der Krankheit ergründet worden war, versuchten Dr. Kitasato und Stabsarzt Dr. Behring, Heil- und Schutzmittel gegen dieselbe zu finden. Sie führten ihre Arbeiten in dem hygieinischen Institut von Robert Koch in Berlin aus.

Es gelang ihnen, indem sie Versuchsthiere mit Jodtrichlorid behandelten, Kaninchen und Mäuse gegen das Tetanusgift zu „immunisiren“, d. h. gegen dasselbe unempfänglich zu machen. Das Blut der so behandelten Thiere besaß von nun an tetanusgiftzerstörende Eigenschaften.

Gewöhnlich genügen 0,5 kcm einer bestimmten Tetanusbacillenkultur, um ein normales Kaninchen ganz sicher am Tetanus zu Grunde gehen zu lassen. Dem immunisirten Kaninchen wurden 10 kcm von derselben Kultur eingespritzt – es erhielt somit das 20fache der sicher tödlichen Dosis - und es blieb ganz gesund.

Das Blut dieses Kaninchens erhielt und behielt wunderbare Eigenschaften. Mit frischem Blute desselben wurden Mäuse geimpft. Nun wurden nach 24 Stunden dieselben sowie zwei gar nicht vorbehandelte Kontrolmäuse mit Tetanusbacillen inficirt. Die Kontrolmäuse starben nach 36 Stunden an Tetanus; die mit dem immunen Kaninchenblut behandelten blieben gesund.

Nun wurde dem immunisirten Kaninchen Blut entnommen und dieses stehen gelassen. Es ist bekannt, daß unter solchen Umständen das Blut sich verändert: es gerinnt und es erfolgt nunmehr die Theilung in den festen rothen Blutkuchen, in dem die Zellenelemente des Blutes, die Blutkörperchen, enthalten sind, und in das Serum, eine fast farblose oder leicht bernsteingelbe Flüssigkeit. In dem Serum sind nun die tetanusgiftzerstörenden Eigenschaften enthalten.

Zu Versuchen mit Serum wurde eine zehntägige sehr giftige Tetanuskultur genommen. Man filtrirte dieselbe durch die Porzellanfilter und erhielt so eine keimfreie Flüssigkeit, in der sich keine Bacillen, wohl aber die von ihnen gebildeten Gifte befanden. Fünf Hunderttausendstel (0,00005) Kubikcentimeter dieser Flüssigkeit genügten, um eine Maus nach 4-6 Tagen, und 0,0001 kcm, um dieselbe nach weniger als 2 Tagen zu tödten. Nun wurde ein Theil dieser Giftflüssigkeit mit 5 Theilen des immunisirten Blutserums vermischt und die Mischung 24 Stunden stehen gelassen. Von dieser Mischung erhielten alsdann 4 Mäuse je 0,2 kcm. Es war also darin die 300fache Menge der für eine Maus unter gewöhnlichen Umständen sicher tödlichen Dosis von Tetanusgift enthalten! Aber alle diese Versuchsmäuse blieben dauernd gesund; denn das Blutserum, welches einem immun gemachten Thiere entnommen war, hatte das Tetanusgift schon außerhalb des thierischen Körpers unschädlich gemacht! Die so behandelten Mäuse wurden aber selbst gegen Tetanus immun, sie hatten eine Schutzimpfung durchgemacht; denn wie oft man sie auch mit großen Mengen von Tetanusbacillen impfte, sie blieben dauernd gesund, zeigten nicht eine Spur von Erkrankung.

Mit diesem Serum von tetanusimmun gemachten Thieren wurden auch sichere Heilwirkungen erzielt, indem man die normalen Thiere zuerst mit Tetanusbacillen inficirte und erst nachträglich das giftzerstörende Serum mit bestem Erfolg einspritzte. „Auch wenn schon mehrere Extremitäten tetanisch geworden sind,“ schreibt Dr. Behring in der „Deutschen medizinischen Wochenschrift“, „und nach den sonstigen Erfahrungen der Tod der Mäuse in wenigen Stunden zu erwarten ist, falls keine Behandlung eintritt, selbst dann gelingt es noch mit großer Sicherheit, die Heilung herbeizuführen, und zwar so schnell, daß schon in wenigen Tagen nichts von der Erkrankung zu merken ist. – Die Möglichkeit der Heilung auch ganz akut verlaufender Krankheiten ist danach nicht mehr in Abrede zu stellen.“

Diese Erfolge reihen sich in würdiger Weise der Entdeckung Robert Kochs auf dem Gebiete der Behandlung der Tuberkulose an; sie sind von der weittragendsten Bedeutung, denn sie gehören gleichfalls zu den Fortschritten, welche eine neue Aera der Medizin eröffnen. Man ist jetzt mit Schlüssen vom Thierexperiment auf den Menschen vorsichtiger geworden, aber über kurz oder lang werden die Erfolge auch beim Menschen nicht ausbleiben. Ueber kurz oder lang wird eine der fürchterlichsten Krankheiten, eine großartig traurige Niederwerfung des Menschen durch ein winziges Bacillenstäubchen, heilbar sein - eine Krankheit, bei der 90% der Befallenen bis jetzt zu sterben pflegen! Der Wundstarrkrampf ist in seinen Erscheinungen ebenso düster und tieferschüttert wie die Hundswuth – aber er kommt viel häufiger als die letztere vor. Dies läßt uns den neuen Erfolg der unermüdlichen Forscherschar in dem hygieinischen Institut zu Berlin erst im rechten Licht erscheinen. Aber weit wichtiger ist es noch, daß dieselben Methoden es gleichfalls möglich machen, auch die Diphtherie zunächst bei Thieren zu bekämpfen, wie wir dies in unserem ersten Artikel in Nr. 2 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ auseinandergesetzt haben. Es ist uns, als ob Märchenträume in Erfüllung gingen, und wir möchten ausrufen: „O Zeitalter, in dem wir leben!“ C. F.