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Heimerlass

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Gesetzestext
unkorrigiert
Titel: Erlass des Württembergischen Innenministers vom 7. November 1938
Abkürzung: Heimerlass
Art:
Geltungsbereich: Württemberg
Rechtsmaterie:
Fundstelle:
Fassung vom:
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung:
Inkrafttreten:
Anmerkungen:
aus: Vorlage:none
Quelle: Blätter der Wohlfahrtspflege. Nr. 11/1938, Chr. Scheufele, Stuttgart 1938, S. 199 ff.
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[199]

Erlaß des Württ. Innenministers vom 7. November betr. öffentliche Jugendfürsorge [1]


Der Württ. Innenminister

Nr. IX 1418.

Stuttgart-S, den 7. November 1938


An
die Landräte,
den Landesjugendarzt,[2]
die Gesundheitsämter,
die Württ. Landesfürsorgebehörde,[3]
die Leiter der kreisfreien Städte und
die Zentralleitung für das Stiftungs- und Anstaltswesen in Württemberg.[3]
Betreff: Öffentliche Jugendfürsorge
(Heim- und Familienerziehung).
Von jeher muß ein Teil der deutschen Jugend außerhalb ihrer Familie in Heimen (Erziehungs- und Pflegeanstalten) erzogen und betreut werden. Zunächst sind es nicht wenig Minderjährige, die auf Veranlassung ihrer Angehörigen oder ihres Vormunds auf eigene Kosten einem Heim übergeben werden. Wesentlich größer ist aber die Zahl derjenigen, die von einer Behörde eingewiesen werden, sei es, daß sie in Fürsorgeerziehung stehen, oder daß das Jugendamt als Amtsvormund oder ein Wohlfahrtsamt im Weg der Minderjährigenfürsorge die Anordnung getroffen hat. Im ganzen sind es in Württemberg am 1. September 1938 nicht weniger als 5209 Minderjährige gewesen, die in Heimen der freien Wohlfahrtspflege lebten (darunter 1087, die nicht vollsinnig oder körperbehindert sind). Die Insassen der staatlichen Waisenhäuser und der staatlichen Heime für Blinde und Gehörlose sind dabei noch nicht berücksichtigt. Bei der Einweisung in ein Heim ist zwar von jeher auf bestimmte Gesichtspunkte, besonders auf das Lebensalter, das Geschlecht und das Bekenntnis Rücksicht genommen worden, es ist aber unverkennbar, daß innerhalb dieser Gruppierungen in den württ. Heimen mit Ausnahme der staatlichen Anstalten seither nicht selten Minderjährige gemeinsam erzogen werden, die nach ihrer ganzen Wesensart nicht zusammengehören.
Der nationalsozialistische Staat legt größtes Gewicht darauf, daß mit der gesamten Jugend unseres Volkes, soweit sie überhaupt erziehungs- und gemeinschaftsfähig ist, das höchstmögliche Erziehungsziel, die Schaffung vollwertiger, gemeinschaftstüchtiger Volksgenossen erreicht wird. Er bevorzugt deshalb grundsätzlich die Familienerziehung, deren Vorteile gegenüber der Heimerziehung nicht zu verkennen sind. Trotzdem müssen, wie die obigen Zahlen zeigen, allein in Württemberg ständig mehrere tausend Jugendliche in geschlossenen Heimen erzogen werden, sei es, daß die persönlichen Verhältnisse der Minderjährigen sie für Familienerziehung ungeeignet machen, oder daß eine geeignete Familienpflegestelle für sie nicht vorhanden ist. Die Heime der freien Wohlfahrtspflege müssen es als einen großen Vertrauensbeweis betrachten, daß ihnen auch im Dritten Reich so viel Jugendliche zur Führung überlassen und daß sie dazu durch beträchtliche laufende Staatsbeiträge in den Stand gesetzt werden. Ich erwarte aber auch von ihnen, daß sie dieses Vertrauen rechtfertigen und nicht nur das körperliche und geistige Wohl ihrer Zöglinge im Auge haben, sondern sich in ihrer ganzen Erziehungsarbeit auch aufgeschlossen für die Forderungen des Nationalsozialismus erweisen.
Daß die württ. Heime in der Vergangenheit bei bescheidenen Verpflegungssätzen Gutes geleistet und ihre Zöglinge nach bestem Vermögen für das Leben vorbereitet haben, anerkenne ich gerne; heute gilt es aber, die Arbeit der Heime noch planmäßiger zu gestalten, damit auch derjenige Teil der deutschen Jugend, der auf Heimerziehung angewiesen ist, so weit gefördert wird, als es nach seiner Veranlagung irgend möglich ist. Es ist deshalb grundsätzlich zu verlangen, daß in einem Heim jeweils nur solche Kinder bzw. Jugendliche gemeinsam erzogen werden, für die gleiche Erfolgsaussichten vorhanden sind, da sonst notwendig die körperlich, geistig und charakterlich günstiger Veranlagten durch die Rücksicht auf die ungünstiger Veranlagten aufgehalten werden.
Diese Erwägung macht es notwendig, die heimerziehungsbedürftigen Minderjährigen in folgende Gruppen einzuteilen:
Gruppe I: die geistig normalen und erbgesunden Minderjährigen;
Gruppe II: die normalbegabten Körperbehinderten, Gehörlosen und Blinden;
Gruppe III: die erbgeschädigten Minderjährigen sowie solche mit Erscheinungen fortgeschrittener Verwahrlosung (Erbschädigungen leichten Grades schließen die Zuteilung zur Gruppe I nicht aus);
Gruppe IV: die stark unterbegabten, die schwachsinnigen und die schwer psychopathischen Minderjährigen;
Gruppe V: die Zigeuner und Zigeunerähnlichen.
a) Für vorschulpflichtige Kinder ist diese Einteilung in der Regel von geringerer Bedeutung, weil die besondere Veranlagung in der Mehrzahl der Fälle noch kaum hervortritt. Offenkundige Zugehörigkeit zur Gruppe II, IV oder V muß natürlich schon in diesem Alter berücksichtigt werden. Hat insbesondere ein vorschulpflichtiges Kind Anzeichen einer regelwidrigen Veranlagung an sich, die auf die Zugehörigkeit zur Gruppe IV hinweisen, oder ist es sippenmäßig erheblich belastet, so ist vor der Wahl des Heims dem Landesjugendarzt Gelegenheit zur Begutachtung zu geben. Der letztere wird sich vor seiner Stellungnahme in der Regel mit dem beteiligten Gesundheitsamt und dem Anstaltsberichterstatter der Zentralleitung für das Stiftungs- und Anstaltswesen in Württemberg ins Benehmen setzen.

[200]

Im übrigen können vorschulpflichtige Kinder wie bisher in einem der württ. Heime für Säuglinge und Kleinkinder untergebracht werden, die zur Aufnahme solcher Kinder für geeignet erklärt sind.
b) Für alle Minderjährigen, die auf die Betreuung in einem Erziehungsheim angewiesen sind und nicht zu den Vorschulpflichtigen gehören, muß für die Zukunft der Grundsatz gelten, daß sie nur mit Minderjährigen zusammen erzogen werden, die zur gleichen Gruppe zählen. Die Behörden dürfen sonach Schulpflichtige oder Schulentlassene nicht ohne weiteres in ein Heim einweisen, das ihnen nach Alter, Geschlecht und Bekenntnis des Minderjährigen und allenfalls noch nach der Lage des Heims und der Höhe des Verpflegungsgelds passend erscheint, sondern die Behörden sind gehalten, sich zunächst darüber Gewißheit zu verschaffen, welcher der vorgenannten Gruppen der Minderjährige zuzuzählen ist. Es ist daher künftig von der Fürsorgeerziehungsbehörde und auch von den Jugend- und Kreisfürsorgebehörden jeweils zunächst der Landesjugendarzt zu befragen, wie der Minderjährige zu beurteilen ist (Gruppe), und ob Familien- oder Heimerziehung zu wählen ist. Der Landesjugendarzt wird auch hier sich zunächst mit dem zuständigen Gesundheitsamt ins Benehmen setzen, um dessen Kenntnisse (Kartei) auszuwerten, außerdem aber auch mit dem Anstaltsberichterstatter der Zentralleitung für das Stiftungs- und Anstaltswesen mit Rücksicht auf die erzieherischen Gesichtspunkte. Es wird dann, soweit nicht nach Nr. 2 zu verfahren ist, an Hand der Akten oder auch nach vorgängiger Untersuchung des Minderjährigen ein Vorschlag zustande kommen, den sich die einweisende Behörde ohne weiteres zu eigen machen kann.
Ist die Heimunterbringung so dringlich, daß das vorstehend beschriebene Verfahren nicht vorher durchgeführt werden kann, also namentlich in Fällen vorläufig angeordneter Fürsorgeerziehung, so können die Behörden einen Minderjährigen von sich aus einem geeignet erscheinenden Heim übergeben. Die Leitung dieses Heims wird dann dem Landesjugendarzt den Eingewiesenen unter kurzer Angabe seiner Personalverhältnisse und des Einweisungsgrundes alsbald melden und gleichzeitig einen Durchschlag davon der Zentralleitung für das Stiftungs- und Anstaltswesen übersenden.
Es wird immer wieder vorkommen, daß es einer zeitweiligen Beobachtung bedarf, bis über einen Minderjährigen ein genügend zuverlässiges Urteil gewonnen werden kann. Zu diesem Zweck sind Beobachtungsheime notwendig, in welchen die dafür in Betracht kommendem Minderjährigen der schulpflichtigen und der schulentlassenen Jahrgänge einige Zeit, in der Regel 4–6 Wochen, beobachtet werden. Die Einweisungen sind zu beendigen, sobald ein genügend sicheres Gutachten über die Art der Erziehung des Minderjährigen erstattet werden kann. Muß ein solcher in dem Beobachtungsheim zugleich an einer Krankheit behandelt werden, so bleibt er dort, bis er geheilt ist oder in andere Pflege abgegeben werden kann. Alle Gutachten des Landesjugendarztes sind kurz abzufassen, sollen aber die für seinen Vorschlag wesentlichen Gesichtspunkte in einer auch für den Nichtarzt verständlichen Weise erkennen lassen.
Beobachtungsheime sind die nachstehenden Heime:
a) für schulpflichtige Kinder und für schulentlassene Männliche bis zu 16 Jahren das Jugendheim der Universitätsklinik in Tübingen, Frondsbergstraße 16 und die psychiatrische Abteilung der städt. Kinderheime in Stuttgart (Anschrift: Stuttgart-N, Untere Birkenwaldstraße 10);
b) für schulentlassene Männliche über 16 Jahren die Anstalt Schönbühl;
c) für schulentlassene Weibliche das Fürsorgeheim Oberurbach.
Wird wegen besonderer Dringlichkeit ein Minderjähriger ausnahmsweise ohne vorherige Anhörung des Landesjugendarztes einem Beobachtungsheim zugeführt, so gilt der letzte Absatz von Nr. 1 entsprechend.
Die Gruppierung der Minderjährigen nach ihrer körperlichen, geistigen und charakterlichen Veranlagung muß zur Folge haben, daß auch die Heime, die für ihre Erziehung in Württemberg bereitstehen, entsprechend eingeteilt werden, und daß von jetzt an Minderjährige erstmals nur einem solchen Heim zugeführt werden dürfen, das im Nachstehenden für die betreffende Gruppe von mir bestimmt worden ist. Dabei bin ich mir bewußt, daß verschiedene größere Heime zugleich für mehrere Gruppen notwendig sind. Sie sind insoweit in der folgenden Zusammenstellung für jede dieser Gruppen aufgeführt, haben es sich jedoch zur Pflicht zu machen, die Minderjährigen jeder Gruppe soweit irgend möglich, gesondert zu betreuen.
Unbeschadet der durch die Anstaltssatzung näher geregelten Zweckbestimmung ordne ich im Einvernehmen mit dem Herrn Kultminister in widerruflicher Weise an:
Schulpflichtige Kinder dürfen aufnehmen
von Gruppe I:
die staatlichen Waisenhäuser in Schwäb. Gmünd und Ochsenhausen, die Paulinenpflege in Kirchheim/Teck, das Bruderhaus in Reutlingen mit seinen Zweiganstalten, jedoch ohne Rodt, die Paulinenpflege in Stuttgart, die Anstalten Lichtenstern, Gemeinde Löwenstein und Karlshöhe in Ludwigsburg, das St. Antoniusheim in Salzstetten, das Canisiushaus in Schwäb. Gmünd, die St. Annapflege in Leutkirch und die israelitische Wilhelmspflege in Eßlingen;
von Gruppe II:
die staatlichen Gehörlosenschulen mit Heim in Bönnigheim und Schwäb. Gmünd, die private Gehörlosenschule mit Heim St. Josef in Schwäb. Gmünd, die A. H. Werner’sche Anstalt in Ludwigsburg, sowie die Nikolauspflege in Stuttgart (private Blindenschule mit Heim) und die private Blindenschule mit Heim in Heiligenbronn; die staatliche Schwerhörigenschule in Nürtingen besitzt kein Heim; sie bringt die Kinder in Familienpflege unter;

[201]

von Gruppe III:
die Erziehungsanstalten in Korntal und Wilhelmsdorf, die Sophienpflege in Tübingen-Lustnau, das Erziehungsheim Stammheim bei Calw, die Wilhelmspflege in Plieningen, die Erziehungsanstalten Tempelhof, Herbrechtingen und Tuttlingen, die Piuspflege in Oggelsbeuren, die St. Vinzentiuspflege in Donzdorf, St. Franziskus in Heiligenbronn, die Elisabethenpflege in Schönebürg und die Marienpflege in Ellwangenz;
von Gruppe IV:
die Zweiganstalt Rodt des Bruderhauses, die Paulinenpflege in Winnenden, die Marienpflege in Ellwangen, die Heil- und Pflegeanstalten in Stetten i. R. und Mariaberg, die St. Galluspflege in Liebenau, das St. Gertrudisheim in Rosenharz, die Pflegeanstalt Ingerkingen, ferner die privaten Gehörlosenschulen mit Heim in Wilhelmsdorf, Schwäb. Gmünd (St. Josef) und Heiligenbronn, endlich das private Heil- und Erziehungsinstitut in Eckwälden bei Voll;
von Gruppe V:
Die St. Josefspflege in Mulfingen.
Den Heimen für schulpflichtige Kinder kann das Landesjugendamt auf begründete Ansuchen ausnahmsweise gestatten, ihre Zöglinge nach Ablauf der Schulpflicht bis auf weiteres zu behalten und zu beschäftigen, soweit sie sich dafür eignen.
Schulentlassene sind als heimerziehungsbedürftig nur dann zu betrachten, wenn sie nicht in einen Dienst oder in eine freie Lehre gegeben werden können. Insoweit stehen folgende Anstalten zur Verfügung:
für Gruppe I:
die Fürsorgeheime in Göppingen und Heidenheim, die Paulinenpflege in Stuttgart, das Bruderhaus in Reutlingen und seine Zweiganstalten ohne Rodt, das St. Konradihaus in Schelklingen, die Fürsorgeheime in Leonberg, Oberensingen, Hebsack und Schönebürg;
für Gruppe II:
die A. H. Werner’sche Anstalt in Ludwigsburg, die Nikolauspflege in Stuttgart (private Blindenschule mit Heim), die privaten Gehörlosenschulen mit Heim St. Josef in Schwäb. Gmünd und Heiligenbronn, die private Blindenschule mit Heim in Heiligenbronn und die Berufsschule für Gehörlose mit Heim in Winnenden;
für Gruppe III:
die Fürsorgeheime in Göppingen, Heidenheim, Schönbühl und Schelklingen, die Erziehungsheime in Oberurbach, Leonberg, Oberensingen, Donzdorf und Untermarchtal;
für Gruppe IV:
das Bruderhaus in Reutlingen und seine Zweiganstalten ohne Rodt, die Fürsorgeheime Schönbühl, Schelklingen, Oberurbach, Untermarchtal, die Pflegeanstalten Mariaberg und Schwäb. Hall, sowie das Beschäftigungs- und Bewahrungsheim in Buttenhausen, die Anstalt Tempelhof (zur Anlernung landwirtschaftlicher Hilfskräfte), ferner die Heil- und Pflegeanstalten Stetten i. R., Liebenau und Rosenharz, die private Gehörlosenschule mit Heim in Wilhelmsdorf, die staatliche Heilanstalt Zwiefalten, endlich das private Heil- und Erziehungsinstitut in Eckwälden bei Voll.
Bei Schulentlassenen der Gruppe V ist über die Einweisung in ein Heim von Fall zu Fall zu entscheiden.
Die vorstehende Gruppierung der Erziehungs- und Pflegeanstalten läßt meine bisherigen Verfügungen im Sinn des Art. 20 des Landesjugendwohlfahrtsgesetzes (LJWG.) vom 23. November 1927 (Reg.Bl. S. 329) über die Eignung zur Unterbringung von Minderjährigen (Fürsorgezöglingen) unberührt.
Die Fürsorgeerziehungsbehörde sowie die Jugendämter und Fürsorgebehörden werden angewiesen, sich bei der Unterbringung Minderjähriger in Heimen an die vorstehende Ordnung zu halten. Wo bei Einweisungen von dem Gutachten des Landesjugendarztes und damit von der Einteilung der Heime ausnahmsweise abgewichen werden möchte, ist von der einweisenden Stelle – tunlichst vorher – die Zustimmung des Landesjugendamts einzuholen. Sind Minderjährige in das Arbeits- und Bewahrungsheim Buttenhausen, in die staatliche Heilanstalt Zwiefalten oder in die Provinzialanstalt Brauweiler bei Köln eingewiesen worden, so ist darüber unter Anschluß der Akten dem Landesjugendamt unverzüglich zu berichten, das sich eine Nachprüfung vorbehält.
Für die Erziehungsheime bedeutet die neue Ordnung, daß sie grundsätzlich nur solche Minderjährige aufnehmen dürfen, für deren Gruppe sie bestimmt sind. Es ist sonach jede Heimleitung dafür verantwortlich, daß der von ihr aufgenommene Minderjährige nach seiner Gruppe in das Heim gehört. Dies gilt auch für private Einweisungen. Jugendliche, die nicht offensichtlich einer fremden Gruppe angehören und aus diesem Grund abgewiesen werden müssen, kann der Heimleiter auf Wunsch des privaten Erziehungsberechtigten zunächst aufnehmen, er muß sie aber dem Landesjugendarzt sofort melden und eine kurze Darstellung des Falles beifügen. Ein Durchschlag davon ist der Zentralleitung für das Stiftungs- und Anstaltswesen in Württemberg zu übersenden.
Übergangsweise wird es nicht beanstandet, wenn die bei dem Erscheinen dieses Runderlasses bereits eingewiesenen Minderjährigen in ihrem Heim belassen werden, auch wenn sie ihrer Gruppe nach in ein anderes gehören würden, es sei denn, daß in einzelnen Fällen der Landesjugendarzt oder der Anstaltsaufsichtsbeamte die sofortige Wahl eines anderen Heims als unabweislich bezeichnen sollte.
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Erziehung eines Minderjährigen in einer Familie vor derjenigen in einem Heim im allgemeinen zu bevorzugen ist. Daraus ergibt sich, daß es untunlich ist, die Betreuung heranwachsender Menschen in einem geschlossenen Heim länger als notwendig fortzusetzen, weil sie dort nicht so lebensnah erzogen werden können, wie es in einer guten Pflegefamilie der Fall ist. Die Fürsorgeerziehungsbehörde sowie die Jugendämter müssen [202] daher von Zeit zu Zeit prüfen, ob die Heimerziehung nicht beendigt und der Minderjährige anderweitig untergebracht werden kann. Die wirtschaftlichen Belange des Heims dürfen dabei nicht entscheidend sein. Eine solche Prüfung ist vor allem dann nötig, wenn ein in einem Heim untergebrachtes Kind in das schulpflichtige Alter kommt, oder wenn es aus der Schule entlassen wird. Es darf nicht mehr vorkommen, daß ein geistig und körperlich normaler Minderjähriger, z. B. eine Waise, von früher Jugend an bis zum Eintritt ins freie Leben nur in Heimen geweilt hat. Allerdings setzt das Bemühen, den Heimaufenthalt auf das notwendige Maß zu beschränken, voraus, daß den Behörden andere geeignete Unterbringungsmöglichkeiten in genügendem Umfang zur Verfügung stehen. In nicht seltenen Fällen werden sich während des Heimaufenthalts die häuslichen Verhältnisse soweit gebessert haben, daß der Jugendliche dem Elternhaus wieder zurückgegeben werden kann. Wo dies nicht möglich ist, ist an eine private Pflegefamilie zu denken, zu deren Vermittlung besonders die Jugendhilfe der NS-Volkswohlfahrt bei den Kreisamtsleitungen bereit ist (vgl. § 67 der Vollz.VO. zum LJWG., sowie den Runderlaß des Landesjugendamts an die Jugendämter vom 22. Dezember 1937 Nr. IX 2113).
Umgekehrt ist aber auch bei Minderjährigen, die in Familienpflege sind, von Zeit zu Zeit zu prüfen, ob sie sich nach ihrer Entwicklung für Familienpflege weiterhin noch eignen und ob ihre Pflegestelle sich für sie noch als geeignet erweist oder eine andere Familienpflegestelle ihren Bedürfnissen besser entspricht (vgl. Art. 22 Abs. 4 LJWG und §§ 19 und 20 der Vollzugsverordnung hiezu vom 19. März 1928, Reg.Bl. S. 23). Das Urteil der Fürsorgerinnen und der NS-Jugendhilfe fällt dabei besonders ins Gewicht. Für diese Prüfung ist bei den in Familien aufwachsenden schulpflichtigen Pflegekindern die Zeit des 2. Schuljahres der gegebene Zeitpunkt. Es empfiehlt sich in Anstandsfällen Beiziehung des Klassenlehrers und des Landesjugendarztes. Das Ergebnis und das Verfügte ist aktenkundig zu machen.
Die Fürsorgeerziehungsbehörde erhält schon bisher auf Grund von § 74 Abs. 4 und § 76 Abs. 1 Satz 2 der Vollz.VO. zum LJWG. jährlich mindestens einmal Berichte über die Entwicklung und das Ergehen der Fürsorgezöglinge. Dadurch ist es ihr möglich, die etwa notwendigen Maßnahmen zu treffen. Die Jugendämter und Kreisfürsorgebehörden werden hiermit ebenfalls angewiesen, sich regelmäßig wenigstens einmal jährlich über das Ergehen der von ihnen in Heimen, Familienpflegestellen oder Lehrstellen untergebrachten Minderjährigen zu vergewissern, das Ergebnis auszuwerten und dann ihren Akten einzuordnen. Nötigenfalls werden sich die beteiligten Stellen dabei gegenseitig Amtshilfe leisten. Schriftliche Auskünfte müssen sorgfältig und genügend ausführlich sein, damit aus ihnen alles ersichtlich ist, was zur Beurteilung des Minderjährigen und seiner Unterbringung wissenswert ist. Würde in Fällen von Familienerziehung festzustellen sein, daß eine Familie den ihr anvertrauten Minderjährigen mangelhaft verpflegt oder erzieherisch ungeeignet ist, so wäre für rasche Abhilfe zu sorgen. Ungünstige Wahrnehmungen über Erziehungsheime sind der Zentralleitung für das Stiftungs- und Anstaltswesen mitzuteilen, die auch jederzeit bereit ist, den Fürsorgebehörden und Jugendämtern Auskünfte auf dem Gebiet des Anstaltswesens zu geben.
Es ist nicht zweifelhaft, daß die Beobachtungsheime (Abschnitt I, 2) sich bewähren werden. Wünschenswert sind für Württemberg freilich noch halboffene Übergangsheime, in denen Schulpflichtige und Schulentlassene kürzere oder längere Zeit namentlich dann zubringen können, wenn sie bisher in geschlossener Heimfürsorge gelebt haben und vor der Rückkehr in das freie Leben stehen oder wenn sie vorübergehend dem Elternhaus entnommen werden sollen. An solchen Übergangsheimen mit ihrer aufgelockerten Erziehung fehlt es noch abgesehen von dem Heim der Stadt Stuttgart für Jugendliche, das für männliche Jugendliche aus Stuttgart bestimmt ist und nur ausnahmsweise sonstige junge Leute nach besonderer Vereinbarung aufnimmt. Diese Aufgabe hat sich die NS.-Volkswohlfahrt gestellt, und es ist Sache aller in Betracht kommenden Stellen, an ihrer Verwirklichung mitzuarbeiten.
Die Landräte und die Leiter der kreisfreien Städte werden diesen Erlaß den ihnen unterstellten Wohlfahrtsbehörden (Jugendämter, Kreisfürsorgebehörde, Städt. Wohlfahrtsämter) eröffnen, wofür Mehrfertigungen beiliegen. Weitere Stücke können im Bedarfsfall von der Registratur des Innenministeriums bezogen werden. Die Zentralleitung für das Stiftungs- und Anstaltswesen wird ersucht, je eine Mehrfertigung den Erziehungs- und Pflegeanstalten für Minderjährige sowie der NS.-Volkswohlfahrt, Gauamtsleitung Württemberg-Hohenzollern, dem Württ. Landesverband für Innere Mission und dem Caritasverband zuzustellen.
Dr. Schmid.


Anmerkungen (Wikisource)

[Bearbeiten]
  1. Erlaß des Württembergischen Innenministers vom 7. November 1938 (Aktenzeichen IX 1418). Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 151/09 Bü 442.
  2. Dr. Max Eyrich
  3. a b Karl Mailänder in Personalunion