Hervorragende Persönlichkeiten in Dresden und ihre Wohnungen: Arthur Schopenhauer
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[175] Nr. 167. Schopenhauer, Arthur, Dr., 1788–1860, Sohn eines Hamburger Großkaufmanns, ist als einer der hervorragendsten deutschen Philosophen bekannt. Bei seinen Universitätsstudien wandte er sich zunächst den Naturwissenschaften, später der Philosophie zu, der er dann auch treu blieb. Infolge entstandener Unstimmigkeiten zwischen ihm und seiner Mutter, der geistreichen, lange Zeit in Weimar wohnenden Romanschriftstellerin Johanna Schopenhauer, kam er im Jahre 1814 zu einem mehrjährigen Aufenthalte nach Dresden.
Schon früher war er, wenn auch immer nur vorübergehend, hier gewesen, wie folgende Angaben „aus den Fremdenbüchern der Dresdner Kunstkammer von Konrad Heyn, der Mitteilungen aus den Sächsischen Kunstsammlungen, Band VI (1915)“ und in Fremdenlisten des Dresdner Anzeigers beweisen. Diese Angaben wurden mir von dem hiesigen hervorragenden Sinfoniker Herrn Paul Büttner freundlichst zur Verfügung gestellt und von mir nachgeprüft. In dem Bericht „Mitteilungen aus den Sächsischen Kunstsammlungen“ heißt es S. 12 wörtlich: „Stud. philos. Arthur Schopenhauer kam von Berlin aus mit drei Kommilitonen am 17. September 1812 nach Dresden, die Kunstkammer zu besuchen. 1817 (ohne nähere Angabe eines Datums) wiederholte er den Besuch.“ Ob er sich und bez. wie lange mit seinen Studiengenossen damals in unserer Stadt aufgehalten und wo er gewohnt hat, war leider nicht zu ermitteln. – In den seit 1804 erscheinenden Fremdenlisten des Dresdner Anzeigers findet man im Jahrgange 1813 folgende Mitteilung: „Einpassirt. 22. May. Hr. Stud. Schoppenhauer aus Weimar, [176] Stadt Weimar.“ Dieser Gasthof, damals Seegasse 46, infolge Verlegung der Haustür jetzt Breite Straße 1 (O.-Nr. 466), führt schon seit den 1840er Jahren den Namen „Rheinischer Hof“. Zweck und Dauer des diesmaligen Besuchs Sch's. sind unbekannt. – Über die nächste Ankunft des Philosophen in Dresden meldet der Anzeiger vom Jahre 1814: „Einpassirt. 24. May. Hr. D. philos. Schopenhauer aus Weimar, im Kl. Rauchhaus.“ Dieser Gasthof umfaßte, als Sch. dort sein Heim aufgeschlagen hatte, die beiden Häuser Scheffelgasse Nr. 160 und 161; später beschränkte sich der Betrieb nur auf das ersterwähnte Gebäude, jetzt Scheffelstraße 19 (O.-Nr. 575), das heutzutage Gäste nicht mehr beherbergt, sondern nur bewirtet und unter dem Namen „Zum Hirsch am Rauchhaus“ bekannt ist.
Nur kurze Zeit blieb Sch. im Gasthofe, dann siedelte er in das Gebäude über, in dem er sich für seinen geplanten mehrjährigen Aufenthalt in Dresden eine günstig gelegene, ruhige und geräumige Wohnung gemietet hatte. Sie befand sich in dem Hause Ostra-Allee Nr. 897, das schrägüber vom Eingange der Stallstraße in der Hoheiten oder der Herzogin (Sophie) Garten stand. Leider ist dieser nach mehr als dreihundertjährigem Bestehen seit dem Herbste 1916 größtenteils geräumt. – Das Gebäude, in dem Sch. nun reichlich vier Jahre wohnte, gehörte im ersten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts dem Arzte Dr. Mittelhäuser, bei dem der kurfürstliche Hausmarschall Peter August v. Schönberg, der Vater der nachmaligen Gräfen Charlotte v. Kielmannsegge, oft vorsprach, auch einmal gelegentlich einer Kur längere Zeit gewohnt hat. Von dem Arzte ging das Haus an seine Witwe über, deren Erbe die kleinere Hälfte des ziemlich umfangreichen Grundstückes den beiden vereinigten Freimaurerlogen „Zu den drei Schwertern und Asträa zur grünenden Raute“ und „Zum goldenen Apfel“ käuflich überließ. Hier wurde nun in den Jahren 1837 und 1838 das heute noch stehende vordere Logenhaus errichtet. Die größere Hälfte des Mittelhäuser'schen Grundstückes mit dem Wohnhause erwarb der Staat, der das letztere niederreißen und das erkaufte Gebiet mit der Herzogin Garten vereinigen ließ. (Vergl. Dr. Severus, Licht ins Dunkel der Verhüllung: Das wahre Lebens- und Charakterbild der Gräfin v. Kielmannsegge-Schönberg. S. 13, 14.) Zuletzt trug das erwähnte Gebäude die Hausnummer 8 und die O.-Nr. 2067. Wie er geplant, widmete sich Sch. in unserer Stadt mit allem Eifer wissenschaftlichen Arbeiten. Während seines Aufenthaltes in Weimar bei seiner Mutter 1813 und 1814 war er mit Goethe in Verkehr getreten, dessen Farbenlehre den Philosophen veranlaßte, in Dresden eine Abhandlung „Über das Sehen und die Farben“ zu veröffentlichen. Hier schrieb er auch sein Hauptwerk: „Die Welt als Wille und Vorstellung“, in dem er nach seinem eigenen Bekenntnisse „ein neues philosophisches System aufstellte“. – Über seinen Arbeiten vergaß Sch. nicht den geselligen Verkehr zu pflegen. Gern traf er sich mit Mitgliedern des Liederkreises bei dem Italiener und Weinstubeninhaber Chiappone, aber auch im Italienischen Dörfchen, später Helbigs am Theaterplatz, und auf dem Belvedere. Freilich fällte er bei den leicht entstehenden Wortgefechten oft sehr harte, wenn auch humorvolle [177] Urteile über seine Gegner, die ihm dann zürnten, was ihn veranlaßte, den Umgang mit ihnen schließlich einzustellen. Von nun an lebte er ziemlich zurückgezogen, bis er 1818 Dresden verließ.
Eine höchst anziehende Schilderung von den damaligen literarischen Zuständen in Dresden, von Sch's. Charakter und seinen Beziehungen zu den bedeutenden hiesigen Schriftstellern jener Zeit bietet Oskar Walzel in den Sonntags-Beilagen Nr. 34, 35 und 36 des Dresdner Anzeigers 1916. – Obgleich dieser längste Aufenthalt Sch's. in unserer Stadt reichlich vier Jahre dauerte, findet sich sein Name in dieser Zeit in den Dresdner Adreßbüchern nicht verzeichnet. Erst im Buche von 1819 wird der Philosoph unter dem Namen „Anton Schoppenhauer“ aufgeführt, so daß er damals noch als Einwohner Dresdens gegolten haben muß. Dafür spricht auch der Wortlaut folgender Mitteilung in der Fremdenliste des Dresdner Anzeigers vom August 1819, worin die erneute Ankunft des Philosophen gemeldet wird. „Am 25. Aug. Einpassirt. Hr. Dr. phil. Schopenhauer allhier von Leipzig, zur St. Gotha“, damals Schloßgasse Nr. 294, jetzt Schloßstraße 11 (O.-Nr. 724).
Wie aus einem kurzen, aber nicht unterzeichneten Aufsatze der Sonntagsbeilage Nr. 57 des Dresdner Anzeigers vom 11. September 1910 hervorgeht, hat sich Sch. nach 1818 noch zweimal in unserer Stadt aufgehalten. Erst weilte er hier vom August 1819 bis März 1820, nachdem er von seiner ersten italienischen Reise zurückgekehrt war.
Dieses Aufenthaltes gedenkt auch Dr. Georg Müller in einem Aufsatze der Sonntagsbeilage Nr. 37 des Dresdner Anzeigers von 1916. Darin teilt er mit, daß Sch. am 19. Oktober 1819 und am 8. März 1820 persönlich auf dem (alten) Rathause gewesen ist, um Zinsscheine und Wechsel abzuholen, die er im Juli 1814 in der Kommissionsstube zu gerichtlicher Verwahrung übergeben hatte. Freilich wäre es, wie Dr. Müller annimmt, auch möglich, daß in beiden Fällen Sch. nur auf der Durchreise nach Dresden gekommen sei. Auch den Winter von 1824–1825 verlebte Sch. in Dresden, um hier endlich das Ende eines gegen ihn bereits 1821 angestrengten Rechtsstreites herbeizuführen. Eine ältere hiesige Näherin, gegen die der Philosoph augenscheinlich tätlich vorgegangen war, weil sie seine häusliche Ruhe empfindlich gestört haben sollte, hatte ihn verklagt. Alle zuständigen Gerichtsstellen verurteilten ihn. – Leider ist von diesen zwei Besuchen Sch's. in Dresden nicht bekannt, wo er gewohnt und womit er sich beschäftigt hat. – Nach seinem Weggange im Jahre 1818 war er von 1820 an längere Zeit als philosophischer Lehrer an der Universität zu Berlin tätig, siedelte aber 1831 nach Frankfurt a. M. über, wo er bis zu seinem Tode lebte und sich die Ergänzung seiner philosophischen Arbeiten angelegen sein ließ.
Seit dem Frühjahre 1912 besitzt unser Stadtmuseum eine vom verstorbenen Bildhauer Walther Sintenis geschaffene Marmorbüste Sch's., die vom Vorstande der Tiedge-Stiftung angekauft und unserer Stadt geschenkt worden ist.