Hieronymus Lorm (Die Gartenlaube 1878/2)
Mein Lied.
Ich klage nicht, daß mir kein Ruhm erblüht;
Die Welt belohnt nur, was von Weltluft glüht.
Ich singe nicht als Wachtel im Getreid’;
Ich singe wie der Hirsch nach Wasser schreit.
Wer mich vernimmt, dem ist das Auge naß;
Er holt tief Athem, vor Erregung blaß.
Die Welt vernimmt mich nicht – sie findet schnell
Und mühelos im Sumpf der Freude Quell.
Wär’s anders – ich verstummte. Denn mein Lied
Ist nur der Geist, vor dem die Welt entflieht,
Der, wenn sie schläft im Dunkeln, still erwacht –
Der Mutterschooß des Sternes ist die Nacht.
Der Waldmann.
Im Walde haust ein alter Mann,
Der kaum sein Leben fristen kann.
Er trinkt vom Quell; er pflückt sich Beeren;
Sein Kleid will nicht dem Winter wehren.
Er hat kein Glück in dieser Welt
Und keinen Gott im Himmelszelt.
Er hat kein Weib, kein Kind und Keinen,
Der mit ihm möchte lachen, weinen.
Vor seiner Höhle traf ich ihn –
Da kam die Frage mir zu Sinn:
Warum, o Himmel! lebt dies Leben
Und hat sich nicht den Tod gegeben?
Als ich die Worte laut gewagt,
Hat er die Antwort mir gesagt:
„Mir ist kein Baum noch vorgekommen,
Der selbst die Axt zur Hand genommen.
Ich lebe wie der Baum: ich muß.
Ich lebe nach des Schicksals Schluß,
Und kann ich nicht versteh’n das harte –
Es hat mich hergepflanzt – ich warte.
Hab’ mir das Leben nicht bestellt
Und nicht verlangt auf diese Welt,
Gesorgt nicht, daß ich sei auf Erden,
Und sorg’ nicht, was soll weiter werden.“
- ↑ Proben aus den durch eigenartige Weltanschauung und ergreifende Innerlichkeit ausgezeichneten „Neuen Gedichten“ (Dresden, E. Pierson) des geistvollen Dichter-Philosophen, dem wir in unserer Nr. 35, 1877, ein freudig anerkennendes biographisches Denkmal gesetzt haben. Die in der eben erwähnten Sammlung niedergelegten lyrischen Poesien Lorm’s werden sicherlich die verdiente allgemeine Verbreitung finden. D. Red.