Hildesheim (Gartenlaube 1899)

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Autor: Adolf Vogeler
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Titel: Hildesheim
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 173–175
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[168]

1. Knochenhaueramtshaus. 2. Haus am Hohenwege. 3. Altdeutsche Herberge. 4. Dom. 5. Bernwardsäule. 6. Säulenhaus am Andreasplatz. 7. Michaeliskirche. 8. Eckemecker Straße mit Andreaskirche. 9. Rolandstift.
Ansichten von Hildesheim.
Nach einer Originalzeichnung von Richard Püttner.


[173]

Hildesheim.

     Erker am Kaiserhaus.

Weit in den deutschen Landen ist Hildesheim bekannt. Der „tausendjährige“ Rosenstock, der an seinem Dom emporrankt, hat einen Weltruf, und die Sage, die sich an ihn knüpft, lernt die Jugend in der Schule. Die Scharen der Touristen, die den Harz durchwandern, zieht es nach Hildesheim. Hat man doch die Stadt „das norddeutsche Nürnberg“ genannt und preist die Denkmäler alter Kunst, die hier in reichster Fülle zu schauen sind.

Wo der Harz seine letzten Ausläufer gegen den Norden aussendet und die Innerste, durch keinen Gebirgszug mehr gehemmt, durch ebener gewordenes Land langsam dahinfließt, erstreckt sich eine fruchtbare und freundliche Landschaft. Mit dunklen Wäldern reich geschmückte Höhenzüge bilden ihren Rahmen, prangende Felder wechseln mit grünen Wiesen ab, und Dorf reiht sich an Dorf. Inmitten dieses friedlichen Geländes ragen die stolzen Türme von Hildesheim empor.

Der „tausendjährige“ Rosenstock am Dom.

Wir stehen hier an einer uralten Stätte menschlichen Schaffens und Wirkens; denn an diesem Punkte, in dem alle Wege sich schneiden, die von den Bergen herabführen, befand sich, wie vorgeschichtliche Funde beweisen, schon lange vor christlicher Zeit eine Ansiedelung. Berühmt sind die Ausgrabungen, die auf Spuren altgermanischen Lebens in dieser Gegend hinführen. Am Galgenberge wurde im Jahre 1868 der „Hildesheimer Silberschatz“ gefunden, kostbare Gefäße und Geräte, die als Werke der Schmiedekunst aus römischer Kaiserzeit erkannt worden sind und die vermutlich ein Beutestück aus der Varusschlacht bildeten.

Schwere Stürme zogen über das Land, als Karls des Großen wuchtiges Schwert dem Sachsenvolke tiefe Wunden schlug. Doch als die trotzigen Heiden bezwungen waren, da blühte junges, frisches Leben auf, da wurde der Keim gelegt zu Hildesheims künftiger Blüte. Karl der Große gründete im Jahre 796 ein Bistum zu Elze, und sein Nachfolger, Ludwig der Fromme, verlegte es nach Hildesheim. Das Stift wuchs mit der Zeit an Macht und Bedeutung und es wurde auch zu einer Stätte, an welcher die Kunst eifrige Pflege fand. Unvergeßliche Verdienste haben sich in dieser Hinsicht vor allem die Bischöfe Bernward (993–1022), Godehard (1022–1038) und Hezilo (1054–1079) erworben. Ihnen verdankt Hildesheim den Besitz von Bauten und Erzarbeiten, die heute zu den herrlichsten Denkmälern romanischer Kunst zählen.

In den Mauern Hildesheims wetteiferte jedoch auch der Bürgersinn mit den kirchlichen Fürsten. In den Einwohnern der Stadt lebte der Trotz der alten Sachsen fort. Sie strebten nach Unabhängigkeit, und sie schüttelten die Herrschaft der Bischöfe ab. Die Stadt trat im Jahre 1241 der Hansa bei und erfreute sich wichtiger Rechte und Privilegien. Ein wackerer, arbeitslustiger, aber auch lebensfroher Sinn belebte die Bürger, und sie bauten ihre Häuser so kunstsinnig und eigenartig, leisteten so Meisterhaftes im Holzbau, daß die alten mit Holzschnitzereien und Malereien geschmückten Häuser Hildesheims heute zu den größten Sehenswürdigkeiten zählen. Sie werden auch pietätvoll erhalten, obwohl die Stadt in fröhlichem Wachstum begriffen ist und im Laufe der letzten Jahrzehnte ein durchaus modernes Viertel in der Nähe des Bahnhofes entstand. Der Fremde wandert jedoch rasch durch die neuen Straßen; ihn locken die Altstadt und die Domfreiheit. Hat er die Häuserfluchten mit den modernen Hotels und den großen Schauläden hinter sich, so ändert sich langsam das Städtebild.

Die Straßen werden enger, hier und dort zieht ein Fachwerkhaus mit etagenweise vorspringendem Giebel die Aufmerksamkeit auf sich, man erkennt an den Balken Schnitzerei und bunte Bemalung, man dringt weiter vor und steht plötzlich vor einem Straßenbilde wie vor einer fremden Welt: die bunten Häuser, die reichverzierten Erker, die spitzen Giebel, das alles gehört der Gegenwart nicht mehr an. Man möchte beinah’ erwarten, in den Erkern holde, blauäugige Jungfrauen in altdeutschem Gewande züchtig am Spinnrocken sitzend zu schauen und würdige [174] Ratsherren in Amtstracht aus den reich mit Schnitzereien verzierten Hausthüren hervortreten zu sehen! Die Anfangsvignette unseres Artikels zeigt uns einen prachtvollen Erker des Kaiserhauses, eines aus dem 16. Jahrhundert stammenden Renaissancebaues, der mit Medaillonreliefs und Statuen römischer Kaiser geschmückt ist.

An der Altdeutschen Herberge vorbei, die zu den ansehnlichsten Fachwerkhäusern gehört, gelangen wir bald auf den Mittelpunkt der Stadt, den Marktplatz. Die eine Seite füllt ganz die wundervolle Fassade des schönen Rathauses aus, an der anderen lenken das an Farbenschmuck überreiche Wedekindsche Haus mit seinen vorspringenden Erkern und Giebeln, daneben der merkwürdige Steinbau des Templerhauses mit den beiden Türmen rechts und links und dem Rathause gegenüber das prächtige „Knochenhaueramtshaus“ die Aufmerksamkeit auf sich. Von künstlerischem Reiz ist auch der alte Rolandsbrunnen auf dem Markte.

Die größte Zierde des Marktplatzes ist ohne Zweifel das Rathaus. Es ist im spätgotischen Stil gehalten und mit Laubengängen versehen; seine Errichtung fiel in die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Tritt man in das Gebäude ein, so empfängt einen unten eine weite, geräumige Halle, von der eine breite Treppe zu dem sogenannten Rathaussaale emporführt, den man geradezu als eine Ruhmeshalle der Stadt bezeichnen kann, nicht nur weil der Bilderschmuck die geschichtlich großen Momente aus der Vergangenheit der Stadt vergegenwärtigt, sondern auch weil der Raum in Anlage und Ausstattung einen glänzenden Beweis liefert, daß man den Künsten hier bis auf den heutigen Tag die größten Opfer zu bringen bereit ist. Die getäfelte Decke mit ihrem reichen Bilderschmucke, der in der zarten Harmonie der milden Farben so wohlthuend auf Auge und Gemüt wirkt, an den Wänden die weltberühmten Fresken von Prell, dazwischen die kleinen allegorischen Darstellungen, die Porträts verdienter Männer, die köstliche Schnitzerei der Thüren … das alles wirkt so überwältigend, daß man nicht satt wird, zu sehen und in sich aufzunehmen.

Tritt uns so im Innern des Rathauses die neue Zeit in ihrem künstlerischen Können entgegen, so zeigt das gegenüberliegende Knochenhaueramtshaus den Fachwerkbau des 16. Jahrhunderts in seiner Vollendung. Das Haus diente der Schlächterzunft als Verkaufs- und Versammlungshaus. Unser Bild Seite 168 und 169 zeigt die dem Marktplatze zugekehrte Fassade, aber ebenso bemerkenswert ist die Seite, die nach der Straße zu liegt. Ueberaus reich ist der Bilderschmuck des Hauses; jeder Raum ist mit bunten, humoristischen oder allegorischen Bildern geziert, die zum Teil Beziehung zur Zunft haben; in ihnen spielt besonders Gott Amor in den allerverschiedenartigsten Situationen eine hervorragende Rolle. Aber nicht nur die freien Felder des Hauses, auch die Balken sind aufs reichste verziert, ja selbst die Backsteine sind so eingesetzt, daß sie allerlei prächtige Muster bilden. Man staunt über die hingebende Liebe des Künstlers, der das alles zu Ehren seiner Vaterstadt geschaffen hat, und wenn man dann selbst an den bescheidensten Privathäusern denselben Spuren künstlerischen Strebens begegnet, so muß man gestehen, daß unsere Vorfahren weit mehr Liebe und Kosten auf den äußeren Schmuck ihrer Häuser verwandt haben, als es jetzt geschieht, nicht weil sie reicher waren, sondern weil sie ein viel ausgeprägteres Heimatsgefühl und in ihren kleinen, selbständigen Gemeinwesen ein starkes Selbstbewußtsein besaßen, das uns heute in der beständigen Bewegung der Bevölkerung vielfach abhanden gekommen ist. Verlassen wir den Marktplatz und wenden uns an der alten Ratsapotheke vorbei, nach einem Blicke auf den Hohenweg, die Hauptverkehrsstraße der Stadt, wo die alten Fachwerkbauten mehr und mehr verschwinden, unter dem Säulenhaus hindurch dem Platze an der Andreaskirche zu, so stehen wir wiederum in einem berühmten Viertel Alt-Hildesheims. In der Mitte die Kirche mit ihrem gewaltigen Turme, ringsherum ein Kranz hübscher Fachwerkbauten, die überall durch den eigenartigen Schmuck der Schnitzerei und Bemalung das Auge erfreuen, auf allen Seiten die Ausgänge enger Gassen und Gäßchen, in die das Sonnenlicht kaum eindringt. In eine dieser Straßen, die Eckemecker, treten wir ein. Hier fesselt uns der Anblick der von Godehard erbauten Andreaskirche, die neuerdings restauriert wurde; wir gehen dann am Rolandsstift vorbei und wenden uns durch die Poststraße dem Domhofe zu.

Das Rathaus.

Empfand man am Markte, daß man auf dem Boden einer selbstbewußten, stolzen Hansastadt mit kräftiger, reicher Bürgerschaft stand, so fühlt man hier, daß man am Sitze kirchlicher Fürsten sich befindet. Es ist geweihter Boden, auf dem wir stehen: seit mehr als tausend Jahren werden an diesem Orte die Freuden und Leiden der Gläubigen vor das Angesicht des Höchsten getragen; welche Schicksale hat der alte Dom, der dort so weltentrückt durch das Laub der Bäume hindurchscheint, erlebt!

Der Dom ist ein Bauwerk der frühromanischen Zeit und zeigt in seinem Grundriß die sächsische Anlage der Basilika; er geht in seinen Anfängen auf die Bischöfe Altfried († 874) und Godehard († 1079) zurück, doch haben auch die folgenden Zeiten daran mitgearbeitet und ihm ihr Gepräge aufgedrückt, „so daß eine Wanderung durch sein Inneres gleichsam ein Gang durch die Kunstgeschichte eines Jahrtausends ist.“ Von den Schätzen des Domes greifen wir nur einige heraus, vor allem die Bernwardsäule, ein Werk des großen kunstsinnigen Bischofs, das in 24 Reliefs Bilder aus dem Leben Jesu zeigt, die in Spiralen um die Säule sich winden: sie war gekrönt mit einem Kruzifix und bei besonders festlichen Gelegenheiten mit dem berühmten Kreuze Bernwards. Noch vor wenigen Jahren stand die Säule mitten unter den Linden des Domplatzes, bis der Minister, der die nachteiligen Einflüsse der Witterung fürchtete, ihre Aufstellung im Innern der Kirche verlangte. Der Domplatz hat dadurch etwas von seinem eigentümlich stimmungsvollen Charakter verloren, obwohl die Lücke durch das schöne Bernwardsdenkmal ausgefüllt worden ist. Auf Bernward gehen auch die berühmten [175] eisernen Thürflügel zurück, die im Relief je acht Gruppen von Bildern des Alten und Neuen Testamentes zeigen. Aus Bernwards Schule stammt ferner der berühmte kupferne Kronleuchter, der 20 m im Umfange mißt, „das himmlische Jerusalem“, auf dessen Mauern 12 goldene Thore und ebensoviele goldene Türme emporragen. Auch eins der glänzendsten Werke der deutschen Gießkunst findet sich hier im Dome, ein fast 2 m hohes und 1 m breites Taufbecken, von vier knieenden Figuren, Personifikationen der Paradiesesströme, getragen und mit zahlreichen Medaillons geschmückt. Was aber den Dom in aller Welt berühmt gemacht hat, das ist der Annenfriedhof, den nach Westen die östliche Apsis und die Kreuzesarme des Domes, auf den drei anderen Seiten die malerischen Kreuzgänge der Klostergebäude umschließen, und in dessen Mitte die rein gotische Annenkapelle sich erhebt. Jahrhunderte alter Epheu bedeckt die Strebepfeiler und die Säulen der Arkaden, grüner Rasen überzieht die mit Blütensträuchern geschmückten Gräber, und an der halbrunden Apsis des Domes breitet bis zum Dache der „tausendjährige“ Rosenstock seine Zweige aus. Das Ganze ein Fleckchen Erde, geheiligt durch Geschichte und Sage! Hier ereignete sich der Sage nach jenes Wunder, das einst zur Gründung Hildesheims Anlaß gegeben hat: Kaiser Ludwig der Fromme kam einstmals mit einem Jagdgefolge hierher in die Einsamkeit des Waldes, als ihn plötzlich die Lust anwandelte, die Messe zu hören. Der Geistliche, welcher das Hochamt versah, knüpfte den Behälter mit Reliquien der heiligen Jungfrau an einen Baum an und vergaß später das Reliquiar abzunehmen. Als dann der Jagdzug weitergewandert war, erinnerte sich der Geistliche des Vergessenen und eilte zurück, es zu holen, allein keine Gewalt vermochte es vom Baume zu lösen. Er teilte dem frommen Kaiser das Wunder mit, und dieser beschloß, hierher den Kirchenbau zu verlegen, der von seinem Vater in Elze geplant war. – So lautet die älteste Ueberlieferung. In späteren Umbildungen der Legende ist aus dem Baume eine blühende Rose geworden, die noch dazu mitten im Sommer mit Schnee bedeckt gewesen ist. So entstand die Sage vom tausendjährigen Rosenstock. Nun hat die Wissenschaft für die ehrwürdige Rose – die übrigens zu der ganz bekannten Art der Rosa canina gehört – den unzweifelhaften Beweis eines weit jüngeren Alters erbracht, trotzdem aber ist der Rosenstock mit seinen 300 Jahren wohl der älteste Rosenstrauch der Welt.

Wir verlassen den weihevollen Ort und wenden uns der Dammstraße zu, da öffnet sich nach wenig Schritten wieder ein etwas größerer Platz, der durch drei große Bauten beherrscht wird. Vor uns liegt das Landschaftsgebäude, rechts ein moderner Palast mit gewaltigen Schaufenstern, links endlich das Roemer-Museum mit der wohlgelungenen Büste seines Gründers vor der Pforte. Es enthält Kunst- und naturgeschichtliche Sammlungen; wir wollen diesmal nicht hineingehen, obwohl es zwischen Berlin und Paris nicht seinesgleichen hat, wie der für sein Werk begeisterte Senator Roemer zu sagen pflegte, sondern wenden uns noch einmal rechts hinauf zur hochgelegenen Michaeliskirche. Auch dieser Bau geht in seinen Anfängen auf den großen Bernward zurück, der im Pestjahre 995 dem heiligen Michael zu Ehren hier ein Benediktinerkloster baute. Erst Godehard aber hat 1033 den Bau vollendet, der dann leider schon ein Jahr darauf durch einen Blitzstrahl wieder zerstört wurde. Abt Theoderich nahm später eine umfassende Erneuerung vor. Ursprünglich war die Kirche doppelchörig und hatte zwei Querschiffe und sechs Thüren; auch ist bemerkenswert, daß der hohe Chor hier im Westen liegt statt wie gewöhnlich im Osten; unter ihm befindet sich die Gruft St. Bernwards, wo die Gebeine des Heiligen bis 1194 geruht haben. Die Kirche enthält im Innern mancherlei Prachtwerke romanischer Kunst, wundervolle Kapitäle an den Säulen und besonders ein berühmtes Deckengemälde, das einzige erhaltene aus romanischer Zeit diesseit der Alpen und daher von höchstem Interesse; es ist in Wasserfarben auf Kreidegrund ausgeführt und stellt den Stammbaum der alttestamentlichen Könige aus dem Geschlechte Davids dar. Von der Höhe des Kirchplatzes, der auf der einen Seite fast schroff abfällt in den alten Stadtgraben, steigen wir wieder hinab dem Flußthale zu; aus der Ferne winkt uns die Kirche des heiligen Mauritius vom Steinberge herab entgegen, aber wir biegen nach Überschreitung der Innerstebrücke, die nach links und rechts interessante Ausblicke auf die uralten Betriebsstellen der Müller und Gerber gewährt, links auf den Wall, den wir nun entlang gehen. Da schauen wir rechts in schöne Gärten, die wie Inseln zwischen einem System von Gräben und den Adern des Flusses liegen und den bezeichnenden Namen Venedig tragen, links erscheint burgartig die Höhe des Domplatzes mit der steilen Wand der alten den Platz umschließenden Häuser, und von der goldenen Kuppel des alten Domes und den goldenen Kreuzen seiner Türme geht nun im Scheine der Abendsonne ein Glänzen und ein Leuchten aus, das die Gegend verklärt, dem fremden Wanderer weithin ein Wahrzeichen. Wir betreten den zweiten Wall. Wieder sind rechts Teiche, Flußadern und parkartige Gartenanlagen mit einem hohen modernen Schlosse, aber mehr als dies zieht links eine herrliche Kirche mit drei Türmen die Augen auf sich, es ist die Godehardikirche, zu Ehren Godehards im 12. Jahrhundert erbaut, ein vollendetes Werk romanischen Stiles. Wir begeben uns hinab zu dem ernsten Bau, der in stiller Abgeschiedenheit daliegt; hier wird der Sinn durch nichts abgezogen, weltentrückt kann man sich in Betrachtungen verlieren über die Vergangenheit, deren Geist das Gemüt mächtig ergreift.

Gehen wir dann auf den Wall zurück, so gelangen wir bald in die schöne, mit doppelter Baumreihe bestandene Promenade der Sedanstraße und damit wieder in die Neustadt. Bevor wir aber unseren Rundgang ganz schließen, biegen wir rechts in die stillen Mauern eines einsamen Kirchhofes ein und legen ein frisches Reis auf das einfache Grab des Mannes nieder, dem Hildesheim die Erhaltung seiner alten Schätze und Bauten und die Anregung und Förderung aller neuen Schöpfungen in Kunst und Wissenschaft verdankt, auf das Grab Hermann Roemers. Möge der Geist dieses treuesten Sohnes der Stadt, der im Leben kein höheres Ziel kannte, als für sein geliebtes Hildesheim zu wirken und seinen Ruhm zu mehren, und im Tode noch diesem einzigen Zwecke alles hingab, was er und seine Geschwister an Gütern besaßen, in den Bürgern von Hildesheim lebendig bleiben!

Dr. Adolf Vogeler.