Hugo Vogels Geschichtsbilder im Berliner Rathaus
Hugo Vogels Geschichtsbilder im Berliner Rathaus.
Im Berliner Rathause hat die Vorhalle zum Sitzungssaale des Magistrats, der sich auf dem Gebiete der Kunstpflege eines löblichen Eifers befleißigt, im Laufe des letzten Jahrzehntes einen umfangreichen malerischen Schmuck erhalten. Bedeutsame Vorgänge aus der Geschichte der Hauptstadt sind an den Wänden des langgestreckten, leider nur zu schmalen Raumes in Kaseinfarben zur Darstellung gebracht. Hugo Vogel, Scheurenberg, Bleibtreu und Simmler haben diese Gemälde ausgeführt. Zwei der ansprechendsten und auch ihrem Stoffe nach interessantesten dieser Bilder stellt heute die „Gartenlaube“ ihren Lesern vors Auge; das eine schildert den Empfang von Refugiés durch den Großen Kurfürsten, das andere die Besichtigung von Neubauten in der Berliner Friedrichstadt durch König Friedrich Wilhelm I.
Der eine wie der andere Vorgang weist auf Verdienste, welche sich frühere Hohenzollernfürsten um das Wachstum und Gedeihen ihrer Residenz erwarben, die später berufen sein sollte, die Hauptstadt des Deutschen Reiches zu werden. Die Flüchtlinge aus Frankreich, die um ihres Glaubens willen nach der Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahre 1685 ihre Heimat verließen, vergalten die gastliche Aufnahme, welche ihnen der Große Kurfürst in seinen Landen gewährte, durch die Einführung und Pflege nützlicher Industriezweige, namentlich in Berlin, das von da an erst als Industriestadt zu Bedeutung gelangte. Unter dieses thatkräftigen Fürsten segensreicher Regierung erfolgte aber auch in jeder andern Beziehung ein großartiger Aufschwung der während des Dreißigjährigen Krieges arg in Verfall geratenen Stadt. Für den Anbau der Friedrichstadt entwarf sein Nachfolger Friedrich III., der als König der erste seines Namens auf preußischem Throne war, den Plan, aber erst Friedrich Wilhelm I. gab ihm die Erweiterung, die noch ihr heutiger Umfang erkennen läßt. War unter des ersteren Regierung namentlich die innere Stadt mit dem Zeughaus, dem Schloß, der Akademie, den Kirchen auf dem Gendarmenmarkt ausgebaut worden, so wurde von Friedrich Wilhelm I. vor allem der Ausbau der Friedrichstadt betrieben. Er nahm an diesen Bauten den lebhaftesten persönlichen Anteil, freilich mit jener Selbstherrlichkeit, die seinem Wesen und dem absoluten Königtum, das er vertrat, eigen war. So sehen wir ihn auf unserem Bild die Rolle des Bauherrn mit der des Baumeisters vertauschen. Die Stadt Berlin hat aber aus seinem ebenso eigenwilligen wie energischen Vorgehen großen Nutzen gezogen.
Der Schöpfer dieser Bilder, Hugo Vogel, vertritt unter den genannten am Ausschmuck des Berliner Rathauses beteiligten Künstlern die jüngere Generation. Gerade in diesen Proben seines künstlerischen Schaffens offenbart sich das ihn beseelende Streben nach Wahrheit, nach scharfer Erfassung der Natur, nach überzeugender und eindrucksvoller Schilderung in bezeichnender Weise. Kein Pathos, nichts Komödiantenhaftes, keine Phrase, und gerade darum eine fesselnde Wirkung. So, wie sie hier geschildert sind, müssen sich die Vorgänge abgespielt haben. Gnädig empfängt der Große Kurfürst im Beisein seiner stolzen Gemahlin Dorothea von Holstein-Glücksburg und des Kurprinzen, sowie Grumbkows und verschiedener anderer Personen des Hofstaates, vor dem Portal des Potsdamer Stadtschlosses eine Deputation französischer Flüchtlinge, die voll Dankes ihm huldigen für die Gastfreundschaft und Förderung, die er ihnen gewährt hat. Und mit der ganzen Wucht seines Wesens erteilt König Friedrich Wilhelm I., der wie aus Erz gegossen dasteht, seinen Baumeistern und Werkleuten Befehle, wie sie in der Mauerstraße nahe bei der im Jahre 1738 vollendeten Dreifaltigkeitskirche die Häuser bauen sollen.
In Haltung und Ausdruck der Personen beider Bilder charakteristisches Leben! Man sehe nur die teutonisch monumentale Erscheinung des Kurfürsten und die geschmeidigen, von einer gewissen Eleganz umflossenen Figuren der Refugiés an. Mit treffenden Pinselstrichen ist der Unterschied zwischen germanischem und gallischem Wesen betont. Die Gestalten stehen auch wirklich im Raum, sie sind umflossen von dem hellen Licht des Tages, es sind wirkliche Menschen und keine Schemen. Und zudem klare satte Farben von wahrhaft erfrischender Kraft, denen auch im Schatten ihr ausgesprochener Charakter meisterlich bewahrt ist. Das alles eint sich zu Kompositionen von malerischer und großer Wirkung, die trotz des zum Genre neigenden Vorwurfes den vollwichtigen Anspruch auf monumentale Historienbilder erheben können.
Gleicher Vorzüge erfreuen sich die übrigen Wandbilder des Meisters in dieser Vorhalle: eine große Darstellung jenes bedeutungsvollen Momentes, da der Rat von Berlin und Cölln das Abendmahl in beiderlei Gestalt nimmt und sich hiermit dem protestantischen Bekenntnis zuwendet, sowie zwei Füllgemälde über den Thüren, deren herrliche, aus edelstem Schönheitsgefühl geborene Idealgestalten die Büsten Schlüters und Schinkels, der um Berlin so hochverdienten großen Baukünstler, mit Lorbeer schmücken. Der Karton zu dem erstgenannten Gemälde bildet den Hintergrund für das von uns wiedergegebene Bildnis des Malers.
Es war im Jahre 1885, als Hugo Vogel, damals dreißigjährig, in dem Wettbewerb, den der Berliner Magistrat um die Vergebung dieser Bilder ausgeschrieben hatte, den Preis errang. Für den „Verein für historische Kunst“ hatte er eben ein großes Gemälde vollendet, das ebenso wie das Bild im Rathause den Empfang der Refugiés durch den Großen Kurfürsten schildert, und zwei Jahre vorher war ihm in Berlin bereits die Kleine goldene Medaille für seine echt deutsch empfundene Schöpfung „Luther predigt auf der Wartburg“, die sofort in den Besitz der Hamburger Kunsthalle überging, verliehen worden. Der Sieg im Wettbewerb traf mithin einen an Jahren jungen, an Erfolgen jedoch schon reichen Meister. Seit diesem Siege im Jahre 1885 gehört Vogel der Künstlerschaft der deutschen Reichshauptstadt an, und in aufsteigender Linie hat er sich zu einem ihrer hervorragenden Mitglieder entwickelt.
Des Künstlers Vaterstadt ist Magdeburg. Hier ist er als Sohn eines Kaufmanns am 15. Februar 1855 geboren. Die feinsinnige Mutter, die alten und malerischen Bauten der Stadt, unter denen der Dom machtvoll und gebietend als vielhundertjähriger, schicksalsreicher Riese emporragt, Reisen nach Dresden zur Besichtigung der Schätze der Galerie weckten in dem jungen Realschüler frühzeitig künstlerische Neigungen. Seine Großmutter hatte Malerin werden wollen, und nun wurde der Enkel ein Maler. Hoffnungsfroh und thatendurstig zog der Neunzehnjährige gen Düsseldorf, um in den Aktsälen und Ateliers die Geheimnisse der Kunst zu ergründen. Unter seinen Lehrern fesselten ihn vornehmlich der urdeutsche Gebhardt und Wilhelm Sohn, der seit 1874 an der Akademie wirkte. Nach Beendigung des akademischen Studiums haben Verehrung und Freundschaft die Verbindung mit beiden Männern nur noch mehr gefestigt. Auf größeren Reisen, von denen eine im Jahre 1882 unternommene durch Spanien, [319] Marokko und Italien führte, wurden Anschauung und künstlerisches Empfinden gekräftigt.
Dann begann mehr und mehr die Schaffenskraft in beachtenswerte Werke auszuströmen. In einigen Bildnissen und in einer warm empfundenen Darstellung der deutschen Hausfrau prägte sich das frische Talent so fesselnd aus, daß ihnen aufrichtiger Beifall auf den Ausstellungen gezollt wurde. Auch zeigten Bestellungen und Verkäufe, daß er beim Publikum Anklang fand.
Und nun regte sich der Historienmaler, der große und bedeutungsvolle Handlungen groß und bedeutungsvoll darzustellen wünscht. Der Künstler, dessen Vaterstadt einst für das protestantische Bekenntnis so schwer gelitten, wandte sich der Reformationsgeschichte zu und schuf jenes schon erwähnte Bild, das Luther darstellt, wie er mit überzeugender Begeisterung in der altehrwürdigen Wartburg-Kapelle, durch deren bunte Scheiben goldig das Sonnenlicht dringt, vor einer kleinen Gemeinde, unter ihr der ehrenfeste Burgvogt und dessen liebliche Gattin, eine Predigt hält. Das war die erste, wirklich hervorragende Schöpfung des Meisters, die seinen Ruf fest begründete. Das feine charakteristische Leben der Figuren, die Kraft der Farbe, der reizvoll geschilderte Kampf zwischen dem Sonnenlicht und dem Schatten des Raumes, die trefflich ausgedrückte Art des deutschen Wesens stempelten das Werk zu einem der besten, welche die damalige Berliner Kunstausstellung darbot.
Schon im Jahre 1886 wurde der damals einunddreißigjährige Künstler zur Vertretung des erkrankten, leider zu früh verstorbenen Professor Hellquist als Lehrer an die Kunstakademie in Berlin berufen, im folgenden Jahre wurde ihm das Lehramt unter Ernennung zum Professor endgültig übertragen. Bis zum Jahre 1893 hat er in diesem Amte gewirkt, zahlreiche Schüler mit ausgezeichnetem Erfolge vorbildend; dann aber trat er von ihm zurück, um sich ungehindert seiner Kunst widmen zu können. Reisen die vorzugsweise nach Holland, Belgien und Paris unternommen wurden, und zwar meist in Begleitung der liebenswürdigen Gattin, der Tochter eines Marburger Professors, haben den bisherigen Berliner Aufenthalt zeitweise unterbrochen. In Brüssel regte ihn der Eindruck der Kirche von St. Gudule zu einem Bildercyklus an, der ihn gleichfalls bis in die jüngste Zeit beschäftigt hat. Auch in ihm hat Hugo Vogel gezeigt, mit welcher Meisterschaft er das Studium der feineren Lichtwirkungen im Dienst einer schöpferischen Kunst verwendet, die darauf ausgeht, Vorgänge der Vergangenheit mit dem vollen Reiz unmittelbaren Lebens im Bilde darzustellen.
[321]