Hyperion an Bellarmin LX
[119] HYPERION AN BELLARMIN.
Aber der himmlische Frühling hielt mich auf; er war die einzige Freude, die mir übrig war, er war ja meine lezte Liebe, wie konnt’ ich noch an andre Dinge denken und das Land verlassen, wo auch er war? Bellarmin! Ich hatt’ es nie so ganz erfahren, jenes alte feste Schiksaalswort, dass eine neue Seeligkeit dem Herzen aufgeht, wenn es aushält und die Mitternacht des Grams durchduldet, und dass, wie Nachtigallgesang im Dunkeln, göttlich erst in tiefem Leid das Lebenslied der Welt uns tönt. Denn, wie mit Genien, lebt’ ich itzt mit den blühenden Bäumen, und die klaren Bäche, die darunter flossen, säuselten, wie Götterstimmen, mir den Kummer aus dem Busen. Und so geschah mir überall, du Lieber! - wenn ich im Grase ruht’, und zartes Leben mich umgrünte, wenn ich hinauf, wo wild die Rose um den Steinpfad wuchs, den warmen Hügel gieng, auch wenn ich des Stroms [120-121] Gestade, die luftigen umschifft’ und alle die Inseln, die er zärtlich hegt. Und wenn ich oft des Morgens, wie die Kranken zum Heilquell, auf den Gipfel des Gebirgs stieg, durch die schlafenden Blumen, aber vom süssen Schlummer gesättiget, neben mir die lieben Vögel aus dem Busche flogen, im Zwielicht taumelnd und begierig nach dem Tag, und die regere Luft nun schon die Gebete der Thäler, die Stimmen der Heerde und die Töne der Morgengloken herauftrug, und jezt das hohe Licht, das göttlichheitre den gewohnten Pfad daherkam, die Erde bezaubernd mit unsterblichem Leben, dass ihr Herz erwarmt’ und all’ ihre Kinder wieder sich fühlten - o wie der Mond, der noch am Himmel blieb, die Lust des Tags zu theilen, so stand ich Einsamer dann auch über den Ebnen und weinte Liebesthränen zu den Ufern hinab und den glänzenden Gewässern und konnte lange das Auge nicht wenden. Oder des Abends, wenn ich fern ins Thal hinein gerieth, zur Wiege des Quells, wo rings die dunkeln Eichhöhn mich umrauschten, mich, wie einen Heiligsterbenden, in ihren Frieden die Natur begrub, wenn nun die Erd’ ein Schatte war, und unsichtbares Leben durch die Zweige säuselte, durch die Gipfel, und über den Gipfeln still die Abendwolke stand, ein glänzend Gebirg, wovon herab zu mir des Himmels Stralen, wie die Wasserbäche flossen, um den durstigen Wanderer zu tränken - O Sonne, o ihr Lüfte, rief ich dann, bei euch allein noch lebt mein Herz, wie unter Brüdern! So gab ich mehr und mehr der seeligen Natur mich hin und fast zu endlos. Wär’ ich so gerne doch zum Kinde geworden, um ihr näher zu seyn, hätt’ ich so gern doch weniger gewusst und wäre geworden, wie der reine Lichtstral, um ihr näher zu seyn! o einen Augenblik in ihrem Frieden, ihrer Schöne mich zu fühlen, wie viel mehr galt es vor mir, als Jahre voll Gedanken, als alle Versuche der allesversuchenden Menschen! Wie Eis, zerschmolz, was ich gelernt, was ich gethan im Leben, und alle Entwürfe der Jugend verhallten in mir; und o ihr Lieben, die ihr ferne seid, ihr Todten und ihr Lebenden, wie innig Eines waren wir! Einst sass ich fern im Feld’, an einem Brunnen, im Schatten epheugrüner Felsen und überhängender Blüthenbüsche. Es war der schönste [122-123] Mittag, den ich kenne. Süsse Lüfte wehten und in morgendlicher Frische glänzte noch das Land und still in seinem heimatlichen Aether lächelte das Licht. Die Menschen waren weggegangen, am häuslichen Tische von der Arbeit zu ruhn; allein war meine Liebe mit dem Frühling, und ein unbegreiflich Sehnen war in mir. Diotima, rief ich, wo bist du, o wo bist du? Und mir war, als hört’ ich Diotimas Stimme, die Stimme, die mich einst erheitert in den Tagen der Freude - Bei den Meinen, rief sie, bin ich, bei den Deinen, die der irre Menschengeist miskennt! Ein sanfter Schreken ergriff mich und mein Denken entschlummerte in mir. O liebes Wort aus heilgem Munde, rief ich, da ich wieder erwacht war, liebes Räthsel, fass’ ich dich? Und Einmal sah ich noch in die kalte Nacht der Menschen zurük und schauert’ und weinte vor Freuden, dass ich so seelig war und Worte sprach ich, wie mir dünkt, aber sie waren, wie des Feuers Rauschen, wenn es auffliegt und die Asche hinter sich lässt - „O du, so dacht’ ich, mit deinen Göttern, Natur! ich hab ihn ausgeträumt, von Menschendingen den Traum und sage, nur du lebst, und was die Friedenslosen erzwungen, erdacht, es schmilzt, wie Perlen von Wachs, hinweg von deinen Flammen! Wie lang ists, dass sie dich entbehren? o wie lang ists, dass ihre Menge dich schilt, gemein nennt dich und deine Götter, die Lebendigen, die Seeligstillen! Es fallen die Menschen, wie faule Früchte von dir, o lass sie untergehn, so kehren sie zu deiner Wurzel wieder, und ich, o Baum des Lebens dass ich wieder grüne mit dir und deine Gipfel umathme mit all deinen knospenden Zweigen! friedlich und innig, denn alle wuchsen wir aus dem goldnen Saamkorn herauf! Ihr Quellen der Erd’! ihr Blumen! und ihr Wälder und ihr Adler und du brüderliches Licht! wie alt und neu ist unsere Liebe! - Frei sind wir, gleichen uns nicht ängstig von aussen; wie sollte nicht wechseln die Weise des Lebens? wir lieben den Aether doch all’ und innigst im Innersten gleichen wir uns. Auch wir, auch wir sind nicht geschieden, Diotima, und die Thränen um dich verstehen es nicht. Lebendige Töne sind wir, stimmen zusammen in deinem Wohllaut, Natur! wer reisst den? wer mag die Liebenden scheiden? - [124] O Seele! Seele! Schönheit der Welt! du unzerstörbare! du entzükende! mit deiner ewigen Jugend! du bist; was ist denn der Tod und alles Wehe der Menschen? - Ach! viel der leeren Worte haben die Wunderlichen gemacht. Geschiehet doch alles aus Lust, und endet doch alles mit Frieden. Wie der Zwist der Liebenden, sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder. Es scheiden und kehren im Herzen die Adern und einiges, ewiges, glühendes Leben ist Alles.“ So dacht’ ich. Nächstens mehr. |