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Idylle

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Autor: Hugo von Hofmannsthal
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Titel: Idylle
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 58–66
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1893
Erscheinungsdatum: 1922
Verlag: Insel Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld und Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Blätter für die Kunst (Berlin), 4. Band, Mai 1893
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[58]
IDYLLE

NACH EINEM ANTIKEN VASENBILD:
ZENTAUR MIT VERWUNDETER FRAU
AM RAND EINES FLUSSES

(Der Schauplatz im Böcklinschen Stil. Eine offene Dorfschmiede. Dahinter das Haus, im Hintergrunde ein Fluß. Der Schmied an der Arbeit, sein Weib müßig an die Türe gelehnt, die von der Schmiede ins Haus führt. Auf dem Boden spielt ein blondes kleines Kind mit einer zahmen Krabbe. In einer Nische ein Weinschlauch, ein paar frische Feigen und Melonenschalen.)

     DER SCHMIED
Wohin verlieren dir die sinnenden Gedanken sich,
Indes du schweigend mir das Werk, feindselig fast,
Mit solchen Lippen, leise zuckenden, beschaust?

     DIE FRAU
Im blütenweißen, kleinen Garten saß ich oft,

5
Den Blick aufs väterliche Handwerk hingewandt,

Das nette Werk des Töpfers: wie der Scheibe da,
Der surrenden im Kreis, die edle Form entstieg,
Im stillen Werden einer zarten Blume gleich,
Mit kühlem Glanz des Elfenbeins. Darauf erschuf

10
Der Vater Henkel, mit Akanthusblatt geziert,

Und ein Akanthus-, ein Olivenkranz wohl auch
Umlief als dunkelroter Schmuck des Kruges Rand.
Den schönen Körper dann belebte er mit Reigenkranz

[59]
Der Horen, der vorüberschwebend lebenspendenden
15
Er schuf, gestreckt auf königliche Ruhebank,

Der Phädra wundervollen Leib, von Sehnsucht matt,
Und drüben flatternd Eros, der mit süßer Qual die Glieder füllt.
Gewaltgen Krügen liebte er ein Bacchusfest
Zum Schmuck zu geben, wo der Purpurtraubensaft

20
Aufsprühte unter der Mänade nacktem Fuß

Und fliegend Haar und Thyrrusschwung die Luft erfüllt.
Auf Totenurnen war Persephoneias hohes Bild,
Die mit den seelenlosen, roten Augen schaut,
Und Blumen des Vergessens, Mohn, im heiligen Haar,

25
Das lebensfremde, asphodelische Gefilde tritt.

Des Redens wär kein Ende, zählt ich alle auf,
Die göttlichen, an deren schönem Leben ich
– Zum zweiten Male lebend, was gebildet war –
An deren Gram und Haß und Liebeslust

30
Und wechselndem Erlebnis jeder Art

Ich also Anteil hatte, ich, ein Kind,
Die mir mit halbverstandener Gefühle Hauch
Anrührten meiner Seele tiefstes Saitenspiel,
Daß mir zuweilen war, als hätte ich im Schlaf

35
Die stets verborgenen Mysterien durchirrt

Von Lust und Leid, Erkennende mit wachem Aug.
Davon, an dieses Sonnenlicht zurückgekehrt,
Mir mahnendes Gedenken andern Lebens bleibt
Und eine Fremde, Ausgeschloßne aus mir macht

40
In dieser nährenden, lebendgen Luft der Welt.


[60]
     DER SCHMIED

Der Sinn des Seins verwirrte allzu vieler Müßiggang
Dem schön gesinnten, gern verträumten Kind, mich dünkt.
Und jene Ehrfurcht fehlte, die zu trennen weiß,
Was Göttern ziemt, was Menschen! Wie Semele dies,

45
Die töricht fordernde, vergehend erst begriff.

Des Gatten Handwerk lerne heilig halten du,
Das aus des mütterlichen Grundes Eingeweiden stammt
Und, sich die hundertarmig Ungebändigte,
Die Flamme, unterwerfend, klug und kraftvoll wirkt.

     DIE FRAU

50
Die Flamme anzusehen, lockts mich immer neu,

Die wechselnde, mit heißem Hauch berauschende.

     DER SCHMIED
Vielmehr erfreue Anblick dich des Werks!
Die Waffen sieh, der Pflugschar heilige Härte auch,
Und dieses Beil, das wilde Bäume uns zur Hütte fügt.

55
So schafft der Schmied, was alles andre schaffen soll.

Wo duftig aufgeworfne Scholle Samen trinkt
Und gelbes Korn der Sichel dann entgegenquillt,
Wo zwischen stillen Stämmen nach dem scheuen Wild
Der Pfeil hinschwirrt und tödlich in den Nacken schlägt,

60
[61]
Wo harter Huf von Rossen staubaufwirbelnd dröhnt

Und rasche Räder rollen zwischen Stadt und Stadt,
Wo der gewaltig klirrende, der Männerstreit
Die hohe liederwerte Männlichkeit enthüllt:
Da wirk ich fort und halt umwunden so die Welt

65
Mit starken Spuren meines Tuens, weil es tüchtig ist.

     (Pause)

     DIE FRAU
Zentauren seh ich einen nahen, Jüngling noch,
Ein schöner Gott mir scheinend, wenn auch halb ein Tier,
Und aus dem Hain, entlang der Ufer, traben her.

     DER ZENTAUR
(einen Speer in der Hand, den er dem Schmied hinhält)
Find ich dem stumpfgewordnen Speere Heilung hier

70
Und neue Spitze der geschwungnen Wucht? Verkünd!


     DER SCHMIED
Ob deinesgleichen auch, dich selber sah ich nie.

     DER ZENTAUR
Zum ersten Mal lockte mir der Lauf
Nach eurem Dorf Bedürfnis, das du kennst.

[62]
     DER SCHMIED

 Ihm soll

75
In kurzem abgeholfen sein. Indes erzählst

Du, wenn du dir den Dank der Frau verdienen willst,
Von fremden Wundern, die du wohl gesehn, wovon
Hieher nicht Kunde dringt, wenn nicht ein Wandrer kommt.

     DIE FRAU
Ich reiche dir zuerst den vollen Schlauch: er ist

80
Mit kühlem, säuerlichem Apfelwein gefüllt,

Denn andrer ist uns nicht. Das nächste Dürsten stillt
Wohl etwa weit von hier aus beßrer Schale dir
Mit heißerm Safte eine schönre Frau als ich.
(Sie hat den Wein aus dem Schlauch in eine irdene Trinkschale gegossen, die er langsam schlürft.)

     DER ZENTAUR
Die allgemeinen Straßen zog ich nicht und mied

85
Der Hafenplätze vielvermengendes Gewühl,

Wo einer leicht von Schiffern bunte Mär erfährt.
Die öden Heiden wählte ich zum Tagesweg,
Flamingos nur und schwarze Stiere störend auf,
Und stampfte nachts das Heidekraut dahin im Duft,

90
Das hyazinthne Dunkel über mir.

Zuweilen kam ich wandernd einem Hain vorbei,
Wo sich, zu flüchtig eigensinnger Lust gewillt,
Aus einem Schwarme von Najaden eine mir
Für eine Strecke Wegs gesellte, die ich dann

95
An einen jungen Satyr wiederum verlor,

Der syrinxblasend, lockend wo am Wege saß.

[63]
     DIE FRAU

Unsäglich reizend dünkt dies Ungebundne mir.

     DER SCHMIED
Die Waldgebornen kennen Scham und Treue nicht,
Die erst das Haus verlangen und bewahren lehrt.

     DIE FRAU

100
Ward dir, dem Flötenspiel des Pan zu lauschen?

     Sag!

     DER ZENTAUR
In einem stillen Kesseltal ward mirs beschert.
Da wogte mit dem schwülen Abendwind herab
Vom Rand der Felsen rätselhaftestes Getön,

105
So tief aufwühlend wie vereinter Drang

Von allem Tiefsten, was die Seele je durchbebt,
Als flög mein Ich im Wirbel fortgerissen mir
Durch tausendfach verschiedne Trunkenheit hindurch.

     DER SCHMIED
Verbotenes laß lieber unberedet sein!

     DIE FRAU

110
Laß immerhin, was regt die Seele schöner auf?


     DER SCHMIED
Das Leben zeitigt selbst den höhern Herzensschlag,
Wie reife Frucht vom Zweige sich erfreulich löst.
Und nicht zu andern Schauern über unsre Lebenswelle haucht.

[64]
     DER ZENTAUR

So blieb die wunderbare Kunst dir unbekannt,

115
Die Götter üben: unter Menschen Mensch,

Zu andern Zeiten aufzugehn im Sturmeshauch,
Und ein Delphin zu plätschern wiederum im Naß
Und ätherkreisend einzusaugen Adlerlust?
Du kennst, mich dünkt, nur wenig von der Welt, mein Freund.

     DER SCHMIED

120
Die ganze kenn ich, kennend meinen Kreis,

Maßloses nicht verlangend, noch begierig ich,
Die flüchtge Flut zu ballen in der hohlen Hand.
Den Bach, der deine Wiege schaukelte, erkennen lern,
Den Nachbarbaum, der dir die Früchte an der Sonne reift

125
Und dufterfüllten lauen Schatten niedergießt,

Das kühle grüne Gras, es trats dein Fuß als Kind.
Die alten Eltern tratens, leise frierende,
Und die Geliebte trats, da quollen duftend auf
Die Veilchen, schmiegend unter ihre Sohlen sich,

130
Das Haus begreif, in dem du lebst und sterben sollst,

Und dann, ein Wirkender, begreif sich selber ehrfurchtsvoll,
An diesen hast du mehr, als du erfassen kannst –,
Den Wanderliebenden, ich halt ihn länger nicht, allein
Der letzten Glättung noch bedarfs, die Feile fehlt,

135
Ich finde sie und schaffe dir das letzte noch.

     (Er geht ins Haus.)

[65]
DIE FRAU

Dich führt wohl nimmermehr der Weg hieher zurück.
Hinstampfend durch die hyazinthne Nacht, berauscht,
Vergissest meiner du am Wege, fürcht ich, bald,
Die deiner, fürcht ich, nicht so bald vergessen kann.

     DER ZENTAUR

140
Du irrst: verdammt von dir zu scheiden, wärs,

Als schlügen sich die Götter dröhnend hinter mir
Von aller Liebe dufterfülltem Garten zu.
Doch kommst du, wie ich meine, mir Gefährtin mit,
So trag ich solchen hohen Reiz als Beute fort,

145
Wie nie die hohe Aphrodite ausgegossen hat,

Die allbelebende, auf Meer und wilde Flut.

     DIE FRAU
Wie könnt ich Gatten, Haus und Kind verlassen hier?

     DER ZENTAUR
Was sorgst du lang, um was du schnell vergessen hast?

     DIE FRAU
Er kommt zurück, und schnell zerronnen ist der Traum!

     DER ZENTAUR

150
Mit nichten, da doch Lust und Weg noch offen steht.
[66]
Mit festen Fingern greif mir ins Gelock und klammre dich,

Am Rücken ruhend, mir an Arm und Nacken an!

(Sie schwingt sich auf seinen Rücken, und er stürmt hellschreiend zum Fluß hinunter, das Kind erschrickt und bricht in klägliches Weinen aus. Der Schmied tritt aus dem Haus. Eben stürzt sich der Zentaur in das aufrauschende Wasser des Flusses. Sein bronzener Oberkörper und die Gestalt der Frau zeichnen sich scharf auf der abendlich vergoldeten Wasserfläche ab. Der Schmied wird sie gewahr; in der Hand den Speer des Zentauren, läuft er ans Ufer hinab und schleudert, weit vorgebeugt, den Speer, der mit zitternden Schaft einen Augenblick im Rücken der Frau stecken bleibt, bis diese mit einem gellenden Schrei die Locken des Zentauren fahren lässt und mit ausgebreiteten Armen rücklings ins Wasser stürzt. Der Zentaur fängt die Sterbende in seinen Armen auf und trägt sie hocherhoben stromabwärts, dem andern Ufer zuschwimmend.)