In der Chemnitzer Koch- und Haushaltschule
In der Chemnitzer Koch- und Haushaltschule.
Bernsbachplatz!“ verkündet die Stimme des Kondukteurs der elektrischen Bahn. Wir verlassen den Motorwagen und befinden uns gegenüber einem stattlichen Schulgebäude.
Es ist Sommerszeit, und wenige Minuten fehlen an der siebenten Morgenstunde. In Scharen strömen von allen Seiten Kinder der verschiedensten Altersstufen herbei, und wir sehen zur Linken die Buben, zur Rechten die Mädchen in den weitgeöffneten Pforten verschwinden.
Wir folgen den Mädchen, doch nur bis in den unteren Korridor. Dann öffnen wir die zum Hofe führende Thür, durchqueren den geräumigen mit Bäumen bepflanzten Platz und nähern uns einem schmucken einstöckigen Gebäude im Ziegelrohbau, dessen eigenartige Dachkonstruktion uns den Schluß gestattet, daß es einem ungewöhnlichen Zwecke dient.
Auch seine Pforten sind gastlich geöffnet. Doch nur eine beschränkte Anzahl halbwüchsiger Mädchen – offenbar der ersten Klasse angehörig – schlüpft hinein. Das Kennzeichen der Schülerin, die Schultasche, vermissen wir an ihrem Arme. Dafür trägt jede ein Körbchen oder Handtäschchen, in dem außer dem Frühstücksbrot ein mit Band eingefaßtes ledernes Vortuch und zwei saubere Topftücher eingepackt sind.
Mit diesen Mädchen überschreiten wir die Schwelle der geöffneten Thür und befinden uns in der Koch- und Haushaltschule, welche die Stadt Chemnitz vor sieben Jahren als eine der ersten in Deutschland zu Nutz und Frommen der Schülerinnen ihrer Volksschulen errichten ließ.
Nachdem wir in dem geräumigen Vorzimmer unsere Sachen abgelegt haben, betreten wir, von der Leiterin und ihren Gehilfinnen freundlich begrüßt, die saalartige, helle, blitzsaubere Küche, nehmen an einem günstig gelegenen Punkte Platz und betrachten das bewegte Bild, das sich vor unseren Augen entrollt. Als seien die Heinzelmännchen in all ihrer Betriebsamkeit wieder erwacht, so erledigen hier vierzig fleißige Mädchen eine Anzahl vorbereitender häuslicher Arbeiten. Die einen putzen flink und sauber die zehn Kochherde, setzen Wasser auf und zünden das Feuer an – mit wenig Spänen und wenig Lärm, wie wir vergnügt bemerken. Andere tragen die Aschkästen fort, holen Kohlen und füllen die Wassereimer. Eine dritte Gruppe reinigt Kartoffeln für die heutige Mahlzeit, eine vierte poliert das sämtliche Küchengeschirr und wischt die Töpfe aus.
Das alles währt nur kurze Zeit. Auf einen Wink der Lehrerin begeben die Mädchen sich geräuschlos an ihre Plätze, und glaubten wir vorher in einer Küche zu sein, so fühlen wir nunmehr uns in die Schule versetzt. An die letztere erinnern auch das Katheder, die beiden Wandtafeln mit dem Kochrezept des Tages, die Hausordnung, der Stundenplan und verschiedene Anschauungsbilder.
An mäßig großen Küchentischen nehmen auf Schemeln je vier Mädchen Platz, so zwar, daß alle die Lehrerin ansehen. Nachdem mit Gesang und Gebet das Tagewerk begonnen, erhalten die Kinder zunächst eine in Frage und Antwort gefaßte Unterrichtsstunde über die Nahrungsmittel, deren Beschaffenheit, Wert für den Aufbau des menschlichen Körpers, Preis, Aufbewahrung, vorteilhaften Einkauf; und zwar wird in jeder Lektion das für die Speise des betreffenden Tages gebrauchte Hauptnahrungsmittel besprochen, also die Milch beim Milchreis, das Ei bei den Nudeln, die betreffende Fleischsorte bei einem mit Fleisch verbundenen Gericht.
Heute giebt es „Saure Kartoffeln“, eine Mahlzeit ohne Fleisch, und da die Kartoffel bereits in einer früheren Lektion behandelt wurde, so lautet das Thema des heutigen Tages: Das Fett. Mit Interesse folgen wir der Entwicklung des Lehrstoffes. Wir hören von pflanzlichen und tierischen Fetten, von der hohen Bedeutung gerade dieses Nahrungsmittels für die Volksernährung; wir erfahren, daß der im Freien arbeitende Mensch seiner in reicherem Maße bedarf als der in geschlossenen Räumen und in sitzender Stellung Beschäftigte, und, daß es Pflicht der Hausfrau ist, den Ihren nicht nur überhaupt eine Mahlzeit zu bieten, sondern gerade diejenige, die ihrer Lebensweise am besten entspricht.
Am Schlusse wird das Rezept des Tages durchgenommen und die Lehrerin erteilt sehr genaue Anweisungen betreffs seiner Bereitung.
Nun kann das Kochen losgehen. Die vierzig Schülerinnen sind in zehn Gruppen gegliedert, von denen jede auf einem besonderen Kochherd eine Mahlzeit für vier bis sechs Personen bereitet. Jede Gruppe besitzt auch ihre kleine Kücheneinrichtung für sich. Ein Tisch nebst Schemeln, Wasser- und Scheuereimer, Scheuertücher, Geschirrtücher, Holzgerät, irdenes, eisernes und auch emailliertes Geschirr sind vorhanden, aber alles ist höchst einfach und auf das Notwendigste beschränkt in der Art, wie jedes [66] ordentliche Mädchen aus dem Arbeiterstande sich beim Eintritt in die Ehe ausstatten kann und wird.
Mit diesem Hinweis widerlegt sich die oft gehörte Behauptung, die Kochschule gewöhne betreffs der Beschaffenheit des Inventars ihre jungen Zöglinge an Ansprüche, die das bescheidene Heim nicht befriedigen könne.
Um den Kindern einen Begriff vom Preise der Mahlzeit zu geben, kauft zunächst je eines der vier Mädchen bei der Gehilfin an der Hand des Kochrezeptes die erforderlichen Zuthaten. Es hat zu diesem Zwecke eine Mark Wirtschaftsgeld erhalten und trägt alsbald die Ausgaben in ein Büchlein ein, welches sie der Lehrerin nebst dem restierenden Betrag am Schlusse der Stunde zustellt. Dieses Amt wechselt monatlich, ebenso wie verschiedene andere Pflichten, als da sind: Späne schnitzen, Feuerung besorgen, Wasser holen, den während des Kochens sich ansammelnden Aufwasch beseitigen und dergleichen.
Nicht alle Speisen erfordern zu ihrer Bereitung das gleiche Maß an Zeit und Aufmerksamkeit. So gilt es, die vielen Kinder in den Pausen unausgesetzt nützlich zu beschäftigen. Hören wir, wie die Lehrerin sich dieser Aufgabe entledigt, nachdem die angehenden Köchinnen ihre „sauren Kartoffeln“ soweit fertiggestellt haben, daß diese nur noch des Garwerdens bedürfen.
„Die erste Schülerin an jedem Tische bleibt am Herd und giebt auf das Essen und das Feuer acht, die zweite putzt Fenster, die dritte seift Thüren ab und reinigt das Vorzimmer, die vierte reibt das Blechzeug ab,“ ertönt das Kommando.
Hei, wie die Heinzelmännchen sich flink und fröhlich regen! Wie die straffe Disziplin und das anregende gemeinsame Schaffen auch in träge Körper Leben bringt! Sonderbar, daß die in der theoretischen Stunde oft Gescheitesten sich in der Praxis durchaus nicht als die Geschicktesten erweisen. Mit vieler Geduld werden die schwer Begreifenden immer wieder unterwiesen, die Nachlässigen ermahnt, die Langsamen angefeuert.
„Seht, das ist euer Putztuch!“ sagt die Gehilfin und verteilt an die Fensterputzerinnen halbe Bogen Zeitungspapier, die zu einem Knäuel zusammengerollt werden. Die Kinder lachen, aber sie probieren die Sache. Und siehe da! Das vorher sauber gewaschene Glas wird durch kräftiges Abreiben mit Zeitungspapier spiegelblank.
Mit demselben primitiven Putzmittel bearbeitet die vierte Gruppe das Blechzeug. „Natürlich scheuern wir mehreremal im Jahre mit Sodawasser und Zinnsand,“ erläutert die Lehrerin, zu uns gewandt, „aber für die allwöchentliche Reinigung genügt das Zeitungspapier. Wir lassen aus Prinzip unsere Kinder mit den denkbar einfachsten Mitteln arbeiten, damit keine später sich entschuldigen kann, es fehle ihr zur Aufrechterhaltung der Reinlichkeit am Material.“
„Und wie füllen sie an den übrigen Tagen die Pausen aus?“ fragen wir.
„O, wir haben immer viel zu thun und sind froh, wenn wir mit allem fertig werden. Da ist beispielsweise jeden Freitag die Wäsche.“
„Wie? Auch Wäsche wird in der Kochschule gewaschen?“
„Gewiß. Wozu hätten wir den stattlichen Waschkessel in unserer Küche und das nette Bleichplätzchen auf dem Hofe? Es sammeln sich bei uns jede Woche gegen 60 Geschirrtücher und ein paar Dutzend Handtücher an, ebenso eine Anzahl blauleinener und wollener Schürzen, welch’ letztere der Stadtrat für die ärmeren Kinder als Inventar angeschafft hat. Die Wäsche wird von der Donnerstagsklasse eingeweicht, am Freitag gewaschen und auf die Bleiche gebracht, Sonnabends gespült und aufgehangen, Montags gelegt, gerollt und ausgebessert.“ –
Doch die „sauren Kartoffeln“ sind gar und die Mädchen mit ihrer Arbeit fertig geworden. Der willkommene Ruf: „Zum Essen!“ versammelt im Nu die fröhliche Schar um den gedeckten Tisch, und, nachdem das Gebet gesprochen worden ist, wird mit Stolz und gutem Appetit der selbstbereitete „Kosthappen“ verzehrt, an dem im Interesse der aufnahmefähigen, jugendlichen Magen nur eins auszusetzen ist, nämlich, daß er nicht größer sein kann. In den Töpfen bleibt noch Essen zurück, aber es ist für andere bestimmt, für die Gefangenen des Arresthauses sowie für das Publikum, an welches ein Liter Essen zum Preise von 15 Pf. abgegeben wird.
„Durch diesen teilweisen Verkauf unserer Speisen decken sich vollständig die Ausgaben für die Nahrungsmittel,“ erläutert die Lehrerin, „so daß die Stadt nur für die Besoldung der Lehrerinnen und die Verzinsung des Anlagekapitals aufzukommen hat.“
„Und wie hoch beläuft sich der also geforderte jährliche Zuschuß?“
„Auf rund 3000 Mark für jede Kochschule.“
„Für jede? So haben Sie außer dieser noch eine derartige Anstalt?“
„Gewiß, und zwar eine von derselben Größe, denn wir unterrichten insgesamt 480 Volksschülerinnen, und zwar während des ganzen letzten Schuljahres, nicht, wie es an manchen Orten üblich, nur im halbjährigen Kursus.“
Während die liebenswürdige Lehrerin uns diese und manch’ andere Auskunft erteilt, haben die fleißigen Mägdlein die Spuren ihrer kochkünstlerischen Thätigkeit getilgt. In blendender Sauberkeit erstrahlen die Tische und Schemel, die Geschirr- und Topfregale, die Messer, Löffel und die Steinfliesen des Fußbodens. Von der letzten trocknen Oase, auf der wir mit der Lehrerin standen, retten wir uns nach dem Vorzimmer und nehmen dankend Abschied von dieser modernen Bildungsstätte, der wir ein herzliches „Wachse, blühe und gedeihe!“ zurufen. Mögen derartige Schulen, die in den jungen Mädchen den Sinn für Hauswirtschaft wecken, immer weitere Verbreitung finden!