Ismaïl Gibraltar in Europa
Ismaïl Gibraltar in Europa.
Durch Zufall wurde ich[1] mit einem der Männer bekannt, welche dem Pascha von Aegypten in seinen, vielleicht so folgenreichen Versuchen, die Kunst der Europäer nach dem Orient zu verpflanzen, am wirksamsten und kräftigsten zur Seite standen. Ismaïl, in Konstantinopel von armen Eltern geboren, ward schon in seiner frühen Jugend nach Aegypten gebracht, wo er lange in untergeordneten Stellen blieb. Er hatte fast alle Vorzüge seines Volkes, ohne von dessen Fehlern beherrscht zu werden: große Entschiedenheit und Festigkeit, Geistesgegenwart, ein blindes Vertrauen auf das Schicksal, einen absoluten Fatalismus, der indeß keineswegs in Indolenz ausartete, Freimuth und Adel der Seele. Er war von kräftiger Gestalt, trotz der Zartheit, ich möchte sagen, der Anmuth seiner Formen. Seine Bewegungen waren ruhig, männlich schön.
Während seine körperlichen Vorzüge ihn dem Pascha bemerklich machten, wurde er ihm durch seine Talente bald unentbehrlich. Ismaïl sprach geläufig italienisch; er war thätig, und fühlte in sich die Aufforderung sein Glück zu machen. Mehemed Ali sandte ihn nach Schweden, Italien, England, um Schiffe und Segelwerk zu kaufen. Er war der erste ägyptische Unterthan, der die Meerenge von Gibraltar durchschiffte; als er zurückkehrte, erhielt er vom Pascha davon seinen Beinamen. Von nun an nannte er sich Ismaïl Gibraltar, und rückte schnell zu den ersten Stellen des Reichs empor.
Dieser außerordentliche Mann vorzüglich ist es, der dem Pascha von Aegypten Geschmack an den Künsten und der Civilisation Europas beibrachte. Ich sah ihn in London im Jahr 1804. Nicht ohne Interesse wird man die Erzählung seiner Reise lesen, wie ich sie meist aus seinem eigenen Munde hörte.
Ein schlechter griechischer Pilot führte sein Fahrzeug. Eine alte Charte der Weltkugel, ein verrosteter Kompaß, eine Seeuhr, deren Gebrauch niemand kannte, und eine englische Boussole dienten der Unwissenheit Panajotti’s – so hieß der Pilot – mehr dazu damit zu prahlen, als sich darnach zu richten. Die Schiffsmannschaft bestand aus Aegyptiern: Trägheit, Gleichgültigkeit und Gehorsam waren ihre einzigen hervortretenden Eigenschaften. Man stößt vom Lande. Che sara sara[2] wiederholt Ismaïl in der lingua franca. Die Segel sind aufgezogen. Der ottomanische Columbus streckt sich auf die Polster, mit denen man das Verdeck belegt, sieht allmälig am Horizonte die Minarets von Alexandria hinuntertauchen, und vertraut sich den Wellen, den Winden und seinem Sterne.
„Allah ist groß, und Mahomet sein Prophet!“ mit diesen Zauberworten wirft er einen letzten Blick auf die Ufer von Mesr[3], von denen ein frischer Wind das Fahrzeug entfernt. Während er in gemächlicher Ruhe Tabakswolken aus seiner langen Pfeife bläst, unterhält der griechische Navarchos, getreu der servilen und geschwätzigen Weise seines Volks, die Muße seines Herrn mit wunderbaren Erzählungen. Er sagt ihm, wie die Europäer den Blitz anziehen und gleich den Vögeln fliegen; er erzählt ihm von seinen langen Reisen im Schnee und Eis des Nordens. Der Ottomane glaubt kein Wort, schweigt, bleibt unbeweglich, und hört, in seinen langen Bart lächelnd, Panajotti’s Geschichten ruhig mit an. Da beginnt der Sirocco zu wehen. Welcher Unterschied zwischen dieser feuchten, heißen, ermattenden Atmosphäre, und den Bädern und Wohlgerüchen des Harems! Die Geduld des Muselmanns widersteht dieser ersten Probe. Er hüllt sich in seinen weiten Albornoz[4], weiß wie der Schnee des Gebirgs, zieht aus einem lakirten Kästchen den Koran, ein untrügliches Zeichen gegen jedes Ungemach des Lebens, gebietet dem griechischen Plaudermaul Stille und stellt seine lange Pfeife zur Seite. „Mortadi!“[5] ruft er aus, liest einige Verse und drückt die heiligen Blätter an sein Herz. Was geht es ihn an, ob Wasser in das Schiff dringt, ob man die Segel einziehen muß, oder wie viel Ankertaue man in einer Stunde spinnt? Dieß ist die Sache des Piloten. Seit dem Beginn der Zeiten steht sein Schicksal hoch über den Sternen geschrieben. Nichts kann ihn in Unruhe setzen: sein Almoschack[6] ist ihm Bürge.
Das Schiff steuert vorwärts; Panajotti hatte sich nicht getäuscht. Er betete, er fluchte und bekreuzte sich, und so war es ihm gelungen das Fahrzeug auf gutem Wege zu [246] erhalten. Endlich erheben sich die Ufer Candias vor den Blicken unserer Reisenden, und der griechische Pilote macht, indem er sich dem Muselmanne freundlich nähert, ihm bemerklich, wie zuverlässig seine Wissenschaft sey, und unter welch glücklichen Auspizien sie ihre Fahrt begonnen hätten. „Wir haben Candia vor uns – sagt er – die lachende Insel, von einem großen Volke bewohnt, längst schon vor den Zeiten der Hegire.“ „Vor der Hegire!“ denkt der Muselmann, indem er einen Blick der Verachtung auf den Navarchen wirft. Dieser aber läßt sich nicht irre machen. „Köstlicher giebt es nichts als den Wein von Candia; Ihr müßt wissen, daß hier Jesus Christus selbst die Reben pflanzte. Und die Weiber! o die Weiber! das sind Huris, Engel, Heilige. Hier hat der heilige Paulus gepredigt. Zwar ist es wahr, er sagt nicht besonders viel Gutes von ihnen. Er nennt sie Wüstlinge, faule Bäuche und Lügner.“ Seyd nicht Ihr selbst aus diesem Lande gebürtig? fragt Ismaïl mit ernsthaftem Gesichte. Panajotti fühlt die Beleidigung, aber steckt sie ein, ohne ein Wort zu sagen. Gern hätte er Ismaïl und sein Schiff zu allen Teufeln der christlichen Hölle geschickt; aber er befand sich selbst mit auf diesem Schiffe, und so begnügt er sich mit einem Seufzer oder einem unterdrückten Fluch.
Die Segel schwellen in günstigem Winde, der immer stärker wird. Alles scheint dem Muselmann einen glücklichen Erfolg zu versprechen, welcher, seine dreifachen Reinigungen und seine vorgeschriebenen Gebete verrichtend, alles Gott anheimstellt, der, wie es ihm gefällt, die Stürme bändigt oder losläßt.
Wie heißt dieser Seehafen, wo sein Schiff Anker wirft? Was für graue Dächer sind dieß? was für weiße Mauern? welch furchtbare Festungswerke! „Dieß ist Malta – antwortet der Grieche – eine berühmte Insel und eines der Bollwerke der Christenheit.“ Ismaïl hoffte sogleich ans Land steigen zu können; er kannte die Vorschriften der Quarantäne nicht, und vernahm nicht ohne Verdruß, daß er über einen Monat lang in einer Art Gefangenschaft am Bord seines Fahrzeuges zu bleiben habe. „Es geschieht dieß“ – sagt ihm der befehlshabende Offizier des Seehafens – „um die Insel vor der Pest zu schützen.“ „Die Pest“ – dachte Ismaïl – „ist der Bote Allahs; sie ist göttlich! Die Quarantäne ist ein Werk der Ungläubigen; sie ist verflucht.“
Verdammt zu dieser unfreiwilligen Zurückgezogenheit, blieb ihm nichts zur Unterhaltung übrig, als seine Pfeife, sein Koran und Panajottis Erzählungen. Als aber der Mond hinter den Wogen heraufstieg und auf den weißen Felsen wiederglänzte, als der kühlende Wind des Abends in den Segeln spielt, und die Wohlgerüche der Citronen- u. Orangenbäume, der Myrthen, Geranien und Rosen, mit denen die Insel bedeckt ist, über das Fahrzeug trug, da erglühte die Seele des Muselmannes, und mit Begeisterung sprach er sein Sâlat und Ala-Tema[7]. Von fernher tönte durch die stille Nacht eine Mandoline, deren silberne Klänge am Ufer wiederhallten; im tiefen Blau der Wellen des Mittelmeers glänzten und spielten die Sterne; die Glocken der Kirchen und Kapellen riefen zum Angelus und die heiligen Jungfrauen sangen die Litaneien der Maria. „Sâlat! Sâlat!“ rief der entzückte Muselmann; „Allah ist groß, und Mahomed sein Prophet!
„Panajotti!“ sagte er endlich, „den Tarikh.“[8] Der Grieche schmunzelt, und beginnt nun, begeistert von dem herrlichen Himmel und ihrer pittoresken Lage seine Erzählungen, in denen sich Feenwesen, Christenthum, einige Erinnerungen aus Tausend und Eine Nacht und einige Fragmente der wirklichen Geschichte wunderlich durcheinander mischen. Er sagte ihm, wie die Insel Malta einst aus einer Mantelfalte Gottes gefallen, wie dann die heilige Jungfrau einmal hier angelandet, und darauf die ganze Insel, zum Andenken an diese heilige Reise, weiß geworden sey, und noch hundert dergleichen erbauliche Mährchen der Jesuiten. Dann erzählte er ihm von den tapfern Ritter St. Johann’s. „Welches?“ fragte Ismaïl; „des Sohnes des Zacharias?“ Panajotti, dessen theologische Gelehrsamkeit nicht so weit reichte, stockte einen Augenblick, und eilte dann weiter zu kommen, indem er schnell von dem giftigen Drachen anfieng, und von dem Ritter der ihm erlegte, und dem St. Michael selbst den Arm geführt hatte. „Deine Heiligengeschichten machen mir Langeweile,“ sagte endlich Ismaïl. Nun erzählte der Pilote, wie die Türken Constantinopel eroberten und Rhodus. Der stolze Osmanli strich mit der rechten Hand wohlgefällig seinen langen, buschigen Bart, während die linke freundlich mit dem dunkeln Schnurrbart, der über die Lippen hing, spielte. Als aber der Grieche fortfuhr, und die ritterlichen Helden schilderte die des unüberwindlichen Solimans vereinigter Macht Trotz boten, als er vollends die Niederlage des großen Kaisers und den Sieg der Christen erwähnte, da zogen sich die dichten Augenbrauen Ismaïls drohend zusammen, aber dennoch blieb sein Stolz Meister über seinen Unwillen, und er rief in strengem Tone: „Nazarener fahre fort, fahre fort!“ Panajotti gehorcht. Er beginnt von Ali Bonaparte, und wie auch er Malta eroberte. „Eimah! eimah![9]“ murmelt der Türke, indem ein Lächeln ihm entschlüpft; „die Erde auf der wir sind, ist nichts als Täuschung.“ Endlich schließt der Grieche mit der Erzählung, wie die Engländer diesen Schlüssel des Meeres aufs neue in Besitz nahmen, und so die ruhmgekrönte Insel des Kreuzes und der Tapferkeit zum Lagerplatz ihrer Kaufmannsballen umwandelten.
„Eben zu diesen Engländern will ich nun!“ erwiederte der Muselmann; „zu den Seïds d’Al-Gezira-el-Hadra.[10] Allah ist barmherzig! wir wollen sehen, ob es mir bestimmt ist dahin zu kommen, oder ob wir in dem großen Meere unsern Tod finden sollen!“
[247] „St. Spiridion möge uns beschützen!“ antwortet der Grieche, sich bekreuzend und das Haupt neigend; „wohl ist der Ocean groß, aber meine Kenntniß wird uns, mit Hülfe der gebenedeiten Jungfrau, glücklich hinüberführen.“
„Wo ist das Schloß?“ fragte Ismaïl. „seht Ihr dort jenen weißen Thurm, in der Mitte der hohen Burg, weit hinausragend über alle umliegenden Gebäude, im hellen Scheine des Mondes, dort ist die alte Behausung der Großmeister der tapfern Johanniter, und nun die Wohnung Alexander Ball’s, eines Kriegers wie Ihr, der sich in der Bucht von Abukir gegen den großen Ali Bonaparte geschlagen!“
„Allah ist groß! Ich freue mich ihn zu sehen.“
[253] Die Quarantäne geht zu Ende; Ismaïl, ermüdet von der gezwungenen Ruhe, steigt mit den Worten ans Land: „Alles geht vorüber! Das Sprichwort hat Recht: selbst Stambul[11] wird sein Ende finden.“
Als wenn man dem Reisenden seine vierzigtätige Langeweile hätte vergessen machen wollen, wurden nun prachtvolle Feste vorbereitet. Die Kanonen wurden gelöst, die Flaggen entfaltet, und eine feierliche Deputation ging Ismaïl entgegen, um ihn zu empfangen. Die alte Vormauer des christlichen Glaubens schmückte sich nun dem muselmännischen Gesandten ihre Huldigungen darzubringen. Mit halb verachtendem Ernste blickte er auf diesen neuen Pomp, aber sein natürlicher Sinn für Anstand und Grazie machte ihn schnell bei aller Welt beliebt, und Sir Alexander Ball, Baronet, Gouverneur von Malta, gab ihm in den Gärten von Sant-Antonio ein Fest, Jesanguira’s und Al-Raschid’s würdig. Fast die ganze Stadt war eingeladen, Engländer, Malteser, europäische und orientalische Kaufleute, ein wahres Paradies von Toleranz, wo das Vergnügen alle Glauben vereinigte.
Ich möchte mich des orientalischen Bilderreichthums noch entsinnen können, dessen sich Ismaïl bediente, um dieses herrliche Giema[12] zu beschreiben, von dem noch in der Hauptstadt Englands seine ganze Imagination erfüllt war. „Wir begaben uns – erzählte der ägyptische Gesandte – zu dem Feste der Gärten, dem wahren Aufenthalt des Vergnügens. Nicht ohne Mühe gelangten wir dahin: mühsam ist der Weg der Erwählten. Man brachte uns in eine Calessa, einen harten Wagen, in dem ich herumgeworfen wurde gleich einer Barke im Sturm. Ein Chatib[13] des Gouverneus, der mit mir im Wagen saß, belehrte mich woher er komme, daß mich die Carosse so sehr ermüdete. In Malta, wo der Boden aus spitzen Felsen besteht, bedient man sich Wagen ohne Federn. Ich fand diese Art zu reisen höchst unbequem, und bildete, so gut es gehen wollte, aus meinen Händen eine Art Sitz, um die unsanften Stöße ein wenig zu mildern. Indessen erzählte mir der Chatib, der viel sprach und überhaupt ein ganz besonderer Mensch war, um mich zu unterhalten tausend Geschichten aus dem Lande des Niedergangs. Dann sagte er mir schöne Verse aus der Sprache des Almagreb[14] vor, von denen ich nur leider kein Wort verstand, und die mir fast das Ohr zerrissen. Endlich zeigte er mir eine hübsche Pfauenfeder, mit der er gewöhnt sey, seine Werke zu schreiben. Später bin ich ihm wieder in London begegnet, wo er indessen reich geworden war, und sich, was man so nennt, einen Namen verschafft hatte. Ich gestehe, daß ich nicht eigentlich weiß, wie er das angefangen hat. Endlich gelangten wir zu dem Giema. Ach das Paradies des Propheten, die Engel des Himmels und der Erde, der Wein von Schiraz und die Rosen von Ormuzd verschwinden vor dem, was ich in diesen glücklichen Gärten traf! Alla Akbar! Allah Akbar![15] Welche blauen Augen! welche schwarzen Sterne! Die Huris des Nordens und die des Südens wandelten unter den blühenden Orangen und Citronen; hier die sanften schmachtenden Blicke der Schönen von der grünen Insel, dort die leuchtenden Strahlen unter den langen Wimpern der Töchter Malta’s. Und dabei der Sabha[16] von allen Ländern, allen Arten: ich füllte meinen Becher bis zum Rande. Unsere Gelehrten behaupten, daß der heilige Prophet ihn verboten habe; aber dieß ist falsch. Ich weiß meinen Koran auswendig. In welcher Stelle hat er den funkelnden Trank verboten? Nichts ist verboten als der Mißbrauch.“[17]...
Folgen wir ihm nun auf seiner ferneren Fahrt. Er verläßt Malta. Vergebens würde ich versuchen, alle die Schwierigkeiten aufzuzählen, die er auf seinem Wege fand, und alle die Verlegenheiten, in die ihn Panajottis Unwissenheit brachte. Statt, wie sie sich vorgenommen hatten, die Meerenge von Gibraltar zu erreichen, finden sie sich auf einmal in Tunis, segeln wieder von dort ab, aber nur [254] um nach kurzer Irrfahrt unversehens wieder dahin zurückzukehren, werfen dann Anker in dem Hafen von Cagliari, nehmen die Richtung nach Livorno, steuern auf Sicilien zu, erblicken von ferne die Kette der Pyrenäen, bis sie endlich merken, daß sie sich doch auf falschem Wege befinden müssen. Dieß war freilich ein wenig spät. Sie halten Rath, und der gesunde Verstand Ismaïl’s nöthigt den griechischen Piloten die Richtung zu ändern und gegen Süden zu segeln. Dieß rettet sie aus ihrer Noth. Sie verlieren das Land nicht mehr aus dem Gesichte, folgen den Küsten, besuchen Oran, Melilla, Almeria, Marbella, erkundigen sich bei Christen, Türken und Juden, bis sie endlich mit Hülfe der guten Rathschläge, der Geduld, der Beharrlichkeit, des Glücks und eines günstigen Windes, in drei Monaten und etlichen Tagen ihre gefährliche Ueberfahrt von Malta nach Gebel-Tarik[18] vollenden.
Dieß war eine wahre Odyssee gewesen. Oft glaubte der Muselmann Allah habe ihn verlassen, und die dunkeln Schwingen Azaels[19] breiteten sich über sein Fahrzeug. Es war ihm schon als hörte er über seinem Haupte, wie in dumpfem, feierlichen Tone die Flügel des Engels Gihanam, des Todesboten, über ihm rauschten. Auf einmal aber öffnet sich die Bucht von Gibraltar, und hoch erheben sich vor ihren Blicken die Wälle und Bastionen der furchtbaren Citadelle.
Dieselbe Gastlichkeit wie in Malta fand Ismaïl auch in Gibraltar. Man zeigte ihm alle Merkwürdigkeiten der Stadt, die Zinnen, die Pflanzungen, die schroffen Felsenberge. Mit Schrecken sah er die Höhle des heiligen Michael, mit Staunen die Zunge des Teufels[20]. „Wie?“ – rief er aus – „verehren die Christen die Geister des Himmels zugleich mit denen des Abgrundes?“ Lange ging er in der Almeida[21] spazieren, entzückt von den herrlichen Bäumen und der unermeßlichen Aussicht. „Was für eine wunderliche Puppe ist dieß?“ fragte er, indem er vor einer Statue still stand. Man belehrte ihn, daß er ein Denkmal brittischer Sculptur vor sich sehe, das Bild des englischen Commandanten Heathfield. Er kehrte die Augen weg; Ismaïl war ein Mann von Geschmack.
Aber wer schildert sein Erstaunen, als er in den Straßen der Stadt jene ungeheuern gepuderten Perücken erblickte, mit denen die jüdischen Weiber dort seit undenklicher Zeit ihren Kopf belasten. Er hielt es für eine Maskerade. Nie konnte man ihn überzeugen, daß dieses Costume im Ernste gemeint und national sey.
Endlich, nachdem er seinen Wechsel auf den Pascha gezogen hatte, ging er um vier Uhr Abends zu dem Gouverneur, um sich zu beurlauben. Die Stunde war ungeschickt; er wollte den edlen Baronet nicht aus dem Schlummer wecken. Er ließ ihm zwei Canonen und zwei Kugeln als Geschenk zurück; dann ging das Schiff unter Segel mit einer frischen Ladung von Früchten und Doublonen.
Eine weiße Wolke, eine Kuppel von drohenden Dünsten umkränzte das Haupt des Felsens, und verkündigte nahen Ostwind. Die furchtbare Meerenge, Bab-el-Zalak, die Pforte des Meeres, öffnete sich vor unsern Abenteurern. Panajotti, um sein Verdienst desto mehr in’s Licht zu setzen, vergrößerte noch die Gefahren der Ueberfahrt. „Der Ozean, in den wir uns stürzen, ist beinahe ohne Grenzen. Mehr als zehntausend Meilen weit erstreckt er sich gegen Abend, gegen Norden und gegen Mittag. Die Stürme sind sehr häufig und hier muß sich die ganze Geschicklichkeit eines Seemanns bewähren.“ Ismaïl hatte, wie wir sehen, keine besondere Meinung von der Wahrhaftigkeit des Griechen. „Hat er nicht behauptet, die Insel Candia sey schon vor der Hegire bewohnt gewesen? Der Lügner! Der Unverschämte! Aber bei alle dem ist er ein guter Pilot, und das ist die Hauptsache. Unsere letzte Reise von Malta nach Gibraltar ging glücklich von Statten; ich bin mit ihm zufrieden, ungeachtet es ein ungläubiger Hund ist.“
Indessen mußte der geschickte Navarche sich mit Ismaïl berathschlagen über die Richtung die genommen werden sollte. Nach langer Consultation rief endlich der Ottomane: „Billah! Bismillah![22] laßt das Schiff seinen Weg gehen!“ Die Vorsehung, die einzige Führerin des Fahrzeuges, trieb es an die Küsten von Madeira. Hier erfuhren sie, daß der Wind, der ihnen frisch in die Segel blies, sie von der wahren Richtung ein wenig abgebracht hatte. Ismaïl wollte unwillig werden; Panajotti beruhigte ihn aber, indem er ihn an ihre erstaunliche Ueberfahrt von Malta nach Gibraltar erinnerte, und ihm vorstellte, daß auch der Weiseste sich irren könne. Ismaïil konnte der Wahrheit dieser Bemerkung nichts entgegenstellen. Man machte Rasttag in Madeira. Der Wein war so trefflich, die Gesellschaft so gebildet, das Klima so schön: der Muselmann fand die englischen Kaufleute so gefällig, die Ananas so herrlich, die Insulanerinnen so zuvorkommend, daß er vierzehn Tage lang da bliebt und nur ungerne dem schönen Eilande Lebewohl sagte.
Ungeduldig, seine Reise einmal zu beendigen, machte Ismaïl tausend Fragen an seinen Führer. „Wann werden wir in England seyn?“ – „In drei Tagen.“ – „Seyd Ihr schon da gewesen?“ – „O, schon mehr als zehnmal!“ „Allah ist groß; wir wollen sehen. Aber schaut dort die Küsten, die uns immer näher rücken; sollten das die Ufer der grünen Insel seyn?“ – „beim Panagia und St. Georg! beim heiligen Dionys und St. Spyridion, das ist es! das ist es! Ich erkenne London, ich sehe den Thurm der großen Kirche; ich kann mich nicht täuschen; kenn’ ich doch dieses Land wie meinen eigenen Mantel hier! Glaubt mir! Vertraut mir!“ Der verständige Ismaïl aber schüttelte den Kopf. Sein diplomatischer Blick sagte ihm, daß England doch nothwendig größer seyn müsse. Er nahm die Charte zur Hand. Das Meer schien übersäet mit kleinen Inseln; sollte dieß Irland seyn, die Insel Wight, oder Man? Diese Gruppe von Inselchen, sind das die Orcaden, die Hebriden oder die shetländischen Iseln? Nein! je weiter sie vorrücken desto größer wird ihre Zahl. Ismail, immer ungeduldiger, verwünschte bald die schlechte Charte, bald seinen ungeschickten Piloten; endlich aber [255] wird er es müde, sich mit Ungewißheiten zu plagen, nimmt seine lange Pfeife, und bläst die Sorgen in den Wind. Man läuft in den nächsten Hafen ein, man erblickt eine Stadt – es ist Angra, und diese Inseln sind die Azoren!
[259] Nach einigen Tagen gingen sie wieder unter Segel. Panajotti, stets zufrieden mit sich selbst, sang seine griechischen Lieder und seine Litaneien. Statt aber in der Themse einzulaufen, finden sie sich auf einmal wieder vor Gibraltar. Ein paar Wochen darauf gelangen sie nach Cadix. Fröhlich auf Frankreich zusteuernd, erreichen sie die gefährliche Bucht von Biscaya. Plötzlich ändert sich der Wind, das Meer geht hoch, und von ferne rollt der Donner; Panajotti weiß nicht was anzufangen. Ismaïl will, daß man die Pumpen in Bewegung setzen soll. Aber weder die Schiffmannschaft noch die unter Wegs mit aufgenommenen Reisenden waren von der Art, daß sie sich im Sturme zu helfen gewußt hätten. Der Grieche warf sich auf die Knie vor einem kleinen Bilde des heiligen Spiridion, die Malteser beteten zu St. Johannes und der heiligen Jungfrau, die Türken riefen ihren Propheten an. Ein Jude, den man, um den Sturm zu beschwören, ins Wasser werfen wollte, war noch am schlimmsten daran. Segel und Masten gingen zu Grunde und halb zerstört ward endlich das Fahrzeug, ein Spiel der Wogen, in den Hafen von Bordeaux geworfen. Dort erfuhr Ali Bonaparte den Unstern der Reisenden, und schickte ihnen Hülfe. Das Schiff ward ausgebessert, und an die Stelle Panajottis, der im Sturme nicht nur das Steuer sondern auch den Kopf verloren hatte, kam ein gefangener Engländer, dem die französische Regierung großmüthig erlaubte, Ismaïl als Pilote zu dienen.
Acht Monate bereits waren sie auf dem Meere herumgeirrt, gleich einer Flaumfeder, die ein Knabe in die Höhe bläst, und die nun der Wind bald da, bald dorthin weht. Nun aber, unter des erfahrnen Britten sicherer Leitung, flog das Schiff mit vollen Segeln England zu. Wenige Tage waren verflossen; Ismaïl saß, mit seiner Pfeife im Munde, gerade auf dem Verdeck, als in der Ferne große weiße Felsenwände sich seinem Blicke zeigten. Fahrzeuge von jeder Größe durchschnitten die Wellen nach allen Richtungen; eine thätige Bevölkerung drängte sich an den Ufern – das war ein Leben, eine Bewegung, eine Verwirrung und ein Lärm, daß Ismaïls Augen müde und seine Ohren fast betäubt wurden. Längs der Küste hin erblickte er Festungswerke, Städte, Dörfer in langer Kette; ein Kranz von Schiffen umgab die Insel, deren grüne Rasen einen lebhaften Gegensatz gegen den düstern Himmel und die weißen Felsen bildeten. Ismaïl wollte es Anfangs gar nicht glauben, daß dieß schon England sey. Das Wunder einer solchen schnellen Ueberfahrt überstieg allen Glauben. Und als man ihm nun die Gewißheit gab, wie oft rief er da aus: „Allah ist groß! Allah ist groß!“
Wir wollen uns nicht dabei aufhalten, zu beschreiben, wie häufig er während seines Weges vor Erstaunen stille stehen mußte, über die Diligencen, die schnell wie der Wind dahinflogen, über die Chausseen und die gothische Kathedralen. Panajotti, der ihn begleitete, hatte, seitdem er wieder festen Boden unter sich fühlte, den Gebrauch seiner [260] Sinne wieder erhalten, und gab ihm nun, in seiner Art, von allem die wahrhaftigsten Erklärungen und Beschreibungen.
„Sagt mir, im Namen des heiligen Propheten, ist dieß der große Vereinigungspunkt der Stämme?[23]“ fragte Ismaïl, als sie nach London kamen; „das ist das sonderbarste Getümmel, das ich noch in meinem Leben gesehen und gehört habe.“ Er durchstrich die glänzenden und volkreichen Quartiere der Stadt, geführt von Panajotti, der ihn endlich in eine obscure Kneipe von Wapping, in der Nähe der Ratcliffe-Straße brachte, um dort sein Nachtlager zu nehmen. Panajotti verdankte diese Adresse der Gefälligkeit eines Landsmannes, eines armen Matrosen, der nach England gekommen war, und dieses Asyl seinem magern Beutel sehr angemessen gefunden hatte. Da residirte also nun der orientalische Bevollmächtigte, der Gesandte eines Souveräns, unter dem Schilde des spinnenden Schweines, mitten unter Schiffsjungen, Matrosen und Freudenmädchen.
Indessen stieg Ismaïl gar kein Gedanke auf, als ob sein gegenwärtiger Aufenthalt unpassend für ihn wäre. Die Herberge, obwohl nur für den Pöbel bestimmt, war doch, wie alle solche Wirthshäuser in England, reinlich und bequem. Sie hatte ihre Tapeten, ihre feine Leinwand und ihre blanken, glänzenden Röste. Die Betten waren gut gemacht, die Dienstboten aufmerksam und die Aufwärterinnen gefällig. Wie wohl fühlte sich Ismaïl, als der in einem sorgfältig aufgeputzten Zimmer, dessen ausgezeichnete Reinlichkeit und Ordnung fast für Luxus hätte gelten können, vor einem freundlichen Steinkohlenfeuer seine Beine übereinander kreuzte! Wie hätte Ismaïl an der fernen Küste Afrikas lernen sollen, welche Scheidung in Stämme und Kasten die Mode im Schoose der drei Königreiche angeordnet hat? welche Scheidungslinie den homme comme il faut in dem westlichen Theile Londons von dem Gentleman trennt, der auf der Grenze des bon ton lebt; mit welcher Verachtung sodann dieser auf den Handelsmann der City herabblickt, von dem jene Verachtung gleichsam wieder zurückprallt auf den Handwerker, von diesem auf die armen Leute der Vorstädte, und von diesen endlich auf die Canaille des Land- und Seevolks, unter die sich unsere ägyptische Excellenz nun versetzt fand!
Unbekümmert um all diese Dinge, äußerst zufrieden mit London und Wapping, nicht bekannt mit den großen Pflichten und den feierlichen Nuancen der Gewohnheit und Etikette, sandte Ismaïl sein Beglaubigungsschreiben an Se. Majestät in den Palast. Ohne Verzug kam die diplomatische Antwort, und der Tag seiner Präsentation ward bestimmt. Mit Ungeduld erwartete der Prinz-Regent, der jetzige König, die Ankunft des Aegypters. Genau um die von dem Staatssekretär bestimmte Stunde öffnen sich die hohen Flügelthüren von Carltonhouse einem der schönsten Männer des Jahrhunderts. Freundlich, aber mit imponirendem Blick, mit festem Schritte, in eben so einfacher als edler Haltung, in Goldbrocat und Scharlach gekleidet, von Diamanten funkelnd, mit einem fliegenden blauen Ueberwurf und einem prachtvollen seidenen Turban, mit breiten Perlenschnüren reich umhängt, und einem strahlenden Halbmond an goldner Kette, schreitet Ismaïl durch die lange Reihe von Höflingen in kurzen Hosen mit ihrem kleinen Hut unter dem Arme. Eine stille Majestät lag in allen seinen Zügen, mit einem hinreißenden Ausdruck von Wohlwollen. Das bleiche Gesicht, die großen schwarzen Augen, der lange dunkle Bart flößten unwillkührlich eine ehrfurchtsvolle Scheu ein. Er legte die rechte Hand auf seine Brust, erhob die linke an seinen Turban, und machte so eine der edelsten Begrüßungen, die man seit langer Zeit in dem Palast der brittischen Könige gesehen hatte. Man versichert daß der in dieser schwierigen Kunst erfahrenste Gentleman Englands[24], der competenteste Richter in Sachen des Anstandes und der feinen Sitte, nicht ohne Staunen der natürlichen Grazie, die sich in jeder Bewegung seines afrikanischen Gastes aussprach, den freundlichsten Beifall zollte. Die Anmuth vereinigte sich in ihm mit der Kraft, und er war, wie ein arabischer Dichter sagt, ein Felsen mit Blumen bedeckt.
Es bildet sich ein Kreis von Höflingen um ihn. Se. königliche Hoheit empfiehlt ihn der besondern Aufmerksamkeit seines edlen Bruders. Die Blicke der ganzen Versammlung sind auf ihn gerichtet. Man überhäuft ihn mit Schmeicheleien, Zuvorkommenheiten, Lobsprüchen. Aber wo logirt er? Er antwortet, ohne die mindeste Verlegenheit: „In Wapping, im Wirthshaus zum spinnenden Schwein.“ Man urtheile über die Wirkung dieser naiven Erklärung mitten unter den Baronnets und Herzogen des Reichs. Es gehörte alle Zurückhaltung dazu, die man an Höfen so gut lernt, daß die hohe Gesellschaft nicht in lautes Lachen ausbrach. Es kommt zu gegenseitigen Erläuterungen, und man versäumt nicht, Ismaïl zu rathen, so schnell als möglich sein Wirtshaus von Wapping mit einem glänzenden Hotel im Quartier noble zu vertauschen. Er zog also in den westlichen Theil der Stadt, wo der ungeheure Luxus aufs neue in Erstaunen setzte. Aber bei allen Festen und Vergnügungen, die man ihm bereitete, blieb er bescheiden, voll Anstand und Haltung in seinen Manieren und seinem ganzen Wesen. Er war entzückt von England und seinen gefälligen Bewohnern. Indessen rückte die Zeit der Abreise heran. Ismaïl besuchte noch verschiedene Länder, wohin seine geheimen Instruktionen lauteten, und erfüllte mit der seltensten Klugheit die Befehle seines Herrn.
Nach seiner Rückkehr veranlaßten seine Erzählungen den Pascha zu dem lebhaften Wunsche, die europäische Civilisation nach Aegypten zu verpflanzen. Er ward zum Amiralim[25] ernannt und fiel, im Kampfe der Griechen mit den Türken, im Jahr 1824 tapfer am Bord seines Schiffes. Ismaïl Gibraltar war der erste Gründer der ägyptischen Marine, und bestimmt das Loos der türkischen Seemacht zu theilen, deren tapfere, wenn auch unglückliche Gegenwehr gegen die vereinigten Escadern Europas, dem Morgen- wie dem Abendlande eine so große Lehre gab.
- ↑ Diese Charakteristik Ismaïls ist aus dem New Monthly Magazine gezogen.
- ↑ Ce qui sera, sera
- ↑ Aegypten.
- ↑ Ein weißer Mantel.
- ↑ Geliebter Gott!
- ↑ Das heilige Buch.
- ↑ Sâlat, ein religiöser Ausruf der Begeisterung und Freude; Ala-Tema, das Gebet des Abends, das letzte des Muselmanns.
- ↑ Die Abend-Erzählung.
- ↑ Sonderbar! sonderbar!
- ↑ Die grüne Insel, England.
- ↑ Constantinopel.
- ↑ Gartenfest.
- ↑ Chatib, Sekretär. Die Person, von der Ismaïl hier spricht, ist der bekannte Dichter Coleridge, damals Sekretär des Sir Alexander Ball.
- ↑ Der Occident.
- ↑ Gott sey gelobt.
- ↑ Wein.
- ↑ Bei dieser Gelegenheit muß ich eine lustige Geschichte erzählen, welche einmal in London den Gästen des guten Ismaïl viel Spaß machte. Er vertheidigte bei Tische und vollem Glase die hier ausgesprochene Meinung über das Verbot des Weines. Dreimal bereits hatte er den hohen Becher geleert, und dreimal die Lehre zurückgewiesen, welche den „funkelnden Trank“ verbietet. Am Ende aber begann sein Haupt zu wanken und seine Zunge schwer zu werden. „Der Prophet – stammelte er noch, als er den Kopf auf die Rücklehne des Stuhls sinken ließ – „hat nichts ver…bo…ten a…ls den Miß…brauch“ und schlief dann ein.
- ↑ Gibraltar, wörtlich: Berg von Tarik.
- ↑ Der Todesengel.
- ↑ Pik von Gibraltar.
- ↑ Die besuchteste Promenade in Gibraltar.
- ↑ In Gottesnamen, wie der Herr will.
- ↑ Al-Azab.
- ↑ Georg IV.
- ↑ Admiral.