Jona und Staffa; – die Fingalshöhle
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In des Universums unermeßlichem Raume kömmt sich der Mensch wie eine Eintagsfliege vor, die über dem Strome der Ewigkeit in der Abendsonne spielt, und der Erdcoloß selbst erscheint wie ein Blatt im Walde, das sich entfaltet, grünt, welkt, abfällt und vergeht. Erst der tiefern Betrachtung erschließt sich in einem solchen Blatt eine Welt voll Leben, erst sie sieht nichts Todtes auf der Erde. Alles, was dem sinnlichen Auge als leblos erscheint, ist in der That nur ein anderer Leib für dasselbe Seyn, und jede Form, der Strom wie das Meer, das Thal wie der Hügel, der donnernde Wasserfall, wie der brüllende Feuerberg, – Alles, Alles, vom Sonnenstäubchen an bis zur Milchstraße herauf, deren Millionen-Sonnen-Leben in einem einzigen aufgeht, datirt eine unendliche Ahnenreihe von Verwandlungen, bis zu dem Augenblick zurück, wo der einzige Gott sein „Werde“ sprach. In diesem allgemeinen Lebendigseyn ist ein unendlicher Trost verborgen. Mir ist es der sicherste aller Bürgen für meine eigene Unsterblichkeit.
Darum ist mir auch die Natur in allen Formen heilig, und nirgends wird mir so wohl, als wenn ich, entrückt dem Menschengewühl und seiner Plage, auf dem Gipfel eines Berges, oder im stillen Waldgrund mich in die Mitte eines Lebens versetzen darf, das Jeden, der ihm mit empfänglichem Herzen entgegentritt, mit Liebe bewillkommt. In jedem Grashalm, in jeder Staude, in jedem Baume, in jedem Wurm, der über meinen Pfad kriecht, im Fels, im Sturze des Bachs, im Hügel, den mein Knabe überspringt, und im blaugekleideten Riesen am Horizonte sehe ich ein Leben voller Schönheit und voller Liebe, und in jeglichem Blumen- und Käferauge spiegelt sich mir die hohe, milde Gestalt des Herrlichen wieder, den mit mir alles Lebendige Vater nennt und preist.
In meinem schweren Beruf, der mich gefangen hält, ist mir selten solche Seligkeit vergönnt. Wird der Leser es glauben, daß der Mann, mit dem er am Zauberstabe des Worts die Welt durchwandert, Jahre lang nicht über die nächsten Berge des Städtchens kam, daß mehr Schicksal, als eigner Wille, ihm nach einer an Erfahrungen, Wechseln und Stürmen überreichen Jugend, zum Mittelpunkt seines Wirkens auserkohr? und doch zieht er mit diesem Wirken ein Band um den Erdkreis. –
[4] Gedanke, wohin? was wühlst du in der Schicksalskammer deines Ichs zur Langweil deiner Leser? Erhebe dich über die Scholle, die den Leib gefesselt hält, hoch über die Berge, unter denen die Gewitter des Lebens brausen; denn berichten sollst du von dem Eilande, der Wohnung des Weisen, Dichters und Sängers, welcher Völker begeistert hat seit zwei Jahrtausenden. Dein Thema ist – „Jona-Ossian!“ So ruft’s mir zu und ich erzähle.
Tief im atlantischen Ocean, an der scharf ausgezackten Westküste des schottischen Hochlands, liegen die Inseln der Hebriden, das ultima Thule der alten Erdbeschreiber, preisgegeben seit Jahrtausenden den schäumenden Wogen des größten Meeres und seinen unbeschränkten Stürmen. Zu dieser Gruppe gehören zwei kleine Eilande, hoch sich erhebend über ihre Schwestern, wie große Menschen über ihre unbekannten Brüder.
Diese beiden, erst im vorigen Jahrhunderte wieder zugänglich gewordenen, Felseninseln sind das Heiligthum der nordischen Sage und Mythe. Auf ihren Zinnen sang Ossian seine unsterblichen Lieder, lehrten die Druiden gnomische Weisheit, und indem sich die heiligsten Volkserinnerungen hier einigen, hat sich auch Sitte und Sprache des Volks, der alten Gälen, am reinsten hier erhalten. Jona, oder Icolmkill, das eine der beiden Eilande, war einst in der westlichen Welt die Sonne, welche Licht ausstreute auf die in der Finsterniß der Barbarei versunkenen Nachbarländer, und Religion, mit Wissenschaft im Bunde, ward hier hochgefeiert lange bevor der römische Adler an Schottlands Marken horstete. Jona wurde die gemeinsame Grabstätte der Könige von Nord- und Westeuropa, weil ein frommer Glaube den auf dem heiligen Eilande Bestatteten am Tage der allgemeinen Vernichtung Erhaltung verhieß. Auf den gefundenen Grabsteinen mit leserlicher Runenschrift sind vier und sechzig Könige Schottlands, Frankreichs, Irlands und Norwegens benannt; von viel mehren hat die Zeit die Schriftzüge verlöscht. Ein vorhandenes Grab von ungewöhnlichem Umfang scheint ein ganzes Geschlecht in sich vereinigt zu haben. Jeder Schritt auf der heiligen Insel geht über Staub von Gekrönten, und jeder Fußtritt berührt das Fragment eines Denkmals großer oder hochgeehrter Menschen, die nicht einmal ihre Namen übrig gelassen haben, und der Enkel im hundertsten Gliede weiß nicht, daß sein Fuß vielleicht das letzte, unkenntliche Andenken eines Ahnen zermalmt. Auf den Trümmern des Druidischen Haupttempels baute der Apostel der Schotten im 6. Jahrhundert eine Kapelle, deren Reste noch vorhanden sind. Sie sind gleichsam das Band, welches heidnisches Alterthum mit dem christlichen verknüpft; denn der Bekehrer machte den großen Heidengott Odin zum Heiligen und widmete ihm das kleine Kirchlein. Und nicht in der Kapelle St. Odin’s (Ovans) allein sieht man die Typen des heidnischen mit denen des christlichen Glaubens wunderbar vermengt; noch andere [5] Denkmäler bestätigen es; so mehre Basreliefs, auf welchen neben den Vorstellungen von Odinsopfern biblische Ereignisse abgebildet sind, und das Kreuz ist eingemeißelt auf einem Altare, den heidnische Symbole bedecken. – Die heutigen Einwohner der Insel, wahrscheinlich direkte Nachkommen der alten Druidenbevölkerung, nähren sich von ihren Schaafherden und dem Fang der Seevögel, welche in ungezählten Schaaren die Felsenküste umschwirren. Jährlich viermal kommt ein Geistlicher aus Mull herüber, um das Wort des Herrn zu predigen, zu taufen, zu kopuliren und die Gräber der Verstorbenen einzusegnen. Die Jugend aber wächst von Geschlecht zu Geschlecht ohne allen Unterricht auf, und der berühmte Sitz druidischer Gelehrsamkeit ist gegenwärtig der der größten Unwissenheit. Schneidend ist die Ironie dieses Zustandes für das Jahrhundert der Aufklärung und allgemeinen Bildung; handgreiflich ist die Schmach; aber keine Hand rührt sich, sie zu entfernen.
Staffa, das Schwestereiland, ist unbewohnt; seine Naturwunder führen indeß jeden Sommer Schaaren von Reisenden zum einsamen Felsen. Die Spekulation hatte vergeblich es versucht, für die Bequemlichkeit der Besucher ein Gasthaus zu errichten. Zweimal standen die Gebäude; aber jedesmal rissen die atlantischen Winterorkane sie wieder weg und schleuderten ihre Trimmer in’s Meer. – Staffa ist der 140 Fuß senkrecht aus dem Meere hervorragende Gipfel eines erloschenen Vulkans, von dessen Seiten die Lavaströme in die Fluthen stürzten, denen wir die wunderbarsten Basaltbildungen verdanken, welche die Erde aufzuweisen hat. Die ganze südliche Façade der Insel, in einer Breite von fast einer halben englischen Meile, gleicht einem Feenpallaste von unbeschreiblicher Majestät. An vielen Stellen sind die Säulengeschosse mehrfach über einander gebaut; an andern bilden sie vorgeschobene Portale, an andern weite Thore, an deren innern Seiten sich Säulen an Säulen reihen, und deren Decken cassettirt sind, so regelmäßig, wie von den Handen des Baukünstlers. – So viele der bekannten Höhlen sind, so findet man jährlich doch noch neue auf, und man vermuthet, daß der ganze Bauch des Eilands damit angefüllt sey. Die herrlichste und berühmteste aller ist die Fingalshöhle; sie liegt an der Westseite des Gestades. Eifersüchtig hütet der Ocean dies Wunderwerk von des Schöpfers Hand, und Tausende kommen und gehen wieder, ohne es gesehen zu haben; denn nur bei scharfem Westwind ist die Annäherung der gefährlichen Strömung und fürchterlichen Brandung wegen überhaupt möglich. Da geschicht es wohl, daß die Schaaren der Touristen wochenlang harren, und der günstige Augenblick will doch nicht kommen. Auch ich war keiner der Glücklichen, welche das Wunder schauten; ein Anderer soll für mich berichten. – „Westwind wehete, unsere Freude war groß. Am Mittag näherten wir uns dem ersehnten Ziele; in hoher Pracht lag das schöne Eiland, mit der reichsten Säulenordnung der Welt, im ruhigen Ocean vor unsern Augen, angestrahlt und verherrlicht von der Sonne. Die Beleuchtung, vom tiefsten Schatten bis zu den glänzendsten Silbertinten, war unbeschreiblich. Rauschend flog das Dampfschiff durch die Brandung; in ungefähr 100 Faden Entfernung, seitwärts von der Höhle, hielt es an; Jeder [6] eilte, der Erste im ausgesetzten Boote zu seyn. Einige Minuten banger Erwartung (denn die Brandung spritzte mit jedem Ruderschlage herein) brachten uns zum Ziele – wir waren am Eingange. Unsere Vorstellungen von der Pracht des Anblicks, die hochgespannten, fielen vor der Wirklichkeit in nichts zusammen. Wie soll ich beschreiben! Wo die Poesie nicht ausreicht, da ist das prosaische Wort fürwahr zu arm. Rechts und links strecken die 50 Fuß hohen Colonnaden unabsehlich sich aus, und zwischen ihnen ist der Eingang: – dieser das colossalste Portal der Welt, 117 Fuß hoch mit einer Breite von 40 Fus. Der Boden desselben ist uneben; die Köpfe der Basaltsäulen, die ihn bilden, geben ihm jedoch das Ansehen der schönsten Parkettirung. Säule an Säule, von glänzend schwarzem Basalt, reiht sich an den Seiten hin. Die Wogen schlagen tief in die Höhle hinein, und das blendende Weiß des Schaums tanzt gespenstig an den Wänden hinauf. Die ganze Länge dieses Naturtempels ist 370 Fuß, und die himmelanstrebenden Säulenbündel tragen ein Gewölbe, das alle Dome der Welt beschämt. Verhältnisse und Formen an diesem Werke sind ganz originell und das Ganze ist die sublimste Harmonie! Tiefer hinein neigt sich der Boden, die Fluth bedeckt ihn ganz, einzelne Säulenstümpfe ausgenommen, auf denen man, freilich mit großer Beschwerde, zu Fuß bis an’s Ende vordringen kann. Eine solche Tour, die nicht ganz ohne Gefahr ist, hat was dämonisches. Rechts und links braust die Brandung im schwarzen Abgrunde; nirgends ein Anhaltspunkt. Die Meisten unserer Gesellschaft kehrten verzagt um; ich aber zog die Schuhe aus, um desto sicherer auf den schlüpfrigen Säulenfragmenten fortkommen zu können, und unter Herzklopfen kamen wir auch glücklich an’s Ende und zu dem Punkte hin, wo man den geheimnisvollen Symphonieen lauscht, welche die Fingalshöhle so berühmt gemacht haben. Lautlos horchten wir, lange vergeblich, bis wir endlich deutlich die Sphärenmusik vernahmen – zuerst leise, dann anschwellend zu immer grandiosern Tonmassen, zuletzt dem Rollen des Donners gleich, der uns Alle erbleichen und zittern machte. Die Ton-Uebergange hängen von der Weise ab, in welcher die akustischen Fibern des Baues durch die an den Basaltwanden sich brechenden und brandenden Wogen berührt werden. – An mehren Stellen dieses herrlichen Gotteshauses haben Menschen, frühere Besucher, unbekannte Namen eingemeißelt. Mir kam es vor, wie Sakrilegium! Viel ehrwürdiger, als jene Brüder des Nichts, erschien mir die schaumige Welle deren Lobgesang ich horchte. Wie gewaltig und zermalmend aber mag die Hymne seyn in Sturmesnacht, wenn die thurmhohen Wogen des ergrimmten Oceans des Riesenportals Giebel küssen, und die Brandung die Casetten des Gewölbes tauft. Die Musik ist für den Allmächtigen allein. Kein menschliches Ohr hat sie je vernommen, keins auch könnte sie ertragen.