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Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine

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Textdaten
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Autor: Rainer Maria Rilke
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Titel: Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine
Untertitel:
aus: Das Buch der Bilder
2. Buch Teil 1, S. 85–91
Herausgeber:
Auflage: Zweite sehr vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: Axel Junker Verlag
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Erscheinungsort: Berlin / Leipzig, Stuttgart
Übersetzer:
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Quelle: Commons,
E-Text von eLib Austria Projekt
Kurzbeschreibung:
Signatur ÖNB 665257-B.Neu-Mag
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[85]
Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine


[87]
Könige in Legenden

sind wie Berge im Abend. Blenden
jeden zu dem sie sich wenden.
Die Gürtel um ihre Lenden

5
und die lastenden Mantelenden

sind Länder und Leben wert.
Mit den reichgekleideten Händen
geht, schlank und nackt, das Schwert.

       

[88]
Ein junger König aus Norden war
10
in der Ukraine geschlagen.

Der hasste Frühling und Frauenhaar
und die Harfen und was sie sagen.
Der ritt auf einem grauen Pferd,
sein Auge schaute grau

15
und hatte niemals Glanz begehrt

zu Füßen einer Frau.
Keine war seinem Blicke blond,
keine hat küssen ihn gekonnt,
und wenn er zornig war,

20
so riß er einen Perlenmond

aus wunderschönem Haar.
Und wenn ihn Trauer überkam,
so machte er ein Mädchen zahm
und forschte, wessen Ring sie nahm

25
und wem sie ihren bot –

und: hetzte ihr den Bräutigam
mit hundert Hunden tot.

Und er verließ sein graues Land,
das ohne Stimme war,

30
und ritt in einen Widerstand

und kämpfte um Gefahr,
bis ihn das Wunder überwand:

wie träumend ging ihm seine Hand
von Eisenband zu Eisenband

35
und war kein Schwert darin;

er war zum Schauen aufgewacht:

[89]
es schmeichelte die schöne Schlacht

um seinen Eigensinn.
Er saß zu Pferde: ihm entging

40
keine Gebärde rings.

Auf Silber sprach jetzt Ring zu Ring,
und Stimme war in jedem Ding,
und wie in vielen Glocken hing
die Seele jedes Dings.

45
Und auch der Wind war anders groß,

der in die Fahnen sprang,
schlank wie ein Panther, atemlos
und taumelnd vom Trompetenstoß,
der lachend mit ihm rang.

50
Und manchmal griff der Wind hinab:

da ging ein Blutender, – ein Knab,
welcher die Trommel schlug;
er trug sie immer auf und ab
und trug sie wie sein Herz ins Grab

55
vor seinem toten Zug.

Da wurde mancher Berg geballt,
als wär die Erde noch nicht alt
und baute sich erst auf;
bald stand das Eisen wie Basalt,

60
bald schwankte wie ein Abendwald

mit breiter steigender Gestalt
der großbewegte Hauf.
Es dampfte dumpf die Dunkelheit,
was dunkelte war nicht die Zeit, –

65
und alles wurde grau,
[90]
aber schon fiel ein neues Scheit,

und wieder ward die Flamme breit
und festlich angefacht.
Sie griffen an: in fremder Tracht

70
ein Schwarm phantastischer Provinzen;

wie alles Eisen plötzlich lacht:
von einem silberlichten Prinzen
erschimmerte die Abendschlacht.
Die Fahnen flatterten wie Freuden

75
und alle hatten königlich

in ihren Gesten ein Vergeuden, –
an fernen flammenden Gebäuden
entzündeten die Sterne sich …

Und Nacht war. Und die Schlacht trat sachte

80
zurück wie ein sehr müdes Meer,

das viele fremde Tote brachte,
und alle Toten waren schwer.
Vorsichtig ging das graue Pferd
(von großen Fäusten abgewehrt)

85
durch Männer, welche fremd verstarben,

und trat auf flaches, schwarzes Gras.
Der auf dem grauen Pferde saß,
sah unten auf den feuchten Farben
viel Silber wie zerschelltes Glas.

90
Sah Eisen welken, Helme trinken

und Schwerter stehn in Panzernaht,
sterbende Hände sah er winken
mit einem Fetzen von Brokat …
Und sah es nicht.

[91]
95
Und ritt dem Lärme

der Feldschlacht nach, als ob er schwärme
mit seinen Wangen voller Wärme
und mit den Augen von Verliebten …