Karpathen-Menschen

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Autor: F. Sch.
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Titel: Karpathen-Menschen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, 51, S. 841–843, 854–857
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[841]
Karpathen-Menschen.
Von F. Sch.


Schiller ’s oft citirtes Wort „Auf den Bergen ist Freiheit“ bewährt sich in politischer Beziehung leider bis heutzutage nur auf wenigen Bergen unseres Planeten, jene unwirthlichen Höhen etwa ausgenommen, wo nur die flüchtige Gemse und das scheue Schneehuhn hausen, oder der stolze König der Lüfte seine mächtigen Schwingen entfaltet, für menschliche Wesen aber – seien es Herren oder Knechte – die Existenzbedingungen fehlen. Wer jedoch mit voller Brust den reinen Aether der Alpenregionen athmet, offenen Auges deren Wunder schaut, erkennt bald den tiefen Sinn des Dichterspruches in der köstlichen Kraft- und Lebensfülle, welche in dieser rauhen Zone alle seine Pulse durchdringt, jener Kraftfülle, in deren Vollbewußtsein die Bewohner der Berge – von den Tagen der grauen Vorzeit an bis heute – oft genug mit heldenkühnem Todesmuthe die Sclavenketten zerrissen, welche ihnen Hinterlist und Uebermacht angelegt.

Mir wenigstens drängte sich diese Erkenntniß mit unabweislicher Gewalt auf, als ich vor Jahren eines der schönsten und unbekanntesten Hochländer Europas kennen lernte; allerdings nicht etwa in flüchtiger Touristenart, sondern so gründlich, daß ich einen dauernden, wenn auch luftigen Wohnsitz inmitten jener erhabenen Bergriesen aufschlug, deren massige Körper Siebenbürgen von dem Lande scheiden, das eben jetzt der Schauplatz folgenschwer blutiger Ereignisse ist. Ja so sehr erfüllte bald auch mich diese strotzende Lebenskraft, daß ich der von dem Leben in solcher Wildniß unzertrennlichen Entbehrungen und Mühen gar nicht mehr achtete und es trotz frugalster Kost und tüchtiger Strapazen gar köstlich fand, so den ganzen lieben Tag die großartige Bergwelt um mich her zu durchstreifen, balsamische Lüfte athmend, den Blick in unendliche Fernen tauchend, die Nächte aber im luftigen Raume des am Rande eines Urwaldes aufgeschlagenen Zeltes zuzubringen, hingestreckt auf weichem Moos, eingelullt vom leisen Gesange einer jungfräulichen Alpennajade und dem geheimnißvollen Rauschen himmelanstrebender Baumwipfel.

Sehr lebhaft erinnere ich mich noch einer Excursion auf die nächstbedeutendste Höhe, bei welcher Gelegenheit ich in meinen beiden Führern, dem alten Vorescu und seinem Sohne Pietru, deren kleine, doch kräftige Pferdchen auch die Vermessungsinstrumente zu tragen hatten, ein paar originelle Typen dieses Bergvölkchens kennen lernte. Vorescu lebte, wie fast alle Bewohner dieser Gegend, den Winter über in einem etwas tiefer gelegenen Bergdorfe, im Sommer aber in den Stinen (Alpenhütten) auf den Höhen, wo es reichliche Nahrung gab für seine Schafe, und war ein prächtiger alter Mann von seltener geistiger und körperlicher Frische; sein Sohn Pietru dagegen gehörte mehr zu jener Sorte von Kraftmenschen, welche weit lieber Arme und Beine, als das Gehirn anstrengen, womit jedoch nicht gesagt sein soll, daß dem jungen Riesen keine angemessene Portion gesunden Menschenverstandes zu Theil geworden wäre.

Es war ein herrlicher Morgen, als unser kleiner Zug aufbrach dem Dialu Negru (schwarzer Berg) zu, als dem Ziele der heutigen Wanderung. Die Luft war wie immer von den süßesten Düften der thauigen Alpenkräuter und Blumen erfüllt und zugleich von jener durchsichtigen Reinheit, welche entfernte Gegenstände näher, nahe aber in köstlichster Farbenfrische erscheinen ließ. Dazu jubilirten Finken, Zeisige, Stieglitze und wie all die lustigen Waldsänger heißen, im grünen Dome des majestätischen Buchenwaldes; es eröffneten sich von Zeit zu Zeit zwischen den moosbärtigen Stämmen wundervolle Fernsichten auf duftig blaue Berge und in der Morgensonne rothgoldig erglühende Thäler. Kein Wunder, daß Menschen und Thiere unserer Gesellschaft so rüstig und munter aufwärts schritten, als wäre das Wandern auf steilen, wenig begangenen Saumpfaden nur mühelose Lust. Und rüstig und munter wie Einer schritt der alte Vorescu Allen voran, so rüstig und munter, als gäbe es für ihn keine Last der Jahre, kein Welken und Ersterben der Glieder. Wahrlich der Greis mit dem noch immer frischen gedankenvollen Blick und dem eigenthümlich kaustischen Zuge um die Lippen war gewiß einer näheren Bekanntschaft werth, dachte ich und eilte an seine Seite.

„Holla, Großväterchen,“ sagte ich, ihm die volle Feldflasche reichend, „Eure Beine strafen Eure weißen Haare Lügen; sie können unmöglich alt sein.“

„Doch, doch, lieber Herr, alt genug,“ meinte der Alte geschmeichelt, nachdem er einen kräftigen Schluck gethan.

„Nun, wie alt etwa?“

„Wer das so genau wüßte!“ versetzte der Gefragte nachsinnend, „ich zählte eben nie, denn wozu? Der Tod fragt doch nicht nach den Jahren, sondern nimmt Jung und Alt, wenn ihre Zeit um ist, aber wenn Ihr es wissen wollt, Herr, weniger als achtzig Jährchen sind es wohl kaum und mehr als hundert[1] auch nicht.“

„Allzu großer Genauigkeit darf sich Euer Taufschein nicht rühmen,“ versetzte ich heiter, und einen weiteren Anknüpfungspunkt suchend fügte ich hinzu: „und der große Junge da rückwärts ist also Euer Sohn?“

„Ja, Herr.“

„Und an Enkeln fehlt es auch nicht?“

„Ach Herr, gerade daran fehlt es am meisten,“ erwiderte der Alte kummervoll.

„Hm, sonderbar,“ meinte ich, „wenn man den Prachtjungen so ansieht, sollte man glauben –“

„Gewiß, Herr,“ fiel der Alte ein, „darum wäre auch mir nicht bange – hätte er nur schon eine Frau!“

„Wetter, Eure Mädchen müssen sehr heikel sein, wenn sie da nicht anbeißen,“ bemerkte ich.

„Ei Herr, die Mädel möchten schon anbeißen,“ beeilte sich Vorescu aufklärend zu berichten, „aber eben darum, weil sie ihm Alle nachlaufen, mag er sie nicht.“

„Bis einmal die Rechte kommt.“

Der Alte schüttelte wehmüthig den Kopf und meinte dann seufzend: „Ich fürchte fast, daß ich’s nicht erlebe; denn seht, [842] Herr, mein Pietru war immer ein eigener Junge, dem stets das am besten gefiel, was zu erlangen ihm die größte Mühe kostete, waren es nun Käfer oder Blumen, Beeren oder Wild, und darum, meine ich, müßte die Dirne, die ihm es anthun sollte, eine Nuß sein, die dem tollen Jungen tüchtig zu knacken gäbe; dergleichen findet sich bei uns gar selten.“

Unwillkürlich wandte ich mich nach dem jungen „Hartherz“ um, der hinter meinen militärischen Gehülfen als der Letzte im Zuge einherschritt, trotz des beschwerlichen Aufsteiges wohlgemuth vor sich hinpfeifend und nach des Liedchens Tacte an einer jungen Eiche schnitzelnd, die er am Wege entwurzelt. Er trug das landesübliche grobe Hemd vom breiten Ledergürtel zusammengehalten, das eng anliegende Beinkleid von grauem Barchent und die den Fuß ebenfalls knapp umschließenden Kopanken, eine Tracht, welche Männern von hohem muskulösem Körperbaue gar wohl ansteht; zum Schutze vor des Wetters Unbill aber hing von den breiten Schultern der lange Schafpelz herab, während den braunlockigen Kopf ein mit Alpenrosen geschmückter, breitrandiger Filzhut deckte, unter dem die männlich offenen, gutmüthigen Züge und ein paar Augen sichtbar wurden, die so heiter und sorglos in die Welt blickten, als wäre sie wirklich die beste aller Welten und passire nie etwas darin, was ein Menschenherz betrüben könnte. In der That, dieser bei aller Wucht des Leibes in Bewegung und Haltung urwüchsig anmuthige rumänische Hercules war nach dem gewohnten Anblicke der melancholischen, verkommenen Gestalten des rumänischen Flachlandes eine gar erquickliche Augenweide, und nachdem ich den jungen Mann so gemustert, begriff ich sowohl die Vorliebe des weiblichen Geschlechtes für ihn, wie den zärtlich stolzen Blick des alten Vorescu, dessen Auge der Richtung des meinigen gefolgt war.

Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als wir endlich den kühlen Schatten des Buchenwaldes verließen und eine Lichtung erreichten, welche einen prächtigen Ausblick auf das tiefer gelegene, im frischesten Grün prangende Wald- und Wiesenland und auf einzelne der erhabensten Häupter des Hochlandes gewährte, deren Felsenkronen jedoch meist noch von dichten Nebelschleiern verhüllt waren.

Wir hatten einen tüchtigen Weg hinter uns, und in Anbetracht der uns noch erwartenden Strapazen schien mir eine kurze Rast wünschenswerth. In das schwellende Alpengras hingestreckt, die heiße Schläfe vom leichten Wehen der Lüfte gekühlt, das Auge ergötzt durch den Anblick der friedlich stillen Landschaft, ruhte es sich gar angenehm, und daß auch das Ohr nicht leer ausgehe, dafür sorgten die zahlreichen Leithammel der die Lichtung beweidenden Schafheerden mit ihren an den Hälsen baumelnden Glocken. Allein der holde Friede dieser Alpenbilder war doch nur eine süße Täuschung, denn kaum eine Stunde vor unserer Ankunft war einer der fettesten Wollenträger, der sich im Vertrauen auf den holden Schein der Waldschlucht zu sehr genähert hatte, eine leckere Beute Petzens, des brummigen Herrn des Karpathenwaldes, geworden.

So berichtete einer der Hirten mit trauriger Miene dem alten Vorescu, worauf der Erzähler zum Schlusse nicht versäumte, seine und seiner Hunde leider vergebliche Tapferkeit in das rechte Licht zu stellen und dem frechen Räuber die ehrenrührigsten Titel zu verleihen. Vorescu nickte zu alledem nur mit dem Kopfe und meinte gutmüthig: „Ja nun, da läßt sich nichts dagegen thun, auch der Zottelmann weiß, was gut ist.“

Pietru aber war schon bei den ersten Worten des Hirten emporgeschnellt und ging nach Beendigung des Berichtes, ohne ein Wort zu sagen, der Waldschlucht zu, an deren Rande die beraubte Heerde weidete. Lächelnd blickte ihm der alte Vorescu nach und sagte mir zunickend: „Seht, Herr, so ist er; gilt es einem Bären, da fängt er Feuer wie ein Holzschwamm, eines Mädchens wegen aber, und wäre es das schönste im Lande, würde er weder Hand noch Fuß rühren.“

„Laßt nur, Alter! Auch seine Stunde wird noch schlagen,“ tröstete ich, „doch sagt mir, wem gehören diese Heerden?“

„Mir, Herr,“ erwiderte Vorescu nicht ohne Selbstgefühl.

„Alle?“

„Alle bis auf jene, welche dort abseits weidet; diese gehört meinem Vetter Nikola, der die Stine gerade unter uns auf dem runden Kegel bewohnt.“

Erstaunt betrachtete ich den Sprecher, der harmlos in seiner dürftigen Hirtentracht neben mir saß. Nach oberflächlicher Schätzung repräsentirten die Heerden einen Werth von mindestens sechszigtausend Mark, und doch lebte der Mann, dem dieses Vermögen zu eigen war, bei seinem hohen Alter Tag für Tag unter Gefahren und Entbehrungen, Mühen und Anstrengungen, wie man sie unserem ärmsten Tagelöhner für reichen Lohn nicht zumuthen dürfte.

„Wetter,“ rief ich meinen Gedanken unwillkürlich Ausdruck verleihend, „da seid Ihr ja ein reicher Mann, der im fruchtbaren Flachlande ein prächtiges Gut kaufen, Diener halten, in einem schönen, bequemen Hause wohnen und leben könnte wie ein Bojar.“

Vorescu sah eine Weile still vor sich hin, als ob er meine Rede überdächte, dann aber sprach er mit seinem kaustischen Lächeln: „Möglich wär’ es, lieber Herr, doch Gott sei Dank bin ich schon zu alt zu solchen Streichen; ja als jungem Burschen, da kamen mir wohl öfter solche Gedanken, namentlich zur Winterzeit, wenn es stürmte, daß man selbst unter dem Schafpelze mit den Zähnen klapperte und ich mit der alten Frau, meiner Mutter, beim Herdfeuer saß und Spähne oder Dachschindeln schnitzte. Wenn ich aber von meinen närrischen Träumen schwatzte, dann schüttelte sie den Kopf und erzählte mir die Geschichte von dem Schäferhunde, dem das Frieren und Hungern in den Bergen, das Raufen mit Wölfen und Bären auch einmal zu viel wurde, und der hinab lief in eine schöne große Stadt, um sich dort einen andern Herrn zu suchen. Sein gutes Glück ließ ihn auch bald einen reichen mitleidigen Bojaren finden, der ihn zu sich in die Stube nahm, auf weichen Polstern schlafen ließ und ihm so viel Mamaliga (Kukuruzbrod) gab, als er nur immer fressen konnte. Das ging eine Weile so fort und gefiel dem Schäferhund gar wohl, endlich aber wurde es ihm doch gar zu langweilig hinter dem warmen Ofen, und er wollte zur Abwechselung wieder einmal hinter die Berge laufen, deren weißes Schneekleid so lustig herabglänzte. Doch seine Füße waren vom Faulenzen so steif geworden, daß er nicht weit kam; außerdem fror es ihn so jämmerlich, daß er bald mit eingezogenem Schweif hinter den Ofen kroch, aber lange hielt er auch die Ruhe nicht mehr aus, wurde bald darauf krank und nahm ein elendes Ende. – So erzählte sie, und als ich dagegen einwandte, daß doch viele Hunde vornehmer Herren alt werden, da sagte sie: ‚Junge, das verstehst Du nicht; das sind eben vornehme Hunde, die zum Faulenzen geboren sind, ein rechter Schäferhund aber – glaube mir mein Junge! – der wird nur alt in den rauhen Bergen seiner Heimath bei schmaler Kost und harter Arbeit‘. Und seht, Herr, ich denke, die gute alte Frau hatte so unrecht nicht.“

Während der Alte so sprach, waren aus der Stine, welche Vorescu’s Vetter gehörte, ein Mann und eine Frau herausgetreten und in den Wald hineingegangen, der den steilen Abhang zwischen uns und der Stine bedeckte; jetzt kamen sie in die Lichtung heraus und näherten sich unserem Ruheplatze.

„Wußte wohl, daß Vetter Nikola nicht lange auf sich warten lassen werde,“ sagte Vorescu, „aber wie kommt der alte Mann zu dieser Dirne, die zu ihm paßt, wie die Edelgeis zur Schildkröte?“

Vorescu’s drastisches Gleichniß war vollberechtigt, denn ein unähnlicheres Paar als das eben herannahende ließ sich kaum denken.

Vetter Nikola war mißgestaltet klein und häßlich und glich auf’s Haar den Gnomengestalten unserer Märchenbücher. Seine Begleiterin dagegen war ein merkwürdig hoch und kräftig gewachsenes Mädchen in vollster Jugendblüthe, und wie es in dem leichten, die prächtigen Formen nur wenig verhüllenden Nationalkleide, dem gestickten, vorn und rückwärts mit einem bunten Stück Zeuge geschmückten Hemde aufwärts schritt, mit der vollen nervigen Rechten einen schweren Krug auf den dicken schwarzen Haarflechten festhaltend, die Linke auf die runde üppige Hüfte stützend, bedurfte die stolze Gestalt keines historischen Zeugnisses, daß römisches Blut in ihren Adern rolle.

Nikola war übrigens bei aller Mißgestalt keineswegs blöde. Mit vergnüglichem Schmunzeln trat er näher, und nachdem er mich mit tiefem Bückling begrüßt, rief er heiter: „Eh, Vetter Vorescu, kennst Du meines Bruders Kind nicht mehr?“

„Deines Bruders Kind?“

„Wer sonst? War freilich noch ein kleines Ding, als sein Vater über die Grenze nach Siebenbürgen hinüber wanderte.“

[843] „Wie, das wäre Ancza (Antscha)?“ meinte Vorescu noch immer verwundert, während er jedoch mit sichtlichem Wohlgefallen das prächtige Mädchen betrachtete, welches, unter unsern Blicken erröthend, den irdenen Krug zur Erde setzte, darauf ein grobes, doch blüthenweißes Linnen über das Gras breitete und nun aus dem Korbe, den Nikola getragen, fetten Schafkäse, Mamaliga und hartgesottene Eier appetitlich ausbreitete.

„Bitte, bester Herr, nehmt vorlieb!“ sagte jetzt der gnomenhafte Alte freundlich. „Besseres haben wir nicht, aber das ist Euch vom Herzen vergönnt.“

„Was aber brachte Ancza so plötzlich über die Grenze herüber, zu Dir?" fragte Vorescu, während ich der Einladung ohne weiteres folgte und einen herzhaften Zug that aus dem mir von Ancza anmuthig gereichten Kruge, der jedoch nicht etwa Rebensaft, sondern frische Ziegenmilch enthielt, ein Getränk, das man im Gebirge gar sehr schätzen lernt.

„Was sie herbrachte?“ fragte Nikola zurück, „je nun, nichts Gutes, wie’s eben kommt in der Welt; die Mutter starb ihr schon, wie Du weißt, vor Jahren, der Vater aber fiel vorige Woche einen Felsen hinab, als er ein verlaufen Schaf suchte. Da stand das arme Mädel allein und kam, nachdem der Vater begraben war, herüber zu mir, wo sie gern gesehen ist.“

Ancza, welche noch immer vor uns stand, da es nach der Landessitte sich für ein Mädchen nicht geschickt hätte, in Gegenwart eines „Herrn“ bequem zu ruhen, blickte nachdenklich vor sich hin und wischte mit der kleinen braunen Hand eine Thräne aus den getrübten Augen, aber schon im nächsten Augenblicke flog wieder ein frohes Lächeln über die frühlingsheitern Mädchenzüge, als Vorescu schmunzelnd bemerkte: „Na glaub’s, Vetter, daß sie gern gesehen ist bei Dir, hat ja ein paar Arme, daß man sich fürchten könnte, wenn’s zum Streite käme.“

„Bei Gott, die hat sie, Vetter,“ bestätigte Nikola, „das Mädel spielt auch mit der Arbeit nur wie die Katze mit der Maus.“

„Eh, eh,“ machte jetzt Vorescu mit lustigem Augenzwinkern, „mir scheint, Du siehst sie schon so gern, daß es nächstens Hochzeit geben wird.“

Nikola schnitt ein süßsaures Rübezahlgesicht, Ancza aber lachte schelmisch auf und zeigte dabei zwei Reihen perlenweißer Zähne, die gleichwohl sicher noch mit keiner Zahnbürste Bekanntschaft gemacht hatten.

Nachdem die Alten noch mancherlei mit einander geplaudert und dabei dem Milchkrug wacker zugesprochen hatten, erhoben wir uns zum Aufbruche. Vorescu meinte scherzhaft, sein Pietru werde wohl erst später von der „Bärenschau“ zurückkommen, doch erschien dieser in demselben Augenblicke am Rande des schon erwähnten Tannenschlages und begegnete dort Ancza, welche, beladen mit dem Kruge und den Resten des Frühstückes, heimging. Die fremde weibliche Erscheinung schien den eifrigen Bärenjäger nicht sehr zu interessiren, um so mehr aber der Krug auf dem Kopfe.

„Holla, gerade recht für meinen Durst!“ rief er und griff dabei ohne Weiteres nach dem für den Erhitzten höchst verführerischen Gefäße.

Ancza jedoch that, als sähe und hörte sie den baumlangen Menschen an ihrer Seite nicht, und schritt gleichmüthig weiter.

„Oh – oh, verstehst Du nicht rumänisch?“ rief Pietru ärgerlich, indem er keck die schlanke Taille des Mädchens faßte.

„Bist Du mein Herr?“ tönte es jetzt stolz und drohend von Ancza’s Lippen.

„Was, Herr?“ erwiderte Pietru verdrießlich. „Durstig. bin ich.“

„Ei nun, dort ist die Schaftränke,“ gab die beleidigte Schöne kurz zurück, „und – jetzt die Hand weg!“

Ton und Art der Sprache mochten Pietru endlich doch zu näherer Beaugenscheinigung Ancza’s bewegen, denn statt der Aufforderung zu gehorchen, fügte er auch die zweite Hand zur ersten und beguckte das stattliche Mädchen mit großen verwunderten Augen.

„Herr Gott!“ rief aber dieses ungeduldig. „Du hast wohl Dein Lebtag noch kein Mädchen gesehen? Nochmals, Hände weg, oder –“

Die Drohung schien Pietru ohne Zweifel sehr komisch, denn er lachte laut auf und meinte: „Eh, wirst mich doch nicht ganz und gar verschlingen?“

„Verschlingen – nein, mich hungert nicht nach so derbem Braten, aber Dir die Wege zeigen,“ entgegnete Ancza spöttisch.

„Närrisches Ding, gieb mir den Krug, dann finde ich den Weg ohne Dich,“ versetzte Pietru unwirsch, indem er abermals und so rasch nach dem Verlangten griff, daß Ancza nicht mehr entweichen konnte.

Einige Secunden schwankte nun das Gefäß, von vier Händen gefaßt, hin und her, in dem Augenblicke aber, als die Palme des Sieges sich entschieden nach der Seite des Angreifers neigte, flog dasselbe unter Ancza’s zornigem Ausrufe: „Ei, so habe ihn denn!“ an Pietru’s Kopf und zwar mit solcher Gewalt, daß das Thongeschirr trotz seines soliden Baues dröhnend in Trümmer ging, der ansehnliche Milchrest aber sich über Gesicht und Brust des verblüfften Ringers ergoß. Der bombenartige Knalleffect dieser unleugbar „kraftstrotzenden“ Abfertigung ließ mich einen Augenblick für die Gehirnschale des Getroffenen fürchten, allein Vorescu’s heiteres Lachen sagte mir, daß Karpathen-Menschenschädel eben nicht nach gewöhnlichem Maßstabe beurtheilt sein wollen. In der That kam Pietru, nachdem er den weißen, süßen Platzregen aus den Augen gewischt und der enteilenden herben Maid einen ungleich achtungsvolleren Blick nachgesendet hatte, mit der Miene eines Mannes auf uns zu, dem zwar etwas Ungewöhnliches passirte, worüber ungehalten zu sein jedoch nicht der mindeste Grund vorlag.

„Nun, was ist’s mit dem Bären?“ fragte Vorescu, seine Heiterkeit bei Annäherung des Sohnes, wie mir schien, absichtlich verbergend.

„Es ist derselbe, Vater,“ antwortete Pietru, sich uns anschließend.

Und während wir nun in dem tiefen, harzdurchdufteten Schattenreiche kolossaler Tannenpyramiden aufwärts wanderten, erzählte Vorescu auf meine Frage, daß seine und seiner Nachbarn Herden seit längerer Zeit vorzugsweise von einem Bärenindividuum decimirt würden, dessen Fährte, durch eine fehlende Kralle an der Vordertatze kenntlich, auf eine ganz ungewöhnliche Größe schließen lasse, und daß bisher alle Bemühungen, dem Räuber beizukommen, an dessen Schlauheit und noch mehr an dessen dickem Pelze scheiterten, welch letzterer schon ein halb Dutzend Kugeln ohne besonderen Schaden für den Eigenthümer in Empfang genommen habe.

„Aber ich kenne jetzt sein Lager, Vater,“ sagte Pietru grimmig, „und heute Nacht soll er d’ran, müßte ich ihn auch mit der Hacke erschlagen.“

„Gut, Pietru!“ meinte der Alte ruhig, „nur gehe nicht wieder zu hitzig d’rein, kommt er Dir aber an den Leib, so vergiß nicht den Schafpelz nach vorn zu nehmen! So ’n Stück Schafhaut hat schon mancher Mutter Sohn vor schlimmen Schrammen bewahrt; und noch etwas, Junge: spiel Dich nicht mit dem Zottelmann, und denke, daß Bären bisweilen noch dickere Schädel haben als – andere Leute!“

Der, dem diese Rede galt, schien sich jedoch weder die guten Lehren noch die etwas anzügliche Bemerkung des Alten zu Herzen zu nehmen, sondern in tiefem Nachsinnen versunken zu sein. Ob an dieser sichtlich anstrengenden Gedankenarbeit das vergangene Abenteuer mit der kurz angebundenen Maid, oder das künftige mit dem dickhäutigen Meister Petz den Löwenantheil hatte, ließ sich aus den Zügen des Sinnenden nicht entnehmen, doch schien mir das pfiffig-frohe Lächeln des Alten darauf hinzudeuten, daß nach des Letzteren Ansicht das Mädchen mit seinem Kruge denn doch einen Eindruck, wenn auch nicht auf den harten Kopf des Karpathenjünglings, gemacht habe.

[854] Nach abermaligem mehrstündigem Ausschreiten erreichten wir das Ziel unserer Wanderung, den Dialu negru (schwarzen Berg), der an Höhe zwar vielen seiner Genossen nachsteht, dennoch aber eine seltene und durch die Vereinigung der schärfsten landschaftlichen Contraste überraschende Rundschau gewährt.

Verlockend schön liegt vor dem Beschauer im sonnigen Süden das reiche üppige Flachland, aus dessen sammtartigen grünbraunen Fluren die Städte Pitesti und Plojesti mit ihren glitzernden Weißblechbedachungen auf Kirchen und Villen und die Fluthen des reizenden Argis mit seinen Nebenflüssen hervorschimmern wie riesige in Silberarabesken gefaßte Brillantagraffen; im schattigen Norden dagegen ragen die massigen, ernst und finster niederschauenden Bergkolosse der Karpathen empor, umflossen von ruhiger Erhabenheit und düsterer Majestät und [855] doch von reichem Wechsel in Linien und Farbentönen, von den braunrothen, kühn anstrebenden Felsengraten der höchsten Höhen bis zu den smaragdgrünen Wellenlinien der Alpenmatten und dem fast schwarzen Tannenkleide der Hänge und Schluchten. Und zu all dem der azurblaue Aether, auf dessen klaren Luftwellen riesige Lämmergeier mit ihren unbeweglich gleich Segeln gespannten Fittigen sich wiegten, und jene tiefe, heilige Stille, welche auf das menschliche Gemüth in solcher Umgebung doppelt ergreifend wirkt – wahrlich, ein genußvollerer Anblick läßt sich kaum denken.

Vorescu und Sohn, sowie meine übrigen Begleiter hatten sich unterdessen längst nach allen Richtungen zerstreut, um eine Quelle zur Befriedigung des brennenden Durstes zu erspähen. Auch ich spürte die Wirkung der senkrecht herabfallenden Sonnenstrahlen und erwartete, während ich meine Linien zog und Skizzen anfertigte, mit Ungeduld die Rückkunft der Quellensucher, um deren Entdeckung auch meinerseits zur ersehnten Labung zu benützen.

Allein mit jeder Viertelstunde vergeblichen Harrens verringerte sich auch meine Hoffnung, und wer je die Tantalusqualen des Durstes erduldet, wird meine freudige Ueberraschung ermessen, als nach Verlauf von fast zwei Stunden plötzlich Pietru’s kräftige Stimme neben mir ertönte, und auf meine rasche Wendung der junge Riese vor mir stand, schweißbedeckt, hochathmend und auf den Armen einen mächtigen rohen Holzblock tragend, aus dessen nothdürftig mit Baumrinde verdeckter Höhlung mir reines Quellwasser entgegenblinkte.

„Hier, Herr, ist Wasser, so frisch, wie es ein Stück Holz bei dieser Hitze zu halten vermag,“ sagte der gutherzige Mensch und sah mich dabei so unbefangen und treuherzig an, als ob diese Art der Wasserversorgung die einfachste und bequemste von der Welt wäre. Und doch hatte der brave Sohn der Berge die unwegsamsten Hänge und Schluchten durchspäht, an der endlich entdeckten Quelle eine ansehnliche Fichte gefällt, von derselben den Block losgetrennt, diesen behauen und ausgehöhlt und endlich die schwere Last den weiten, beschwerlichen Weg zurück geschleppt, lediglich um einem ihm vollkommen fremden Menschen eine Erquickung zu verschaffen.

Vorescu und meine Leute waren bei ihren Entdeckungsversuchen nicht so glücklich gewesen und erfreuten sich nach ihrer Zurückkunft an dem reichlichen Vorrathe in Pietru’s origineller „Feldflasche“. Während aber die Soldaten des Letzteren Herculesarbeit staunend bewunderten, nickte der Alte nur zustimmend mit dem Kopfe, als wollte er sagen: „nicht übel gemacht, mein Junge,“ und wandte sich dann mit der Bemerkung an mich, daß es gut sein dürfte, die Instrumente zu verwahren, da ein Gewitter herannahe. Verwundert blickte ich um mich, da ich bis jetzt nicht das geringste Anzeichen eines Gewitters bemerkt hatte.

Vorescu aber deutete mit der Hand nach dem zerklüfteten Felsengipfel des Retjasat, über welchem eine dunkle Wolke schwebte, als wäre sie unschlüssig, ob sie sich niederlassen sollte oder nicht, doch während ich noch ungläubig das scheinbar ganz harmlose Luftgebild betrachtete, ließ es sich gleich einem beflügelten Ungeheuer auf die Erde nieder, alsbald die ganze Höhenkette vor uns bedeckend und zugleich blaugelbe Flammen ausspeiend, in deren Beleuchtung die dunkelnden Berge wie in bengalischem Feuer erglühten. Während nun ohne Zaudern die Instrumente verpackt und von meinen Leuten mittelst der Pferde fortgeschafft wurden, harrte ich, einen Granitblock als Tribüne benützend, der weiteren Entwickelung des großartigen Naturschauspieles, das für mich auf solchem Schauplatze eine ganz neue Erscheinung war.

Vorescu und sein Sohn aber lagerten neben mir und stopften in aller Gemüthsruhe die kurzen Tabakspfeifen. Bald mischte sich der duftende Rauch der trefflichen heimischen Kräuter mit dem meiner Cigarre. Wir sahen in voller Behaglichkeit zu, wie die zuckenden Blitze bald dort, bald da Berge und Thäler wie scharfbegrenzte Theaterdecorationen beleuchteten.

Wie die wilde Jagd zog das Unwetter unter Geheul und Getobe heran und erfüllte bald das ganze Gebirge mit seinen flammenden Blitzen und betäubenden Donnerschlägen. Nun aber war es in der That höchste Zeit, und schon als wir aufbrachen, hüllte uns der tückische Berggeist in einen so dichten Nebel, daß ein Fremder nicht hundert Schritte hätte thun können, ohne Gefahr zu laufen, in einen Abgrund zu stürzen. Von Vorescu und seinem Sohne in die Mitte genommen, eilte ich mit ihnen hinab; es ging auf Sturmesflügeln im wahrsten Sinne des Wortes; kaum eine halbe Stunde genügte für den Weg, den wir aufwärts in dritthalb Stunden zurückgelegt hatten, dank welcher Schnelligkeit wir Nikola’s Stine in dem Augenblicke erreichten, in welchem sich die „Schleußen des Himmels“ öffneten.

Die rumänische Stine repräsentirt nebst den Zelten der Nomaden und den Erdlöchern der Zigeuner die einfachste Construction einer menschlichen Wohnung; vier Wände, aus Tannenstämmen lose zusammengefügt, sodaß der Wind ungehindert die höchst nothwendige Luftreinigung vornehmen kann, und ein Schindeldach darauf – damit ist das Werk des Baumeisters gethan. Der innere Comfort aber entspricht dem äußern und wird ganz und gar durch den Herd vertreten, der eine Spanne hoch über dem Lehmboden auf der der Thür entgegengesetzten Seite angebracht ist.

Die Bewohner der von uns betretenen Hütte, Nikola und seine Nichte Ancza, hatten uns offenbar erwartet und begrüßten uns als willkommene Gäste, ohne sich übrigens in ihren häuslichen Verrichtungen stören zu lassen. Nikola kniete nämlich eben bei dem mächtigen Herdfeuer, über dem an eiserner Kette ein großer kupferner Kessel hing, und schüttelte mit aller Aufmerksamkeit, welche sein Geschäft in der That erforderte, Kukuruzmehl aus einem Sacke in das siedende Wasser des Kessels zur Bereitung der Mamaliga, des täglichen Brodes der Rumänen. Ancza aber goß die den Schafen ihres Oheims abgenommene Milch in große Bottiche, welche den Mittelraum der Hütte einnahmen und deren Inhalt schon durch den Duft die verschiedenen Entwickelungsstadien jenes Productes verrieth, das als der berühmte „Primsenkäse“ in halb Europa bekannt und beliebt ist.

Mamaliga und Käse waren auch die Hauptbestandtheile unseres Soupers, nach welchem ich ermüdet meine unweit des Herdfeuers aus frischem Heu bestehende Schlafstätte aufsuchte, doch hielt mich das ungewohnte Käse-Aroma noch so lange wach, daß ich hinlänglich Muße fand, meine Umgebung zu beobachten. So bemerkte ich, daß der alte Vorescu richtig geschlossen, und sein Sohn durch Ancza’s energisches Wesen in der That angezogen statt abgestoßen worden war.

Schon während der Mahlzeit hatte der junge Riese das schöne Mädchen fast mit den Augen verschlungen und wahrscheinlich, durch solche Augenweide befeuert, kühne Pläne geschmiedet; denn mit dem Aufwande der ergötzlichsten strategischen Kunstgriffe suchte er jetzt den gefährlichen Feind in die Flanke zu fassen, wobei ihm die Bottiche als Stützpunkt dienten. Ancza aber wußte alle diese Versuche ebenso geschickt zu vereiteln, und als endlich auch ein kühner Frontangriff erfolglos blieb, kehrte der aus dem Felde Geschlagene mißmuthig zum lustig prasselnden Herdfeuer zurück und starrte lange und finster in die hellen Flammen, doch plötzlich, als hätten ihm mitleidige Feuermännchen einen guten Gedanken eingegeben, sprang er entschlossen, fast heiter empor, flüsterte dem Vater einige Worte zu und verließ mit einem langen glühenden Blicke auf die unnahbare Schöne die Hütte. Auch Ancza wurde bald darauf unsichtbar, doch nur, wie mir schien, um, gedeckt durch die Käsebehälter, ihre Nachttoilette zu besorgen und sich zur Ruhe zu begeben. Die beiden Vettern aber saßen noch lange an dem wärmenden Feuer und sprachen halblaut von dem Gedeihen ihrer Heerden, von des Dorfpopen zunehmender Habsucht und Herrschsucht, von den neuen Steuern und dem Kampfe, der auch damals um die Herrschaft im Oriente entbrannt und dessen Kunde endlich auch auf die Höhen der Karpathen gedrungen war.

Ich aber lauschte und staunte nicht selten über das richtige Urtheil und die gesunden Anschauungen des merkwürdigen Greises.

Wie er so dasaß im hellen Feuerscheine, mit dem von silbernen Locken umwallten blühenden Antlitze und dem robusten, noch immer kräftigen, Alter und Anstrengungen trotzenden Körper, glich er ganz dem Bilde, das unsere Phantasie von jenen biblischen Patriarchen entwirft, deren Lenden Völker entsprossen, oder von jenen Helden der Vorzeit, welche ihrem Volke als Lehrer und Führer die Wege der Cultur und des Ruhmes bahnten.

Woher nun dieser dumpfe Stillstand, dieses geistige Dämmerleben bei einem im Ganzen begabten Volke, dem Kernmänner gleich dem alten Vorescu angehören? Ist es unabänderliches, in den Eigenschaften der Race begründetes Geschick, oder ist es [856] die Wirkung jenes Fluches, der dem im Despotismus und Sclaventhum wurzelnden Osmanenthume folgt, wohin es immer den Fuß gesetzt, und gleich dem Samum der Wüste alles Leben in seinem Bannkreise auf Jahrhunderte hinaus vernichtet?

Während ich solchen Fragen nachsann, hatten sich auch die beiden Greise in ihre Schafpelze auf die harte Erde gebettet, und es war still geworden ringsumher. Nur das dumpfe Rollen des Donners ließ sich noch von Zeit zu Zeit aus der Ferne vernehmen, dem dann bisweilen das Geheul eines Wolfes aus der nahen Waldschlucht und das Gebell wachsamer Hunde folgte. Aber auch diese Laute verstummten allmählich, und nichts unterbrach die feierliche Stille als das anheimelnde Knistern der am grünen Tannenholze zehrenden Flammen. Schlaftrunken blickte ich hinein in das seltsame Leben und Treiben des geheimnißvollen Elementes, und die Eindrücke des Tages weckten in mir Gedanken über die Zukunft dieses zurückgebliebenen und doch so kernigen Volkes; da gab ich mich träumend der Hoffnung hin, der köstliche Baum der Freiheit werde einst auch auf Daciens Boden gedeihen – doch nicht eher, mußte ich mir sagen, als bis das Kalifen- und Czarenthum auf demselben sich verblutet.

Ueber solchen Betrachtungen schlief ich ein. Als ich, durch Jauchzen geweckt, erwachte, erkannte ich an dem hellen Scheine, der durch die Wandritzen fiel, daß die Sonne schon hoch am Himmel stand, und da außer mir Niemand im Raume war, beeilte auch ich mich, die nicht angenehme Atmosphäre zu verlassen.

Aus der Hütte tretend, bemerkte ich Vorescu, der wenige Schritte entfernt hinter einem wilden Rosenstrauche stand und mich durch Zeichen auf Etwas aufmerksam zu machen suchte, das ich jedoch von meinem Standpunkte aus nicht erblicken konnte. Leise trat ich zu ihm und sah nun in mäßiger Entfernung von uns eine Gruppe, wie sie ein Künstler kaum effektvoller erdenken könnte. Vom dunkeln Hintergrunde des schon wiederholt erwähnten Tannenwaldes hoben sich die hellen Gestalten Pietru’s und Ancza’s scharf und plastisch wie aus Marmor gemeißelte Kunstwerke ab, welchen sie auch in der natürlich edlen Anmuth ihrer Haltung wie in der momentanen Unbeweglichkeit glichen. Das Bärenfell auf der Schulter des riesigen Mannes sagte mir, daß das Jauchzen, welches mich aus meinen Träumen erweckt, der Siegesruf des glücklichen Jägers gewesen sei, der nun, offenbar die Beantwortung einer Frage erwartend, mit leicht vorgebeugtem Körper vor dem Mädchen stand, die Rechte auf eine lange einläufige Flinte gestützt, mit der Linken das prächtige schwarze Vließ haltend, das von der Schulter bis zur Erde niederhing.

Ancza aber stand sichtlich betroffen und unschlüssig da, den Blick verschämt zu Boden senkend und mit der Hand an einem Alpenblumenstrauße tändelnd, der den vollen Busen schmückte und an Frische mit den Wangen der schönen Rumänierin wetteiferte.

„Nein, ich mag es nicht,“ sagte sie, jetzt wieder ruhig aufschauend, „es ist zu kostbar für mich, und,“ fügte sie plötzlich auflachend und sich abwendend hinzu, „was soll mir im Sommer ein Bärenfell – im Winter, Pietru, wenn es wieder friert und der erste Schnee fällt, dann – frage wieder an!“

Damit wollte die Spröde entschlüpfen, aber sie war nicht schnell genug oder wollte es vielleicht nicht sein – genug, Pietru hatte ihre Hand erhascht und sprach weich, wie ein bittendes Kind: „Eine Decke aus purem Golde gewebt wäre nicht zu kostbar für Dich, Ancza, doch ich kann Dir nur dieses dunkle Fell anbieten, auf dem es sich aber auch im Sommer vortrefflich schlafen läßt – versuche es nur!“

„Nein, Pietru, es würde mir böse Träume bringen,“ meinte Ancza mit schelmischem Lächeln.

Da stieß Pietru unmuthig den Kolben seines Gewehres auf die Erde, ließ des Mädchens Hand los und sagte trotzig: „Gut, Ancza, wie Du willst! Zwar gewann ich diese Haut dem Zottelmann mit Gefahr meines Lebens ab und habe sie deshalb für Dich bestimmt, da Du sie aber nicht willst, gut, so mag sie Mariuzza haben, die mich schon oft um eine solche anging und sich nicht vor bösen Träumen fürchtet.“

Diese Drohung Pietru’s erschütterte sie sichtlich tief. Und gewiß erwog das schöne Mädchen still bei sich, daß sich – selbst in den Karpathen – ein so hübscher gewaltiger Liebhaber und kühner Bärenjäger nicht jeden Tag einfinde, und daß Mariuzza, mochte sie ihr an Höhe des Wuchses und sonstigen Eigenschaften noch so sehr nachstehen, doch auch ein Mädchen sei und zwar ein verliebtes Mädchen, welches überdies in der nächsten Nachbarschaft des vielbegehrten Mannes wohnte – denn nach kurzem Sinnen ergriff das verständige Mädchen zwar nicht Pietru’s Hand, doch das angebotene Bärenfell mit den lächelnd gesprochenen Worten: „Ei nun, Pietru, wenn Dir so viel daran gelegen ist, so sei es – wozu solltest Du auch den schweren Pelz noch so weit tragen! Vetter Nikola mag einstweilen darauf schlafen.“

So diplomatisch kühl dieser Compromißvorschlag auch klang, er war immerhin ein bedeutender Erfolg, der denn auch den feurigen Liebhaber so freudig erregte, daß er, die Flinte von sich werfend, das Mädchen mit dem Ausrufe umfaßte: „O Ancza, wenn Du ihn nur nimmst, dann mag einstweilen darauf schlafen, wer will!“ und gleichzeitig einen Kuß zu erhaschen suchte.

Statt des Kusses erhielt er jedoch auf die begehrlich zugespitzten Lippen einstweilen etwas, das bei so urwüchsiger Beschaffenheit unter Culturmenschen nicht selten einen Injurienproceß zur Folge hat, hier aber den Empfänger nur veranlaßte, die schöne Geberin hoch um sich herum zu schwenken und das Echo der Berge mit seinem Jubelgeschrei zu wecken.

Allein auch dieser Triumph des ungestümen Werbers war ein vorzeitiger. Blitzschnell warf sich das starke Mädchen mit dem Oberleibe dergestalt nach rückwärts, daß Pietru, wollte er mit seiner Last nicht stürzen, es wieder auf die Füße stellen mußte; doch nur einen Moment verharrte die stolze üppige Mädchengestalt mit unmuthig gekräuselten Lippen und flammenden Blicken in dieser einen köstlichen Anblick gewährenden Stellung; im nächsten schon schleuderte sie den gewaltigen Mann mit einer Kraft, die ich einem Weibe nie zugetraut hätte, weit von sich und verschwand hoch erhobenen Hauptes im Dunkel des Waldes. Bei diesem Ausgange der ländlichen Liebeswerbung kam mir unwillkürlich jene starke königliche Jungfrau des deutschen Heldenliedes in den Sinn und wie es dem armen König Gunther bei ihr erging:

„Die Füß’ und auch die Hände sie ihm zusammenband;
Zu einem Nagel trug sie ihn und hing ihn an die Wand.“

Mit ganz anderen Augen aber betrachtete der greise Mann neben mir die Sache; denn andächtig, als spräche er ein Gebet, sagte er: „Gott sei Dank, endlich hat der Junge eine Nuß gefunden, die ihm genug zu thun geben wird.“

„Fürchtet Ihr nicht für die Zähne Eures gutmüthigen Jungen?“ fragte ich zweifelnd.

„Nein, Herr,“ erwiderte der Alte bestimmt, „dafür kenne ich ihn und auch die Art unserer Mädchen zu gut; nein, nein, – gebt Acht! – Ancza wird ein Weib so gut und brav, wie irgend eine im Lande.“

Merkwürdiger Weise schien auch Pietru ganz derselben Ansicht zu sein, denn während wir uns so im bergenden Schutze eines wilden Rosenstrauches unterhielten, betrachtete er die Spuren der jungfräulichen Entrüstung an seinen nervigen Armen mit jenem träumerischen Entzücken, in welches unsere Verliebten etwa durch das Bild ihrer Angebeteten versetzt werden.

Noch oft im Laufe des Sommers und Herbstes bewunderte ich des jungen Bärenjägers Muth und Ausdauer, am meisten aber, als mit dem ersten Schnee, der die Felsenkronen der allerhöchsten Bergdynasten versilberte, ein stattlicher Hochzeitszug – an dreißig Pferde stark – von Nikola’s Hütte, dem nächsten Dorfkirchlein zu, thalabwärts wallte.

Stolz, wie eine Königin, saß auch die rumänische Brunhilde auf ihrem milchweißen Pferdchen, von dessen Rücken Pietru’s Geschenk, das Bärenvließ, bis zur Erde niederhing. Dieser selbst aber ging, Schritt für Schritt, neben seiner starken Braut, und legte den Arm so sorglich um deren schönen Leib, als fürchtete er, der so schwer errungene Schatz könne ihm noch im letzten Momente abhanden kommen.

Wenige Tage später brach ich meine Zelte ab und zog heimwärts. Vorescu gab mir eine Strecke weit das Geleite, da er an demselben Tage die Rückkunft des jungen Ehepaares von Rimnik erwartete, wo dasselbe die nöthigen Einkäufe für die neue Haushaltung besorgte. Der alte Mann war mir durch seinen biederen Charakter, wie durch seine originellen, heiteren Lebensansichten ein lieber Reisegefährte geworden, und auch er schien [857] mein Scheiden ungerne zu sehen. Doch schwand seine elegische Stimmung wie Nebelschleier vor Morgensonnenglanz, als das schöne Paar auf der nächsten, nur durch ein enges Thal von uns getrennten Anhöhe erschien und fröhlich herüber grüßte.

Zwei stämmige Saumpferde waren mit dem neuen Hausrath belastet, und was auf ihren Rücken nicht mehr Platz gefunden, hatte Ancza auf die eigenen kräftigen Schultern genommen, während der reckenhafte Gatte nur die Pfeife trug, aus welcher er rauchte. Ueberrascht betrachtete ich die blühend schöne, stolze Frauengestalt. Ancza gehorchte allerdings nur der herrschenden Landessitte, welche das Tragen von Lasten in erster Linie dem Weibe aufbürdet, Wunder nahm mich jedoch, daß die rumänische Brunhilde sich dieser Sitte mit sichtlich opferfreudiger Befriedigung und fast rührend demüthiger Hingebung fügte.

Nicht ohne Genugthuung bemerkte Vorescu mein Staunen.

„Was sagt Ihr jetzt, Herr, hatte ich nicht Recht?“ flüsterte er mir vergnügt zu.

Ja, ja, der Alte hatte Recht. Das ist so Mädchenart in der Bauernhütte, wie im Königspalast – dem echten und rechten Manne gegenüber. Denn dasselbe, was mir damals das freudig hingebende Wesen des starken Karpathenweibes verrieth, erzählt ja auch das älteste deutsche Epos von der starken Königsbraut mit den einfachen Worten:

„Das hat ihr alles Gunther mit seinem Minnen gethan.“

So lieben und leben die Bewohner dieses von der Cultur noch heute wie vor tausend Jahren unberührten Bergwinkels, und was immer ihre Fehler und Schwächen sein mögen, Niemand, der sie näher kennen lernte, wird bestreiten, daß sie sich die Eigenschaften edler Ahnen, Muth und Kraft, ungleich besser zu bewahren wußten, als die Mehrzahl ihrer Brüder im Flachlande. Von welch entscheidender Wichtigkeit aber selbst in unserer mit Recht Geistescultur und Wissenserweiterung pflegenden Zeit auch jene Eigenschaften für die Geschicke der Nation werden können, lehrt uns heute jedes Zeitungsblatt. Die Ereignisse jedoch dürften nur zu bald auch den thatsächlichsten Beweis liefern, daß guter Wille und Liebe zum Vaterlande nicht ausreichen, wo es gilt, sich mit dem Schwerte in der Faust seiner Haut zu wehren.

Auch der fliehende Hase liebt das heimathliche Revier; der Löwe aber schlägt den zu Boden, der es feindlich zu betreten wagt, oder läßt sein Leben im Kampfe für sein Recht und seine Freiheit.


  1. Vorlage: „hnndert“