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Keine Überschwemmungen – kein Wassermangel mehr

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Textdaten
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Autor: C. N. R.
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Titel: Keine Ueberschwemmungen – kein Wassermangel mehr
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 719–721
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
New York (State). Canal Commissioners, Annual Report, 1875, T. & W. Mercein, printers. Google
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[719]
Keine Ueberschwemungen – kein Wassermangel mehr.
Ein amerikanisches Heilmittel.


Ich sehe das Nasenrümpfen meiner Leser, den spöttischen Ausdruck ihrer Mienen beim Lesen der etwas kühnen Ueberschrift dieses Artikels. Die Amerikaner sind ja als Humbugger und Uebertreiber weltbekannt. Ich will ihnen diese Eigenschaften nicht abstreiten, aber sie haben würdige Nebenbuhler und sogar Besieger in allen Herren Ländern.

Man wird ihnen jedoch nicht abstreiten können, daß sie die Probe ihrer oft windig genug aussehenden Probleme mit einer Großartigkeit und Nichtberücksichtigung des Kostenpunktes versuchen, die Staunen erregt, und welcher Anerkennung nicht versagt werden kann. Denn was ist angesichts des Fortschrittes der letzten fünfzig Jahre noch unmöglich? Nichts! Alles ist blos Frage der Zeit, das heißt der Arbeit und des Geldes.

Bei den meisten Lesern darf ich als bekannt voraussetzen, daß der bei New-York sich in den atlantischen Ocean ergießende prachtvolle Hudsonfluß, im Adirondakgebirge entspringend, so ziemlich den ganzen Staat New-York von Norden nach Süden durchströmt. Die ungeheuren Schneemassen, welche sich während der dortigen langen und strengen Winter in den genannten, noch ganz unbebauten Gebirgen ansammeln und im Frühjahre unter dem Einflusse der dem westlichen Continente überhaupt eigenthümlichen plötzlichen Temperaturwechsel fast alljährlich mit starken Regengüssen schmelzen, verursachen häufig verwüstende Ueberschwemmungen. Andererseits reicht, insbesondere während trockener Sommer, die Wassermasse des Hudson und seiner Nebenflüsse nicht aus, um den Anforderungen zu entsprechen, welche die Binnenschifffahrt, die Canalisation, die Industrie und die Ackerwirthschaft an sie machen.

Es drängte sich die Frage auf: giebt es kein Mittel, um während einer Periode des Jahres die mindestens nutzlos, oft aber zerstörend abfließende werthvolle Wasserkraft zu bannen, aufzuspeichern, um während der Perioden der Wassernoth das durch die Trockenheit wesentlich verminderte Wasserquantum des Hauptflusses und seiner Zuflüsse so anzuschwellen, daß die wichtigsten Zweige der gesellschaftlichen Industrie keinen Nachtheil erleiden?

Gewiß ist diese Frage keine specifisch amerikanische, so wenig wie die Verhältnisse, welche sie hervorgerufen, nur der neuen Welt eigenthümlich sind. Allein die Art, wie man ihrer Lösung näher zu rücken suchte, ist specifisch amerikanisch. Die Nation ist entstanden, gewachsen und groß geworden im täglichen Kampfe mit den elementaren Kräfte eines wilden Landes; dieser Kampf ist das Lebenselement des Einzelnen wie der Gesellschaft, und wo der Europäer und der europäische Staat vor dem „riesengroßen“ Ungeheuer „hoffnungslos“ die Hände in den Schooß legen und das anscheinend Unabwendbare über sich ergehen lassen, da erhebt sich in den Vereinigten Staaten der Einzelne wie der Staat, wenn auch noch so oft niedergeschmettert, immer wieder zu neuer Anstrengung und läßt nie die Hoffnung auf Erfolg sinken.

Der Sommer 1874 war in den sechs Neuengland- und den vier Mittelstaaten, von welch letzteren New-York einer ist, so ungewöhnlich trocken gewesen, daß, hätte die Trockenheit noch vierzehn Tage angehalten, die Canalschifffahrt unterbrochen worden wäre. Unter dem Eindrucke einer solchen Calamität wies die gesetzgebende Versammlung des Staates eine Summe [720] von siebentausendfünfhundert Dollars an, um damit „die Kosten einer Vermessung, Kartirung und Planentwerfung zu decken über das Aufdämmen von Seen und die Anlage von Wasserbehältern am Ursprunge (headwaters) des Hudsonflusses“.

Als näherer Zweck der Geldbewilligung war bestimmt, zu ermitteln: in welcher Ausdehnung und mit welchem wahrscheinlichen Kostenaufwande es möglich sein würde, die ungeheure Ansammlung atmosphärischen Niederschlages auf der Adirondak-Hochebene während der sechs Wintermonate aufzuspeichern und später für die Zwecke des Staates nach Bedürfniß nutzbar zu machen. Man nahm an, daß die aus der nördlichen Wildniß des Staates im Frühjahr in den Hudson strömende Wassermasse in ihrem alljährlichen Zerstörungswerke zurückgehalten und in gewissem Grade controlirt werden könnte und daß die Nachhülfe aus dem aufgestauten Wintervorrathe die Nachtheile der häufigen trockenen Sommer, wenn nicht ganz beseitigen, doch erheblich mildern könne.

Eine der Hauptfragen, womit sich das bestellte Ingenieurcorps zunächst beschäftigte, war die: in welcher Ausdehnung die Schifffahrt auf dem Hudsonflusse, dieser unvergleichlichen Lebensader nicht nur des Staates New-York, sondern durch seine Canalverbindungen auch der ganzen Vereinigten Staaten, in den Perioden niedrigen Wasserstandes durch ein System von künstlichen Wasserbehältern gehoben werden könne. Es war den Ingenieuren zu dem Zwecke aufgetragen worden, annähernd zu ermitteln:

1) die Masse des alljährlich in den den Hudson- und Raquettefluß (dieser entspringt auch auf der Adirondak-Hochebene, nimmt aber seinen Lauf, dem des Hudson entgegengesetzt, nördlich nach dem St. Laurenzflusse) speisenden Bassins sich ansammelnden überschüssigen Wassers;

2) in welcher Ausdehnung und mit welchen Kosten diese Wassermasse zurückgehalten, durch Aufbewahrung in großen Reservoirs zu nützlichen Zwecken verwandt und den gegenwärtigen wie künftigen Anforderungen der Industrie der Bevölkerung dienstbar gemacht werden könne;

3) in welchem Grade man auf jene in den Behältern zurückgehaltene Wassermasse, einmal zur Speisung der Canäle und, was wichtiger, aber auch schwieriger, zur Erhöhung des Wasserstandes im Hudsonflusse während trockener Sommer- und Herbstmonate rechnen könne.

Um die Großartigkeit der Aufgabe bloß in letzterer Beziehung meinen Lesern zum Verständnisse zu bringen, genügt es, zu bemerken, daß der Hudson von Albany bis zu seiner Mündung (so ziemlich dieselbe Distanz wie von Bonn bis zur Nordsee) die fünffache Wassermasse und Breite des Rheines hat.

Es wurde festgestellt durch Beobachtungen des Regenfalles im ganzen Staate New-York, von 1850 bis 1863 auf dreißig Stationen vorgenommen, daß derselbe im Durchschnitte für die genannte Periode 41,941 Zoll englisch betrage, wovon etwas über 22 Zoll auf die sechs Sommermonate (Juni bis November), der Rest auf die übrigen Monate des Jahres komme, daß dagegen auf dem Adirondak-Plateau, welches durchschnittlich eine absolute Höhe von 2000 Fuß über dem Meeresspiegel besitzt, der atmosphärische Niederschlag über 64 Zoll betrage.

Diesem Niederschlage gegenüber wurden zunächst als Veranlassungen zu Verlust in Betracht gezogen:

1) die Verdunstung, auf Grund von Beobachtungen aufgenommen an zwei Orten der Vereinigten Staaten und an einem in England;

2) Filtration und Absorption;

3) Lecken durch mechanische Einrichtungen, und

4) Wasserbenutzung zur Unterhaltung organischen Lebens.

Der Gesammtverlust aus diesen vier Ursachen wurde auf 19 Zoll festgestellt, sodaß von dem Niederschlage von 64 Zoll 45 Zoll zur Verwendung übrig blieben. Um jedoch ganz sicher zu gehen, wurde als Grundlage späterer Berechnungen der atmosphärische Niederschlug auf 58 Zoll verringert und das Verlustquantum auf 25 Zoll erhöht, sodaß 33 Zoll Wasser zur Verwendung blieben. Die sogleich näher zu beschreibenden Behälter sind darauf berechnet, daß sie bei einem Niederschlage von 40 Zoll wohlgefüllt bleiben und ihr Vorrath gesichert ist.

Es werden als Reservoire zwölf kleinere Seen und ein Reservoir ohne See vorgeschlagen, an deren Ausflußstellen Dammbauten errichtet werden sollen, welche das Wasser aufstauen.

Es stellt sich als großes Ganzes das folgende Resultat heraus:

1) Oberfläche, deren Ablauf in die Reservoirs fließt, einschließlich der Seen und Reservoirs circa 400,000 Acker.

2) Durchschnittliche Tiefe 10 Fuß.

3) Fassungsvermögen aller Reservoirs, einschließlich der Seen, über 18,140 Millionen Kubikfuß Wasser.

4) Abflußmasse pro Minute für 100 Tage: 125,973 Kubikfuß Wasser.

5) Jährlicher Abfluß über 58,258 Millionen Kubikfuß.

6) Kostenanschlag 426,572 Dollars.

Nachdem die Ingenieure noch angedeutet haben, woher, im äußersten Nothfalle, noch weitere bedeutende Wassermassen zu beziehen wären, wenden sie zunächst die obige Verlustscala auf ihr gefundenes Wasserquantum an und gehen dann zur Prüfung der Gefahren über, welche einestheils aus einem Durchbruche der Dämme, und anderntheils für die Gesundheit der die Reservoirs umwohnenden höchst unbedeutenden Bevölkerung entstehen möchten, welche sie geneigt sind sehr gering anzuschlagen, namentlich wenn gewisse von ihnen empfohlene Vorsichtsmaßregeln gesetzlich angeordnet würden. Diesen möglichen Nachtheilen gegenüber entwickeln sie ausführlich die sicheren Vortheile, welche die Ausführung des Projectes gewähren wird, und weisen zuerst hin auf die wesentliche Verbesserung der Schifffahrt und des Flößens in der Wildniß, worin die Seen gelegen sind, zu welchem Zwecke in den Dämmen Vorrichtungen getroffen werden sollen, ähnlich den Canalschleußen.

Demnächst heben sie hervor, welch ungeheure Wasserkräfte durch Ausführung des Projectes geschaffen würden. Sie berühren hier die in allen mit Canälen versehenen Ländern so kitzelige Frage: ob das Ueberflußwasser derselben unter gewissen Beschränkungen und innerhalb sicherer Regeln zur Anlegung von Mühlen, Fabriken und dergleichen abgegeben werden soll und kann, und kommen zu dem Resultate, daß bei der großen Wassermasse und unter Zugrundelegung der nothwendigen Fallhöhe hundertsechsundneunzig Mühlenkräfte füglich abgelassen werden könnten.

Der nächste Vortheil, welcher aufgezählt wird, ist die Verminderung der Beschädigungen, welche die Frühlingswässer alljährlich herbeiführen, und es wird die wohl nicht unbegründete Ansicht ausgesprochen, daß der Betrag der jährlich hierdurch geretteten Summe die Gesammtauslagen aller Reservoire übersteige. Die Grenze, bis zu welcher den Ueberfluthungen vorgebeugt werden könne, genau zu bestimmen, sei mit den bis jetzt vorliegenden Daten zwar unmöglich, allein bis zu welchem Grade es doch ausführbar sein würde, möge annähernd aus der Thatsache entnommen werden, daß allein am oberen Raquette-Flusse über 14,000 Millionen Kubikfuß Wasser oder 503,000 per Minute Abfluß für 20 Tage und eine Entwässerungsoberfläche von 646 englischen Quadratmeilen unschädlich gemacht werde.

Zuletzt wird die Frage, die wichtigste, untersucht und beantwortet: ob aus den vorgeschlagenen Wasserhaltungen es möglich sein würde, dem Hudsonflusse bei Troy (etwa correspondirend am Rheine der Lage von Coblenz) während der trockenen Jahreszeit und für eine längere Periode einen die Schifffahrt sichernden Wasserzufluß zuzuführen? An der Hand von Professor Weisbach’s Formel und auf Grund längerer und genauer Beobachtungen wird die Wassermasse des Hudson bei Troy auf circa 240,000 Kubikfuß Wasser pro Minute festgestellt. Es werden dann die folgenden Resultate gezogen:

1) Die sämmtlichen in Vorschlag gebrachten Wasserhaltungen werden jede Minute während 100 Tagen einen Wasserabfluß von 125,973 Kubikfuß Wasser gewähren.

2) Die Gesammtausgabe zur Herstellung jener Wasserhaltungen wird etwa 427,000 Dollars betragen.

3) Die sämmtlichen Wasserhaltungen werden durch einen atmosphärischen Niederschlag von blos 40 Zoll, welches weniger als der Durchschnittsniederschlag des ganzen Staates New-York ist – gefüllt.

4) Die durch die Wasserhaltungen gesicherte Wassermasse ist ungefähr das Zweiundeinhalbfache des Quantums, welches erforderlich ist, um dem Hudsonflusse bei Troy einen Wasserstand

[721] von ein Fuß mehr zu geben, als den gewöhnlichen der Sommer- und Herbstmonate.

5.) Endlich: die Wasserhaltungen können mit einer wenig von dem angegebenen Kostenanschlage abweichende Summe beliebig an Zahl vermehrt werden.

Dieser interessante Bericht, der in Buchform im Laufe dieses Jahres, mit zehn Situationsplänen, Längen- und Querprofilen und Zeichnung von Dämmen versehen, in New-York publicirt wurde, schließt mit der Bemerkung, daß es weder nothwendig noch rathsam sei, die Ausführung des ganzen Projectes gleich zu beginnen, und daß es genüge und sich empfehle, erst gewisse von ihnen benannte Reservoirs zu schaffen, welche, den gegenwärtigen Bedürfnissen entsprechend, einen Wasservorrath von sechs bis vierzehn oder selbst zwanzig Millionen Kubikfuß Wasser zu halten und abzugeben im Stande wären.

Wenn ich im Vorstehenden manches Technische angeführt habe, so that ich es, um die Größe des Unternehmens einerseits, andererseits aber auch dessen Ausführbarkeit und gewaltige Erfolge auch dem Laien begreiflich zu machen, und ich wage anzunehmen, daß es mir gelungen ist, in diesem Sinne blos das durchaus Nothwendige hervorzuheben und nichts Wesentliches zu verschweigen. Sachverständige, die einen näheren Einblick in das Project wünschen, muß ich auf das Buch selbst verweisen,[1] das zu einem sehr mäßigen Preise zu haben ist.

Und nun sei mir zum Schlusse gestattet, noch kurz auf die „Moral meiner Arbeit“ zurückzukommen. So groß auch der Reiz ist, meinen Landsleuten vorzuführen, was eine junge Nation mit verhältnißmäßig wenigem Capital in der ungeheuren Aufgabe leistet, den Kampf für das Dasein mit den für unbezwinglich gehaltenen Naturkräften zu führen und als Sieger daraus hervorzugehen, so würde derselbe mich doch nicht zu der Arbeit und zur Inanspruchnahme dieses werthvollen Blattes bewogen haben, wenn ich nicht im Hinblick auf die außerordentlichen in fast ganz Europa aufgetretenen Ueberschwemmungen dieses Jahres diesen Kampf für einen solchen hielte, den wir je eher, je lieber auch in Deutschland beginnen sollten. Haben doch so einflußreiche Blätter, wie die „Independance Belge“, das zweite Kaiserthum für die gräulichen Verwüstungen im Süden Frankreichs verantwortlich gemacht, jenes Kaiserthum, „das, obwohl gewarnt durch die großen Ueberschwemmungen der Loire und Rhone im Jahre 1855, doch nichts that, und Millionen auf einen ungerechten und hoffnungslosen Krieg in Mexico verschwendete“.

Es liegt außer meiner Sphäre – wenn es in meinem Vermögen läge –, die Gründe der jetzt so häufigen und zerstörenden Ueberschwemmungen auszuführen. Für meinen Zweck genügt die unbestreitbare und Jedem verständliche Thatsache, daß die Existenz und der Wohlstand von Millionen unserer Mitbürger jedes Frühjahr durch anscheinend uncontrolirbare Wassermassen bedroht sind, welche wir jedenfalls nutzlos, wenn nicht schadenbringend, an uns vorbei rauschen lassen, während wir sie, oft nur wenige Monate später, für unsern Acker-, Garten und Wiesenbau, für unsere Industrie, unsere Schifffahrt, ja oft für Menschen und Hausthiere sehnsüchtig zurück wünschen.

Ganz im Kleinen und nur zum Zwecke der Aufspeicherung zu späterem Gebrauche, nicht aber zur Verhinderung oder Mäßigung von Ueberschwemmungen, ist meines Wissens das Heilmittel in Deutschland bereits angewendet. So hat man z. B. zur Speisung des so höchst wichtigen Saarcanals Wasserhaltungen angelegt, und die Fabrikanten des so äußerst industriellen Münsterthales im Elsaß haben einen der im Hochgebirge der Vogesen gelegenen Seen, denen die Lebensader ihrer Gewerbthätigkeit, die Fechte, entströmt, um zwölf Fuß aufgedämmt. Beide Experimente haben sich nach Maßgabe ihrer Ausdehnung bewährt. Es kann nun nicht bestritten werden, daß die Verhältnisse, auf denen das New-Yorker Project basirt, sehr verschieden sind von denen des tributpflichtigen Gebietes der meisten deutschen Ströme. Die Amerikaner können in dieser, wie in so vielen anderen Beziehungen aus dem Großen und Ganzen schneiden. Die topographische Beschaffenheit des größten Theiles ihres Gebietes, die Spärlichkeit der Bevölkerung und der gerade in den Quellengebieten der Flüsse meistens sehr geringe Werth von Grund und Boden sind ihnen sehr günstig, während andererseits aber auch in Deutschland die im Vergleiche mit Amerika sehr billige Arbeit und die guten Verbindungswege auf den Kostenpunkt günstig einwirken.

Allein es darf nicht übersehen werden, daß in den Culturländern Europas durch die dichte Bevölkerung und die damit verbundene Ausnutzung des fließenden Wassers einerseits die Gefahr der Ueberschwemmungen viel bedenklicher und andererseits die aus einer Regulirung und Ausgleichung des Frühlingsüberflusses mit dem Sommer- und Herbstmangel zu erntenden Vortheile weitaus bedeutender werden. Der materielle Gewinn, der unserer Nation blos mit der Ausnutzung des Rheines und seiner schiffbaren Nebenflüsse, nach Art der für den Hudson vorgeschlagenen, erwachsen würde, ist ein ganz unberechenbarer, abgesehen von den Nachtheilen, deren sie sich durch Abwendung von Ueberschwemmungen enthöbe, und dem bisher unbekannten Sicherheitsgefühle, das den Anwohnern von Wasserläufen gegeben würde.

Sehr bedeutende Summen werden seit einem halben Jahrhundert an die sogenannte Correction unserer Flüsse gewendet, das heißt, es wird alles Mögliche gethan, um während der trockenen Jahreszeit das Bischen Wasser so zusammenzudrängen und zusammenzuhalten, daß eine nothdürftige Schifffahrt stattfinden kann, und es wird mit sehr kostspieligen Dämmen längs dem Ufer, oft doppelten, das dahinter gelegene Land zu schützen gesucht. Ich verwerfe diese Schritte nicht, allein es scheint mir, daß man mit diesem Uebel ebenso verfahren sollte, wie mit jedem andern, das heißt man muß es in seinen Quellen angreifen, da, wo es noch in den engen Schluchten der Gebirge zu bemeistern ist, und nicht erst, wenn es im Flachlande überwältigend geworden. Aus meiner Jugend – sie fällt in das zweite Jahrzehnt dieses Jahrhunderts – erinnere ich mich, daß in der Umgegend meiner von einem starken Bache umflossenen Vaterstadt eine Menge kleiner Teiche sich in den Anfängen der Wiesenthäler befanden. Diese Teiche haben herrlichen Wiesen Platz gemacht, aber der große Bach ist zu der Breite eines Zwirnsfadens zusammengeschmolzen.

Ob, wie von urtheilsfähigen Männern behauptet worden, die Herstellung einer großen Anzahl von größeren Teichen oder kleineren Seen im Quellengebiete unserer Flüsse einen Einfluß ausübt aus die Erzielung eines gleichmäßigeren Klimas und eines stärkeren atmosphärische Niederschlages, wage ich nicht zu entscheiden, allein ich darf wohl behaupten, daß, außer den von den New-Yorker Ingenieuren dargethanen Vortheilen, dieselben wesentlich auch im Interesse eines rationellen Be- und Entwässerungssystems sowie einer ausgedehnten Fischzucht nutzbar gemacht werden könnten. Ich bin geneigt, den letzteren Vortheil besonders hoch anzuschlagen. Keine Nation ißt so wenig Fisch wie die deutsche, und es scheint mir, daß, abgesehen von dem Wohlgeschmacke, der in dem Fischfleische stark vertretene Phosphor sich als Gegenwirkung gegen den täglich sich mehrenden Biergenuß und zugleich als angenehmes Reizmittel geistiger Thätigkeit sehr empfehle.

C. N. R.


  1. Annual report of the Canal Commissioners of the State of New-York. Transmitted to the Legislature January 5, 1875, Albany. (E. Steiger, Frankfurt Str., New-York.)