Kommerzienrat Julius Erhard

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Ernst Wagner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Kommerzienrat Julius Erhard
Untertitel:
aus: Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde 1899, Heft I, S. 145–150
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag:
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Nachruf auf den Fabrikanten, der seine Altertümersammlung 1890 der Stadt Schwäbisch Gmünd schenkte
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[145]

Kommerzienrat Julius Erhard.1)

In Schwäbisch Gmünd haben sie am 21. Januar 1898 unter allgemeiner Theilnahme der besten Bürger einen, den am 19. desselben Monats in seinem 78. Lebensjahr abberufenen Kommerzienrat Julius Gustav Erhard zu Grab getragen. Die Tagesblätter erzählten damals von seinem Lebenslauf und betonten dankbar seine Verdienste. Man hatte aber die Empfindung, als ob mit dem Toten gewissermaßen das alte Gmünd Abschied nehme, das inzwischen neue Wege eingeschlagen hatte, die er doch auch schon hatte bahnen helfen, und seine Persönlichkeit stach so bedeutsam, geradezu als bemerkenswerte Erscheinung in der Landesgeschichte, hervor, daß ein Bild derselben aus der Feder eines alten Freundes auch jetzt noch die Aufmerksamkeit derer verdienen dürfte, welche gerne die Zeit in dem Wirken einzelner hervorragender Männer sich spiegeln sehen.

In Gmünd also, der kleinen Stadt mit leuchtenden geschichtlichen Erinnerungen, in der damals die besten Kräfte noch in ziemlich engen Grenzen der althergebrachten Edelmetallindustrie gewidmet waren, ist Julius Erhard am 21. März 1820 als zweiter Sohn des 1874 verstorbenen Kommerzienrats Karl Gottlob Erhard und seiner Gattin Therese, der Tochter seines früheren Prinzipals Debler, aus Gmünder altpatrizischem Geschlecht, geboren. Der Vater, dessen Bild als eines biederen, betriebsamen, gemeinnützig denkenden und wohlwollenden Mannes mir noch vor Augen steht, war zu seiner Zeit an einem der größeren Gmünder Geschäfte beteiligt. In dem Wunsch nach selbständiger Unternehmung blieb ihm der tiefe Stand der Herstellung von unechten Metallwaren, deren bessere Art aus Paris oder England bezogen werden mußte, nicht unbemerkt und es legte sich ihm darum der Gedanke nahe, im Anschluß an die heimische Bearbeitung der Edelmetalle seine Kräfte in dieser Richtung einzusetzen. Dementsprechend wollte er seine beiden Söhne Karl und Julius für praktische Fabrikthätigkeit ausgebildet wissen, und so kam es, daß der letztere, Julius, nach Absolvierung der Schuljahre in Stuttgart 1834 in Leipzig bei dem damals gerühmten Juwelier Theodor Strube in die Lehre trat. Im Jahr 1838 nach Hause zurückgekehrt, war er bis 1841 in Gmünd bei der alten Firma Kott, Walter u. Forster als Graveurlehrling thätig und begab sich dann, um in größeren Verhältnissen an den für die Fabrikation besonders wichtigen fremdländischen Orten deren Geschäftsbetrieb mit seinen Eigentümlichkeiten kennen zu lernen, als praktisch arbeitender Stahlgraveur nach London, 1842 nach Paris, schließlich 1843 nach München, wo er mit künstlerischen Studien seiner Ausbildung einen gewissen Abschluß zu geben suchte.

Nach seiner Heimkehr wurde dann 1844 in einem neu errichteten, im Lauf der folgenden Jahre vielfach erweiterten Gebäude Fabrik und Firma „Erhard und Söhne“ gegründet. Die Söhne wußten hier in mühsamer Arbeit unter vielfach [146] schwierigen Verhältnissen das redlich erworbene vielseitige Können zu verwerten, das Geschäft blühte glücklich auf und erwarb sich weit über die vaterländischen Grenzen hinaus den guten Ruf, dessen es sich heute noch erfreut.

Gerne verweilt die Erinnerung bei dem geradezu vorbildlichen Eindruck, den damals die Erscheinung der beiden stattlichen jungen Männer aus ansehnlichem Hause auf uns jüngere machte; mit Hochachtung sprach man davon, was sie alles in der Fremde, zum Teil durch ihrer eigenen Hände Arbeit, gelernt und wie sie es zu verwerten wußten; dabei imponierten sie uns durch jugendliche Kraft und Gewandtheit; 1844 waren sie in der Stadt Mitbegründer des ersten Turnvereins in Württemberg, in dem sie sich dem trefflichen Turnvater Joh. Buhl anschlossen, und als frische fröhliche Kameraden übten sie auf die öffentliche Geselligkeit willkommenen Einfluß aus, so z. B. bei den damals blühenden jährlichen Fastnachtsaufführungen, denen man mit feinerem Humor gewürzten Glanz und künstlerischen Anstrich zu geben wußte.

In die Leitung des Geschäftsbetriebs teilten sich die beiden Brüder so, daß die technische Seite dem zwei Jahre älteren Karl zufiel, der sein Augenmerk auf die möglichst günstige Art der Metallbearbeitung gerichtet hielt und seit 1857 mit großem Erfolg die damals in Deutschland noch kaum bekannte Galvanoplastik in Verwendung brachte. Er ist nach unermüdlicher segensreicher Arbeit fast 70 Jahre alt 1888 gestorben. In den Händen des jüngeren Julius lag vorzugsweise die Sorge für die schöne Form der Ware, für Schaffung und Feststellung der Muster, für Erhaltung guten und verfeinerten Geschmacks. Hier kam ihm die hervorstechendste Seite seines Wesens, die eigene künstlerische Begabung, in glücklicher Weise zu Hilfe. Sie war weniger produktiv; aber er war ein warmer Freund der Kunst, verständnisvoll bewegt von allem Schönen, das sie ihm entgegenbrachte, mit Eifer bestrebt, in ihre Tiefen einzudringen. Empfänglich für die Musik – wir erinnern uns gerne noch wöchentlicher Männerquartettabende, an denen er mit den Freunden zusammen zu singen pflegte –, war er es doch in erster Linie für die bildenden Künste, die seinem Verständnis wie den Aufgaben seiner Berufsarbeit am nächsten lagen. Eine Reihe von Briefen, die bis in seine letzten Jahre reichen, geben davon Kunde. Sie zeigen, wie er schon in der äußeren Natur das Schöne im großen und kleinen zu finden und zu genießen weiß; auf seinen Reisen, die in späterer Zeit am meisten der nötigen Erholung gelten, die er aber mit Vorliebe doch immer wieder dahin richtet, wo es Kunstschönes zu sehen gab, hat es ihm nicht nur die Schönheit der Landschaft im großen angethan, sondern er wird auch „gefesselt von den abwechselnden kleinen netten Pflanzenpartien, mit denen sich die Natur selbst ziert“; er hat „ein gewisses Verlangen, Abbildungen zu sehen, in welchen entsprechende Studien mit Liebe zu Zierzwecken verwendet sind“; er holt sich die zierlichen Versteinerungen des heimatlichen Jura, die Ammoniten und Gryphaeen, die „Anmutshörnle“, wie ihm ein Steinhauer die ersteren sinnig nennt, und faßt sie in Metall zu reizenden Ziernadeln, Briefbeschwerern u. dgl., mit denen er dann besonders gerne kleine Geschenke macht. Dann aber geht er mit immer lebendigerem Verständnis den Werken der Malerei und Bildhauerei nach und studiert emsig die Baukunst als die Mutter des für seine Zwecke so wichtigen Ornaments. Das eigene schmucke Haus, das er sich gebaut, ziert er mit Nachbildungen und passenden Umbildungen schöner Kunstwerke, die er in einem Brief mit der launigen Bemerkung alle aufgezählt, daß „man doch stärker seine Leistungen kaum rühmen könne“. Eine Zeitlang ist er in das Studium der alten deutschen Zierholzbauten vertieft und wünscht einschlägiges Material. In gar heiterer Art verbindet sich sein gesunder Humor mit seinem künstlerischen Sinnen in einer „Stillehre für [147] den kunstgewerblichen Unterricht“, einer geordneten kleinen Sammlung zierlicher Modelle von Stielen (zu Löffeln oder Messern) aus Metall in allen Kunststilen, vom altägyptischen bis zum Zopf, von ihm komponiert und von seinen jungen Leuten hergestellt, die vielleicht heute noch zu haben ist. Mit den modernen Richtungen in der Malerei findet er sich nicht ganz zurecht; anläßlich der Sezessionen schreibt er 1893: „Der ältere Kunstgeschichtslehrer kann sich jetzt zurückziehen, oder er wird Parteimann und als solcher mag er darüber entscheiden, ob ein Unterschied ist zwischen der schönen Wahrheit und dem wahrhaft Schönen? Da ist doch unsereiner im Vorteil; er kann sagen, wenn er mag: ich brauche ja nicht mehr mitzuthun – außer wo ich mag!“ Dabei ist, zumal zu seiner Zeit, nicht zu verwundern, wenn bei dem Sohn der alten Hohenstaufenstadt mit ihren bewundernswerten mittelalterlichen Baudenkmalen ein gewisser romantischer Zug sich geltend macht. Besonders gerne verweilt er, wie er einmal schreibt, bei der Malerei und Plastik von 1450 bis 1530; „neben andern Sammelschwachheiten habe ich auch die für schöne mittelalterliche Madonnen“; aber, „was deutsch ist, zieht mich immer am meisten an“. Er schwärmt lange Zeit für die Errichtung eines patriotischen Monuments auf dem Hohenstaufen, er versenkt sich pietätvoll in das Studium der Gmünder mittelalterlichen Kirchen, wobei er sich des förderlichen Verkehrs mit dem geschichtsforschenden und kunstsinnigen damaligen Gmünder Kaplan Pfitzer erfreut, und noch in seinen letzten Lebensjahren ist seine gefühlvolle Sorge darauf gerichtet, der unglücklichen Hohenstaufenkaiserin Irene, „der Rose ohne Dornen“, in der Klosterkirche des nahen Lorch, in der sie begraben liegt, eine Gedenktafel zu weihen, welche dank dem opferfreudigen Eifer seiner Söhne und des Lorcher Ortsausschusses dann auch zur Ausführung nach seinem Entwurfe kam und im Dezember 1898 enthüllt werden konnte.

Einer mit solcher Begabung ausgestatteten Natur konnte nicht entgehen, daß eine kunstgewerbliche Industrie wie die seines eigenen Geschäfts zum Gedeihen vor allem an die innige Berührung mit der Kunst gewiesen war, daß diese erst so ernstlich als nur möglich zu pflegen und ihr der grundlegende Einfluß auf alle in Aussicht zu nehmenden Erzeugnisse zu sichern sei. So war in der Fabrik bald ein kunstgewerbliches Atelier geschaffen, bei dessen Leitung er in dem von ihm berufenen Ziseleur und nachmaligen Professor Bauer willkommene Unterstützung fand und in welchem begabte junge Ziseleure zu Künstlern heranwuchsen, die, wie die Professoren Wiedemann in Berlin, Offterdinger in Hanau, Christaller in Stuttgart, sich später ehrenvollen Rufs erfreuten.

Die hier erreichten wachsenden Erfolge durften aber in den Augen des gemeinnützig denkenden Mannes nicht auf den engeren Kreis der eigenen Fabrik beschränkt bleiben; je mehr er sich überzeugte, daß für das gesamte Kunstgewerbe der Stadt die Zeit gekommen sei, altgewohnte enge Geleise zu verlassen und höher gespannten Forderungen gerecht zu werden, welche nur bei der Pflege lebendigen Kunstverständnisses Befriedigung finden konnten, desto mehr sehen wir ihn im Interesse seiner Mitbürger bestrebt, thatkräftig um Förderung des städtischen Schulunterrichts im Zeichnen, Modellieren und Ziselieren sich zu kümmern. Als Mitglied des Ortsschulrats nimmt er sich mit Eifer der gewerblichen Fortbildungsschule an; diese wird wesentlich durch sein Eingreifen zur Fach-Kunstgewerbeschule, in welcher Professor Bauer als Lehrer erfolgreich mitwirkt. Damit aber nicht zufrieden, läßt er sich von dem glücklichen Gedanken leiten, daß die Anschauung guter, mustergültiger Vorbilder aus alter und neuer Zeit und die Möglichkeit, in den gediegensten Werken der Fachliteratur sich umsehen zu können, ganz besonders anregend auf den kunstgewerblichen Betrieb der Stadt einwirken müßte und bringt es nach langen [148] Mühen und nach Überwindung vieler Hindernisse, die seinem uneigennützigen Bestreben sich entgegenstellen, 1876 zur Gründung eines Gewerbemuseums, das er selbst reich beschenkte, dessen Vorstand er wurde und das seither als Spezialmuseum für die Edelmetallindustrie geschätzt und viel benützt wird. Schon 1878 konnte es zur Veranstaltung einer größeren, auch von auswärts beschickten Fachausstellung schreiten, welche von nah und fern Besucher anzog und den Ruf der neu erwachten Gmünder industriellen Thätigkeit in weitere Kreise verbreitete.

Je mehr er aber den Wert von Vorbildern, zumal solchen aus älteren Perioden, schätzen lernte und je mehr ihm das Lehrreiche der Vergleichung der neuen Bestrebungen mit dem heimischen Alten zum Bewußtsein kam, desto mehr sah er sich darauf geführt, mit gesundem konservativem Sinn die Erinnerung an dieses letztere hervorzuziehen. Es erwachte in ihm ein pietätvoller, tiefergehender hiftorischer Sinn, der ihn dazu führte, zunächst den Blick auf den Entwicklungsgang der seit alter Zeit in der Stadt betriebenen Industrie zu richten und alles zu sammeln, was an Erzeugnissen derselben, an Mustern, Musterbüchern, Werkzeugen u. dgl. aus verschiedenen Perioden noch aufgetrieben werden konnte. An dem geschichtlich bedeutenden Orte mit seinen altehrwürdigen Bau- und Kunstdenkmälern, an dem so manche tüchtige Künstler und geschickte Meister im Lauf der Zeiten gewirkt, war aber ja so vieles andere noch bedeutend und der Aufmerksamkeit wert, vieles, das, wenn nicht festgehalten und gerettet, dem Untergang entgegenging und das gesammelt und zusammengestellt, das anziehendste Bild schwäbischer altreichsstädtischer Entwicklung in seinen Eigentümlichkeiten zu bieten geeignet schien. Dieses Bild gegenständlich festzubannen, zur Befriedigung eigenen patriotisch-bürgerlichen Bewußtseins wie zur Verbreitung pietätvollen Gefühls für die geschichtliche Würde der Stadt und dankbarer Anerkennung der Arbeit vorangegangener Geschlechter unter seinen Mitbürgern, sah er von jetzt an als lohnendste Lebensaufgabe an. So suchte er nun mit unverdrossenem Eifer und Opfer nicht scheuend, alles zusammenzubringen, was überhaupt aus der Vergangenheit der Stadt sich noch finden ließ oder mit ihr in lehrreichen Zusammenhang zu bringen war; er sammelt in alter Zeit gebräuchliche Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände, Trachten- und Schmuckstücke; er geht Gmünds großen Baumeistern und Malern nach, sucht deren Bedeutung den Mitbürgern nahezulegen und durch Straßennamen zu verewigen und beschafft sich deren Werke oder Kopien derselben, wo er sie bekommen kann. Weiter richtet er sein Augenmerk auf bedeutende Persönlichkeiten überhaupt, deren die Stadt so manche in verschiedenen Lebens- und Berufsgebieten aufzuweisen hat, er sammelt ihre Bildnisse, ihre Schriften und was sonst sich noch von ihnen finden läßt und sieht sich so mit der Zeit im glücklichen Besitz einer Gmünder Altertümersammlung, welche an sich in hohem Grade wertvoll, bald auch für die Forschungen in süddeutscher Kulturgeschichte reiches und willkommenes Material zu bieten geeignet ist. Dazu läßt er sich angelegen sein, die Erscheinung alter kirchlicher wie weltlicher Baudenkmale der Stadt im ganzen und in allen Einzelheiten in bildlichen Darstellungen festzulegen und bald kommt kaum ein älteres Gebäude zum Abbruch oder zur Veränderung, von dem er sich nicht erst ein Bild malen oder zeichnen oder photographieren läßt. Das bringt ihn allmählich in den Besitz einer reichen Bilderchronik, deren Wert für alle Zukunft in die Augen springt.

Kein Wunder, wenn mit solchen Bestrebungen auch der Sinn für heimatliche eigentliche Geschichtsforschung bei ihm immer lebendiger wird; er sucht immer tiefer in die Baugeschichte der Gmünder mittelalterlichen und späteren Kirchen einzudringen und die an ihnen angebrachten Symbole, z. B. die an den Mauern der romanischen [149] Johanniskirche öfter eigentümlich angebrachte Schere, deuten zu lernen; er freut sich, als er in der Certosa Heinrich Arlers Büste findet, die er für seine Sammlung abformen läßt; er sucht nach dem Verfertiger der Rüstung des Bürgermeisters Rauchbein, welche die gotische Stadtkirche bewahrt; er schreibt einmal aus der Versammlung des Württembergischen Altertumsvereins, der er in Stuttgart anwohnte: „und wohl hat es mir auch sehr gethan, daß Hans Baldung für Gmünd gerettet wurde“; er reist zweimal nach Würzburg und Bamberg, nur um Notizen über den Architekten Keller zu gewinnen, dem Gmünd stattliche Gebäude im Barockstil verdankt. Dabei wird die Geschichte der alten Reichsstadt im ganzen Gegenstand seiner Studien, er sammelt und erwirbt die alten Chroniken, interessiert sich für deren Inhalt und weckt und fördert einschlägige Arbeiten anderer, wo er von ihnen hört, wie er z. B. noch in seinen letzten Lebensjahren sich an den Klausschen Forschungen über die Gmünder Künstler in den Vierteljahrsheften für Landesgeschichte mit lebhaftem Eifer beteiligt hat. Das alles bringt ihn in lebendigen Verkehr mit Historikern in ganz Deutschland, denen er willkommenes Material zu beschaffen weiß und deren Anregungen er dankbar auf sich einwirken läßt. Einer derselben, der ihn noch in seinem letzten Lebensjahr besuchte und den er durch seine Sammlung führte, schreibt über ihn: „Ich bekam einen großen Respekt vor der Leistungsfähigkeit dieses einzelnen Bürgers, der aus Liebe zu seiner Vaterstadt schon zu einer Zeit kulturgeschichtliche und vaterländische Altertümer gesammelt hat, wo die Mode und das Verständnis noch bei weitem nicht soweit waren als heute. Wie schön und reich ist dieses Gmünder Lokalmuseum, und ächt republikanisch nobel ist auch der Verzicht der Söhne, welche beistimmten, als der Vater seine reiche Privatsammlung der Stadt zum Geschenk machte!“ Denn an seinem 70. Geburtstag 1890, als er sich aus dem Geschäfte zurückzog, das er nun zweien der Söhne überließ, schenkte er die ganze Sammlung der Stadt, die sie nun als „Erhardsche Altertümersammlung“ zu Nutz und Frommen der Öffentlichkeit bewahrt, und die Söhne haben neuestens, als Erhards Büste im Museum aufgestellt wurde, diesem auch die Bilderchronik überlassen,

Auf weitere Kreise hat sich Julius Erhards Thätigkeit wenig ausgedehnt. Er gehörte dem auf Grund des Reichsgesetzes vom 11. Januar 1876, betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen, gebildeten gemeinschaftlichen gewerblichen Sachverständigenverein für Württemberg, Baden und Hessen seit Gründung dieses Vereins bis 1893 als eifriges, durch seine gründlichen und gewissenhaften Referate hochverehrtes Mitglied an und hatte auch schon den Vorberatungen zur Schaffung dieses Gesetzes in Berlin angewohnt. Lange Jahre war er auch thätiger Pfleger des von ihm in seiner vaterländischen Bedeutung wohl erkannten und geschätzten Germanischen Museums in Nürnberg, mit dessen Leitern er in fruchtbarer Berührung stand. Politisch ist er nie in den Vordergrund getreten; aber als guter deutscher Patriot verfolgte er mit warmem Herzen Wohl und Wehe des großen wie des engeren Vaterlandes. Seiner ruhigen, sich mehr auf sich selbst zurückziehenden Sinnesart entsprechend zog er seinen Wirkungskreis enger; dem Wohl der Vaterstadt, der Hochhaltung ihrer Würde in der Gegenwart sollte sein Denken und Thun gewidmet sein, er war „der Lokalpatriot im guten Sinne“, wie ihn jener Historiker treffend mit einem Wort bezeichnet. Als solcher bringt er der Stadt zur Hebung pietätvollen Selbstbewußtseins und als Antrieb zu glücklich fortschreitender Arbeit ihre Geschichte im Leben der Altvordern, in Industrie und Kunst zur Anschauung; den neu aufstrebenden Talenten weiß er immer mit Rat und That an die Hand zu gehen; er wirkt als nachahmenswertes Vorbild im eigenen Geschäft, wo er mit erfahrenem Blick die Arbeit leitet und als wohlwollender Vorgesetzter der Arbeiter unter ihnen [150] Frieden, Eifer und eine dankbare Gesinnung zu erzeugen weiß, die anläßlich der Feier des 50jährigen Bestehens der Fabrik unter seiner Familie im Jahr 1894 zum schönsten Ausdruck kommt.

Dabei ist er stets ein treues Glied seiner evangelischen Gemeinde; er dient ihr als eifriges Mitglied des Kirchengemeinderats, stiftet eine evangelische Kleinkinderschule, gründet Leseabende für Lehrlinge und leitet lange Jahre hindurch den Evangelischen Verein, dem er gerne durch Schenkungen unter die Arme greift. Seinem künstlerischen Interesse entsprechend liegt ihm besonders das Gotteshaus am Herzen; kein Schmuck, so rühmt im Nachruf der Geistliche, ist in der evangelischen Kirche; zu dem er nicht sein Wort zur Förderung gegeben hätte; in den letzten Jahren bewegt ihn der Gedanke an den Bau einer bei dem Wachstum der Gemeinde immer mehr als nötig erscheinenden zweiten neuen Kirche; er tritt mit namhaften evangelischen Kirchenbaumeistern in Verbindung, um durch sie die nötige Belehrung zu gewinnen; verschafft sich passende Kirchenpläne, wo sie zu erhalten sind, und studiert sie mit prüfendem Blick, macht Reisen, um durch eigene Anschauung zu maßgebendem Urteil zu gelangen. So hat er verständnisvoll vorgearbeitet, wenn ihm auch einen wirklichen Neubau zu erleben nicht mehr beschieden war.

Ein treuer Freund seiner Freunde, deren Geschick er immer mit aufrichtiger Teilnahme verfolgte, war er ein guter Bürger seiner Stadt, ein Wohlthäter der Armen, überall mit offener Hand, wo es galt, die Not seiner Nebenmenschen zu lindern, eine selbstlose, versöhnliche, in sich harmonische Natur.

Im Jahre 1854 verheiratete er sich mit Pauline, der Tochter des Rechtsanwalts Wagner in Stuttgart, einer geistvollen, feinfühlenden Frau, die mit geradem Sinn und regem Verständnis teilnehmend seine Bestrebungen zu unterstützen wußte und mit der er im Besitz von vier tüchtigen Söhnen seltenes Familienglück genoß, bis sie ihm nach längerem Leiden 1882 durch den Tod entrissen wurde. In den letzten Jahren lebte er innerlich glücklich, umgeben von Kindern und Enkeln als hochverehrtes Haupt einer groß gewordenen Familie, bei dem, wie der Söhne einer dankbar rühmt, „alles seinen Ausgleich fand, so daß der schönste Friede den ganzen Kreis umschloß“. Dieses ruhige innere Gleichmaß konnten auch die körperlichen Leiden seiner letzten Jahre nicht erschüttern; mit mutigem Humor schreibt er noch im Dezember 1896: „ich lasse mich noch nicht herunterkriegen“, aber fügt auch bei: „froh und dankbar bleibe ich für das, was mir die Vorsehung noch Gutes gelassen hat“, und mit verklärter Miene hat er dann seinem Ende entgegengesehen.

Auch Anerkennung und Dank, wonach er doch nie gestrebt, durfte er erleben; von der Staatsregierung wurde er mit Titel und Orden beliehen und die Stadt erhob ihn zum Ehrenbürger. Bei der Leichenfeier kam es zu lautem Ausdruck, wieviel die letztere gerade in dieser Übergangszeit aus den alten engen Verhältnissen in die moderne Zeit ihm zu verdanken hatte.

Wenn auch nicht eine geniale Natur, war Erhard eine hervorragende Erscheinung. Mit altem Patrizierblut in den Adern aus der Familie seiner Mutter, die der Stadt mehrere Bürgermeister und zwei verdiente fleißige Chronisten gegeben hat, verband er in sich die Pietät für die Vergangenheit mit dem Sinn für alles Edle und Gute, was die Neuzeit anzustreben hat, das alte und das neue Gmünd. Bei Bescheidenheit und Wohlwollen wußte er ruhige Würde, bei vielseitigem Interesse stille Sammlung und Bedächtigkeit zu bewahren; für allen Fortschritt empfänglich und voll Anhänglichkeit an das Alte war er ein Vorbild, dem viele Nachahmung zu wünschen wäre, ein moderner Fabrikant und ein alter Patrizier zugleich.

Karlsruhe.
E. Wagner.

1) [145] Durch widrige Zufälligkeiten verspätet, wird dieses von berufener Hand entworfene Lebens- und Charakterbild eines bedeutenden, verdienten Mannes, das zugleich ein wesentliches Stück Geschichte einer unserer ersten Industriestädte ist, ohne Zweifel vielen unserer Leser nicht zu spät kommen.
Redaktion.