Kunst und Kultur in Ahrenshoop, Mai 1946
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel Kunst und Kultur in Ahrenshoop, Mai 1946 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Kunst und Kultur in Ahrenshoop 1945 bis 1948“ zusammengestellten Tagebuchauszüge vom Mai 1946. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][...] [2] Es waren heute mehrere Herren vom Kulturbund aus Rostock hier mit zwei Autos, natürlich Herr v. Achenbach u. ein evang. Pastor Kleinschmidt mit seiner Frau, der sich im Kulturbund oft aufspielt u. sich den Anschein gibt, Kommunist zu sein. Ich kenne ihn persönlich nicht. Frau Dross ist zu Herrn v. A. gegangen, als sie hörte, daß er hier wäre, um sich zu beklagen, daß ein Bild von ihr auf dem Transport vom Kulturbunde nach hier verloren gegangen sei. Frau v. A. hat versucht, der Frau Dross den Eintritt zu verwehren, da die Herren angeblich eine sehr wichtige Konferenz hätten, aber impertinent wie Frau D. ist, hat sie sich nicht abspeisen lassen u. hat wenigstens festgestellt, daß alle Herren zu einem üppigen Mahle versammelt waren, dessen Duft ohnedies das ganze Haus erfüllte, daß es Alkohol u. Cigarren gab u. daß alle sehr fröhlich waren. Ich glaube es schon. Diese Herren leben allesamt einen sehr guten Tag u. essen auf, was anderen entzogen wird. Kommunismus! – Aber ich denke, daß diesen Herrn v. A. sein Schicksal wohl bald erreichen wird, denn er hat wegen seiner eitlen Arroganz [3] jetzt schon viele Feinde in Rostock. Gegen 6 Uhr sah ich den Herren abfahren in zwei Autos, einer großen Limousine für 6 Personen u. einem kleinen Wagen für 2 Personen, in dem eine Dame saß. Es wird wohl das Auto des Herrn Pastor Kleinschmidt, des Kommunisten, gewesen sein. Alle diese Leute leben von den Steuern der Mitbürger u. den Mitgliedsbeiträgen des Kulturbundes einen guten Tag, indessen das Volk hungert. Ich werde mich hüten, mit diesen Leuten etwas zu tun zu haben.
Abends war noch Ilse Schuster da u. sah meine Bilder an. Sie war der Meinung, daß meine Bilder das größte Interesse der Kunstkreise in Magdeburg finden würden u. sie will dort entsprechend berichten. Aber was werden in Magdeburg schon für Kunstkreise sein? Vielleicht fünf oder sechs anständige Maler, – wenn es hoch kommt! – Ich sagte ihr, daß ich vorerst kein sehr großes Interesse an einer Ausstellung hätte. Dieser ganze Betrieb ist nicht sehr einladend. – Immerhin scheint der Kulturbund nach dem, was Ilse Schuster berichtet, in Magdeburg nicht so korrupt zu sein wie in Rostock, wo die Korruption unter der Leitung des Herrn v. Achenbach sehr bald beträchtliche Ausmaße annehmen dürfte. [...]
[3][...] [3] Gegen Abend kam Herr Kreuzberg, der allein hier ist u. bei Achenbach wohnt. Er will zwei Tage hier aquarellieren. Er ist doch noch Geschäftsführer der Sektion; aber die Situation ist schwierig u. mit viel Aerger verbunden. Er ist ein sehr zurückhaltender Mensch u. erzählt nicht viel, sodaß man die Dinge mehr erraten muß. Vielleicht wird er morgen nach dem Abendessen noch einmal kommen u. dann vielleicht etwas mehr auftauen
[3][...] [4] Gestern Abend war Herr Kreuzberg bei uns. Er berichtete, daß die Idee, Ahrenshoop zum Kurort der Kulturbundes zu machen, von der Reichsleitung des Kulturbundes in Berlin ausgeht. Es wird heute im Dorfe erzählt, daß in den nächsten Tagen der Präsident der Landesverwaltung Högner u. a. hohe Regierungsleute höchstpersönlich herkommen sollen, um Ahrenshoop zu besichtigen. – Sonst ist Herr K. ein sehr vorsichtiger Mann, der nur das beantwortet, was man ihn fragt, was nicht grade sehr unterhaltsam ist. Etwas Neues wußte er nicht mitzuteilen. [...]
[4][4] Am Freitag fuhr Martha mit dem Lastauto von Litzau nach Rostock, um im Wirtschaftsamt vorzusprechen u. sich sonst zu orientieren. Sie kam erst abends gegen 8 Uhr zurück. Herr Kreuzberg fuhr mit demselben Auto zurück. Martha hatte denselben Eindruck wie ich, daß Herr Kreuzberg umgefallen ist. Als er das erste Mal hier war, äußerte er sich sehr kritisch über Herrn v. Achenbach, aber jetzt wohnte er in dessen Hause u. es schien mir so, als nähme er für ihn Partei. Auch politisch scheint er sehr für die Russen zu sein, möglicherweise ist er gar Kommunist, mindestens aber in der neuen Einheitspartei. Es scheint mir, als wäre da Vorsicht am Platze. [...]
[4] Von Frau Knecht bekam ich einen blühenden Zweig geschenkt, sie hatte einen ganzen Arm davon voll. Es ist eine satt-rosa Blüte, ich vermute, daß es eine Art Zierpflaume ist. Bei Reinmöller gibt es davon viele Büsche. Ich machte gleich eine Zeichnung davon. Diese ist völlig abstrakt. Es scheint, als wenn meine Malerei, wenn es sich um Blumen handelt, ganz von [5] immer entschiedener sich zum Abstrakten hinwendet. Anders ist auch die Fortführung der natürlichen Wirklichkeit zur reinen Idee der Dinge nicht zu erreichen. Ich bin mir klar darüber, daß ich mir auf diese Weise den Weg zum Verständnis in breiteren Schichten völlig verbaue, aber ich kann mich deshalb nicht abhalten lassen. Ich sehe, daß es keinen anderen Weg gibt, um das auszudrücken, was ich meine, u. daß dieser Weg richtig ist. Das Bild, das ich auf diese Weise mache, ist zwar bestimmt kein Bild dessen, was Gott eigentlich gedacht hat, als er das Ding schuf u. zu dem das Ding hinstrebt; aber mein Bild liegt doch bestimmt auf dieser Linie insofern, als es die rohe Malerei überwindet u. von der Vielheit der Formen zur Einheit strebt. Mögen die Menschen das nun verstehen oder nicht, es soll mir gleich sein.
[5] Man hört heute, daß gestern im Kurhause die maßgebenden Leute versammelt waren, die die Vorbereitungen zu treffen haben, um Ahrenshoop zum Erholungsort für geistig Schaffende zu machen. Es soll auch der Herr „Oberregierungsrat“ Venzmer aus Schwerin dagewesen sein. Diese Sache gewinnt also offenbar Gestalt.
[5] Heute wurde mein Bild der Himmelskönigin fertig, – eigentlich ganz überraschend.
[6][...] [7] Das Narzissenbild ist nicht leicht. Es geht nur langsam damit voran. Gestern u. heute habe ich nur an dem Tisch gemalt, auf dem die Vase steht u. an der Vase selbst, aber ich bin noch nicht zufrieden.
Gestern zeigte ich Fritz sämtliche Bilder, die ich seit 1944 gemalt habe u. von denen er ja noch keines gesehen hatte. Sie machten starken Eindruck auf ihn. Es war natürlich zu viel u. zu neu, als daß er eine richtige Stellung dazu finden konnte, – das muß erst nach u. nach kommen. Ich möchte, daß er einige der Bilder photographiert, damit ich damit etwas machen kann. Ich denke daran, Redslob zu interessieren u. dazu brauche ich Fotos. [...]
[8][8] Gestern das kleine Bild mit den gelben Narzissen fertig gemalt. Es ist sehr abstrakt, jedoch hat man doch noch den Eindruck eines Tisches, auf dem eine Vase mit gelben Blumengebilden steht, nur daß es Narzissen sind erkennt man nicht mehr. Es ist aber sehr durchgearbeitet, der Hintergrund geht ganz in der Komposition auf. Auch farbig ist es sehr warm in gelben u. rotbraunen Tonen.
Ich versehe meine Zeichnungen, die nun alle in Passepartouts sind, mit farbigen, schmalen Leisten als Rähmchen an der Innenkante der Passepartouts, wie ich es bei Koch-Gotha gesehen habe, wodurch die Zeichnungen ein sehr schönes Ansehen bekommen. Ich werde diese Zeichnungen im Sommer in der BuStu. ausstellen, nachdem nun wirklich feststeht, daß Ahrenshoop Kurort für Künstler u. andere Kulturschaffende werden soll. Es heißt, daß die ersten Gäste ab 1. Juni erwartet werden sollen, u. zwar auch aus den westlichen Zonen. Die Sache wird anscheinend groß aufgezogen. Es ist sogar ein Kurdirektor eingesetzt worden in Person des Herrn Michelsen aus Ribnitz, eines sehr sympatischen Mannes, der bereits hier ist u. im Kurhause wohnt. Das Kurhaus ist ganz gerüstet, Gretl Neumann hat alles sehr geschickt u. energisch betrieben, sie hat sogar eine Kuh angeschafft. Ich habe mit Fritz die Möglichkeiten besprochen, in der BuStu. geeignete Wandflächen zu schaffen, um Zeichnungen aufhängen zu können. Bilder will ich dann nur im Atelier zeigen nach vorheriger Anmeldung solchen Leuten, die sich besonders interessieren. Ich verspreche mir davon sehr viel in ideeller Beziehung, da ich annehme, daß auch viele Schriftsteller u. Kunstverständige Kritiker herkommen werden. Ich entgehe auf diese Art dem sonst üblichen Ausstellungsbetrieb u. dem dummen [9] Geschwätz des Banausentums. Ob dabei auch ein materieller Erfolg erzielt werden kann, steht dahin u. es ist mir das auch ziemlich gleichgültig. Es kommt mir nur darauf an, einen kleinen Kreis von Leuten zu finden, die sich interessieren u. dann weiter arbeiten. Ich selbst werde ja kaum noch viel tun. Es ist möglich, daß ich noch einige hübsche Bilder malen werde, aber wohl kaum noch etwas Neues. Ich habe das Gefühl, daß ich mit dem Christkönig u. der Himmelskönigin alles gesagt habe, was ich zu sagen hatte. Auch sonst erübrigt sich nun meine weitere Mitarbeit in den Belangen des irdischen Lebens, seitdem Fritz wieder da ist u. in eifriger u. sehr verständiger Weise die Interessen des Geschäftes wahrnimmt u. für Martha sorgt. [...]
[9][9] Gestern Nachmittag war der Maler Holst aus Wustrow u. seine Frau, die ebenfalls Malerin ist u. unter ihrem Mädchennamen Sommer als Künstlerin einen gewissen Ruf genießt, bei mir, um meine Bilder zu sehen. Koch-Gotha hatte sie wieder neugierig gemacht. Der Christkönig machte den weitaus stärksten Eindruck auf sie. Frau Holst=Sommer ist eine sehr energische, zielbewußte Frau, – als Frau nicht grade sehr fraulich, aber als Künstlerin doch recht beachtlich. Das Einzige, was ich ihr vorzuwerfen habe, ist, daß sie sich mit diesem eitlen Dummkopf von Mann eingelassen u. ihn geheiratet hat. Er hat, solange wir vorher Kaffee tranken, pausenlos von sich erzählt, von seinen Krankheiten u. Gebrechen, von seiner Tüchtigkeit u. Arbeit usw. Die Frau gab mir später einen guten Tipp zur Beschaffung von Bilderrahmen.
Ich zeichnete gestern den ganzen Tag ein einem blühenden Zweig wilder Kirsche, ohne jedoch zu einem recht befriedigenden Resultat zu kommen.
[9][...] [10] Heute sollen bereits zehn Gäste im Kurhause eintreffen. Es heißt, daß viele sehr prominente Künstler herkommen sollen. Fritz bemüht sich außerordentlich, das Geschäft auf einen ordentlichen Stand zu bringen. [...]
[10] Die Russen entwickeln mehr u. mehr eine Politik des Ausgleiches in der östlichen Zone, man sagt, sie wollten ihre Besatzung noch weiter vermindern, sodaß hier bei uns nur noch Rostock u. Schwerin besetzt sein sollen. Da nun in der westlichen Zone der Hunger immer größer wird, während man bei uns zur Not leben kann, gewinnen die Russen mehr u. mehr Sympathie. Sonst aber schweigt man. Es verlautet kein Wort davon, daß der Osten sich selbständig machen wird, aber ich erwarte es mit immer größerer Gewißheit.
Wir beginnen, uns auf einen kohlenlosen Winter einzurichten. Wir werden die Zentralheizung still legen müssen u. versuchen, Kachelöfen zu bekommen. [...]
[10][...] [11] Die zu erwartenden Sommergäste sollen erst am kommenden Sonnabend eintreffen. Die Ahrenshooper sind sehr in Erwartung. – Heute brachte Frau Burgartz die neuen Lebensmittelkarten-Bescheinigungen. Man hat mich diesmal wieder um eine Stufe herabgesetzt. Frau B. sagte mir, daß die Russen wieder schärfere Bestimmungen erlassen hätten. Dafür kosten diese Bescheinigungen jetzt neuerdings 1,– Rm. Gebühren an den Kulturbund, der damit seine schmale Kasse auffüllt. [...]
[12][...] [12] Fritz ist in der BuStu. sehr eifrig tätig. Ich sah es mir gestern an. Es ist erstaunlich, was er gemacht hat. Der Turm, der in den letzten Kriegsjahren verschlossen war u. als Vorratsraum diente, ist wieder eingerichtet u. wirkt mit wenigen, sehr mäßigen Ausstellungsgegenständen doch sehr anständig. Er hat seine großen Fotos aufgehängt u. auf den Tischen Radierungen von Schultze-Jasmer unter Glas. Er ist jetzt dabei, Wände zu spannen, an denen meine Zeichnungen hängen werden, die ich nun nach u. nach fast alle mit gezeichneten Rähmchen versehen habe. Den Rest mache ich heute u. morgen fertig. Am Pfingstsonnabend soll alles fertig sein, denn dann kommen die ersten Gäste. [...]
[13] Nachmittags war der junge Stechow aus Althagen da mit einem Herrn Meier, der wohl Flüchtling ist u. Werkmeister irgend einer Fabrik, ein sehr intelligenter, sympatischer Mensch. Beide zusammen haben sechs Schaukelpferde gemacht, von denen aber erst drei fertig sind. Wir haben sie sofort gekauft u. die noch zu machenden drei Stück ebenfalls. Die Stücke sind ganz ausgezeichnet, sehr solide u. stabil gearbeitet, nur daß der fertige Anstrich mangelhaft ist, weil sie keinen Firnis haben. Wir werden nun noch Sattelzeug u. Zaumzeug dazu machen u. haben damit wirklich ganz große Zugstücke im Laden. Man wird heutzutage dergleichen kaum in den Großstädten finden. Diese Pferde u. unsere wirklich bemerkenswert guten Puppen, die wir von den Damen machen lassen, die wir beschäftigen, sind wirklich sehenswert. Wir beschäftigen vier Damen zur Herstellung von allerhand Dingen wie Gürtel, Haarnetze, Einkaufsnetze usw. u. können uns mit dieser Produktion sehen lassen. Dazu haben wir noch eine ältere Dame als Verkäuferin, Frau Handschuch, sie war einmal die Frau eines Geschäftsinhabers für Eisenwaren u. Haushaltungsartikel in irgend einer Stadt im Osten u. hat alles verloren, sie ist sehr gewissenhaft u. reell. Auch die anderen Damen sind alle Flüchtlinge bis auf die Tochter des Briefträgers Fiek, der verschollen ist, ebenso wie ihr Mann.
Vorläufig geht das noch alles aber die Zeit wird kommen, wo kein Mensch mehr Geld hat. Deutschland geht immer mehr dem völligen Ruin entgegen. Trotzdem arbeiten wir weiter, als ob nichts geschehen wäre. So habe ich den beiden Herren Stechow u. Meier heute die Maße meiner sämtlichen Bilder gegeben u. lasse Rahmen machen. [...]
[13][13] Seit manchem Jahr konnte in diesem Jahre der Himmelfahrtstag wieder als richtiger Festtag begangen werden. Die Geschäfte waren geschlossen u. die Arbeit ruhte.
Nach dem Essen besichtigte ich die BuStu, wo Fritz Wände gespannt hatte, um meine Zeichnungen aufhängen zu können. Er hat das sehr sorgfältig mit Rupfen gemacht u. es sieht sehr gut aus. Morgen will ich daran gehen u. die Zeichnungen aufhängen, ich kann gut u. bequem 12 – 15 Zeichnungen hängen.
[13][13] Heute Nachmittag habe ich meine Zeichnungen in der BuStu. aufgehängt. Es sind insgesamt 16 Zeichnungen, die der BuStu. nun erst ein richtiges Gesicht geben, obgleich sie für sich isoliert hängen. Der ganze Laden bekommt dadurch das Ansehen einer Kunstausstellung, während der Verkauf der anderen Sachen mehr Nebensache bleibt. Aber auch sonst macht der Laden jetzt wirklich einen bemerkenswert guten Eindruck.
Morgen sollen 90 Gäste vom Kulturbunde eintreffen.
Vormittags am Kirschblüten Bilde gemalt.