Kunst und Kultur in Ahrenshoop, September 1946
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel Kunst und Kultur in Ahrenshoop, September 1946 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Kunst und Kultur in Ahrenshoop 1945 bis 1948“ zusammengestellten Tagebuchauszüge vom September 1946. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][...] [2] Abends erhielt ich ein Telegramm vom Landessender Schwerin, der mich einläd, am kommenden Mittwoch dort meine Einführungsworte zur Rostocker Ausstellung selbst zu sprechen. Ich müßte dann, wenn Dr. Gräbke mich am Dienstag hier mit den Bildern abholt, am Mittwoch früh nach Schwerin rüber fahren u. am Donnerstag wieder nach Rostock zurückkommen. Ulkig komme ich mir vor als ein Mensch, um den man sich bemüht. – [...]
[3] Morgen muß ich meine Bilder verpacken, es wird viel Arbeit machen. Es werden dann sämtliche Bilder von mir fort sein, sodaß ich, wenn ich von Rostock zurück komme, ganz von vorne wieder anfangen kann. Es ist, als ob damit eine Periode ihren Abschluß gefunden hätte. [...]
[3][3] Es geschehen wirklich merkwürdige Dinge. Nachdem ich heute mit Hilfe des jungen Konow u. unter erheblicher Anstrengung die sieben Bilderkisten zurecht gemacht u. außerdem alle Zeichnungen u. Aquarelle verpackt habe, sodaß alles für den morgen vorgesehenen Abtransport vorbereitet war, erhalte ich abds. um 9 Uhr eine Postkarte, die eigentlich erst morgen vormittag ausgetragen wird. Die Karte ist von Herrn Dr. Gräpke aus Rostock. Er teilt mir mit, daß erkrankt sei u. daß er mich bittet, „den in Aussicht genommenen Termin zunächst nicht als bindend anzusehen.“ Er schreibt weiter: „Wir müssen das Weitere verabreden, wenn ich wieder ganz auf dem Posten bin.“ – Wann wird das sein? Vielleicht zu Weihnachten –! vielleicht nie –!?
Ich habe noch heute Abend ein Telegramm an Herrn Dr. G. aufgegeben mit Rückantwort u. habe um Auskunft gebeten. Sodann habe ich an den Landessender Schwerin geschrieben, daß es mir unter diesen Umständen zu unsicher sei, ob ich dort sprechen soll u. deshalb lieber verzichte. Diesen Brief nimmt Kurt Spangenberg mit, der morgen nach Schwerin fährt. Agnes Eggert fährt morgen nach Rostock u. ich habe sie gebeten, zu Herrn Dr. G. [4] zu gehen u. sich zu erkundigen, was da los ist. Ich halte es für möglich, daß da ganz andere Dinge mitspielen. Herr v. Achenbach ist ja nicht umsonst mit Herrn Stadtrat Matern befreundet, man kann da nie wissen. – Herr Dr. G. hat seine Karte an mich am 27.8. geschrieben, Poststempel 28.8., heute am 2. 9. kommt sie an, regulär erst morgen. Ich kann meine Bilder nicht lange in den Kisten stehen lassen, denn die Kisten sind naß u. die Bilder verderben, ich muß also alles wieder auspacken, wenn es länger dauert, bis Herr Dr. G. wieder so weit ist. Es ist doch etwas komisch, daß ein Museum seine ganzen Ausstellungspläne über den Haufen werfen muß, wenn der Leiter einen Schnupfen hat.
Man sagt, Herr Stadtrat Matern wäre hier im Ort. In der BuStu. war er bisher nicht. Es ist wenn man will, auffällig. Er soll bei Erichson wohnen.
[4][4] Agnes Eggert hat hier zur Post telephoniert (aus Rostock), das Dr. Gräpke wirklich krank ist u. in Güstrow im Krankenhause liegt. (Warum jemand, der in Rostock wohnt, im Güstrower Krankenhause liegt, ist zwar nicht verständlich). Meine Ausstellung kann erst im November stattfinden, soll dann aber bestimmt sein. – Nun, man wird sehen. Auch hier wundern sich aber alle Leute, die davon hören, daß eine Ausstellung abgesagt werden muß, wenn der Museumsleiter krank ist. Besonders die Schweriner nehmen interessiert davon Kenntnis. [...]
[4][...] [5] Aus Rostock ist von der Museumsleitung Antwort eingetroffen, daß die Ausstellung „voraussichtlich“ im November stattfinden soll. Bis dahin könnte ich noch viel malen. [...]
[5][5] Martha fuhr heute morgen mit Herrn Sorg, der momentan mit seinem Auto hier ist, nach Daskow auf Hamsterfahrt. Sie hat allerhand bekommen, vor allem Kartoffeln u. Mohrüben u. Roggen. Das Problem ist jetzt bloß, die Sachen hierher zu bekommen. Sie kam erst gegen 4 Uhr zurück.
Nachmittags unser Künstler-Stammtisch, zu dem aber nur Koch-Gotha erschien. Er kam mit zu mir, um meine letzten Bilder zu sehen, die er noch nicht kannte. [...]
[6] Herr Heyde brachte mir 8 – 9 Blätter Tabak für 20,– Rm. Ich habe einige zerschnitten u. zu rauchen versucht, doch ist der Tabak noch zu feucht. Ich habe ihn bei mir auf den Tisch zum trocknen gelegt.
Abends kam mit der Post ein eingeschriebenes Päckchen, Absender: Clemens, Chefredakteur, Hamburg 36. Karl Muckplatz 9. b. A. Wagner. – Ich kenne einen solchen Mann nicht. Das Päckchen enthielt einige Butterkekse, 10 engl. Zigaretten u. ein Tütchen mit Bohnenkaffee. Ich werde abwarten, vielleicht wird sich der Absender melden.
Vormittags gemalt. Der Anfang ist immer schwer, sodaß ich immer Angst habe, ich könnte das Bild nicht malen. [...]
[6][7] Der Bürgermeister Dillwitz in Althagen ist ein Mann von Charakter. Man hat ihm jetzt gesagt, er könne Bürgermeister bleiben, wenn er aus der CDU. austreten u. der SED. beitreten werde. So ist es mit zahlreichen anderen Bürgermeistern auch geschehen u. sie sind meist umgefallen. Ihr Umfall wird dann stets in der Landes-Zeitung groß gefeiert. Aber Dillwitz ist fest geblieben, ein braver Kerl. [...]
[7][...] [8] Abends Bilder von Picasso angesehen. Ein Maler, über den ich immer wieder staune. [...]
[9][9] In der BuStu. lernte ich heute Nachmittag eine Frau Kersten (oder ähnlich) kennen, die aus Schwerin ist u. dem Kulturbunde angehört. Ich sprach mit ihr über meine ev. Ausstellung in Schwerin u. über die Rivalität zwischen Venzmer u. Frau Dr. Riemschneider. Währenddem kam Ehm Welk mit seiner Frau in die BuStu. u. Frau Kersten machte mich bekannt. Ehm Welk meinte, gehört zu haben, daß ich im Oktober in Schwerin ausstellen würde. Wir verabredeten, daß er morgen zu mir kommen würde, die Bilder anzusehen. Ich werde vielleicht ihn veranlassen können, die Sache zu betreiben, da er übermorgen nach Schwerin fahren will. Man müßte mir aber schon einen Lastwagen schicken. – Ehm Welk selbst ist ein sympatischer Mann.
Von Frau Ursula Haeffner vom Landessender Schwerin bekam ich einen Brief, wonach mein „interessantes Manuskript“ immer noch ungesendet [10] beim Landessender liegt. Sie bittet mich um Mitteilung, wann der Termin für die Schweriner Ausstellung genau feststeht, damit mein Referat dann von mir selbst gehalten werden kann. Ich will also versuchen, die Ausstellung noch im Oktober veranstalten zu lassen.
Nachmittags mit Martha im Kunstkaten, um die Portaitbüste zu besichtigen, die Loeber von Venzmer gemacht hat. Sie ist nicht schlecht, wenn auch nicht zu vergleichen mit dem Kopf von Partikel, den G. Marks gemacht hat. Dieser Kopf ist wirklich sehr eindringlich. Loeber möchte nämlich gern von mir eine Büste machen, aber ich habe keine Lust, 1000,– Rm. dafür auszugeben, wie Venzmer es getan hat, der sich dergleichen heute leisten kann.
Am „Aufbruch“ bin ich jetzt beim Hintergrunde angelangt, der recht schwierig ist. Es soll ein Aufruhr von Farbe sein, aus dem heraus sich die Figur der alten Frau entwickelt
[10][10] Nachmittags waren Ehm Welk u. seine Frau u. Frau Kersten da. Die Bilder machten einen sehr starken Eindruck. Frau Kersten, deren Sohn im Kriege gefallen ist u. die eine sehr gefühlsweiche Frau zu sein scheint, brach beim Anblick des Christkönigs in Tränen aus.
Ehm Welk ist der Vorsitzende der Ortsgruppe des Kulturbundes in Schwerin u. ist also eine maßgebende Persönlichkeit. Außerdem ist er ein prächtiger Kerl. Es will nun auf jeden Fall die Ausstellung in Schwerin machen u. glaubt, mir einen Lastwagen zum Transport der Bilder schicken zu können. Er fährt morgen nach Schwerin zurück.
[10][...] [10] Herr Welk wird mir also baldigst Nachricht geben, wann meine Ausstellung sein kann. Seine Frau bleibt noch hier u. er wird sie abholen. Es scheint also, als ob die Sache nun in Schwung käme. Ich habe gleich an Frau Haeffner vom Landessender geschrieben u. ihr die Sachlage mitgeteilt. Ich habe ihr vorgeschlagen, daß ich am Tage vor der Ausstellungs-Eröffnung das Referat selbst im Rundfunk sprechen werde. Herr Welk war sehr einverstanden mit meinem Vorschlag, die Ausstellung mit geladenen Gästen zu eröffnen, wozu ich dann eine Rede halten werde nach einigen einleitenden Worten, die Ehm Welk selbst sprechen wird. Auf diese Art kann diese Sache für Schwerin ein künstlerisches Ereignis werden.
Heute Vormittag wurde das Bild „Aufbruch“ fertig. Es ist ausgezeichnet geworden. Ich werde sofort einen Rahmen u. eine Kiste machen lassen, [11] damit dieses Bild noch mit zur Ausstellung gelangen kann. Es wird diese sehr bereichern u. man kann mir nicht vorwerfen, daß ich nur Blumen u. religiöse Motive male u. mich an den Gegenwartsereignissen vorbeidrücke. [...]
[11] Heute haben wir zwei junge Hühner bekommen. Hanschatz hat uns schon vor längerer Zeit einen Stall hinter der Waschküche eingerichtet. Ich hoffe, daß wir noch mehr Hühner bekommen werden. Futter haben wir auch. Da wir im Sommer schon einige Kaninchen bekommen haben, werden wir unseren Speisezettel in Zukunft sehr verbessern können. Gestern u. heute hat Hanschatz uns auch Holz angefahren. Auch Preßkohlen haben wir im Sommer bekommen u. werden vielleicht noch mehr bekommen für die Werkstatt der BuStu. Dennoch werden wir sehr sparen müssen u. die Zentralheizung nur an ganz kalten Frosttagen heizen können. Ich werde in meinem Schlafzimmer einen Ofen stellen lassen u. wir werden dann alle dort sitzen. Wir haben auch Kartoffeln zu enormen Preisen gekauft u. werden hoffentlich im Winter etwas mehr zu essen haben wie im vorigen Jahre. [...]
[11][11] Vormittags die endgültige Zeichnung zum nächsten Bilde begonnen: „Mann im Kerker“. Der Entwurf war schwierig, ich habe sechs Versuche machen müssen bis ich zur jetzigen Lösung kam.
Mittags Brief von Frau Dr. Riemschneider-Schwerin, vom 16.9. Sie teilt mir mit, daß der Programm=Ausschuß [12] des Kulturbundes beschlossen habe, meine Bilder dort auszustellen u. zwar im Oktober. Sie schreibt, daß es jetzt eine eigene „Sektion für Ausstellungswesen für kulturpolitische Ausstellungen“ gäbe, wodurch der Instanzenstreit zwischen ihr u. Venzmer beseitigt worden sei, da diese Sektion nun die höhere Instanz sei. Sie möchte nun, daß ich die Bilder umgehend schicke. Außerdem war sie in Rostock, um sich dort über die Hintergründe des Versagens in meiner Ausstellung zu informieren. Sie behauptet, daß Venzmer dahinter stecke; aber ich glaube das nicht. – Nach diesem Brief traf ein Telegramm ein, in dem Frau R. mich um meine Einwilligung zur Ausstellung bittet. Ich habe gleich telegraphiert u. zugleich einen Brief geschrieben. Die Sache scheint also vorwärts zu gehen. [...]
[12][...] [12] Herr Venzmer war da u. erkundigte sich nach meiner Ausstellung. Er hatte in Schwerin nur kurz mit Ehm Welk gesprochen. Er ist ein Umstandskrämer u. voller Bedenken u. Vorbehalte, wenn es nach ihm ginge, würde die Ausstellung nie zustande kommen. Er beklagte sich wieder heftig über Frau Dr. Riemschneider. Nun, ich hoffe, daß an diesen Differenzen die Ausstellung nicht scheitert. [...]
[13][13] Die neue Gemeindevertretung hat mich heute in den Gemeinderat gewählt, zusammen mit Herrn Degner. So sind beide Gemeinderäte Katholiken. Ich traute mich nicht, mich der Wahl zu entziehen u. nahm die Wahl an. Fritz, der Mittags zufällig im Gemeindeamt war, wo die Vertretung zu ihrer ersten Sitzung zusammengekommen war, brachte mir diese Nachricht, da man ihn beauftragt hatte, mir dies mitzuteilen u. mich zu fragen, ob ich die Wahl annehme. Man hatte ihm gesagt, daß man im Falle meiner Ablehnung ihn wählen würde. Fritz wird aber viel besser den Vorsitz im Kulturbunde übernehmen, wenn Dr. Burgartz einmal weggeht, womit zu rechnen ist. [...]
[13][13] Nachmittags 3 Uhr traf ein Auto ein mit einem Brief von Frau Dr. Riemschneider. Sie teilt mit, daß sie grade durch einen glücklichen Zufall einen Wagen bekommen habe u. sie ihn schicke, um die Bilder abzuholen. Abgesehen davon, daß die Bilder ja erst wieder verpackt werden müssen, ist der Wagen auch zu klein. Es ist ein alter Postwagen zum Paket-Transport, allseitig geschlossen, es ist ausgeschlossen, daß die beiden großen Kisten hineingehen. Zum Glück war Konow heute früh gekommen, um die Kiste für das Neue Bild „Aufbruch“ anzufertigen. Es blieb nichts anders übrig, als den Fahrer über Nacht im Dorf unterzubringen, denn es war unmöglich, die Kisten so rasch fertig zu machen. Ich habe mit Konow den ganzen Nachmittag gepackt, erst abends um 8 Uhr waren wir endlich fertig. Für das Bild „Aufbruch“ war der Rahmen noch garnicht fertig, ich mußte zu Meier nach Althagen schicken u. bekam den Rahmen, konnte ihn aber nicht mehr streichen. Das muß Frau R. in Schwerin machen lassen. Fritz fotographierte das Bild noch rasch. Ich habe [14] ein ganz wehes Gefühl, daß ich mich schon von diesem Bilde trennen muß, noch ehe ich es selbst recht angesehen habe. [...]
[14] In Rostock wird, wie ich höre, eine Ausstellung der beiden Verstorbenen: Partikel u. Oberländer, vorbereitet, – also trotz der Krankheit des Herrn Dr. Gräpke! Irgendwas scheint da also nicht zu stimmen. – [...]
[15][15] Gestern Brief geschrieben an Chefredakteur Clemens in Hamburg, von dem ich kürzlich das Päckchen mit Cigaretten u. Kaffee erhielt. Ferner eine Entgegnung geschrieben gegen eine flegelhafte Kritik, die in der Landeszeitung über moderne Kunst erschienen ist. Ich will das Manuskript an die „Demokratische Erneuerung“ in Schwerin schicken, wahrscheinlich wird man es ablehnen.
Ehm Welk ist gekommen. Ich sprach ihn eben in der BuStu. Mit der Eröffnung meiner Ausstellung will man den Wahlrummel der Landtagswahl abwarten. Diese ist am 20. Oktober, sodaß die Eröffnung dann am 27. Oktober sein wird. [16] Es ist also wiederum ein neuer Aufschub. Da die Ausstellung 4 – 6 Wochen dauern soll, würden die Bilder erst im Dezember für Rostock frei sein u. erst 1947 für Berlin. [...]
[16] An Pastor Kleinschmidt – Schwerin geschrieben über die Mängel dieser Saison u. Vorschläge zur Abstellung derselben gemacht.
[16][...] [16] Nachmittags kamen zwei Telegramme. Das eine ist von Frau Dr. Riemschneider, wonach meine Ausstellung bereits am 6. Oktober 11 Uhr in Schwerin eröffnet werden soll, u. zwar mit meiner Ansprache. Das andere ist von Frau Karsten desselben Inhalts, jedoch schränkt sie den Termin durch das Wort „voraussichtlich“ wieder etwas ein. Es widerspricht also durchaus dem, was Ehm Welk sagte, der außerdem der Ansicht war, es sei besser, wenn er selber spräche, weil das geehrte Publikum sonst der Meinung sein könnte, daß ich für meine Bilder Propaganda machen wollte. – Nun, ich werde jedenfalls am Sonnabend früh nach Schwerin fahren. [...]