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Land und Leute/Nr. 13. Pußtenleben in Ungarn

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Textdaten
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Autor: Irma von Beniczky
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Titel: Pußtenleben in Ungarn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, 3, S. 5–7, 40–42
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 13
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[5]
Land und Leute.
Nr. 13. Pußtenleben in Ungarn.

Ungarische Nationaltracht.
Verheirathete Frau.      Wirthschafter.      Ochsenhirt.

Es gibt wohl wenig Länder in Europa, die außerhalb ihrer Grenzen so unbekannt und so schiefen Beurtheilungen ausgesetzt sind, als mein Vaterland Ungarn.

Sprachen doch noch im Jahre 1829 zwei reisende Engländer ihre Verwunderung darüber aus, daß es in Ungarn auch Chausseen und comfortable Gasthäuser gebe; fragte doch sogar einer dieser Gentlemen im vollsten Ernste meinen Vater: Wie viel Sclaven er habe? – Fürst Pückler-Muskau erzählt in seiner Reisebeschreibung von Ungarn: „Es gibt hier eine eigene Race von Pferden, die wild herumlaufen und eingefangen werden, wenn eben Jemand ihrer bedarf; man nennt sie Vorspann-Pferde.“ – Der erlauchte Reisebeschreiber erhob die armen Ackergäule, die, von der Weide geholt, vor den fürstlichen Wagen gespannt wurden, zu einer eigenen Gattung ihres Geschlechts. – Ja, noch vor wenig Jahren fragte mich eine Vollblut-Wienerin ganz naiv: „Habt Ihr denn in Ungarn auch Schneider?“

Es ist also wohl an der Zeit, daß wir uns anderen Völkern gegenüber im richtigen Lichte zeigen. Wir müssen sie blicken lassen in das Innerste unseres Nationallebens; wir müssen unsern Stolz besiegen und unsere Schwächen nicht schonend verhüllen wollen, damit wir die Glaubwürdigkeit nicht verlieren, wenn wir von unsern Vorzügen sprechen.

Willst Du, lieber Leser, die Magyaren kennen lernen, so reiche mir Deine Hand; ich führe Dich nicht in die Paläste der Vornehmen, [6] nicht in das Gewühl der Städte – sie gleichen sich überall, sie haben mit der Natürlichkeit auch ihren Nationalcharakter abgestreift. Ich führe Dich aber auf ein Terrain, das noch ungefurcht vom Pfluge überfeinerter Civilisation in seiner vollsten Naturwüchsigkeit dasteht, frei sich entfaltend mit allen seinen Schwächen und Vorzügen.

Wir sind mitten in Ungarn; eine unabsehbare Ebene, wohl 600 Quadratmeilen umfassend, breitet sich vor unseren Blicken aus. Sie fängt im Heveser Comitate an und erstreckt sich bis gegen Siebenbürgen und die südliche Grenze Ungarns. Ein eigenthümliches Gefühl des Bangens und Ermattens bemächtigt sich unser, wenn wir uns in dieser ungeheueren Fläche umschauen, auf der das Auge vergeblich nach einem Ruhepunkte sucht. Meilen weit, oft Tage lang findet man keine menschliche Wohnung, erblickt man keinen Kirchthurm, dessen Geläute mit tröstlichen Klängen von menschlicher Nähe zu uns spräche. – Oft fährt man Meilen weit auf einem schmalen hohen Damme mitten durch Moräste und Sümpfe, deren trügerisches Grün einen bodenlosen geheimnißvollen Abgrund deckt. Und nun werden wir noch von einem Gewitter überfallen. Die dunklen schweren Wolken scheinen auf der Erde zu liegen; man glaubt, von ihnen berührt und erdrückt zu werden. Die Blitze zucken in unheimlicher Nähe links und rechts hernieder und über die dunkle Fläche hinstreichend heult der Wind sein schaurig Lied. Das hohe Schilf flüstert und nickt und winkt mit seinen federbuschförmigen Spitzen. Zu alledem gesellt sich der tröstliche Gedanke, daß, wenn man den Weg verfehlt, Roß und Wagen sammt Inhalt in den Sumpf stürzen, aus dessen schlammiger Umarmung kein Entrinnen möglich ist.

Endlich, endlich entdeckt das sehnsuchtsvoll suchende Auge in weiter Ferne ein Licht. Aber noch lange dauert die Fahrt, ehe der ersehnte Hafen erreicht ist. Da schlägt Hundegebell an unser lauschend Ohr, die müden Rosse beschleunigen ihren Schritt und bald hält der Wagen vor einem Gebäude, aus dessen kleinen Fenstern der Lichtschimmer hinaus in die öde Haide fällt, wie ein Hoffnungsstrahl in trübe Leidensnacht.

Ein langer Blitz beleuchtet jetzt grell die Scene. – Wir sehen vor uns ein niedriges Haus, an das sich ein Stall und ein halbverfallener Schuppen anlehnen, unter dem mehrere gesattelte Pferde scharrend und schnaubend stehen. Die Thür öffnet sich und ein Jude, mit schmutziger Laterne vorsichtig herausleuchtend, ladet uns mit tiefen Bücklingen zum Absteigen ein und verheißt uns ein vortreffliches Nachtquartier.

Folgen wir dem kleinen Itzig in das Innere des Hauses. Nachdem wir die Hausflur durchschritten, treten wir in eine von Lampenqualm und Tabakrauch erfüllte große Stube. In einer Ecke an einem langen, mit Bänken umgebenen Tische sehen wir eine sonderbare Gesellschaft versammelt. Es sind kräftige, naturwüchsige, gedrungene Gestalten mit blitzenden Augen und intelligenten, scharfgezeichneten Gesichtern. Ein kleines rundes Hütchen ist keck auf eine Fülle glänzend schwarzer Haare gedrückt. Fabelhaft weite weiße Leinwandhosen (Gatya), ein Hemd, dessen offene breite Aermel, in gefälliger Drapirung zurückfallend, die kräftigen muskulösen Arme sehen lassen, eine kurze Weste von blauem Tuch mit unzähligen glänzenden Knöpfen verziert und ein über die Schulter malerisch geworfener Spencer (mente), mit Schnüren und Knöpfen reichlich besetzt, bilden die Kleidung dieser Männer. Gespornte Stiefeln und Pistolen vollenden das Ganze.

Wer sind diese unheimlichen Gesellen, die so ernst beim Weine dasitzen, die den eintretenden Fremden kaum eines Blickes würdigen? Was ist das für ein Haus? Ueberhaupt, was für eine Gegend ist’s, in der wir uns befinden? – Diese drei Fragen sind nicht schwer zu lösen für den Eingebornen, dem Fremden mögen sie gleich schaurigen Gespenstern erscheinen. Wir sind auf einer Pußta, jene finstern Gesellen sind Betyárs, das Haus ist eine Csárda.

Was aber ist eine Pußta? Nehmen wir ein Wörterbuch zur Hand, so finden wir dies Wort durch Wüste, Haide, Steppe übersetzt und sind nicht um ein Haar breit der Aufklärung darüber nähergerückt, denn keine dieser drei Benennungen bezeichnet das Eigenthümliche der Pußta. Man darf sich mit diesem Worte durchaus nicht eine gänzlich unbewohnte öde Haide oder gar eine unfruchtbare Wüste vorstellen, sondern man bezeichnet in Ungarn damit einen Strich Landes, der innerhalb seiner Grenzen kein Dorf hat und mehrere hundert oder auch viele tausend Joch[1] groß ist. Die Anzahl dieser Pußten ist bedeutend, sie wird auf 3000 angegeben, die theils im Besitze Einzelner sind, theils ganzen Gemeinden zugehören.

Um einen Begriff von ihrer Ausdehnung zu geben, wollen wir nur die Pußta Hortobagy anführen, deren Flächeninhalt 55,000 Joch beträgt und deren fettes Weideland außer unzähligen Schafen und Pferden 30,000 Stück Hornvieh reichlich ernährt. Die Pußta sammt allen darauf weidenden Thieren gehört der Stadt Debreczin, deren Gebiet zehn Meilen lang und zwei breit ist.

Jetzt aber zurück zu unserm Wirth. – Es ist Morgen. Nach jener ermüdenden Reise in der vergangenen schaurigen Gewitternacht haben wir recht gut in der Csárda geschlafen. Csárda, so heißt das einsame Wirthshaus, welches inmitten dieser ungeheueren Ebene gleich einem Verbannten dasteht. Das Rohrdach ist mit Moos und Schlingpflanzen überwuchert; die Wände sind von gestampftem Lehm und haben kleine trübe Fenster; auf dem Giebel steht auf einem Beine ein philosophischer Storch in seinem seit Jahren immer wieder aufgesuchten Neste. Neben der Thüre liegen zwei große zottige Wolfshunde, die nach der durchwachten Nacht in behaglicher Ruhe sich dem Schlafe überlassen. Vor dem Hause erblicken wir einen Brunnen, dessen Stange riesengroß erscheint in der weiten, durch nichts unterbrochenen Fläche.

Wir reisen weiter durch die endlos scheinenden Sümpfe, die oft mit zwei Klaftern hohem schlanken Rohr dicht bedeckt sind, in dessen schützendem Dickicht Tausende von Wasservögeln nisten und ihr verschiedenartiges Geschrei hören lassen. Hin und wieder, wo sich das Wasser zu Teichen angesammelt, schreiten ernst und majestätischen Schrittes prächtige Reiher auf und ab, auf einen neugierigen Frosch lauernd, der seine Nase unvorsichtig aus dem Wasser steckt. In der Entfernung sehen wir aus dem zerbrochenen Schilfrohr sonderbare dunkle Gegenstände hervorragen, die wir weder für Vögel, noch für andere Thiere zu halten geneigt sind. Wir kommen näher und entdecken eine im Moraste liegende Büffelheerde, deren zottige Köpfe mit krummen schwarzen Hörnern und wildblickenden Augen aus dem Schlamme unbeweglich hervorragen. Sie bringen in dieser beschaulichen Ruhe den größten Theil des Tages zu, um sich gegen Hitze und Fliegen zu schützen.

Jetzt fliegt auf leichtfüßigem Rosse ein Reiter an uns vorüber – wir erkennen in ihm einen jener ernsten Gesellen aus der Csárda.

Der Betyár ist der Pußta echtester Sohn. Sein ganzes Hab’ und Gut sind sein flüchtiges Roß und seine Waffen. Seine Begriffe über das Eigenthumsrecht sind ungemein verwirrt; vor seinem geübten Blicke bleibt der fetteste Hammel der Heerde, das beste Roß zwischen Hunderten nicht verborgen und geht bei nächster Gelegenheit in seinen Besitz über. In selteneren Fällen greift er zu Straßenraub und Mord. Die Pußta ist seine Wohnung, sie bietet ihm Alles, wonach seine Seele begehrt.

Oft erscheint ein solcher Betyár in dem nächsten Dorfe bei einer Hochzeit und wird immer gern oder ungern freundlich empfangen und gut bewirthet. Die Dirnen tanzen gern mit dem schmucken Burschen, der mit klirrenden Sporen den Takt zum lustigen Tanze schlägt. Man hütet sich, den ungerufenen Gast zu beleidigen oder der Obrigkeit anzuzeigen, denn man weiß, daß seine Cameraden grausame Rache üben würden, die am gewöhnlichsten in Brandlegung besteht. Seit dem letzten Jahrzehnt haben sich diese gefährlichen Bewohner der Pußta auffallend vermehrt und Raub und Mord sind nicht mehr so ungewöhnlich. Die Ursache davon ist, daß nach der Revolution manche Individuen, selbst aus den civilisirteren Ständen, Schutz in der Einsamkeit der Pußta suchten und die Verderbtheit der Städte in die wilde Natur mitbrachten.

Diejenigen Theile der Pußta, welche wegen ihres morastigen, Ueberschwemmungen sehr ausgesetzten Bodens zum Ackerbau nicht benutzt werden können, liefern die fetten üppigen Weiden für Pferde, Schafe und Hornvieh. Dort, wo die Rohrfelder und tiefen Sümpfe aufhören, finden wir schon ein regeres Leben. Da steht, umgeben von seiner zahlreichen feinwolligen Heerde, der Schäfer; seine großen zottigen Hunde, die manchen Kampf mit den kleinen, ungemein wilden und raubgierigen Rohrwölfen muthig bestehen, sind die treuen Genossen seiner Einsamkeit.

Weiterhin in ernstem Sinnen an seinen Stab gelehnt steht der Ochsenhirt (Gulyás), um ihn graset die schneeweiße Rinderheerde (Gulya). Wie ganz anders sind doch diese Thiere im Vergleich mit denen, die im Stalle gezogen wurden! Der Körper ist [7] schlanker, mit zartem, jedoch kräftigem Gliederbau. Das stolz erhobene Haupt ist edel geformt und klein, so daß man kaum begreift, wie es den Schmuck der ungeheueren Hörner tragen kann, deren Spitzen oft eine volle Klafter Zwischenraum haben. Der Gang ist leicht und schnell, die großen Augen leuchten von Muth und Feuer. Diese Heerden sind ganz der Natur überlassen; da die Kühe nicht gemolken werden, so saugen die Kälber so lange, als jene es leiden mögen. Im dritten oder vierten Jahre werden die jungen Ochsen von der Heerde ausgeschieden und theils zur Feldarbeit benutzt, theils zu Tausenden verkauft.

Diese Hirten mit ihren zahlreichen Heerden, die Betyáren, der Jude mit seiner Familie in der Csárda sind jedoch nicht die einzigen Bewohner der Pußta, die als Weideland benutzt wird. Da gibt es noch ein im Grunde recht harmloses Völkchen, man nennt sie Szegény legény (arme Bursche). Diese sind die Dandies der Pußta. Sie sind meist junge Leute, oft wohlhabende Bauersöhne, die vor der Militairstellung entwichen und nun Schutz in den weiten Einöden und dem undurchdringlichen Rohrdickicht suchten und fanden. Sie lieben deshalb auch die Pußta, wie eine Mutter, und kennen alle Wege und Stege in den Sümpfen so genau, daß es dem Reisenden wie ein Geisterspuk erscheint, wenn er diese jugendlich kräftigen Gestalten in mondheller Nacht auf leichtfüßigen Rossen mit einer Sicherheit mitten durch den Morast dahinfliegen sieht, als trabten ihre Pferde auf dem geebneten Boden der besten Reitschule.

Ihr Costüm gleicht jenem des Betyár, nur ist darin mehr Reinlichkeit und eine gewisse kokette Zierlichkeit vorherrschend. Sie leben zwar auch auf anderer Leute Kosten, allein nicht so sehr von den unfreiwilligen Gaben der Angst, als von den freiwilligen der Gastlichkeit. Gern theilt der Hirt Brod und Speck mit ihnen, das Mahl wird gewürzt durch einen guten Schluck Wein, der nie in dem mit Pferdehaut überzogenen hölzernen Kulacs fehlt. Das Pferd ist des Flüchtlings treuester Genosse; allerdings hat er dies nicht auf dem gewöhnlichen Wege des Kaufes erworben, denn diese wilden Kinder der Pußta betrachten Pferderaub als einen ganz natürlichen und verzeihlichen Eingriff in das Eigenthum eines Anderen.

Der erste Szegény legény begeht nie einen andern Raub, noch weniger einen Mord; er besucht nicht nur die Hirten und die zerstreut auf der weiten Pußta umherliegenden Wirthschaftshöfe, sondern er kommt auch in den Winterabenden in die näheren Dörfer und Herrenhäuser, und fehlt selten im Wirthshause beim lustigen Tanze.

Diese Ritter der Pußta geben oft ihr freies Abenteuerleben auf, wenn sie zu tief in die Augen einer hübschen Dirne gesehen, und die Liebe den Wunsch nach einem festen Wohnsitze, nach einem eigenen Heerd in ihrer Brust geweckt hat. Doch auch dann verlassen sie die geliebte Pußta selten; sie werden Hirten oder treten in Dienste auf den Wirthschaftshöfen.

Diese weiten, ebenen Landstrecken, deren Bewohner Hirten (Pástorock), Betyár’s, Szegény legény und viele Hunderttausende von Schafen, Rindern und Pferden sind, und deren ungeheure Rohrfelder zahllosen Sumpf- und Wasservögeln Kost und Wohnung geben, sind die eigentlichen Pußten. Von großem Nutzen für diese Gegenden sind die schon öfter erwähnten Rohrfelder. Das Rohr wird im Winter, sobald die Sümpfe zugefroren, geschnitten, in Bündel gebunden und theils verkauft, theils zu eigenem Verbrauche verwendet. Da in diesen Gegenden das Holz nur dem Namen nach bekannt ist, so benutzt man das Rohr als das gewöhnliche Brennmaterial. Auch deckt man die Gebäude damit, verfertigt Matten daraus und gebraucht es, Faschinen gleich, um durch Moräste Wege zu bauen. Es ist oft der Fall, daß man nur festgeschnürte Rohrbündel dicht neben einander und mehrere Lagen übereinander legt, und mit dem schwersten Lastwagen über diese elastischen Brücken fährt. Die Bewohner dieser sumpfigen Gegenden besitzen im Herstellen solcher Brücken eine besondere Fertigkeit, und sind in einigen Stunden mit einem derartigen Bauwerke fertig, das zuweilen mehrere Klaftern lang ist. Es gibt sogar manche, die hundert, ja zweihundert Klaftern mitten durch den unwegsamen Morast führen.

Das Rohr, welches man nicht abschneiden kann, weil entweder der Sumpf zu tief oder weil man es nicht mehr bedarf, wird angezündet, und diese weiten brennenden Strecken gewähren einen prächtigen Anblick, wie man ihn in Europa schwerlich wieder finden wird. Der nächtliche Himmel ist weithin in die schönsten Schattirungen von Gold und Roth gekleidet, gierig verzehrt das Feuer das ihm gebotene Material – die Flammen wogen mehrere Klaftern hoch hin und her, man hört das Prasseln schon in weiter Ferne, zuweilen unterbrochen durch das klägliche Geheul eines Rohrwolfes, der den Verlust seiner Winterwohnung bejammert, oder durch das ungehaltene Bellen der Füchse, die sich über das Beleuchten ihrer nächtlichen Pfade ärgern.

[40]
Ernte in der Pußta. – Theißfischer. – Eigenthümlichkeit der Theiß und Karpfenfang mit Harpunen. – Nationaltanz in der Csárda. – Ungarische Nationalmusik. – Reichthum Ungarns.

Diese weiten, ungeheuren Sümpfe entstehen durch die Ueberschwemmungen der Theiß, die sich durch diese Ebenen langsam und träge in den sonderbarsten Krümmungen hinzieht. Ihre Ufer sind an manchen Stellen so flach, daß sie bei Regen von den trüben Wellen übertreten werden, die sich dann weithin ergießen. Bei der großen Ueberschwemmung im Frühjahre 1854 standen eine Million und 300000 Joch Feld unter Wasser. Der Schaden war unberechenbar. Diesen zügellosen Ausbreitungen der Theiß werden jetzt Grenzen gesetzt durch die Regulirung ihres Bettes. Wenn dies großartige Unternehmen einmal beendet sein wird, so werden die Sümpfe größtentheils verschwinden und in fruchtbare Getreidefelder verwandelt sein.

Auffallend ist der Umstand, daß man in den Wirthshäusern dieser wilden Pußten beinahe nie einen Ungar, sondern fast immer Juden als Wirthe findet. Diese überwinden ihre angeborene Furchtsamkeit der Gewinnsucht zu Liebe, die hier, wo so verworrene Begriffe über Mein und Dein in manches kühnen Burschen Kopfe wohnen, ein weites Feld für ihre Industrie findet. Der Ungar ist nicht geschaffen zum Gastwirth, ihm fehlt der speculative Geist der Gewinnsucht, der sich vor dem Reichen in alle Formen der Unterthänigkeit schmiegt und dem Armen gegenüber in hochmüthige Gemeinheit umschlägt. Der Ungar bleibt selten gleichgültig gegen eine Bitte, aber immer taub gegen den Befehl eines Unbekannten, mag ihm auch noch so reichliche Bezahlung seiner Dienste geboten [41] werden. Freilich schwindet dieser Hauptzug des ungarischen Charakters mehr und mehr aus dem gesellschaftlichen Leben und wird bald nur in jenen wilden Pußten und ihren einfachen Naturkindern zu treffen sein.

Verlassen wir nun die wilde einsame Pußta mit ihren seltsamen Bewohnern und wenden uns zu einem anderen Theile derselben, welcher seines fetten fruchtbaren Bodens wegen als Ackerland benutzt wird.

Im Winter und Frühsommer bis zur Erntezeit finden wir übrigens auch diese Pußta ziemlich einsam. Unabsehbare grüne Saaten, zwischen denen die blühenden Ripsfelder mit ihrem hellen Gelb auffallend hervortreten, dehnen sich vor unsern Augen aus. Einige Zeit später – und gleich einem phantastischen Walde erhebt sich der Mais, dessen breite grüne Blätter seltsam flüstern und nicken, wenn sie der Lufthauch bewegt. Der Mais, bei uns Kukurutz genannt, erreicht in günstigen Jahren eine Höhe von zehn bis zwölf Fuß und wird nächst dem schönen goldigen Weizen und dem Winterrips am meisten gebaut.

Inmitten dieses grünen wogenden Saatenmeeres sehen wir manchen netten Wirthschaftshof mit seinen freundlichen weißen Wänden und glatten Strohdächern hervorragen. Diese Höfe werden Tanya genannt und bestehen aus den Wohnhäusern der Dienerschaft, des Wirthschaftsbeamten und den nöthigen Stallungen. Von Scheunen und Schuppen zum Aufbewahren des Getreides und Futters findet man in Niederungen keine Spur. Es wäre auch sehr schwierig und ungemein kostspielig, wollte man solche große Gebäude in diesen Gegenden aufführen, denen das Baumaterial gänzlich mangelt. Das Getreide wird auf einem eingezäunten großen Platze in hausgroße Triften (Karal) zusammengelegt und dann durch Pferde ausgetreten.

Mit dem Beginne der Ernte wird auch die Pußta belebt; es gibt Besitzungen, die sechs- bis achthundert Schnitter beschäftigen. Diese Arbeiter kommen meist aus den nördlichen slavischen Comitaten, deren große Bevölkerung von dem geringen Ertrage des magern Bodens nicht leben kann. Sie bilden für die Zeit ihres Aufenthaltes eine Art communistische Gesellschaft. Einer wird zum Oberhaupt gewählt und hat die Obliegenheit, für ihre Interessen zu wachen, den Contract für das künftige Jahr abzuschließen und für die Beköstigung zu sorgen. Ihm zur Seite steht die Wirthin, welche für Alle kochen und backen muß. Der gewöhnlichste Arbeitslohn dieser Schnitter ist der vierzehnte Theil des gesammten durch sie bearbeiteten Getreides. Es ist eine wahre Freude, dem außerordentlichen Fleiße dieser Leute zuzusehen. In der fürchterlichen Sonnenhitze, die kein Lüftchen, nicht der Schatten eines Baumes mildert, arbeiten sie singend unaufhörlich, oft bis tief in die mondhelle Nacht hinein, und sind mit dem ersten Morgengrauen wieder auf ihrem Platze.

Wenn der Besitzer zum ersten Male auf dem Felde erscheint, so wird er nach uralter Sitte von den hübschesten Mädchen und Weibern umringt und mit einem dünnen, reich mit Aehren behangenen Strohseile gebunden. Er muß sich dann loskaufen, gewöhnlich geschieht dies durch einen oder zwei Eimer Wein. Ist die Ernte beendet, so zieht die ganze Schnitterschaar mit dem schön geschmückten Erntekranze in den Hof des Gutsherrn oder, wenn dieser nicht anwesend, des Beamten singend ein. Einige Schafe fallen als Opfer und es wird die ganze Nacht hindurch bei den Klängen eines bescheidenen Dudelsacks getanzt und geschmaußt.

Außer dem Wirthschaftsbeamten oder dem Herrn selber finden wir auf diesen Tanya’s noch einen Aufseher (Gazda). Seine Kleidung ist die der wohlhabenden ungarischen Landleute, nur tragen diese immer schwarze oder dunkelblaue Tuchkleider, die bei den Reichen mit vielen silbernen, bei den Aermeren mit zinnernen Knöpfen und schwarzen Schnüren verziert sind, während die herrschaftlichen Wirthschaftsaufseher noch einen lichtblauen Spencer tragen. Eine dem Ungar eigenthümliche Kleidung ist die Bunda, dieser lange Pelz von Schaffellen darf nie fehlen; der Ungar behauptet, im Winter schütze er vor Kälte, im Sommer vor Hitze. Er wird gegen die erstere mit der wolligen Seite nach innen, gegen letztere umgekehrt getragen. Die Mädchen tragen weite, faltige, blaue oder rothe Röcke mit festanschließendem Leibchen und ein weißes oder buntes Halstuch. Die glänzend schwarzen Haare, an der Stirn gescheitelt, werden in einen Zopf geflochten und mit Band reich verziert. Die Füße sind durch rothe Stiefeln geschützt. Junge Weiber tragen Häubchen von Gold- oder Silberspitzen, der Pelz ist mit feinem Tuche überzogen, mit Marderfell verbrämt und bei den Reichen mit silbernen Knöpfen und Borden verziert.

Noch eines Bewohners dieser Pußten, durch welche sich die Theiß in tausend wunderbaren Krümmungen hinzieht, müssen wir gedenken, des Fischers, der an den Ufern dieses ungemein fischreichen Flusses seine Hütte baut und sich reichlichen Lebensunterhalt aus seinen Wellen holt. Obwohl die Fischerei auch sonst überall an den Seen und Flüssen sehr fleißig betrieben wird, so kann man doch nur den Theißfischer als eigentlichen Fischer bezeichnen, weil er sich sein Leben lang mit nichts Anderem, als mit der Fischerei, beschäftigt. Die Liebe zu dem Flusse und zu der Fischerei ist in ihm so tief gewurzelt, daß man beinahe kein Beispiel findet, daß der Sohn dem Gewerbe des Vaters nicht treu geblieben wäre.

Es ist fast unglaublich, welche ungeheure Menge von Fischen dieser Fluß enthält. Die ausgezeichnetsten darunter sind besonders Karpfen, Hechte, Störe; diese letzteren kommen zur Laichzeit in Menge aus den Donaumündungen, sind jedoch selten über fünfzehn Pfund schwer. Man fängt die Fische meist mit Netzen, nur die Karpfen, deren einzelne 25–30 Pfd. schwer sind, werden mit eigens dazu gearbeiteten Harpunen gefangen. Hier müssen wir einer sonderbaren Erscheinung gedenken, welche nur dem Theißflusse eigen ist und sich alljährlich wiederholt. In den heißesten Tagen des Hochsommers erscheint plötzlich die ganze Oberfläche des Wassers mit einer zahllosen Menge von Insecten völlig bedeckt, die bald ihre Hülle abstreifen und als eine Art Falter mit schmalen weißen Flügeln aufflattern, um nach einigen Stunden wieder in das Wasser zurückzufallen. Sie bedecken den Strom auf meilenweiten Strecken – „die Theiß blüht“ – sagen die Fischer. Diese Insecten sind eine Lieblingsspeise der Fische, besonders der Karpfen, die, alles Andere vergessend, schaarenweis, mit weit geöffnetem Maule, daherschwimmen und sie verschlingen. Der Fischer begibt sich nun auf seinem kleinen, leichten Kahne, mit mehreren Harpunen versehen, die an dem Kahne mittelst starker Seile befestigt werden, auf den Strom. Die Karpfen bemerken in ihrer Gefräßigkeit seine Nähe nicht eher, als bis die Harpune in ihrem Leibe steckt. Nicht selten bringen sie dann den Fischer durch ihre verzweifelten Anstrengungen, sich zu befreien, in Lebensgefahr und reißen den leichten Kahn mit ungeheurer Schnelligkeit eine bedeutende Strecke mit sich fort. Wenn endlich das Thier durch Schmerz und Blutverlust erschöpft ist, wird ein zweiter auf’s Korn genommen, und zuweilen bringt ein Kahn deren fünf bis sechs an’s Land.

Die Erscheinung dieser Millionen Insecten ist bis jetzt noch nicht enträthselt, obwohl dies jedenfalls ein interessanter Gegenstand für Naturforscher wäre. – Auch ein Beweis, wie wenig Ungarn gekannt ist.

Einen romantischen Anblick gewährt die Theiß an mondhellen Abenden, wenn die zahlreichen Fischerkähne über die glatte Fläche gleiten, und kräftige sonore Männerstimmen manches Nationallied, vom Ruderschlage begleitet, singen.

Auch auf den bebauten Pußten finden wir eine Csárda, die sich jedoch von der früher beschriebenen bedeutend unterscheidet. Ihre weißen Wände mit dem roth angestrichenen Schnitzwerk der Fensterrahmen schauen gar einladend in die Weite. Auf dem zierlichen glatten Strohdache sonnen sich bunte Tauben, und blicken zuweilen nach dem gravitätisch auf dem Giebel stehenden Storche. In dem reinlichen Hofe lebt und schnattert fröhliches Geflügel, selbst die großen weißen Hunde, welche, wie behauptet wird, unsere Väter aus ihren asiatischen Wohnsitzen mit nach Ungarn gebracht, sind freundlicher und schauen sich mit ihren schwarzen Augen, die aus den dichtbehaarten schneeweißen Gesichtern hervorleuchten, ganz vergnügt um. Vor der Thüre sonnen sich schneeweiße, wohlgenährte Katzen mit ihren Familien und zeugen, nach dem ungarischen Sprüchwort, von der Wohlhabenheit des Hauses und der vorsorglichen Hausfrau. Im Hause selbst finden wir Alles rein und blank, und begegnen nicht dem auf Gewinn lauernden Sohne Israels, sondern einem biedern Ungar, der, behaglich seine Pfeife rauchend, uns empfängt.

Des Abends versammeln sich die Bewohner der umliegenden Tanya’s in der Csárda, und sprechen bei einem Glase Wein über ihre Arbeiten und Erlebnisse, nicht selten sogar über Politik. Zuweilen kommen ein oder mehrere Musikanten von jenem Heimathlosen braunen Volke der Zigeuner, und nehmen in einer Ecke des Zimmers Platz. Sie stimmen ihre Geigen und Cymbel. Kaum haben sie den Saiten die ersten leisen melancholischen Töne entlockt, mit denen jede Nationalmelodie beginnt, so erhebt sich der junge Bursche, [42] der bis jetzt theilnahmlos neben dem Ofen auf der Bank gelegen hat, und wie die Töne lauter erschallen, steht er auf, sein Auge beginnt zu leuchten, sein Körper bewegt sich nach den Klängen der Musik. Er tritt vor an die Zigeuner und gibt an, welche Melodie sie aufspielen sollen, indem er den ersten Vers des Liedes singt – die ungarischen Tanzmelodieen sind eben auch die der Volkslieder. – Und wie die schmelzenden Töne des Adagio nach und nach in ein schnelleres Tempo übergehen, so werden auch seine Bewegungen rascher. Er umfaßt die hübsche Wirthstochter. Sein Tanz wird zur glühenden Leidenschaft. Da – mitten im Tanze bricht plötzlich heftig die Musik ab – das Paar bleibt unbeweglich, als würde die entfesselte Leidenschaft von einer höhern Macht beherrscht.

Jetzt beginnt die Musik wieder, klagend, traurig – die Tänzerin entschlüpft dem Burschen, als fürchte sie, ihre Gefühle zu verrathen; sie tanzen getrennt; durch manche Wendung entgeht sie dem Arm, der sie wieder umfassen will. Der Tänzer erzählt gleichsam seinen Schmerz, seine Liebe. Seine Bewegungen folgen den melancholischen Tönen – er nähert sich allmählich dem zögernden Mädchen, und – in dem Augenblicke des Uebergangs vom Adagio in das brausende Allegro hat sie sein Arm umfaßt und dreht sie in sinnverwirrendem schnellem Wirbel, und durch die Macht der Leidenschaft besiegt, schmiegt sich das glühende Mädchen in seinen Arm.

Die ungarische Nationalmusik ist etwas so Eigenthümliches, wie unser Nationaltanz, den man eigentlich eine mimische Darstellung nennen kann. Da, wie schon gesagt, die Musik, nach der wir tanzen, die Melodie bestimmter Lieder ist, so ist der Tanz eine Darstellung bestimmter Worte; es ist ein Gespräch, welches der Tänzer mit seiner Tänzerin führt; eine geheimnißvolle Unterredung, ein Geständniß seiner Gefühle, eine Enthüllung seines durch Leidenschaft bewegten Gemüths. Und deshalb gibt es für diesen Tanz keine Regeln, nach denen er gelehrt werden könnte. Nie wird ihn ein Anderer, als ein geborner Ungar, so tanzen, wie er getanzt werden soll, um nicht zu einem wirren, bedeutungslosen Durcheinander zu werden.

Der Bewohner der Pußta ist noch freigeblieben von jener Convenienz, die das offene ehrliche Gesicht mit trügerischer Schminke überzieht; aber es fehlt ihm nicht an Anmuth und sittlichem Anstand; wie denn überhaupt der Ungar frei ist von jener rohen Gemeinheit und Plumpheit, von jener stumpfen Stupidität, die wir bei den untern Volksclassen mancher andern Nationen, die uns so gern „rohe Barbaren“ nennen, so häufig antreffen. Er hat von der Natur reinen, hellen Verstand erhalten. In seinem Charakter liegt eine gewisse Ritterlichkeit, die sich am deutlichsten in der rücksichtsvollen Behandlung des weiblichen Geschlechts kund gibt. Ein stolzes Selbstgefühl, ein Bewußtsein von Kraft liegt in seiner Brust, sowie angeborne Liebe zur Musik und Poesie. Es ist ein trauriges Zeichen der Civilisation, daß wir die Grundzüge des ungarischen Nationalcharakters weit deutlicher bei dem wilden Bewohner der Pußta, als in den höhern Ständen, finden. Es hat sich seit einem Jahrzehnt so Vieles geändert im theuren Vaterlande, daß der Ungar sich am Ende fremd fühlen wird in der Heimath!

Ebenso wie unsern Tanz wird ein Fremder auch unsere Musik nie verstehen, wenn auch ihre Töne seinem Ohre angenehm klingen und selbst auf sein Gemüth tiefen Eindruck machen. Diese wunderbaren, durch Gefühl und Leidenschaft hervorgerufenen Melodieen, die an kein Gesetz, an keine Regel gebunden sind, deren Ursprung Niemand kennt – sie ergreifen die Seele des Ungars mit gewaltiger Zaubermacht. Er versteht die Töne. Er fühlt in ihrer Harmonie das Wehen einer schönen Vergangenheit; hört durch ihre Klänge die Geister seiner Väter, die mit ihrem Blute den Boden getränkt, mit ihrem Leben die theure Heimath erkauft, zu seinem Herzen sprechen. Sie lehren ihm dies schöne Land mit aller Kraft seiner Seele lieben, und – deshalb ist das Gefühl der Vaterlandsliebe so tief, so mächtig in der Brust des Ungars. Nie wird er sein Heimathsland in der Fremde vergessen, wenn auch das Glück sein reichstes Füllhorn über ihn schüttet – er steht überall allein – ihm ist keine der andern Nationen verwandt, keine versteht ihn mit seinen Träumen von der Zukunft, versteht ihn mit seinen theuren sorgfältig gehegten Erinnerungen an eine große, glänzende Vergangenheit, bei denen seine Seele so gern verweilt, daß er darüber der Gegenwart vergißt.

Dieses schöne Land ist aber auch ganz geschaffen, es so zu lieben, wie es eben der Ungar liebt. Es ist reich ausgestattet mit Allem, was der Mensch zu seinem Wohlsein bedarf; man kann es füglich Europa im Kleinen nennen, so mannichfach sind seine Producte, sein Klima, seine Bewohner mit ihren Sprachen und Sitten.

Während der glühende Sonnenstrahl in einem Theile dieses wunderbaren Landes die köstlichsten Trauben, Melonen, Pfirsiche, Feigen, Anis, und Baumwolle reift, gedeihen in dem bergigen kalten Norden kaum Kartoffeln, Rüben, Schlehen und einige Obstgattungen. Es gibt z. B. im Sohler Comitate einige hoch im Gebirge liegende Ortschaften, wo Kirschen und Erdbeeren erst im September reifen, während man diese Früchte im Banate schon Mitte Mai gegessen.

Während der Ungar in seinem hübschen reinlichen Hause im Winter behaglich am wohlbesetzten Tische seine Pfeife raucht und seinen guten Wein schlürft, täglich Fleisch und gutes Weizenbrod ißt, kauert der Slovak der Comitate Liptau, Arva, des nördlichen Theiles von Trentschin in seiner elenden Hütte und ist glücklich, wenn er Kartoffeln ohne Fett, oft auch ohne Salz, und ein Stück Haferbrod zu essen hat und Sonntags einen Schluck schlechten Branntwein dazu trinken kann. Er denkt mit Neid an die fetten fruchtbaren Ebenen, wo er den Sommer über als Schnitter gearbeitet, an die ungeheueren Massen des herrlichen Weizens, der in dem ungedüngten Boden wächst – während sein magerer Bergboden kaum ein wenig Hafer hervorbringt. Aber diese Gebirge bergen reiche Schätze edler Metalle und Erze in ihrem Innern.

Auf den weiten Pußten Niederungarns weiden edle Rosse, schöne Rinder und feinwollige Schafe. Der Statistiker Fényes gibt die Anzahl der Schafe, die in Ungarn gezüchtet werden, auf 17 Millionen, des Rindviehes auf 4,800,000 an. Im Norden gibt es treffliche Alpenweiden, die für Schafe benutzt werden, aus deren Milch ein köstlicher Käse bereitet wird. In den Wäldern haust unzähliges Wildpret; auf den Felsenspitzen der Karpathen sehen wir sogar die Gemse herumklettern. Die großen Moräste sind von Tausenden von Wasservögeln, die Seen und Flüsse von wohlschmeckenden Fischen belebt. Aus den geheimnißvollen Tiefen der Gebirge quellen zahlreiche Mineralwasser; unter der fruchtbaren Erdoberfläche liegen unermeßliche Steinkohlenschichten; die Gebirge von Marmarosch liefern das beste Salz – Alles, Alles finden wir innerhalb der Grenzen unseres Vaterlandes, welches mit Recht Oesterreichs Kornkammer genannt wird. Man nimmt nach der schon erwähnten Statistik von Fényes den Ertrag des Ackerlandes auf achtzig bis neunzig Millionen österreichische Metzen Getreide an. Auf den Tanya’s werden ungeheuere Schaaren Gänse gezogen; im Jahre 1845 wurden allein 8634 Centner Bettfedern ausgeführt.

Nächst dem Ackerbau wird der Weinbau am meisten in Ungarn gepflegt, doch steht die Cultur des letzteren noch lange nicht auf jener Stufe, die sie erreichen muß, wenn unsere Weine den ihnen gebührenden Rang einnehmen sollen. Der Weinbau dürfte eine unermeßliche Quelle von Gewinn für Ungarn werden, wenn man mehr Fleiß und Aufmerksamkeit darauf verwenden wollte. Vielleicht werden die Weinbergsbesitzer durch die hohen Steuern zu der heilsamen Erkenntniß gebracht, daß in den Adern ihrer Reben Gold fließt, wenn man es zu Tage zu fördern versteht.

Seit einigen Jahren kommt die Seidenzucht bedeutend in Aufnahme, der Tabaksbau jedoch ist seit der Einführung des Monopols bedeutend gesunken.

Und so nehmen wir denn Abschied von der Pußta und ihren einsamen Bewohnern. Erscheint sie auch dem Fremden ohne Interesse und einförmig, für den Ungar hat sie ihre Poesie – er liebt sie, wie der Araber seine Wüste, der Schweizer seine Alpen, der Indianer seinen Urwald, der Seemann sein Meer.

Mag uns das Schicksal noch so weit vom Vaterlande entfernen – die vielen wunderbaren Stimmen, die in dem Wehen der heimathlichen Lüfte zu uns sprechen, klingen stets in unserer Seele, und ewig wahr bleiben die Worte unseres unsterblichen Dichters: „Außerhalb der Grenzen des Vaterlandes gibt es kein Glück, kein Leben für den Ungar!“

Irma von Beniczky.



  1. Ein Joch Feld beträgt 1600 Quadrat-Klaftern.