Land und Leute/Nr. 21. Herrgottshändler
(Mit Abbildung.)
So reich und bunt geschmückte Dorfkirchen wie in Tirol trifft man wohl nirgends in den Alpen. Die ärmste Gemeinde verwendet auf einen Sammetbaldachin mit Goldtressen oft mehr, als das Capital beträgt, dessen Zinsen zur Erhaltung des Schullehrers dienen, und die Hochwürdigen wissen bei ihren Sammlungen für solche Zwecke auch die Sparkreuzer der Armuth flüssig zu machen. Das wäre freilich unmöglich, entspräche nicht diesem Ansinnen die Vorliebe des Volkes für bildnerischen Schmuck. In jedem Bauernhause begegnet man schönen „Gemahlern“ wenigstens im Winkel über dem Eßtisch, wo das Crucifix hängt. Darunter nickt meistens eine Gerte der dornigen Gleditschie, mit der Christus gekrönt worden sein soll, obwohl dieser Baum erst aus Amerika eingeführt ward, und ein Oelzweig, der am Palmsonntag geweiht wurde und das Einschlagen des Blitzes verhindert. An den Füßen des Erlösers bemerkt man etliche Maiskolben, rothe oder gelbe, wie sie eben durch Schönheit ausgezeichnet sind.
Das Bedürfniß nach Kunstwerken ist daher ein sehr großes, nur dürfen sie nicht viel kosten, weil die Leute nicht viel zahlen können. Da findet man fast in jedem Thale einen Tuifelmaler, der freilich auf keiner Akademie Studien machte, aber dafür auch nicht viel fordert. Er streicht die Kreuze auf dem Friedhof an und schreibt schöne Sprüchlein darauf – in den Friedhof von Achenthal verirrten sich sogar Verse von Klopstock und Hölty! – er malt an die Läden des breiten Ehebettes Lilien und Rosen, bei welchen ihm vielleicht statt der duftigen Blüthe Aphrodite’s ein sechspfündiges Tirolerknödel als Modell vorgeschwebt zu haben scheint. Um das Glas zu ersparen, klext er gleich die Bilder selbst mit dicker Oelfarbe auf die Rückseite einer Glastafel, schließt diese in schwarze Rundstäbe ein und ladet etliche Dutzend zwischen Heu gepackt einem Händler auf den Rücken, der sie von Haus zu Haus ausbietet. Nebenbei vertrödelt er gräuliche Holzschnitte, meist Illustrationen zu „Gebethern“ und Viehsegen, gewöhnlich auch noch mit einem Ablaß auf hundert Tage oder sieben Jahre versehen. „Gaggesbeten“ – Rosenkränze, die aus den Körnern einer Grasart, der sogenannten Josephszehe, mit Messingdraht geflochten sind – werden auch sehr geschätzt und viel begehrt. In großer Auswahl kann man diese Herrlichkeiten auf den Jahrmärkten der Dörfer in hölzernen Buden ausgestellt sehen. Bisweilen ergreift ein solcher Künstler auch den Pinsel des Frescomalers und ziert Capellen. Dabei thut es nichts, wenn bei einem Heiligen Hand oder Fuß fehlt, nur müssen die Höllenflammen hübsch in Zinnober brennen und die Verdammten schreckliche Gesichter schneiden, über welche Thränen wie Haselnüsse herabfließen.
Steht die Malerei hoch in Ehren, so wird ihre Schwester, die Plastik, nicht weniger gefeiert, und der „Herrgottschnitzer“ hat einen Künstlerstolz wie ein Phidias. Besuchen wir ihn im Winter in seinem Atelier. Da sitzt er, den kurzen Pfeifenstummel im Mund, das Messer in der Hand, und arbeitet, daß die Spähne fliegen.
„Was machst Du, Alter?“
„Milchschüsseln aus Zirmholz.“
„Zu was hast Du die Lärchenstöcke hier?“
„Das giebt Knospen für die Hirten.“
Unter „Knospen“ versteht man die groben Holzschuhe, mit denen die Sennen auf den steinigen Almen herumstolpern.
„Und der Plunder da?“
Unser Meister wird unwillig und wirft die Pfeife weg. „Was Plunder? Gehst unteri mit dem Geschwätz. Das werden ‚Herrgotte‘ und ‚Muttergottessen‘, daß Du eine Freud’ dran haben kannst. Aber das Hauptstück habt Ihr doch nicht ausgeschnüffelt. Da ist’s!“ Mit stolzem Blick zeigt er uns einen Pfeifenkopf, den er sorglich aus Maßholder gemeißelt. Den soll sich der Postmeisterbua für einen Thaler kaufen und mit Silber fassen lassen.
Mitunter kommen aber auch andere Bestellungen. Da ist ein neuer Calvarienberg einzurichten, dort ein Florian für einen neuen Brunnen zu machen. Der muß extra schön werden, mit goldenem Helm, silbernem Harnisch, verdrehten Beinen und einem tüchtigen Eimer. In neuester Zeit ist der Gute freilich ein bischen
[597][599] aus der Mode; jüngst schrieb sogar ein Unterländer unter sein Bild an die Brunnensäule:
Heiliger Florian,
Du saggrischer Schwanz,
Wir brauchen di nimmer,
Wir hab’n d’ Assecuranz.
So brachte die Feuerassecuranz unsern Heiligen um sein Amt! Das thut aber nichts, dafür wurde unlängst der Jesuit Canisius canonisirt; vielleicht erkürt man ihn als Vorkämpfer gegen den Protestantismus zum Patron der alttirolischen Glaubenseinheit, und dann wird erst unser Herrgottschnitzer zu thun kriegen!
Doch Scherz bei Seite!
Der Frühling lächelt durch die Scheiben der dumpfen Kammer, unser Meister putzt sich, ladet Schüsseln und Knospen auf einen Karren und fährt zu Markt. Die Waare ist bald verkauft. Das Bimmeln der Heerden erinnert ihn an großartige Unternehmungen. Er füllt Körbe mit prächtig angestrichenen und lackirten „Herrgotten“; einen davon packt er, den andern die Tochter auf den Rücken, so schreiten sie am Bergweg, er rechts, sie links. Nun wandelt er von Alm zu Alm, denn Mensch und Vieh braucht Schutz gegen Hexen und Teufel. Daher befestigt man an der Thür ein Crucifix oder nagelt es an eine weithin sichtbare Schirmtanne, bisweilen bietet auch eine Felsennische Gelegenheit, etwas Heiliges anzubringen. Ja wenn der Alte nur mehr Hände hätte, um genug „Herrgotte“ und „Muttergottessen“ zu machen! Nicht selten lernen diese Meister auf ihren Kunstfahrten das Schnapseln und kehren dann zum Verdruß der Weiber als rechte „Branntweinzapfen“ heim. Ich kannte einen solchen. Als er von der Alm zurückkam, fand er seine Alte in Noth und Elend todt. Er schnitzte das Kreuz für ihr Grab so schön wie er konnte. „Es ist das letzte Kreuz, das ich ihr mache!“ sagte er zu mir und wischte eine Thräne ab.
Doch genug von diesen Dingen.
Schließlich erwähnen wir, daß Tirol außer den Herrgottschnitzlern und Tuifelmalern eine große Anzahl echter, tüchtiger Künstler besitzt: Knoller, Koch und Knabl darf man überall mit Ehren nennen.