Lenzeszauber
Lenzeszauber.
„Wer stürmt mir gegen die Pforte an,“
So ruft der Winter, der grimme Mann,
Und draußen erschallt es: „Oeffne sogleich,
Ich nah’ auf höchsten Befehl Deinem Reich;
Du sammt Deinen rauhen Vasallen
Bist endlich dem Bann verfallen.“
Der Alte lächelt. „Du prahlender Wicht,
Meines Reiches Mauern erschütterst Du nicht,
Das Thor bleibt geschlossen, Du dringst nicht ein!“ –
Da bricht durch die Spalten ein leuchtender Schein –
„Es hilft Dir kein Kämpfen, kein Ringen,
Mein Zauber, er muß Dich bezwingen.“
Da zittert der Alte, es sinkt ihm der Muth,
Er kennt die Stimme, die lichte Gluth,
Er kennt den feurigen Jugenddrang,
Der ihn schon so oft im Kampfe bezwang,
Doch will er sich nicht ergeben,
Kampf gilt es auf Tod und auf Leben.
All seine Mannen entbietet er,
Sie strömen heran mit Zacken und Speer.
Die scharfen Nadeln der Nordwind spitzt,
Des Frosts todbringende Lanze blitzt,
Doch eh’ zum Streit sie gelangen,
Schau’n plötzlich sie auf mit Bangen.
Es klingt in ihr Ohr ein Zauberton –
Die alten Recken, sie kennen ihn schon.
Gelähmt ist der Arm, der die Waffe hebt –
Das eisige Thor in den Fugen bebt.
Da fällt es … da liegt’s! Durch den Bogen
Kommt siegend der Lenz gezogen.
Um seinen Scheitel der Sonne Licht;
Aus seinem Auge die Liebe spricht,
Sein wonniger Hauch die Sehnsucht belebt.
Von seinen Lippen ein Lied entschwebt,
Und Vöglein auf leichten Schwingen
Süß ahnend es weiter singen.
Da muß dem Winter der Muth vergehn,
Hier hilft nicht länger ein Widerstehn,
Er streckt die Waffen mit seiner Schar,
Er schüttelt das Haupt; aus dem nassen Haar,
Aus des Bartes glänzenden Locken
Entfliegen die letzten Flocken.
Dann zieht er mit seinen Mannen fort.
Besiegt von des Lenzes Zauberwort:
Nun schmilzt auch das Eis, es rauscht der Bach!
Singt, Frühlingslieder, die Erde wach!
Weckt schlummernde Keime und Triebe
Und im Menschenherzen die Liebe.
Monica Brodtreiß.