Liederkreis Op. 39 (Schumann)
Erscheinungsbild
I. In der Fremde
- Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
- da kommen die Wolken her,
- aber Vater und Mutter sind lange tot,
- es kennt mich dort keiner mehr.
- Wie bald, ach wie bald kommt die stille Zeit,
- da ruhe ich auch, und über mir
- rauscht die schöne Waldeinsamkeit.
- und keiner kennt mich mehr hier.
II. Intermezzo
- Dein Bildnis wunderselig
- hab’ ich im Herzensgrund,
- das sieht so frisch und fröhlich
- mich an zu jeder Stund’.
- Mein Herz still in sich singet
- ein altes, schönes Lied,
- das in die Luft sich schwinget
- und zu dir eilig zieht.
III. Waldesgespräch
- „Es ist schon spät, es ist schon kalt,[1]
- was reit’st du einsam durch den Wald?
- der Wald ist lang, du bist allein,
- du schöne Braut! Ich führ’ dich heim!“
- „Gross ist der Männer Trug und List,
- vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
- wohl irrt das Waldhorn her und hin,
- o flieh’! du weisst nicht, wer ich bin.“
- „So reich geschmückt ist Ross und Weib,
- so wunderschön der junge Leib,
- jetzt kenn’ ich dich, Gott steh mir bei!
- Du bist die Hexe Loreley!“
- „Du kennst mich wohl, von hohem Stein
- schaut still mein Schloss tief in den Rhein.
- Es ist schon spät, es ist schon kalt,
- kommst nimmermehr aus diesem Wald!“
IV. Die Stille
- Es weiss und rät es doch keiner,
- wie mir so wohl ist, so wohl!
- Ach, wüsst’ es nur einer, nur einer,
- kein Mensch es sonst wissen soll!
- So still ist’s nicht draussen im Schnee,
- so stumm und verschwiegen sind
- die Sterne nicht in der Höh’,
- als meine Gedanken sind.
- Ich wünscht’, ich wär’ ein Vöglein
- und zöge über das Meer,
- wohl über das Meer und weiter,
- bis dass ich im Himmel wär’!
- Es weiss und rät es doch keiner,
- wie mir so wohl ist, so wohl!
- Ach, wüsst’ es nur einer, nur einer,
- kein Mensch es sonst wissen soll.
V. Mondnacht
- Es war, als hätt’ der Himmel
- die Erde still geküsst,
- dass sie im Blütenschimmer
- von ihm nur träumen müsst!
- Die Luft ging durch die Felder,
- die Ähren wogten sacht,
- es rauschten leis’ die Wälder,
- so sternklar war die Nacht.
- Und meine Seele spannte
- weit ihre Flügel aus,
- flog durch die stillen Lande,
- als flöge sie nach Haus’.
VI. Schöne Fremde
- Es rauschen die Wipfel und schauern,
- als machten zu dieser Stund’
- um die halb versunkenen Mauern
- die alten Götter die Rund’.
- Hier hinter den Myrtenbäumen
- in heimlich dämmernder Pracht,
- was sprichst du wirr wie in Träumen,
- zu mir, phantastische Nacht?
- Es funkeln auf mich alle Sterne
- mit glühendem Liebesblick,
- es redet trunken die Ferne
- wie von künftigem großem Glück!
VII. Auf einer Burg
- Eingeschlafen auf der Lauer
- oben ist der alte Ritter;
- drüber gehen Regenschauer,
- und der Wald rauscht durch das Gitter.
- Eingewachsen Bart und Haare,
- und versteinert Brust und Krause,
- sitzt er viele hundert Jahre
- oben in der stillen Klause.
- Draussen ist es still und friedlich,
- alle sind ins Tal gezogen,
- Waldesvögel einsam singen
- in den leeren Fensterbogen.
- Eine Hochzeit fährt da unten
- auf dem Rhein im Sonnenscheine,
- Musikanten spielen munter,
- und die schöne Braut, die weinet.
VIII. In der Fremde
- Ich hör’ die Bächlein rauschen,
- im Walde her und hin,
- im Walde in dem Rauschen,
- ich weiss nicht, wo ich bin.
- Die Nachtigallen schlagen
- hier in der Einsamkeit,
- als wollten sie was sagen
- von der alten schönen Zeit.
- Die Mondesschimmer fliegen,
- als säh’ ich unter mir
- das Schloss im Tale liegen,
- und ist doch so weit von hier!
- Als müsste in dem Garten,
- voll Rosen weiss und rot,
- meine Liebste auf mich warten,
- und ist doch so lange tot.
IX. Wehmut
- Ich kann wohl manchmal singen,
- als ob ich fröhlich sei,
- doch heimlich Tränen dringen,
- da wird das Herz mir frei.
- Es lassen Nachtigallen,
- spielt draussen Frühlingsluft,
- der Sehnsucht Lied erschallen
- aus ihres Kerkers Gruft.
- Da lauschen alle Herzen,
- und alles ist erfreut,
- doch keiner fühlt die Schmerzen,
- im Lied das tiefe Leid.
X. Zwielicht
- Dämm’rung will die Flügel spreiten,
- schaurig rühren sich die Bäume,
- Wolken zieh’n wie schwere Träume –
- was will dieses Grau’n bedeuten?
- Hast ein Reh du, lieb vor andern,
- lass es nicht alleine grasen,
- Jäger zieh’n im Wald und blasen,
- Stimmen hin und wieder wandern.
- Hast du einen Freund hienieden,
- trau’ ihm nicht zu dieser Stunde,
- freundlich wohl mit Aug’ und Munde,
- sinnt er Krieg im tück’schen Frieden.
- Was heut’ gehet müde unter,
- hebt sich morgen neugeboren.
- Manches geht in Nacht verloren –
- hüte dich, sei wach und munter.
XI. Im Walde
- Es zog eine Hochzeit den Berg entlang,
- ich hörte die Vögel schlagen,
- da blitzten viel Reiter, das Waldhorn klang,
- das war ein lustiges Jagen!
- Und eh’ ich’s gedacht, war alles verhallt,
- die Nacht bedecket die Runde,
- nur von den Bergen noch rauschet der Wald
- und mich schauert’s im Herzensgrunde.
XII. Frühlingsnacht
- Überm Garten durch die Lüfte
- hört’ ich Wandervögel ziehn,
- das bedeutet Frühlingsdüfte,
- unten fängt’s schon an zu blüh’n.
- Jauchzen möcht’ ich, möchte weinen,
- ist mir’s doch, als könnt’s nicht sein!
- Alte Wunder wieder scheinen
- mit dem Mondesglanz herein.
- Und der Mond, die Sterne sagen’s,
- und im Traume rauscht’s der Hain,
- und die Nachtigallen schlagen’s:
- „Sie ist deine, sie ist dein!“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Bei Eichendorff: Es ist schon spät, es wird schon kalt