Lisette

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Autor: Christian Fürchtegott Gellert
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Titel: Lisette
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Erstes Buch. S. 106-107
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
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S. 106-107

[106] Lisette

Ein junges Weib, sie hieß Lisette,
Dieß Weibchen lag an Blattern blind.
Nun weis man wohl, wie junge Weiber sind;
Drum durft ihr Mann nicht von dem Bette,

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So gern er sie verlassen hätte;

Denn laßt ein Weib schön, wie Cytheren, seyn,
Wenn sie die Blattern hat: so nimmt sie nicht mehr ein.
Hier sitzt der gute Mann, zu seiner größten Pein,
Und muß des kranken Weibes pflegen,

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Ihr Kissen oft zu rechte legen,

Und oft durch ein Gebet um ihre Beßrung flehn;
Und gleichwohl war sie nicht mehr schön.
Ich hätt ihn mögen beten sehn.

Der arme Mann! Ich weis ihm nicht zu rathen:

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Vielleicht besinnt er sich, und thut, was andre thaten.


Ein krankes Weib braucht eine Wärterinn;
Und Lorchen ward dazu erlesen,
Weil ihr Lisettens Eigensinn
Vor andern längst bekannt gewesen.

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Sie trat ihr Amt dienstfertig an,

Und wußte sich in allen Stücken
Gut in die kranke Frau zu schicken,
Und auch in den gesunden Mann.
Sie war besorgt, gefällig, jung und schön,

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Und also ganz geschickt, mit beiden umzugehn.


Was tut man nicht, um sich von Gram und Pein,
Von Langer Weile zu befreyn?
[107] Der Mann sieht Lorchen an, und redt mit ihr durch Blicke,
Weil er nicht anders reden darf;

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Und jeder Blick, den er auf Lorchen warf,

Kam, wo nicht ganz, doch halb erhört zurücke.
Ach, arme kranke Frau! es ist dein großes Glücke,
Daß du nicht sehen kannst, dein Mann thut recht galant;
Dein Mann, ich wollte viel drauf wetten,

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Hat Lorchen schon vorher gekannt,

Und sie mit Fleiß zur Wärterinn ernannt.
Ja, wenn sie bloß durch Blicke redten:
So möcht es endlich wohl noch gehn;
Allein bald wird man sie einander küssen sehn.

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Er kömmt, und klopft sie in den Nacken,

Und kneipt sie in die vollen Backen;
Sie wehrt sich ganz bequem, bequem wie eine Braut,
Und findet bald für gut, sich weiter nicht zu wehren.
Sie küssen sich recht zärtlich und vertraut;

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Allein sie küßten gar zu laut.

Wie konnt es anders seyn? Lisette mußt es hören.
Sie hörts, und fragt: was schallt so hell?
Madam, Madam! ruft Lorchen schnell,
Es ist ihr Herr, er ächzt vor großem Schmerz,

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Und will sich nicht zufrieden geben.

Ach! spricht sie, lieber Mann, wie redlich meynts dein Herz!
O! gräme dich doch nicht! ich bin ja noch am Leben.