MKL1888:Tierdienst

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Tierdienst“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 700701
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Tierdienst. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 700–701. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Tierdienst (Version vom 28.03.2024)

[700] Tierdienst (Zoolatrie), die Verehrung bestimmter nützlicher oder schädlicher Tiere bei niedriger und höher stehenden Völkern. Man muß hierbei indessen verschiedene Vorstellungskreise unterscheiden. Die niedersten Naturvölker betrachten das Tier als ein mit ihnen auf gleicher Stufe stehendes, ja oft als ein sie an Macht überragendes Wesen, dem man Verehrung bezeigen müsse, wie denn von einigen nordischen Völkern erzählt wird, daß sie den Bären um Verzeihung gebeten hätten, wenn sie ihn getötet hatten. In diesem Sinn konnten sie auch ein bestimmtes Tier zu ihrem Schutzgeist erwählen (vgl. Fetischismus und Totem), an ein Fortleben der Ahnen in Tierleibern und an eine Verwandlung von Menschen in Tiere (Werwolfssage, s. d.) glauben. Im besondern wurden wegen ihrer Kraft und Wildheit gefürchtete Tiere, wie Löwe, Wolf und Bär, oder solche, die wegen ihres unheimlichen Wesens gemieden werden, wie Molche, Eidechsen (Drachen) und Schlangen (s. Schlangendienst), häufiger zum Gegenstand einer abergläubischen Verehrung. Einem andern Vorstellungskreis, obwohl er aus dem vorigen entstanden sein mag, gehört der T. der alten Ägypter, Semiten und Inder an, welche an göttliche Inkarnationen in Tiergestalt und an eine Wanderung der menschlichen Seele durch Tierleiber glaubten (s. Seelenwanderung). Diese Völker stellten ihre Gottheiten daher in Tiergestalt oder wenigstens [701] mit Tierköpfen versehen dar, pflegten die betreffenden Tiere in Tempeln (z. B. die in den Küstenländern wohnenden Semiten gewisse heilige Fische, die Ägypter Katzen, Ibisse u. a., die Inder Schlangen, Krokodile und Affen), erließen Gesetze zu ihrem Schutz, setzten sie nach ihrem Tod feierlich einbalsamiert bei etc. Aus diesen Inkarnationsvorstellungen gingen in den spätern Religionssystemen die als Attribute der Gottheiten namentlich von der bildenden Kunst verwerteten heiligen Tiere, wie der Adler des Jupiter und Johannes, der Löwe der Rhea und des heil. Markus, der Specht des Mars (Picus) etc., hervor, und ebenso schließen sich daran gewisse Stammsagen (Drache der Chinesen, Wölfin der Römer). Vgl. De Gubernatis, Die Tiere in der indogermanischen Mythologie (deutsch, Leipz. 1874, 2 Bde.).