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MKL1888:Ätna

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Ätna“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 1820
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Ätna. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 18–20. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:%C3%84tna (Version vom 31.07.2024)

[18] Ätna, der altberühmte, von den Sizilianern Mongibello (v. ital. Monte und dem arab. Djebel, d. h. Berg) oder geradezu la Montagna genannte Vulkan der Insel Sizilien (s. Karte „Sizilien“), der höchste Europas, besteht aus einem einzigen ungeheuern, aber flachen Kegel, dessen Umfang an der Basis 180 km und dessen Flächeninhalt gegen 1200 qkm (ca. 22 QM.) beträgt. Seine Basis ist nahezu kreisförmig, wenig elliptisch. Seine höchste Höhe beträgt nach Sartorius v. Waltershausen 3318 m, nach den Messungen des italienischen Generalstabs 3313 m. Der Berg erhebt sich ganz isoliert; er hängt mit den sizilischen Bergketten gar nicht zusammen und bildet eine schwach gewölbte Fläche von etwa 37 km Durchmesser, auf welche ein Buckel aufgesetzt ist. Eine Schlucht, worin westlich und südlich der Simeto, nördlich der Alcantara fließt, grenzt dieselbe gegen die Umgebung scharf ab, und nur im NW. stellt die Wasserscheide zwischen beiden als flacher Rücken von 850 m Höhe die Verbindung mit den ältern Gebirgen der Insel her. Die Seiten des außerordentlich flachen Kegels haben eine sehr sanfte Böschung von 2–5°, die nach oben wächst, aber selbst im Waldgürtel 6–8° nicht übersteigt. Die Kegelspitze selbst ist durch eine fast ebene Fläche abgeschnitten, den Piano del Lago (so genannt, weil ehemals hier sich die Schmelzwasser in einer Vertiefung seeartig gesammelt haben sollen), an dessen nördlichem Rande die Casa inglese in 2966 m Höhe und nahe dabei südöstlich als Torre del Filosofo bezeichnete und mit Empedokles in Beziehung gebrachte Trümmer eines römischen (Hadrianischen) Bauwerks stehen. Aus dieser flachen Region des Bergs erhebt sich erst der ebenfalls elliptische, nur noch wenig über 300 m hohe Zentralkegel mit einer Böschung von 20–30°, welcher der tiefen Asche und Schlacken wegen, die ihn bedecken und zum Teil bilden, sehr schwer zu ersteigen ist. Durch einen Einsturz des östlichen Kegelmantels, wohl durch eine seitliche Eruption und Explosion hervorgerufen, ist die Valle del Bove, diese viel umstrittene charakteristische Bildung des Ä., entstanden, ein gewaltiges Kesselthal, das seinen Ursprung am Gipfelplateau selbst nimmt.

Ausbrüche aus dem Zentralkegel und seinem Krater sind selten, meist lassen nur verstärkter Rauch und Aschenregen die erhöhte Thätigkeit im Innern erkennen. Die Eruptionen sind meist seitliche, die Lavamassen durchbrechen den aus losem Material aufgebauten Mantel des Bergs, noch ehe sie bis zum Gipfel emporgestiegen sind; es bilden sich radiale Spalten und am untern Ende des Risses ein oder mehrere Kraterkegel, welchen nun die Lava entströmt. So sind die sogen. Lateral- oder Schmarotzerkegel entstanden, welche den Berg rings umgeben, am dichtesten an der Südseite und in dem Gürtel von 1000 bis 2000 m Höhe. Die (übrigens durch Zerstörung und Neubildung sehr veränderliche) Zahl dieser Lavakegel beträgt gegenwärtig 972, die natürlich von sehr verschiedener Größe sind. Die Monti Rossi oberhalb Nicolosi, welche bei dem furchtbaren Ausbruch von 1669 entstanden, sind die bekanntesten und gehören zu den größten, sie haben 200 m relative Höhe. In der Valle del Bove ist die Struktur des Bergs zum Teil zu erkennen; mehrere Hundert regelmäßige Schichten von dunkler Lava wechseln mit Lagern von Tuff und Konglomerat, die eine mittlere Mächtigkeit von 2 m haben, sich gleichmäßig nach der Mitte des Bergs hin erheben und von unzähligen Gängen und Adern von Lava durchsetzt sind, welche, wo das sie vormals bedeckende und umgebende Gestein zersetzt und weggewaschen ist, wie Mauern hervorragen. Der Ä. ist trotz seiner Höhe und seines Schneereichtums infolge seiner eigentümlichen geologischen Bauart in seinen obern und mittlern Abhängen überaus quellenarm. Der Berg gleicht einem riesigen Filter, der das Wasser bis zu den tiefern Tuffen und thonigen Massen hindurchläßt, wo dann starke Quellen hervorbrechen, die höchsten in 400 m Höhe.

Seine isolierte Lage und regelmäßige konische Gestalt machen den Ä. vorzüglich geeignet, den bedeutenden Einfluß erkennen zu lassen, welchen der Höhenunterschied auf das Klima und infolge davon auf die Vegetation äußert. Nirgends vielleicht in Europa sind die Vegetationsgürtel so scharf gegeneinander abgegrenzt wie am Ä. Es lassen sich drei Gürtel unterscheiden: die angebaute (regione colta), die Waldregion (r. nemorosa) und die wüste Region (r. deserta). Die angebaute Region reicht bis 1000 m empor und ist ihrer Fruchtbarkeit wegen außerordentlich dichtbevölkert, auf 770 qkm wohnen 250,000 Menschen. Hier kommen Dattelpalmen und Bananen, Zuckerrohr und Agrumen vor; namentlich letztere werden in ungeheurer Fülle gebaut. Auch Baumwollbau wird getrieben. Oliven, Feigen, Mandeln und andre Früchte der subtropischen Zone gedeihen in Fülle; der meiste Raum ist aber dem Weinstock gewährt, der [19] noch in 1100 m Höhe fortkommt. Die Umzäunungen sind gebildet von Opuntien (Opuntia Ficus indica), deren Früchte drei Monate im Jahr die Bevölkerung vorwiegend nähren; sie dienen auch dazu, die Lavaströme allmählich wieder der Kultur zugänglich zu machen. Getreidebau ist weniger ausgedehnt und namentlich an den untern Gehängen unbedeutend. Die angebaute Region verbreitert sich beständig auf Kosten des Waldgürtels, welcher, häufig von dunkeln Lavaströmen durchbrochen und mit Aschenfeldern wechselnd, sich zwischen 1000 und 2000 m Höhe ausdehnt. Nur Weinpflanzungen und Roggenfelder kommen hier noch vor, und die Verwüstung der Wälder ist namentlich im 19. Jahrh. rapid fortgeschritten. Es folgen im allgemeinen aufeinander: Kastanien (900 bis 1300 m), darauf Kastanien und Eichen, dann Lariciokiefern, Birken, Ahorne und Buchen, welche von 1900 m an in Zwergformen übergehen. Die Eichenwälder sind am Südhang fast ganz verschwunden, die Kastanienwälder sehr zusammengeschrumpft; von der Produktionskraft der Natur auf diesem Boden zeugen aber die Überreste der gewaltigen Stämme des Castagno di cento cavalli und des Castagno della nave. Unterholz und niedere grüne Pflanzen fehlen in diesen Wäldern fast völlig, nur Adlerfarn findet sich in ungeheurer Menge. Bei 2000 m beginnt die Regione deserta, eine einsame Wüste von Lavaströmen und schwarzen Aschenfeldern, auf denen niedriges, rasenartiges Gestrüpp sich verbreitet und im Sommer noch dürftig umherirrende Schafherden nährt. Alpine Pflanzen sucht man vergebens, und die für die höhern Regionen des Ä. charakteristische Pflanzenarmut erreicht hier ihr Maximum: von 2000 m an sind nur noch 50 Pflanzenarten nachgewiesen, bei 2500 m nur noch 11, bei 3000 m ist es nur noch eine.

Gewöhnlich besteigt man den Ä. von Catania aus. Man rastet des Nachts in dem sogen. Englischen Haus, einem von Mario Gemmellaro, dem hochverdienten Ätnaforscher, mit Unterstützung englischer Offiziere 1811 errichteten Gebäude, nur noch 370 m unter dem Krater. Hier beginnt der Aschenkegel, der von Eis und Schnee vollkommen frei ist, eine Wirkung der heißen vulkanischen Dünste, welche aus allen seinen Poren dringen. Von dem obersten, wenige Schritte breiten Rande des Kraters erblickt man tief unten den eigentlichen Schlund. Der Krater verengert sich trichterförmig und ist mit Schwefel wie überzogen. Die Aussicht vom Gipfel des Ä. ist unvergleichlich. Man überblickt drei Vierteile Siziliens, die Liparischen Inseln mit dem dunkeln, rauchenden Stromboli, die Meerenge von Messina und jenseit derselben Kalabrien mit seinen an 2000 m hohen Bergen. Ringsum liegen drei Meere, das Tyrrhenische, Ionische und das Afrikanische, im fernen Süden Malta als kleiner schwarzer Punkt. In unermeßlicher Ausdehnung schreitet des Morgens und des Abends der ungeheure Schlagschatten des Bergs um ihn herum, und während die eine Seite desselben schon im Sonnenlicht glänzt, ruht die andre noch in tiefem Dunkel.

Der Riesenberg selbst verändert im Lauf des Jahrs einigemal sein Kleid. Im März trägt er noch das Wintergewand, während um ihn herum all Ebenen und Hügel im schönsten Frühlingsschmuck prangen. Erst im Juli und August erscheint der Berg mit seiner Sommertracht angethan. Der Wald prangt in frischem Grün, aber der Blumengürtel um den Fuß des Riesen ist verdorrt unter den sengenden Strahlen der Sonne, denen nur die immergrünen Bäume und Sträucher mit ihren harten, glänzenden Blättern sowie die saftreichen Opuntien und Agaven Trotz bieten. Die zunächst unter dem Aschenkegel liegende kahle Region bedeckt Eis, das hier vielleicht schon seit Jahrtausenden ruht, nicht schmilzt und wegen seiner außerordentlichen Dauerhaftigkeit einen bedeutenden Ausfuhrartikel nach Italien, Griechenland, der Türkei und Afrika bildet; es wird vom Bischof von Catania für eine namhafte Summe (meist an Marseiller Kaufleute) verpachtet. Die Lavaströme des Ä. verhalten sich hinsichtlich ihrer Mächtigkeit zu denen des Vesuvs wie gewaltige Ströme zu unbedeutenden Flüssen. Schon aus weiter Ferne erkennt man die jüngern, und bei Catania, namentlich längs des Gestades, gleichen sie einem unabsehbaren Meer mit erstarrten Wellen.

Der Ä. gehört erst mit Beginn der geologischen Gegenwart zu den jüngsten Bildungen der Insel Sizilien; er begann seinen Kegel zuerst unterseeisch in einer weiten Bucht aufzubauen, welche tief in die Ostseite Siziliens eindrang. Sein absolutes Alter ist zu nur 50,000 Jahren geschätzt worden, und da im Mittel der letzten drei Jahrhunderte auf ungefähr je zehn Jahre ein Ausbruch kommt, so würden also ca. 5000 Ausbrüche diesen gewaltigen Kegel, dessen Volumen man zu 2,08 geogr. Kubikmeilen berechnet hat, und der den Vesuv um das 20fache übertrifft, aufgebaut haben. Die ältesten, von Diodor historisch beglaubigten Ausbrüche mögen etwa ein Jahrtausend vor unsre Zeitrechnung hinaufreichen. Der älteste, gut bezeugte fällt in das Jahr 693 v. Chr., und in griechischer und römischer Zeit sind wir überhaupt weit besser über die Eruptionen unterrichtet als in der ersten Hälfte des Mittelalters. Erst seit dem 12. Jahrh. haben wir wieder bessere Berichte. Einer der gewaltigsten Ausbrüche war der vom 4. Febr. 1169, an welchem Tag zugleich ein Erdbeben Sizilien und Kalabrien erschütterte; weitere namhafte Ausbrüche fanden 1329, 1536, 1537 statt; das 17. Jahrh. war aber an furchtbaren Ausbrüchen reicher als irgend ein andres, von 1603 bis 1620 war der Berg fast in beständiger Thätigkeit, und 1669 erfolgte die bedeutendste und zerstörendste aller bisher vorgekommenen Eruptionen. Erbeben der Erde, unterirdischer Donner, schwarze Rauch- und Aschenwolken aus dem Zentralkrater kündigten dieselbe seit den ersten Tagen des März an, und diese Erscheinungen steigerten sich von Tag zu Tag, bis 11. März sich ein Spalt mit mehreren Schlünden bildete, auf deren einem die Monti Rossi aufgetürmt wurden, welche gewaltige Lavamassen auszuspeien begannen. Diese vernichteten zunächst das Dorf Guardia, dann die Stadt Malpasso, die 8000 Einw. hatte, sowie zahlreiche andre Städte und Dörfer und wälzten sich gegen Catania. Am 26. März stürzte unter furchtbarem Erdbeben der Gipfel des Ä. zusammen. Seit 22. April war die Lava schon bis an die Mauern von Catania gekommen und um dieselben herum ins Meer geflossen; am 30. April durchbrach sie die Mauern und drang in die Stadt ein, deren westliche und südliche Teile zerstört wurden. Ein Teil des Hafens wurde ausgefüllt, die Küste weit vorgeschoben. Erst im Juli, nach 31/2monatlicher Thätigkeit, erlosch der Vulkan. Ein Lavastrom von 15 m Mächtigkeit, 50 qkm bedeckend und von einem Volumen von 980 Mill. cbm, war zurückgeblieben; zwölf Städte und Dörfer waren ganz oder teilweise durch die Lava, sechs andre durch die Erdbeben zerstört. Im 18. Jahrh. sind namhafte Ausbrüche die von 1763, 1787 und 1792, im 19. die von 1809, 1819, 1852 und namentlich 1865, der letzte fand 1879 statt. Gut bezeugt und in Einzelheiten geschildert sind uns 98 von sehr verschiedener Dauer, [20] wovon 15 in unserm Jahrhundert. Auch hier ist 1880 in der Nähe der Casa inglese auf Anregung des trefflichen Ätnaforschers Orazio Silvestri ein Observatorium gegründet worden. Vgl. Ferrara, Descrizione dell’ Etna (Palermo 1818); Smyth, Descriptive memoir of the resources, inhabitants and hydrography of Sicily (Lond. 1824); Rodwell, The Etna, a history of the mountain and its eruptions (das. 1878), und namentlich W. Sartorius von Waltershausen, Atlas des Ä. (Götting. 1848–58), und nach den Manuskripten des letztern: „Der Ä.“, herausgegeben von A. v. Lasaulx (Leipz. 1880, 2 Bde.).